Nieps, den Sie„Freisinnige Zeitung" als Musterknaben auf- marschieren ließ, allerdings gegen die Erhöhung des Zensus ge- stimmt hat, aber nicht aus prinzipiellen Gründen, sondern nur, weil die Gefahr, daß die Sazialdeinokraten das Stadtverordneten- köllegium erobern, noch nicht so groß sei, wenn nur jeder Bürger seine Schuldigkeit tue.„Wenn aber diese Zeit gekommen," so fügte er wörtlich hinzu,„dann werde auch ich keinen Augenblick zögern, von einem Rechte Gebrauch zu machen, welches uns die Städteordnung an die Hand gibt." Das entscheidende ist nicht, daß es es immer und überall so- genannte Freisinnige gegeben hat, die das Programm ihrer Partei mit Füßen traten, sondern vielmehr, daß die offiziellen Blatter des Freisinns, die früher derartige Attentate auf das Wahlrecht stets verurteilt haben, heute kein Wort der Entrüstung über das Vorgehen der Rixdorfer finden, sondern sogar durch ihre An- griffe auf die Obstruktion dar Sozialdemokraten, die sich nicht geduldig zur Schlachtbank führen lassen wollten, sich zu Mit- schuldigen an dem Schurkenstreich machen! „Keine Klassenwahl� keine öffentliche(Ab- st i m m u n g l" So heißt es im Eisenacher Programm der Frei- sinnigen Volkspartei. Allerdings, was gilt dem heutigen Blockfrei- sinn ein Programm?„Was nützt aber auch eine noch so schöne Fahne für sich allein? Ob Erfolg zu erzielen ist, das hängt doch in erster Reihe ab von der Tapferkeit, Festigkeit, Beständigkeit, mit der das Programm in den politischen Kamps hineingetragen und verteidigt wird." Dies stolze Wort, mit dem auf dem zweiten Parteitag der freisinnigen Volkspartei 1894 ihr Programm be» gründet wurde, legt der Rixdorfer Freisinn in seiner Weise auS. Auch er fragt sich, was eine noch so schöne Fahne für sich allein nutzt, aber er beantwortet die Frage dahin, daß die längst entweihte Freisinnsfahne überhaupt nichts mehr nutzen kann und daß man Tapferkeit, Festigkeit und Beständigkeit nicht in der Ver- teidigung seiner Grundsätze, sondern einzig und allein nur noch in der Bekämpfung der Arbeiterklasie an den Tag zu legen braucht! Eine würdige Feier des Jubliäums der Städteordnungl 1893 wollte Freiherr v. S t e i n den Bürgern eine tätige Einwirkung auf die Verwaltung des Gemeinwesens beilegen und dadurch Gcmeinsinn erregen und erhalten. Hundert Jahre später ent- rechtet die Bourgeoisie die Arbeiterklasse, deren Vertreter den Gemeinsinn in der ausgeprägtesten Form stets betätigt haben. Fürwahr, tiefer konnte der Freisinn nicht sinken! >» Herr v. Gerlach schreibt über den Rixdorfer Wahlrecktsraub in der„Welt am Montag": „Die bösartigste Form der Reaktion verkörpert jene dritte Klosie von Reaktionären, die Liberalimus vor- spiegeln und Reaktion praktizieren. Die heuchlerischen Reaktionäre sind die wirklich verächtlichen. Sie reden von Frei- heit. Sie donnern gegen die Reaktion. Sie führen die Gerechtig- keit im Munde. Sie verfluchen die agrarische Ausbeutung. Sie schwärmen für die Gleichheit aller Staatsbürger. Sic empören sich über die Tyrannei der Mächtigen. Aber all das geschieht nur da, wo sie nicht selbst die Macht haben. Wo sie zu hoffnungsloser Minderheit verdammt sind, da figurieren sie als Helden freimütiger Opposition. Wo sie aber selber herrschen, da verstehen sie sich auf das Gewerbe der niederträchtig st en Re« aktion so gut, daß jeder oft elbische Junker vor Neid erblassen mutz.... Entweder man hat Prinzipien oder man hat keine. Hat man keine, so ist man jedenfalls nicht liberal. Tun die Liberalen ihre Pflicht, sind sie genügend eifrig und ge- nügend sozial, so können sie auch bei gleichem Wahlrecht die Mehr- heit erringen. Eine politische Infamie aber ohne gleichen ist es, nicht nur für das gleiche Wahlrecht nicht ein- zutreten, sondern das bestehende ungleiche Wahlrecht