8t. 35. 26. Jahrgang.2. KcilM ies„öiritirts" KM» l'ollislil«!!.Aollmstag, 1!. Februar(909.Abgeordnetenhaus27. Sitzung. Mittwoch, den 10. Februar ISSS.vormittags 11 Uhr.Am Mnistertisch: Frhr. v. Rheinbaben.Die zweite Beratung deS Lehrerbesoldungsgesetzeswird fortgesetzt bei den Zs 43 bis SV. die von den Staats-Zuschüssen handeln.Abg. Graf v. Spe«(F.): Meine Freunde haben die lebhaftestenBedenken vor allem gegen die Bestnnmung. daß den Sckulverbändenmit mehr als 7 Schulstellen der Staatszuichutz, auf den sie heute ge-setzlich Anspruch hatten, entzogen wird und den ÄreiSausschüssen dieVerteilung der Gelder überlassen wird. Die Grenze von? Schnlstellenist ganz willkürlich gewählt. Es kann leistungsfähige Gemeinden mitioeniger als 7 Schulstellen geben, die den Staatszinchusi erhalten, undnicht leistungsfähige Gemeinden mit mehr als 7 Schulstellen, denen vomKreisausschusi nichts bewilligt wird. Wenn auch die Unterstellungdes Herrn Borgmann, daß die Landräte die Gesetze verletzen, dieallerschärfste Zurückweisung verdient, so ist doch die Befürchtungnicht von der Hand zu weisen, dasi die P a r t e i p o l i t i k in dieSelbstverwaltungskörper getragen wird. Wirwollen aber das Komproniih nicht stören und sehen deshalb vonAnträgen ab.(Bravo! im Zentrum.)Abg. Schiffer(natl.): Der Beschluh der Kommission war not«w-nn wir an dem Gedanken festhalten wollten, daß derStaat keine Geichenke machen soll an diejenigen, die es nicht nötighaben. Wenn ein leistungsfähiger Schulverband mit weniger als7 Schulstellen einen Staatszuschusi erhielte, so wäre das gesetz«widrig. Die Befürchtung, daß die Mittel nicht objektiv verteiltwerden, hegen wir nicht.Wg. Frhr. v. Zedlitz(ftk.): Die Verdächtigungen deS HerrnAbgeordneten Borgmann gegen die KreisauSschüsie weisen wir ent-schieden zurück. Es sitzen in diesem Hause genug freimütige Männer.die ihren Standpunkt zu wahren wissen.Abg. v. Ditfurth(k.) spricht die Erwartung aus, daß dieleistungsschwachen Gemeinden bei der Verteilung der Gelder entsprechend berücksichtigt werden.Abg. Lcinert(Soz.):Die Vorredner haben ein hohes Lied auf die K r e i s a u s-f ch ü s s e gesungen. Waö mein Kollege Borgmann ausgeführt hat,ist aber vollkomnien zutreffend. Die ÄreiSausi'chüsse sind dieVertreter agrarischer Interessen.DaS haben selbst die Nationalliberalen im Lande draußen anerkannt,die wiederholt um Einfluß in den Kreisausschüssen gekäinpft haben.Die I n d u st r i e ist in den ÄreiSausschüssen nicht vertreten, ganzzu schweigen von den Arbeitern, die dort überhaupt keine Stättehaben. Man hat geiagt, der Landrat stimme zuletzt ab, habe alsokeinen Einfluß. Das trifft aber nur zu bei den KreiSauSichüssen alsVerwaltuugSgerichten. Die KreisnnSschüsse als VerwaltungS-behörden handeln aber ganz nach dem Willen deS Landratcs.