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die Rechtsprechung auszubilden und dem Bedürfnisse anzupassen. und daher erhebt sich bei jeder Kleinigkeit der 5iuf nach der Gesetzgebung, und wieviel wäre auch ohne die Gesetzgebung durch die Rechtsprechung zu fassen und zu formenl(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Die soziale Gesetzgebung hat damit vegonnen, dasi man mit dem Märchen von dem freien Arbeitsvertrag aufgehört hat. Nur formell, nur scheinbar hat der Besitzlose eine Bertragsfrciheit. Was ist zmn Beispiel aus den Bestimmungen, die das Bürgerliche Gesetzbuch zum Schutz der Mieter geschaffen hat, in der Praxis geworden? Die Haus besitzet haben sie vollständig beseitigt. Bei solchen Bestimmungen müßte der Richter sagen, hier handelt es sich um zwingendes Stecht, das der freien Vereinbarung entzogen ist. Denn die so- gemannte Vertragssreiheit läuft in Wahrheit auf die Willkür des wirtschaftlich Stärkeren hinaus.(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Ich will daran erinnern, wie bei jedem Streik, bei jeder Aussperrung Taufende von Versicherungspolicen der Arbeiter verfallen, weil die Arbeiter infolge eines Streiks die Prämie nicht mehr bezahlen können. Ich eriimcrc. wie in solchen Fällen den Arbeitern die auf Abzahlung gekauften Möbel genommen werden. Wo ist der Richter, der es wagt, in einem solchen Falle Fristen zu gewähren, indem er sagt, es handelt sich hier um Wirt schaftliche Erscheinungen, die über den Willen des einzelnen Arbeiters hinausge wachsen find.(Sehr wahrt bei den Sozialdemokraten.) In ihrer großen Mehrheit find die Richter nicht imstande, die Rechtsprechung fortzu bilde n. Deswegen wird wohl wieder die Gesetzgebung eingreifen müssen. Nun ist ja bei dieser Debatte das ReichSjustiz� amt sehr gut weggekommen. Es liegt eine stille Erwartung über dem Hause auf Grund der Ankündigung, daß gleich zwei große Reformen kommen sollen, die des Strafprozesses und des Straf - rechts. Man geht beinahe zärtlich mit dem Staatssekretär um (Heiterkeit.) in der Erwartung dieser Zwillinge. Auch ich will dem Vorredner folgen und in der Erwartung des freudigen Er- cignisses(Erneute Heiterkeit.) die Novellen, die noch nickt da sind. nicht kritisch betrachten. Aber eine Bemerkung will ich machen. über die Heranziehung von Schöffen und Ge schwöre neu aus den Reihen der Arbeiter. Auch wenn man ihnen Diäten bewilligt, fürchte ich, macht man die Rechnung ohne den Arbeitgeber. In Mannheim mußte ein Echwurgerichtstorsitzender feststellen, daß ein Arbeiter, um die Ent- Hebung des Amtes als Geschworener bat. weil sein Unter- nehmer ihm die Entlassung androhte.(Hört! hörtl bei den Sozialdemokraten.) Eine derartige gemeine brutale Ausnutzung der wirtschaftlichen Ucberlegenheit muß öffentlich an den Pranger gestellt werden(Zustimmung bei den Sozial- Demokraten.), und vielleicht ist«3 möglich, bei der Reform durch Strafandrohungen den Unternehmern die Luft zu nehmen, die Ar­beiter an der Erfüllung ihrer staatsbürgerlichen Pflichten zu hindern. Meiner Meinung nach, begeht ein Unternehmer, der dies Ult. e i n e e h r l o s c Ha n d l u n g.(Lebhafte Zustimmung bei den Sozialdemokraten.)_.. ,,, Wenn ich jetzt die Aufzählung der Sunden der Justiz des letzten Jahres unterlasse, so bitte ich Sie, das nicht der milden Stimmung zuzuschreiben und audh nicht die Folgerung zu ziehen. die Herr von Oldenburg im vorigen Jahre zog, als wir keine Soldatenmißhandlungen zur Sprache brachten. Er meinte,sie sagen nischt, sie haben nischt."