aus Rot- koller noch zu verschlechtern.... Aus Haß gegen die Arbeiter und aus Furcht vor ihnen hat man Bestimmungen geschaffen, wie sie kein Krautjunker schlimmer hätte gestalten können. Und jetzt, als„Krönung des Gebäudes", das Spektakelstück vor den Taren Berlins !... Und der Gipfel der Schande ist, daß die Berliner block- freisinnige Presie kein Wort des Tadels über die Rixdorfer Vor» gänge findet. Stillschweigend heißen„Tante Voß" und„Freisinnige Zeitung" den Gewalt- akt gut. Sie wisien ganz genau, daß ihr Parteiprogramm die Beseitigung der Klassenwahl fordert. Aber sie schweigen, wenn ihre Parteigenossen in schnöder Mißachtung dieses Programms mit den Rechten nicht bloß der Arbeiter, sondern auch breiter Schichten des Mittelstandes Schindluder treiben. Statt zu fordern, daß die schuldigen Freisinnigen cum inkamia aus der freisinnigen Organisation exkludiert werden, stärken sie ihnen das Rückgrat durch alberne Bemerkungen über die„Obstruktion" und die„Demonstrationen" der Rixdorfer Ar- beiter. Ja das könnte den Herren Wohl passen, wenn die Sozialdemokraten, die man so niederträchtigbehandelt, in Hundedcmut alles über sich ergehen ließen. Aber Gott sei dankl sind unsere Arbeiter denn doch nicht zu der Unterwürfigkeit von Blockfreisinnigen herabgesunken, die auf Bülowsche Fußtritte mit Liebesertlärungen reagieren. Niederträchtig l Anders kann man den Rixdorfer Coup nicht nennen. Schon sind 27 Sozialdemokraten gewählt. Die Zweidrittelmehrheit, die zur Verschlechterung des Wahlrechts nötig ist, ist damit gebrochen. Aber die neugewählten Stadt- verordneten treten erst am 1. Januar 1999 ihr Amt an. Des- halb wird noch kurz vor Toresschluß ein Gewalt streich verübt. Ohne Beschaffung statistischen Materials. ohne K om m iss i o nS b e ra t u n g, ohne sachliche Debatte, wie der Dieb in der Nacht, bricht man in die Rechte der Massen ein, denen Rixdorf alles, was eS ist. verdankt." CidOTlismu; und Sozialismus. Bor mehreren Wochen hat Herr Theodor Barth in Kopenhagen einige Vorträge über Liberalismus und Sozialdemo- kratie gehalten, in denen er die Ansicht vertrat, daß der sozia- listische Revisionismus in der deutschen Sozialdemokratie mehr und mehr an Boden gewinne, während andererseits der Marxismus eines seiner Dogmen nach dem andern fallen sehe. So entwickele sich, meinte Dr. Barth, die Sozialdemokratie zwar langsam, aber, wie die bisherigen Erfahrungen bewiesen, mit innerer notwendiger JsAmsequenz zu einer sozialistischen Reformpartei. Zugleich nähme auch der alte manchesterliche Liberalismus in steigendem Maße sozialreformerische Anschauungen in sich auf. Beide Parteien näherten sich, so daß ein politisches Zusammenwirken der Sozial- demokratie mit dem Liberalismus unausbleiblich sei:„In abseh. barer Zeit werden die entscheidenden politischen Kämpfe der Gegen- wart in einer Schlachtordnung geführt werden müssen, bei der auf der«inen Seite die„union des cloches et des tambours" (Klerikalismus und Militarismus), verstärkt durch die kapita- listischen Feudalherren, aufmarschiert, während auf der anderen Seite eine liberal-sozialistische Fortschrittspartei ihr gegenüber- tritt, die sich auf die Millionenheere lder Arbeiterschaft stützt." Diese Vorträge, die Herr Barth jetzt in einer Broschüre er- scheinen läßt, geben der„Franks. Ztg." zu folgenden Bemerkungen Anlaß: „Wir dürfen wohl sagen, daß wir zu den ersten gehörten, die einer Annäherung des Liberalismus an die Sozialdemoiratie das Wort redeten. Wenn wir das heute nicht so tun wie früher, So sind wir uns aber nicht untreu geworden. Wir sind nur der lnsicht, daß man auch in der Politik, wie in jedem Geschäfte, ein gewisses Maß von Würde nicht vermissen lassen dürfe. Wir habe jahrelang einem freundschaftlichen Verhältnisse, wir meinen