(Sehr wahr! bei de» So-ialdeinolratcn.) Ter Wegfall der Staats-zuschösse bei Schulverbändcn von mehr als 7 Schulstellen und dieZulassung bei Gemeinden mit weniger als 7 Schulstellen bedeuteteine Ungerechtigkeit. Es gibt zweifellos auch unter denEeineinde» mit weniger als 7 Schulstellen solche, die sehr reich sindund für die deshalb der Staatszuschuß ei» Gcfckienk des Smatcs be-deutet. Es werden nun ErgänzungSzuschüsse in Hohe von 27 Millionenfür die SÄnlverbände mit 3 bis 25 Schulstelle» zur Verfügung gestellt.Die Verteilung soll durch den Unterrichts- und Finanzminisler aufdie Provinzen erfolgen. In der Koinuuision hat der Mmisterial-direktor die Grundsätze der Verteilung wie folgt festgestellt:„Manlasse zunächst die Beschlüsse über die Ausführung des Gesetzes fassen.Dann berichteten die Provinzialbehörden erstens darüber,was für Mehraufwendungen für die Gemeinden tatsächlich durchdas Gesetz entständen, zweitens darüber, was an bisher gewährtenSlaatsbeilrägen durch die Bestimmungen deS Gesetzes zurückgezogenloürde. Ein dritter Punkt beireffe die Leistungsfähig-kcit, die ja im allgemeinen bekannt sei: es komme aberdarauf an, wieviel kleine Schulverbände vorhanden seien. Imweiteren Verlaufe würden nun am schwersten drückend empfundenwerden die Nenaufwenduiige», die infolge der Zurückziehung vonbisher gewährten Slaatsbeiträgen entständen, dann die Neu-aufwendungen. die zu der bisherigen Belastung hinzukämen, und aufdiese beiden Momente werde bei der Verteilung auf die Provinzenin erster Linie gesehen werden. Dann werde man eine gewisse,aber wie er glaube sagen zu dürfen, nur relativ geringe AuS-gleichung nach dem umgekehrten Einkvmnienstcuerfoll der Gemeindenvornehmen, dabei aber namentlich auch Rücksicht nehmen aus diekleinen ein- und ziveiklassigen Schulverbände inden Provinzen, die hauptsächlich bedürftig seien. Er halte diezur Verfügung gestellten Staatsmittel doch für so bedeutend, daßdie Befürchtung einer lleberlastuug LeistungSunfähiger nicht gehegtzuwerden brauche." Nim, die Feststellung der Mehraufwendungen unddes Fortfalls der bisherige» SlaatSbeilräge wird nicht schwierigsein, aber schwieriger erscheint mir die Feststellung derLeistungsfähigkeit. Nach dem Bericht konnte eS scheinen,als ob mit den als hauptsächlich bedürftig bezeichneten ein- undsweiklassigen Schulverbänden dieGutsiezirke gemeint seien,denn eS ist darauf hingewiesen, daß für einen Gutsbesitzer mit 10 000 M.Einkommen und 700 M. SlaatSznschuß die Einziehung 200 Proz.Erhöhung der Einkommensteuer bedeute. Der Regiernngstommissarbat auch besondere Berücksichtigung dieser Verhältnisse zugesagt.Mir erscheinen aber diese Gutsbczirke nicht immer am be-dürstigsten, sondern viel eher die Arbeitcrgcmeindcn. In diesensind infolge der enormen Schullasten, wozu noch die Annenlastenkommen. Einkonunensleuerzuschläge von 200 Proz. und mehr zufinden. Dabei haben den Nutzen an der Gemeindenicht die Arbeiter, sondern größtenteils die Besitze r.Sollen nun die Arbeiter noch mehr bezahlen?Nach welchen Grundsätzen soll in solchen Fällen dieLeistungsfähigkeit bemessen werden? Ich fürchte, daß geradesolche Arbeitergemeinden bei der Prüfung der Leislungs-fähig'eit nicht in so hohem Maße berücksichtigt werden wie dieGutsbezirke. Ich bitte um Auskunft darüber, ob sich solcheArbeitergemeinden derselben Fürsorge erfreuen werden wie dieGutSbczirke, da z. B. in meinem Wahlkreise und auch inanderen Arbeitergemeinden eine lebhafte Beunruhigung darüberentstanden ist, daß die Arbeiter infolge der Entziehung des Staats-zuschusses von einer Erhöhung der Eiickommensteuer betroffenfind.