(Große Heiterkeit.) Tie traurigen Erscheinungen, die unter dem Namen Klassenjustiz zu sammengefaßt werden, brauchen!vir nicht mehr zu beweisen, nach­dem auch bürgerliche Politiker anerkannt haben, daß vielfach die Justiz als Waffe gegen die Arbeiterbewegung gebraucht wird.(Sehr richtig? bei den Sozialdemokraten.) Aber man lernt auf diesem Gebiete nicht aus. Täglich werden neue Wege und Formen entdeckt, die deutsche Justiz vor der Gr- schichte zu blamieren. Ich will daher die regelmäßigen Fälle weg- lassen und hier nur über Fälle ich will mal sagen nicht etatsmäßigen Klassenjustiz sprechen. Am 2o. No vember 1908 wurde von der Strafkammer in Frankfurt der Ge- schästsführer derB o l k S st i m m c" mit 200 M. bestraft, weil er durch eine öffentliche Ausstellung einer Druckschrift zum Ungehor­sam aufgefordert hat. Hat er etwa seine Frankfurter Mitbürger zum Ungehorsam gegen das reformierte Börsengesetz aufgeforderte nein, er hat einen Buchhändlerprospekt ausgestellt und zum Kauf eines Geschichts Werkes der Wiener Revolution aufgefordert und dabei einen Abdruck-eines Aufrufs aus dem Jahre 1848 mit ausgelegt. Der Buchhändler wollte natürlich möglichst viel Käufer aulockeii. Aber die Frankfurter Richter haben das besser gewußt. Sic sagten, er habe versucht, auf die Soldaten, vor allem auf die Landwehrmänner einzuwirken und an der militä- tischen Organisation des Vaterlandes zu rüt- teln. Wenn man hie Jrrgänge der richterlichen Logik ansieht, so muß man dankbar sein, daß der arme Buch- Händler nicht noch tvegcn Hochverrats zur Zuchthausstrafe der- urteilt ist. Ich lege das Buch auf den Tisch des Hauses nieder. Sie werden daraus ersehen, daß der Aufruf deutlich als eine Bei- lag- zur Geschichte der Wiener Revolution bezeichnet ist. Wem das aber nicht genügt, den verweise ich auf den Inhalt des Auf- rufS, er schließt mit den Worten:Es lebe der konstitutiv- nelle Kaiser des freien Vaterlandes."(Schallende Heiterkeit.) Da muß doch selbst ein Blinder sehen, daß Deutschland nicht gemeint sein kann, wenn von einem freien Vaterland die Rede ist oder gar von einem konstitutionellen Kaiser.(Lebhafte Zustim- mung bei den Sozialdemokraten.) In Sachsen erlasse» Amtshauptmannschaften aus eigener Machtvollkommenheit Verordnungen, in denen sie die Ankündigung eines Boykotts mit Haststrafen bis zu 14 Tagen bedrohen. Eine Anzahl Sozialdemokraten sind auf Grund dieser Verordnungen be- reits bestraft worden, und zwar gerade in solchen Orten, in denen die Militärbehörde jahraus, jahrein über Gastwirte und Geschäfts- leute den Boykott verhängt.(Hörtl hört! bei den Sozialdemo, kraten. Aus dem Umstände, daß diesmal keine Resolu- tionen zum Justizetat gestellt worden sind, hat man sehr schmeichelhafte Folgerungen für das Reichsjustizamt gezogen. Etwas sehr voreilig! Stoff zu Resolutionen wäre maffen- hast vorhanden. Man denke nur an diescheußlichenSzenen bei der Hinrichtung der Grete Beier . 200 Hono- ratioren waren dazu mit Einladungen bedacht, als ob es sich um ein Schlachtcfest handele und nicht um einen Justizakt.