natürlich Sur einem parteipolitisch freundschaftlichen Verhältnisse, zwischen Sozialdemokratie und Liberalismus unsere Feder ge- widmet. Daß die Haltung bei der Sozialdemokratie zunächst wenig Anklang fand, hat uns nicht irre gemacht. Wir wissen, daß neue politische Kombinationen nur langsam werden, und wir mußte» uns auch sagen, daß man bei einer Partei, deren gesellsdiaftliche Kultur im allgenieinen noch sehr jungen Datums ist, nicht jede Aeußerung auf die Goldwage des guten Tones legen dürfe. Wir haben das auch immer wieder den anderen gesagt. Aber alles hat seine Grenze. Wenn man sieht, daß die Entwickelung, die ein gutes Verhältnis zwischen Liberalismus und Sozialdemokratie herbeiführen könnte, unterbrochen wird— man denke nur an den Dresdener sozialdemokratischen Partei- tag—, wenn immer wieder der Gedanke der Annäherung ab- gelehnt wird, wenn der Spott über diesen Gedanken nicht weicht und vielmehr die Grobheit noch dazukommt, dann, so meinen wir. muß man schon die Demut zu seinen Charaktereigenschaften zählen, oder nicht sehen, was da ist, um nicht sdsiießlich zu einer gewissen Zurückhaltung. zu gelangen. Der Gedanke, daß die Sozialdemokratie sich allmählich ändere, ist geläufig. Sie tut es nur allzu allmählich. Immerhin darf man wohl annehmen, daß sie an irgend- einem Punkte einmal mit dem Liberalismus zusammentreffen werde, und Politiker werden diese Möglichkeit oder, wenn man will, Wahrscheinlichkeit nicht aus dem Auge verlieren. Aber'das muh doch nun einfach ab-' gewartet werden. Der Sozialdemokratie nachzulaufen, ist nicht nur ein ungeeignetes Mittel, dieses Zusammentreffen zu fördern, sondern auch geradezu unwürdig." , Auch wir sind der Ansicht, daß, wenn auch die Hoffnung, die Sozialdemokratie könne einstmals mit dem Liberalismus„zu- sammentreffen" und sich mit ihm zu einer Partei vereinigen, eitel ist, doch in manchen Fällen ein gemeinsamer Kampf gegen„Kleri- kalismus und Militarismus" stattfinden könnte. Wenn diese Ge- meinsamkeit heute fehlt, so ist das aber nicht die Schuld der Sozial- demokratie. sondern der eigenartigen Entwickelung des Liberalis- mus in Deutschland , der alle seine einstigen Ideale preisgegeben hat und sich heute im Block, um gewissen zahlungsfähigen a u ch-i liberalen Elementen wirtschaftliche Vorteile zu verschaffen, zum willfährigen Handlanger des AgrarkonservatiSmus hergibt. Ferner ist es die Schuld der Gesinnungslosigkeit einer Presse, darunter auch der..Franks. Ztg.", die, um sich die zahlungsfähige Gunst gewisser Börsen- und Handelsschichten zu erhalten, in allen die Arbeiter- klasse betreffenden politischen Lebensfragen zu den weitgehendsten Zugeständnissen an die reaktionären Wünsche bereit ist. und die. um gute Nachrichten zu erhalten, ihre Vertreter in der Wilhelm- straße in Berlin antichambrieren läßt und willig offiziöse Schlepperdienste leistet. Wie heruntergekommen dieser Liberalismus schon ist, das zeigt aufs neue die Rixdorfer Wahlentrechtung. Habendort doch sämtliche freisinnige Stadtverordnete dafür g e st i m m t, den 356 Stimmberechtigten der ersten Wählerklasse ein noch größeres Uebergewicht als bisher gegenüber den 31 999 Wählern der dritten Klasse zu verschaffen, indem sie alle Wähler, die nicht mindestens das Anderthalbfache des durchschnitlichen Steuerbetrages bezahlen, in die dritte Klasse abschoben. Und was noch kennzeichnender ist für die widerliche Verkommenheit des Liberalismus: in der ganzen liberalen Presse haben sich nur zwei oder drei Blätter gefunden, die gegen diese schmähliche Verleugnung liberaler Prinzipien protestierten. Die anderen haben sie einfach mit einigen spöttischen Bemerkungen über die sogen. Obstruktion der sozialdemokratischen Rixdorfer Stadtverordneten registriert oder gar zu dem Akt echt freisinniger