— Nach ß 49 sollen nun 7,7 Millionen als Ergäuzungs-Zuschüsse für Schulverbände mit mehr als 25 Schulstellenzur Verfügung gestellt werden. E» ist aber nicht» darüber gesagt,wer die 7.7 Millionen verteilen soll. Ich nehme an, die Verteilungerfolgt im Wege der, direkten Verhandlungen zwischen den größerenGemeinden und der Regierung. Jedenfalls ist die Prüfung der Be-dürjtigkeit hier viel komplizierter als in anderen Fällen. Es kommthier die Frage der Ortszulagen in Betracht. Diese bedürfen derGenehmigung der Regierung, die zu versagen ist, soweit eine Er-höhung des DiensteinkommcnS nicht durch die besonderen Verhält-nisse des Schulverbandes geboten ist. Wird sich nun die Regierung,wenn die Schulaussichlsbehörde die Ortszulagen genehmigt hat. darangebunden halten oder wird sie sagen, ihr braucht kerne Orts»Zulagen zu bewilligen, und aus diesem Grunde den Zuschuß.oersagen? Eme solche Abhängig machung der Zuschüsse vonden Ortszulagen würde eine völlige Beseitigung der Selbst-Verwaltung bedeuten, die durch das Gesetz ohnehm stark gefährdet»st. Der Satz, die Schule ist eine Veranstaltung der Gemeinde.«wäre dann eine reine Illusion geworden.(Sehr wahr I beiden Sozialdemokraten.) Redner geht des weiteren auf die speziellenVerhältnisse in Linden und Hannover ein und legt die Notwendig-keit dar, die Verhältnisse Lindens besonders zu berücksichtigeil.(Bravo I bei den Sozialdemokraten.)Abg. Hoevcler(Z.): Man befürchtet durch die Vorlage eine Er-bohung der Kommuiralsteuern um durchschnittlich 40 Proz. Ich habesehr viele Zuschriften in diesem Sinne erhalten. Man sollte darumdie dritte Lesung hinausschieben, damit eine Klärung noch eintretenkann.(Zustimmung im Zentrum.)Abg. Hoff(fts. Vg>: Wir haben diesen Paragraphen nur sehrschweren Herzens zugestimmt, denn sie nehmen den Gemeinden wohl-erworbene Rechte. Daß die meist agrarisch beeinflußten Kreis-ausschüffe die Verteilung der Zuschüsse vornehme» sollen, machtunsere Bedenken nur noch größer. Auch auf dem Lande gibt esleistungsfähige Gemeinden, haben wir doch allein 2500 Millionäreauf dem Lande mit Einkommen von 40 000 bis zu einer MillionMark. Die großen Gemeinden kämen bei dieser Vorlage sehr schlechtweg. Und doch sind ihre Schulen da? Vorbild für alle preußischenVolksschulen geworden. Hoffentlich findet das Gesetz eine loyaleAusführung.(Beifall links.)Ministerialdirektor Schwartzkopff: ES ist keine Neuerung, daß dieGewährung der Zuschüsse von der Bewilligung des Ministers ob-bängig ist. Schwierigkeiten haben sich daraus im Laufe der Jahr-zehnte nicht ergeben. Neu ist nur. daß nicht der Minister, sondernder Kreisausschuß, eine unparteiliche SelbstverwaltunaSbehörde. dieVerteilung vornehmen soll. Das ist doch eine Verbesserung.