(Zustimmung.) Wenn wir von Resolutionen Abstand genommen haben, so war es deshalb, iveil lvir dachten, daß man der Reichsregicrung Zeit lassen müsse, den massenhaften Stoff der im vorigen Jahre angenommenen Resolutionen zu bewältigen. Dem Bundesrat scheint es aber an der nötigen Zeit zu dieser Beschäftigung zu fehlen, wie man zumal nach des Fürsten Bülows heutiger Rede im Bbgeordnetenhause an- nehmen muß. Ohne jede zwingende Veranlassung sprach der erste Beamte des Reiches seine Bereitwilligkeit aus, unter gewissen Voraussetzungen gegen die größte poli- tische Partei Deutschlands mit Ausnahmegesehen vorzu- gehen.(Lebhaftes Hört! hört! bei den Sozialdemokraten.) Viel- leicht beschäftigen die Vorarbeiten zu einem solchen Ausnahme- gesetze schon jetzt die kostbare Zeit des BundcLrais. Uns läßt das kalt. (Stürmische Zustimmung bei den Sozialdemo- kraten.) Wir wissen recht gut, daß die Sozialdemokratie schon heute unter einem auSnahmegrsehlichrn Zustande steht.(Lebhaste Zustimmung bei den Sozialdemokraten.) ES fragt sich sehr. wer bei einem offenen Ausnahmegesetze besser fahren wird, die Sozialdemokratie oder ihre Gegner.(Wiederholte lebhafte Zustim» mung bei den Sozialdemokraten.) ES mag ja sein, daß man durch das Liebäugeln mit Ausnahmegesetzen eine schwindende Kanzlerherrschaft verlängern will.(Lebhaste Heiterkeit und Zustimmung bei den Sozialdemo» kraten.) Aber nochmals: Uns läßt es völlig talt, was man plant. Wir kennen dos schöne alte Wort: Mit Ausnahme- gesehen kann jeder Esel regirrrn.(Stürmischer Beifall bei den Sozialdemokraten� l Abg. Faßbenbcr(Z.) macht aüf die sich in der letzten Zeit häufenden empörenden Fälle von K i n d e r m i ß h a nd l u n g e n aufmerksam sowie auf die vielfach viel zu milden Strafen, die in den Prozessen wegen Kindermißhandlung gefällt werden. Auch der Schutz gegen Ausbeutung der Kinder ist nicht ge- n ü g e n d, denn er bezieht sich nur auf gewerbliche Ausbeutung. nicht auf Ueberbürdung mit unangemessenen Arbeiten im Haus- halt usw. Mit dein Körperverletzungöparagraphcn des Straf- gesetzbuches reicht man nicht aus; man muß besondere S t r a f b e st i m m u n g e n in bezug auf Grausamkeiten gegen Kinder treffen. Auch die Verursachung von Seelen- quälen, die oft schlimmer sind als körperliche Mißhandlungen, müßte strafrechtlich verfolgt werden. Die zivilrechtliche Stellung der der elterlichen Gewalt entzogenen Kinder bedürfe ebenfalls einer genaueren Fixierung.(Zustimmung.) Abg. Werner(Antis.) bittet um Beschleunigung der Straf- Prozeßreform, der Haftung des Reiches für seine Beamten, der Entlastung des Reichsgerichts usw. Redner klagt über Verrohung der Jugend. GegenBuffalo Bill "(Heiter- keit) und sonstige Schundliteratur müsse eingeschritten werden. Man kann verlangen, daß die Justiz gegen Eulenburg nicht anders vorgeht, wie gegen einen xbeliebigen armen Schlucker. ES ist sonderbar, daß man angesichts der schweren gegen ihn er- hobenen Anschuldigungen nicht gegen den Geheimrat Hamann disziplinarisch vorgegangen ist. Abg. G-ring(Z.) klagt über die Konkurrenz, die die Ge- fängnisarbeit dem Handwerk mache. Staatssekretär Dr. Rieberding: Bei der Neuregelung deö Strafvollzuges wird auch die Frage der Gesängnisarbcit neu ge- regelt werden. Sächsischer Geheimrat Meyer: Herr Dr. Frank ist ans den Prozeß der Grete Beier zu sprechen gekommen. Uebcr die Zahl der bei der Hinrichtung anwesenden Personen sind übertriebene Mitteilungen in die Oeffentlichkeit ge- langt. Es ist aber zuzugeben, daß die Strafvollstreckungsbehörde zu viele Personen zu jenem traurigen Akte zugelassen hat. Die königliche Staatsregierung mißbilligt dies Verhalten der Strafvoll st reckungsbehöroe aus das aller- entschieden sie. Die Verfügungen, von denen Herr Frank weiter sprach, betreffen nicht den Boykott, sondern gewisse Formen der Ankündigung des Boykotts.