Gesinnungsbetätigung jubelnd Beifall geklatscht. Und zu diesen jämmerlichen Blättern der letzt- erwähnten Gattung gehört auch die ehrsame entschieden liberale„Frankfurter Zeitung ". Daß die Sozialdemokratie sich mit diesen politisch verwesenden Elementen einstiger Fortschrittsherrlichkeit koalieren und ihnen zu Liebe auf ihre prinzipiellen Forderungen verzichten soll, das kann nur jemand verlangen, der entweder ein Phantast ist oder der bereits selbst politisch so korrumpiert ist, daß er die steigende Korruption des Freisinns nicht mehr sieht. Der Freisinn muß noch weiter verwesen, ehe an eine wirklich liberale Parteibildung in Deutschland zu denken ist. Er muß erst auS dem jetzigen Block herausgeworfen und, vor daS Nichts gestellt, von einer konservativ- klerikalen Koalition völlig niedergestampft werden, bevor im Libe- ralismus selbst eine Wendung zum Bessern«inzutreten vermag. Unter denen, die heute den Mugdan, Fischbeck, Kopsch folgen und in diesen die Vertreter ihrer politischen Ideale erblicken, ist jede Regeneration ausgeschlossen. Sie sind der inneren Verwesung verfallen, und jede Partei, die sich mit ihnen verbindet, wird tödlich infiziert._ Oer lilittelsmauD Im Bergbau. Der industrielle Großbetrieb hat überall die gleiche Organisa- tionsform erhalten. Zwischen dem Arbeiter und dem Kapitalisten steht der Beamte als Werkmeister, Betriebsleiter oder Kaufmann. Ueberall wird die gleiche undankbare Pufferstellung geschaffen, der Angestellte wird als Antreiber und Ausbeuter auf den Arbeiter losgehetzt und ist doch selbst nur ein Lohnarbeiter, über den der Unternehmer die Hungerpcitschc schlvingt, wenn der„geistige Mit- arveiter" sich anschickt, renitent zu werden. Die Stellung des An- gestellten, die Auffassung, die er von seiner Tätigkeit hat, ist da- her nicht ohne Einfluß auf die Stellung des Arbeiters zum Betrieb. Drängen sich zwischen Kapital und Arbeit einer Industrie Be- amtengruppen, die sich als Büttel im Dienste des Unternehmers gebrauchen lassen, dann werden die Gegensätze im Betrieb noch mehr verschärft, wie sie ohnedies schon vorhanden sind. Ganz besonders klar ausgeprägt haben sich diese Verhältnisse im Bergbau. Die große Erbitterung, die nun schon seit Jahren in der Bergarbeiterbevölkcrung vorhanden ist, wird täglich genährt durch Handlungen der Grubenbeamten, zu denen die Betriebs- leitung den Auftrag und die Behörde die Genehmigung gibt. Geradezu raffiniert ist der Verwaltungskörper hier organisiert. Der unterste Beamte ist der Steiger, oer unmittelbar mit dem Bergmann zu arbeiten hat. Dann folgt eine Reihe von Instanzen und Vorgesetzten, bis zu den obersten Leitern des Bergwerks. Jeder Oberbeamte sucht sich gefügig seinem nächsten Vorgesetzten unterzuordnen, der Steiger als der unterste Angestellte ist dann der Sündenbock, der alles ausführen und verantworten muß. Mög» lichst viel Kohle soll gefördert und möglichst an Produktionskosten gespart werden, jede Unregelmäßigkeit in der Betriebsleitung wird jedoch dann aus den Steiger abgewälzt. Im Reichstag haben anläßlich der Radboddebatte selbst bürger- liche Redner diese unhaltbare Zwischenstellung de? Steigers ein- gehend erörtert. Die gegenwärtige Situation hat aber doch eine neue Erscheinung gezeitigt, nämlich einen Protest der Angestellten selbst gegen die bestehenden ProduktionSmethoden. Im Austrage seiner Gewerkschaft, des Deutschen Steigerverbansdes, hat G. Werner eine Broschüre über Unfälle und Erkrankungen im Ruhrbergbau veröffentlicht. Der Verfasser schildert an der Hand von Zahlen und Tatsachen, welche Opfer hier der Kapitalismus an Leben nnd Gesundheit der Arbeiter fordert, Die Fortschritte der Technik haben Einrichtungen und Hilfs- mittel geschaffen, um die Arbeiter nach Möglichkeit gegen die