(Sehrwahr! rechts.) Im übrigen kann ich nur wiederholen, daß ein Druckauf die Gemeirden nicht ausgeübt wird, der sie über ihre Kräftebelastet. Wenn die Gemeinden wirklich einmal von dem Verteilungs-plan keine Kenntnis erhalten sollten, so mögen sie sich beschweren.Die Debatte wird geschlossen. Die Z§ 43 bis 50 werden angenommen: ebenso der Rest des Gesetzes.Es folgt die Beratung der von der Kommission vorgeschlagenenResolutionen und eines neu eingegangenen Antrages Schiffer(natl.):„Die StaatSregierung zu ersuchen, durch einen Nachtragsetat Mittelzur Unterstützung leistungsschwacher Gemeinden und Schulverbändebereitzustellen, welche durch die den Beioldungsgesetzen beigelegterückwirkende Kraft in eine unverschuldete Notlage geraten sind."Nach längerer Debatte, in der Finanzminister v. Rheinbabenerklärt, daß er kein Bedürfnis für den Antrag anerkennen könne,geht der Antrag Schiffer an die B u d g e t k o m m i s s i o n.Die Resolutionen der Kommission werden angenommen bis aufzwei Resolutionen, welche eine Erhöhung deS Dispositionsfonds fürdie vor dem Inkrafttreten des neuen Lehrerbesoldungsgesetzespensionierten Lehrer und gesetzliche Bestimmungen über Größe undBeschaffenbeit von Diensiwohiiungen für Lehrer und Lehrerinnenfordern. Diese beiden Resolutionen werden mit den Stimmen derKonservativen abgelehnt.Es folgen Wahlprüfungen.Gemäß den Koinmissionsaliträgen wird die Wahl deZ Abgeordneten Kölle(bei keiner Fraktion) für ungültig und eineReihe von Wahlen für gültig erklärt.Es folgt der Bericht der Konimission über die Wahl der sozial-demokratische» Abgg. Borgmann, Heimann, Hirsch und Hoffmann- Berlin.Die Kommission beantragt, die Wahlen zu beanstanden und dieRegierung zu ersuchen, eine anNliche Aeußernng des BerlinerMagistrats darüber herbeizuführen, ob bei den LandtagSwahlen im5.,'6.. 7. und 12. Berliner Wahlkreise in den UrWählerlisten undfür die Bildung der Abteilungen innerhalb derselben Urwahlbezirkefür dieselben Steuerarten verschiedene Steuerjahre, teils 1908,teils 1907, berücksichtigt worden sind, refp. welche Gründe dafürmaßgebend gewesen sind, und ob diese Berichiedenheit gleichmäßigin allen UrWahlbezirken dieser Wahlbezirke obgewaltet habe.Berichterstalter Fischbeck(frs. Vp.) verzichtet auf das Wort.Abg. StrZbel(Soz.):Der Bericht enthält verschiedene Momente, die einer genauenNachprüfung durch das Plenum bedürfen. Die Kommission empfiehltdie Beanstandung erstens, weil die WahlkreiSeintertungangeblich keine ordnungsmäßige gewesen sei, und zweitens, weil dieSozialdemokratie durch Einschüchterung der Wähler Terror geübtund dadurch eine freie ordnungsmäßige Wahl unmöglich gemacht habe.Was den ersten Punkt anlangt, so heißt es aus Seite 2 des Berichts inbezug auf einen Protest der Herren Stadlverordneten I d e n bezw.Fabrikant Guttfeld und Bickenbach, die auf den Terrorhinweisen:„Daneben wird in den Protesten noch behauptet,„daßdie Bildung der Abteilungen nicht überall ordnungsmäßig er-folgt sei"." Dieter nebenbei erfolgte Hinweis ist nicht nähersubstantiiert. Er bezieht sich offenbar nicht auf die Beiwiverde indem Beiicht des Leutnants P o h l, wonach bei der Einteilungder Wähterklassen die Steuersätze verschiedener Jahre be-rücksichtigt wurden. Wenn die Herren Jden und so weiterdiesen Punkt gemeint hätten, so hätten sie nicht schreiben können,daß die Bildung der Abteilungen„nicht