(Ohol und Lachen bei den Sozial- demokraten.) ES ist das eine Angelegenheit der Polizei, die mit der Justiz nichts zu tun hat. Abg. Dr. Heckscher(frs. Vg.) wünscht Erleichterungen im Verkehr der Angeklagten mit ihren Verteidigern, sieht in einer guten Schulbildung das beste Mittel gegen Kriminalität der Jugendlichen und äußert sich in allerschärfster Weise über die grausigen Zustände, die der Prozeß in Itzehoe enthüllt habe. Der tieslraurige Fall sollte uns zu Erwägungen darüber ver- anlassen, ob es sich nicht empfehle, die Fürsorgeerziehung rcichögcsetzlich zu regeln.(Sehr richtigl links.) Un- erhört, barbarisch sind die armen Mädchen von einem jungen Manu behandelt worden, der von Pädagogik nichts versteht und durch Protektion seines Vaters ins Amt gelangt ist. In der Beurteilung der skandalösen Szenen bei der Hinrichtung der Grete Beier stimme ich dem Stollegen Frank durchaus bei. Ter sächsische Vertreter hat selbst zugeben müssen, daß ein klares Reichsgesetz dabei übertreten ist, welches die Höchst­zahl der bei einer Hinrichtung zuzuziehellden Personen normiert. (Hörtl hört! links.) Herr Stadt Hägen behauptete im vorigen Jahre, die Klassenjustiz herrsche nicht nur bei unseren Strafrichtern, sondern auch bei unseren Zivilrichtern. Damit hat er nicht einmal die Zustimmung desHamburger Echo" gesunden. In das Gesetz über die Abzahlungsgeschäfte sollte eine Bestimmung aufgenommen werden, daß der Wohnsitz des Käufers auch sein Gerichtsort ist; das würde sehr heilsam wirken. Zum Prozeß Eulenburg bemerke ich nur. daß sich die Pjr es sc während eines Prozesses größerer Furückhaltung befleißigen muß: in England ist sie durch Gesetz dazu gezwungen und wird bei" Verletzung dieser Zurückhaltung wegencontempt of law"(Mißachtung des Gesetzes) bestraft. Dieser Begriff würde auch auf den Fall des vom Kollegen Frank angeführten Mannheimer Fabrikanten passen, der die Stirn hatte, einem Ar- beiter die Entlassung anzudrohen, falls er das Amt als Ge- schworencr ausübe. Ob Fürst Bülow sich wirklich im Abgeordnetenhause für Ausuahmege setze ausgesprochen hat, wie Kollege Frank behauptet hat. weiß ich nicht, ober das weiß ich. meine politischen Freunde sind für Ausnahmegesetze nicht zu haben.(Bravol bei den Freisinnigen: lautes Gelächter bei den Sozialdemo- kraten und im Zentru m.) Abg. Dr. v. Dziembowski-Pomian(Pole): Daß Fürst Bülow für Ausnahmegesetze ist, beweisen die Gesetze gegen die Polen . Wenn der Staatssekretär behauptet, sie stehen nicht im Widerspruch mit den RcichSgesetzen, so beweist er nur. daß er m i t s ch u l d i g ist. Staatssekretär Dr. Nieberding verteidigt das Borgehen der preußischen Regierung gegen die Polen als vereinbar mit den Reichsgesetzen. Abg. Dr. Marcour(Z.): Mit Recht hat gestern der Abgeordnete Ablaß betont, daß der H 13 des Urheberrechts zu einer wahren Crux für die gesamte anständige Presse geworden ist. Von Tag zu Tag mehren sich die Klagen über den Mißbrauch, der mit diesem Paragraphen getrieben wird. Es hat sich eine wahre Autorengilde herausgebildet, denen nichts am Schutz vor Nach- druck liegt, die vielmehr nachgedruckt zu werden wünschen, um dann mit Hilse des Staatsanwalts Buße» zu erpressen. Hier muß die Gesetzgebung für Abhilfe sorgen. Abg. Heine(Soz.): Der sächsische Bundesratsbevollmächtigte hat auf eine Bemerkung meines Kollegen Frank über die Polizei- Verordnung, welckic den Boykott beschränke, erklärt, daß sei etwas, was die Justiz nichts angehe. Man kann höchstens zu- geben, daß dic Justizvcrwaltung nicht in der Lage ist, derartige falsche Urteile zu verhindern. Aber die Justiz geht es sehr wohl an.