ver- scknedenstcn Gefabren zu schützen. Aber diese Hilfsmittel kosten Geld. So wiederholt sich denn immer dasselbe Spiel, der Steiger interpelliert seine Vorgesetzten, ihm die nötige Zahl von Reparatur- Hauer zur Ausführung der Sicherungsarbeiten zu bewilligen, oder er macht auf Mängel in den bestehenden Sicherheitseinrichtungen aufmerksam. Seine Mitteilungen werden schroff zurückgewiesen. alle Beschwerden unterdrückt. Nur wenn ein Unglücksfall vorliegt, wird nach dem Schuldigen gesucht und in den meisten Fällen dann der Steiger zur Verantwortung herangezogen. Die Bergbehörde als Aufsichtsinstanz steht oiesen Zuständen teilnahmloS, oft sogar mit drückend gegenüber. Die Feststellungen, die Werner in seiner Broschüre macht, sind den Grubenmagnaten natürlich sehr unangenehm; sie versuchen daher, diese Sckrift zu dementieren. Am wirksamsten ist die Methode, den Steigerverbano von den eigenen Berufskollegen be- kämpfen zu lassen. Die Arbeitgeber haben daher ihren Einfluß bei dem„Verband technischer Grubenbeamtenvereine im Oberberg - amtsbeziri Dortmund ", einer echten Harmonievereinigung, auf- gewendet und eine Protcstlundgebung agieren lassen. In einer Versammlung, die kürzlich in Bochum stattfand, erklärte man sich als einzig in Frage kommenoe Vertretung der technischen Gruben- beamlen und wandte sich„mit Entrüstung" gegen die von Werner aufgestellte Behauptung/ daß das Radbodungiück ein Produkt aus Nachlässigkeiten der Verwaltung. Unterlassung von Beamten und loahrscheinlich auch von Arbeitern sei. Die Versammlung sprach ikre Ansicht dahin aus, Daß weder ein NeichSbcrggosetz, noch die Einführung von Arlieiterkontrolleuren geeignet sei, die Gefahren des Bergbaues zu verhindern, ja auch nur einen einzigen Unglücks- fall zu vermeiden. Die Einführung von Arbeiterkontrolleuren würde im Gegenteil die infolge der sozialdemokratischen Agitation heute so schwer aufrecht zu haltende Disziplin noch weiter unter- graben und dadurch die Gefahren des Bergbaues noch erhöhen. Politisch bedeute die Einführung von Arbeiterkontrolleuren eist- nicht zu gering anzuschlagende Stärkung der Sozialdemokratie, denn es werde kaum zu vermeiden sein, daß dadurch gutbezahlte sozialdemokratische Agitatorenstellen geschaffen werden, und der Sozialdemokratie eine Gelegenheit zur Agitation geschaffen würde, wie sie sich nicht besser wünschen könne. Diese Erklärung zeigt den bornierten Standesdünkel und beschränkten Rotkoller, wie er in den Kachverbänden durch den Einfluß der Unternehmer in den letzten Jahren gezüchtet wurde. Aber das alte Rezept scheint doch nicht mehr überall zu wirken, die Tatsache, daß allen Unter- drückungSmatzregeln der Grubenmagnaten zum Trotz sich in Rhein- land-Westfalen eine neue Steigergewerkschaft entwickeln konnte, gibt den Beweis, daß es auch dort zu kriseln beginnt Alle Zeichen sprechen dafür, daß nicht nur ein gewaltiges und erbittertes Ringen zwischen Bergarbeitern und Grubenbesitzern sich ankündigt, sondern daß auch der industrielle Mittelsmann mit hineingezogen wird. Die Organisation der Arbeit, wie sie der kapitalistische Betrieb erfordert, zwingt auch hier den Angestellten, nicht im Arbeiter seinen Feind zu sehen, sondern im Unternehmer, den er aus eigenem Selbsterhaltungstrieb gemeinsam mit dem Arbeiter zu bekämpfen hat._ politifchc Clcbcylicbt. Berlin , den 21. Dezember 1908. Ein bedeutsamer Kommunalwahlsieg. Nach fünftägiger heißer Stichwahlschlacht haben unsere Partei- genossen in Mülheim am Rhein dem Zentrum drei Stadt- verordnetensitze der dritten Abteilung abgenommen.