überall" ordnungs-mäßig erfolgt sei, denn das von Leutnant Pohl erwähnte Verfahrenist überall in allen zwölf Berliner Wahlkreisengeübt worden. ES ist intcresiant. daß sich gleichwohl der Bericht derRommission auf diesen nebenbei erhobenen Protest bezieht, umdaraus zu begründen, weshalb eine Unrermchung angestellt werdenmüsse, ob in den vier zu beanstandenden Wahlkreisen dieWahl ordnungsgemäß erfolgt sei. Diese Suche der Kommissionnach einem möglich st harmlos erscheinenden Anlaßzur Anfrage an den Bkagistrat ist um so auffallender, alssie gar nicht notwendig war. Es ist durchaus zulässig, daß dieKommission selbst neue Momente heranzieht. Es wäre also nurnötig gewesen, daß etwa Herr Fischbeck oder Herr Slrosser erklärthätten, der Prolest gegen die Wahl im 5., 6.. 7. und 12. BerlinerWahlkreise ist zwar nur wegen des sogenannten Terror erhobenworden, indessen sind nnS neue Momente über eine angebliche Un-gesetzlichkeit bei der Listenausstellung bekannt geworden und deshalbverlangen wir die Heranziehung dieses neuen Moments. Das istnicht geschehen. Aus dem in der Wahlprüfungskommission selbstgegebenen Bericht war gar nicht zu entnehmen, weshalb denneigentlich die Beanstandung wegen der falschen Einteilung derListen beschloffen wurde. Die Proteste wurden nicht verlesen, sondernnur einsehr summarischer Berichtüber ihren Inhalt gegeben, aus dem für den Zuhörer nicht zu ent-nehmen war, ob dieser Protest von konservativer oderliberaler Seite stammte. Auch die freisinnige Presse wußte daszum Teil nicht. Die„Voss. Ztg." erktarte, daß der Wahlprotest gegendie Listenaufstellung von konservativer Seite ausgehe, also offenbarvon dem Protest des Leutnants Pohl, während die.FreisinnigeZettung" zu gleicher Zeit erklärte, daß gegen diese Wahl von ftei-sinniger Seite Protest eingelegt worden sei wegen der Boykoltierungvon Geschäftsleuten sowie wegen der nicht rechtmäßigenAufstellung der AbteilungSlisten.(Hört! hört I bei denSozialdemokraten.)_ Man könnte annehmen, daß hier Fahrlässigkeitvorlag, aber es scheinen doch für diese Unklarheiten die aller-triftigsten Gründe vorgelegen zu haben. Denn wäre der Protest wegender Listenaufstellung von freisinniger Seite ausgegangen, sowäre daS ein Borgang gewesen, der jeder politischen Moral undjedem politische» Anstand Hohn gesprochenhätte. Von freisinnigen Politikern, sogar freisinnigen Stadt«verordneten, wäre dann die Ungültigkeit von vier sozial-demokratischen Wahlen verlaugt worden, obwohl auch sechs freisinnig-Wahlen in Berlin auf Grund derselben Listenausstellungzustande gekommen waren.(Hört! hört! bei den Sozial-demokraten.) Ein solches Vorgehen hätte wohl auch hierim Hause allgemeines Kopfschütteln wegen seiner Un-geheuerlichkeit erregt. Aber weiter: von diesem Protest, wenn erwirklich von freisiimiger Seite ausgegangen war, drang nichtsan die Oefsentlichkeit. Wenn man den Protest der HerrenJden usw. in dem Sinne ausnutzen wollte, wie es im Bericht derWahlprüfungskommission geschieht, so ist offenbar dieser Prolest sovorsichtig und künstlich ungeschickt formulierl worden,damit niemand die wahre Äbsicht des Protestes er-kenne zum Zwecke der Ueberrumpelung der Sozialdemokratie.Gewisse Kriegslisten sind ja in der politischen Kriegführung ge-stattet. Aber dies wäre keine Kriegslist mehr, sondernfeige Ueberrumpelung durch politische Wegelagerer.