(Zustimmung bei den Sozialdemo- traten.) Ich habe vor einigen Jahren darauf hingewiesen, daß diese Verordnungen ungesetzlich sind. Damals erwiderte der sächsische BundesratSbcvollmächtigtc, ich möchte doch abwarten, bis die oberste Instanz entschieden hat. Inzwischen hat das sächsische Oberlandesgericht diese Verordnungen für gültig erklärt. Mir liegt eine solche Verordnung aus Zwickau vor, in welcher mit Strafe bedroht wird, wer öffentlich auffordert, aus einem bestimmten Geschäftsbetriebe Waren nicht zu entnehmen und in einem be- stimmten Lokale nicht zu verkehren. Das steht in Widerspruch mit der Rechtsprechung des Reichsgerichts, das in einer Steche von Entscheidungen festgestellt hat, daß ein derartiger Boykott nicht gegen die guten Sitten verstößt, sondern eine erlaubte Handlung ist. Aber in Sachsen kümmert man sich um der- artige Entscheidungen nickt, da greift man zur Polizcivcr- o r d n u n g und bedroht das mit Strafe, was nach der Rechtsprechung des obersten Gerichtshofes erlaubt und zulässig ist. Es ist das(mit erhöhter Stimme) eine Auf- lchnnng der sächsischen Rechtsprechung gegen das Reichsrecht und gegen das Gesetz. Die Sachsen können sich das leisten, denn olle diese Sachen kommen vor das Schöffengericht, vor das Landgericht und enden bei dem sächsischen ObcrlandcSgcricht. Es ist so gut wie unmöglich, ein? solche Sache vor das Reichsgericht zu bringen, und da denken die sächsischen Richter:DaS Reichsgericht kann uns sonst was!"(Bravo ! bei den Sozialdemokraten.) Abg. Stadthagen (Soz.): Mit Rückficht auf die vorgerückte Zeit will ich nur auf einige Bemerkungen des Herrn Heck scher ein- gehen. Ich habe im vorigen Jahre von dem ungeheuerlichen Urteil deö Landgerichts Hamburg gejjen den Hafcnarbeiterverband gesprochen und hatte betont, dieses Urteil beweise, daß die Klassenjustiz bereits in die Ziviljuftiz ringe» drungen sei. Ich hätte zlvar nicht allzu viel Vertrauen zu unseren Richtern, aber ich glaubte allerdings nach der Vtoherigen Judikatur des Reichsgerichts und der Obcrlandcsgcrichte annehmen zu rönnen, daß eln solches Urteil nicht aufrecht erhalten werden könne. Wie kommt nun Herr H e ck s ch c r dazu, hier zu behaupten. ich hätte notwendig gehabt, zu betonen, daß das Oberlandesgericht Hamburg dies Urteil tatsächlich ausgehoben hat? Die Aus- führungen des Herrn Heckscher wundern mich um so mehr, alo er sich ja inhaltlich auf den Standpunkt des Urteils des Lanbgerichts stellt und denen gegen die guten Sitten und das Koalitionsrecht auf Las ungeheuerlichste verstoßendes Urteil verteidigt hat! Das Oberlandesgcricht Hamburg hat zu- nächst untersucht, ob überhaupt ein Vertrag vorliegt und Herr Heckscher hat zugeben müssen, daß ein Vertrag nicht vorgelegen habe. Der klägerische Anwalt fragte ihn, warum er denn im Reichstag solche Ausführungen gemacht habe. Da erwiderte Herr teckscher: damals handelte es sich uin eine Polein i! gegen t a d t h a g e n, daher habe er nickt rechtlicke Ausführungen gemacht, sondern seine Ansicht in der Sache selbst gesagt. Wenn er hier nach Tatsachen gefragt werde, so müsse er zugeben, daß ein Vertrag überhaupt nicht vorläge.