(Wir haben das Resultat in der SonntagSnummer schon telegraphisch gemeldet.) Bei der Hauptwahl hatten erhallen: Zentrum 2675, Sozialdemo- kratte 2249, Liberale 789 Stimmen. Bei der Stichwahl erhielten die sozialdemokratischen Kandidaten durchschnittlich 3299, das gentruni 3178 Stimmen. Der Sieg ist nicht ganz aus eigener Kraft errungen, denn etwa 399 Wähler, die im ersten Wahlgang liberal stimmten, wählten bei der Stichwahl sozialdemokrattsch, nachdem die liberale Parteileitung die Parole ausgegeben hatte: Keine Stimme dem Zentrum! und nachdem der jungliberale Verein aufgefordert batte, für die Sozial- demokratie zu stimmen. Was die Zentrumsblätter vom„blau- roten Bündnis" fabeln, ist finnlos, denn es haben keinerlei Abmachungen irgendwelcher Art stattgefunden. Der ehrlichere Teil der Liberalen hat ohne jede Bemühung von unserer Seite für uns gestimmt. Genau so war eS im benachbarten Kalk, über das ähnliches behauptet wird. Bei der Mülheimer Stichwahl haben 82 Proz. der Wahl- berechtigten gestimmt; eine bei einer Kommunalwahl dritter Klasse ungewohnt hohe Beteiligung. Bei der Hauptwahl slimnilen nur 75 Proz. Bisher hatte daS Zentrum stets im ersten Wahlgang gesiegt. Das ist überhaupt der erste tatsächliche poli- tische Wahlerfolg im katholischen Teile der R h e i n p r o v i n z. Die drei Mülheimer Genossen sind die ersten sozialdemokratischen Stadtverordneten in den vier katholischen Regierungsbezirken des RheinlandeS(Köln , Aachen , Koblenz und Trier ). Wenn auch die Mülheimer Sitze nicht ganz ohne liberale Stimmen gewonnen werden konnten, so hat sich doch gezeigt, daß das Zentrum in einer durch und durch katho- lischen Stadt nicht mehr von vornherein des Sieges sicher ist. Unsere Stimmen hatten sich schon bei der Hauptwahl gegenüber der Wahl vor zwei Jahren um fast 149 Prozent vermehrt; bei der Stichwahl stiegen sie. wenn man die 399 liberalen Summen abzieht, um weitere 759, während daS Zentrum m i t liberalen Stimmen nur 599 Stimmen zunahm.-» Freisinnige Dicbstaktik. Mit eiserner Stirn hat die„Freisinnige Zeitung' bisher ihren Lesern die Tasache unterschlagen, daß unter den Rixdorfer Wahlrechtsräubern Freisinnige sind; ebenso hat sie kein Wort der Kritik, geschlveigc denn des Protestes gegen die infame Entrechtung der Rixdorfer Proletarier gefunden. Um so gcschioätziger ist sie über sozialdemokratische Angelegen- Heiten.� In ihrer Dienstagsnummer bringt sie einen Leitartikel: „Die österreichische Sozialdeinolratie", worin sie unsere öfter- reichischen Genossen in törichter Weise gegen die deutsche Sozial- demokratie auszuspielen sucht. Der Artikel lohnte keinerlei Be- achtung, wenn nicht zum Schlüsse in gar zu unverschämter Weift die Worte unseres Genossen Dr. Adler gegen die Obstruktion der Tichechisch-Radikalen als Verurteilung der Obstruktion ausgebeutet würden, die die deutsche Sozialdemolratie 1992 gegen den Wucher- tarif geübt hat. Es gehört das Fälschungstalent eines ReichSverbändlerS dazu — woran es der„Freisinnigen Zeitung" allerdings nie gemangelt hat—, um die damalige Obstruktion der deutschen Sozialdemokraten und die jetzige der Tschechisch-Radikalen als gleichwertig zu fttzen. Beim Wuchertarif Hcrndelie es sich um ern Lebensinteresse dcw überwiegenden Mehrheit des deutschen Volkes, vor allem des Proletariats und der Kleinbürger, die Obstruktim, der Tschechisil?- Radikalen entsprang chauvinistischen Ouerelen, geboren aus lachet- lich kleinlichen Anlässen, um derentwillen die Gesetzgebungs- Maschinerie eines großen Reiches lahmgelegt werden sollte, in«mein Augenblicke, wo die ArbeiteralterSversicherung eingebracht ist! Von der Verurteilung jeglicher Obstruktion sind unsere öfter- reichischen Genossen ebensoweit entfernt, wie die deutschen Frei- sinnigeu von demokratischer Gesinnung. Denn die österreichische Sozialdemokratie müßte ihre eigene Vergangenheit verurteilen, müßte ihre mutige Tat verleugnen, durch die sie einst den Sturz Badenis erzwang,
Einzelbild herunterladen
verfügbare Breiten