(Hört! hört! bei den Sozial- demokraten.) Zweitens hat Herr Heckscher behauptet, dasHam- burger Echo" habe gegen meine Anschauung polemisiert. Auch das trifft nicht zu. Es hat von Anfang bis zu Ende genau meinen Standpunkt eingehalten, daß ein solches Urteil nicht aus- recht zu erhalten sei. Man kann aber wohl verschiedener Anssch? darüber sein, warum ein Urteil unhaltbar ist. Ich habe vielleicht etwas stärker die Unbilligkeit betont. DaSHamburger Echo" hat erklärt, es sei begreiflich, daß man sich über ein solches Urteil wie über eine Reihe anderer Hamburger Urteile empöre, aber eS wäre zuzugeben, daß diese Kammer bis jetzt nicht gerade Silassenjustiz in Zivilsachen geübt habe. WaS weiter die wiederholt erwähnte Bewegung unter den deutschen Richtern auf Organi- s a t i o n anbetrifft, so wäre eS sehr wünschenswert, wenn sie dem Beispiel der ö st erreicht schen Richterbewegung folgte, die den sympathischen Versuch macht, die Richter u n a b- h ä n g i g zu machen, insbesondere von der Verwaltung. Ich würde mich freuen, tvenn unsere deutsche Richtervereinigung dieses ideale Moment verfolgen würde und nicht die öde Selbstberäuchc- rung, die einige Richter empfehlen, als Hauptprinzip dieser Ver- einigung ansehen würde.(Bravo ! bei den Sozialdemokraten.) Damit schließt die Diskussion. Ter Titel wird be» willigt. Der Rest des Etats wird debaUelos nach den Beschlüssen der Kommission bewilligt. Es folgt die zweite Beratung des Gesetzentwurfs wegen Acn> derung des WechselstcmpelstcuergesetzeS. Dasselbe wird debattelos mit einem Antrag Dove(frs. Vg.), das Gesetz«un 1. April 1900 in Kraft treten zu lassen, ange. n o m m e n. Sodann wird in dritter Beratung der Gesetzentwurf betreffend die Preis fest st ellung beim Markthandel mit Schlachtvieh debattclos nach den Beschlüssen der zweiten Lc- sung gegen die Stimmen der Sozialdemokraten und der Frei- sinnigen angenommen. Damit ist die Tagesordnung erledigt. Nächste Sitzung: Mittwoch. 1 Uhr.(Antrag Albrecht und Gen.(Soz.) über die Vertragsverhältnisse der land- und forstwirtschaftlichen Ar­beiter und des Gesindes.) Schluß(3 Vi Uhr._ Mgeorcinetenbaus. IS. Sitzung. Dienstag, den 19. Januar, 11 Uhr vormittags. Am Ministertisch: v. Rheinbaben, v. Moltle« Lese» ler, Breitenbach, v. Arnim-Criewen. Die erste Lesung des Etats wird fortgesetzt. Abg. Die Wiemcr(frs. Vp.): Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß der Herr Finanzminister diesmal ein wenig schwarz gemalt hat, um Argumente zu haben für die angebliche Notwendig- keit neuer dauernder Steuern.(Sehr richtig! links.) Die Be- amtenbesoldungsvorlage wird hoffentlich zustande kommen und eine ausreichende Erhöhung der Gehälter bringen. Wenn Mißgriffe in der Agitation bei einzelnen Bcamtentategorien vorgekommen sind, was auch ich nicht in Abrede stellen will, so haben sie ihre Ursache darin, daß die notwendige Aufbesserung der Gehälter so- lange hat auf sich warten lassen.(Sehr richtig? links.) Gegen die Behauptung, daß es verfassungswidrig sei, wenn der Landtag Ein- nahmen nur auf bestimmte Zeit bewilligen wolle, müssen wir cnt- schieden protestieren. Bei der zweiten Beratung der Steucrvorlagcn wird uns diese Frage ja noch eingehender beschäftigen.(Mniister- Präsident Fürst Bülow betritt den Saal.) Denn an dem Zu- standekommen der Reichsfinanzreform werden wir nach Kräften mitarbeiten. Ob sie freilich zustandekommen wird, wenn die Kon- servativen im Reicke nach der Parole handeln, die gestern Herr v. Pappenheim ausgegeben hat, bezweifle ich. Für uns ist es un- abweiSlich, daß die wohlhabenden Kreise auch durch direkte Steuern im Reich zur Tragung der Lasten herangezogen werde».(Bravo ! links.) Sparsamkeit wollen auch wir, aber Sparsamkeit am rechten Orte. Im Reiche sind Ersparnisse bor allem geboten bei den gegenwärtigen unproduktiven Ausgaben. Tic Ausgaben Preußens aber sind überwiegend kulturellen Zwecken gewidmet. Der Beamten- apparat kann allerdings zweifellos vereinfacht werden, z. B. sind die Kuratoren cm den Universitäten gänzlich überflüssig.(Sehr richtigl links.) Im Kultusetat begrüßen wir die Neuordnung des höheren Mädchenschulwesens als erfreulichen Fortschritt, dock, mutz dafür gesorgt werden, daß den Privatmädchenschulen nicht die Existenzmöglichkcii genommen wird. DaS Tempo in der Aus-- dehnung der Fachschulaufsicht anstatt der geistlichen Schulaufsicht sollte möglichst beschleunigt werden. Ein uncrfreuliazer Zustand ist eS, dag die wichtigsten Dinge deö ÄultuöetaiS verhandelt wer- den, ohne daß der einzig verantwortliche Leiter zur Stelle ist. Wir haben von ihm auch Auskunft zu verlangen über verschiedene Lehrerin aßrcgelungen. In der zweiten Lesung werden wir daraus eingehen und hoffen, daß er dann zur Stelle ist. Im Ministerium des Innern haben wir vor allem darüber klagen müssen, daß die Landräte und Regierungspräsidenten sich als kleine Minister fühlen. Das hat sich insbesondere gezeigt bei dem Fall des Bürgermeisters Dr. Schücking. (LautcS Lachen rechts.) Schucking ist gcmaßrcgelt worden, weil er in seinen Veröffentlichungen liberale Anschauungen vertreten hat. (Lautes Gelächter rechts.) Sie können Tatsachen nicht abstreiten. (Sehr wahr! links.) Wir sehen darin einen unerwünschten Ein- griff in die staatsbürgerliche Meinungsfreiheit, eine Verletzung der staatsbürgerlichen Gleichberechtigung.(Große Unruhe rechts.) Auch ich will nicht jedes Wort unter- schreiben, was Schucking geschrieben hat. Ader eine ab- weichende Meinung über irgendeine temperamentvolle Acußerung (Oho! rechts) kann nicht entscheidend sein für die Beurteilung des ganzen Falles. Wie ist es möglich gewesen, daß der RcgicrungS- Präsident ihn unter Anklage stellte mit der Behauptung, er haoe sich durch seine Veröffentlichungen unwürdig seines Amtes gezeigt. Eine solche Begründung eines Disziplinarverfahrens kann sicy nie- mand gefallen lassen.(Lebhaftes Bravo! links.) Solche Vorgänge. wie dieser Fall und ähnliche, zeigen, daß die Einheitlichkeit des Rc- gierungskurscs nicht bei allen Stellen in der Verwaltung vor- Händen ist. Sie durchzuführen ist eben so notwendig wie die ein­mütige Unterstützung, die das preußische Staatsministerium in den kritischen Novembertagen dem Mmistcrpräsidcnten gewährt hat. Auch ich glaube, daß durch dieses einmütige Vorgehen der Erfolg im konititutionellen Sinne crzrclt worden ist. Ich hosse, daß es nicht wieder nötig sein wird, vom persönlichen Regiment im Parlament zu sprechen. Tie Neujahrsansprache sehen auch meine Freunde nicht als einen für die Oeffentlichkeit bestimmten Wille nsakt des Monarchen am(Wir wünschen autzer den tonstitutioncllcn Garantien im Reiche wie bekannt auch eure Aen derung des preußischen Wahlrechts. Bei Gelegenheit der Beratung