(Sehr wahr l bei den Soz., Unruhe rechts.) Wenn ich scharfe Aus-drücke gebrauche, so folge ich nur berühmten Mustern und erreichenoch lange nicht den Kammerherrnton des Herrn v. Pappenheim.(Sehr gut! bei den Soz.) Herr Fischbeck hat nun entrüstet dagegenprotestiert, daß der„Vorwärts" zu Unrecht behauptet habe, ersei stellvertretender Dezernent für Wahlsachen beim Magistratgewesen. Aber eine ganze Reihe anderer Behauptungen des„Vorwärts" hat Herr Fischbeck nicht bestritten, und andere Herrenauch nicht. So hat im„Vorwärts" gestanden, daß ursprünglich dieFreisinnigen die Absicht gehabt hätten, gegen alle 12 BerlinerWahlen Protest einzulegen, weil sie auf Grund angeblich ungesetz-licher Listenaufstellung erfolgt seien, dann hätie man sich die Sacheüberlegt, und die Herren Roienow und Cassel hätten erklärt, wir wollenruhig warten, bis die Karenzzeit verstrichen ist.(Widerspruch beiden Freisinnigen.) Ich kann nur wiederholen, was bisher unbestrittenim Vorwärts gestanden hat.(Abg. Cassel: Ich kann unmöglich alleswiderlegen, was im Vorwärts steht.) Es soll uns freuen, wenndie Herren nachher die Unrichtigkeit dieser Behauptung nach-weisen können. Die arglistige Ueberrumpetung derSozialdemotratte ist jedenfalls auch von bürgerlichen Blättern sehrunangenehm empfunden worden. Es war das„BerlinerTageblatt".(Lebh. Aha l bei den Freisinnigen.) Ich weiß ja,daß die Herren Cassel und Dr. Schepp dies Blatt von ihren Siockschößenabgeschüttelt haben. DaS war aber wirklich überflüssig nach der Ab-schüttelung, die diese Herren schon früher vom„Berliner Tageblatt'erfahren hatten. Das„Berliner Tageblatt" hat sich von der block-freisinnigen Presse immerhin noch durch ein vernünftiges und an-ständiges Gebaren ausgezeichnet.(Gelächter rechts und bei denFreisinnigen.) Es ist interessant, daß die Herren von der Rechtenbis zum äußersten Blockfreisinn so einer Meinungsind. Ich beneide die Freisinnigen nicht um diese Uebereinstimmungmit der äußersten Rechten. Das„Berliner Tageblatt" schrieb also:Wenn die Ausstellung der Wählerlisten in Berlin ungesetzlichwar,... dann müßten nicht nur die Mandate der sozialdemokratischenAbgeordneten, sondern ebenso die Mandate der sechsfreisinnigen Abgeordneten für ungültig erklärt werden.Materiell wäre es dashöchste Unrecht,wenn man vier Sündenböcke aus 12 Wgeordneten heraus-suchen würde.(Sehr gut! bei den Sozialdemokraten.)Daß der Bericht der Kommission summarisch und ungenügendwar, geht auch daraus hervor, daß die Enthüllungen meines KollegenHeimann, es liege ein f r i st- und formgerechter Protestgegen die Wahl von allen 12 Berliner Wahlkreisen vor,auf das Haus geradezu sensationell gewirkt hat.(Lachen rechts.)Eine Anzahl von den Herren der Rechten mögen ja genauunterrichtet gewesen sein, wie eS gemacht werden sollte, aber alleHerren doch nicht, und diese waren in der Tat verblüfft. Nachdieser Enthüllung war von dem Streit, ob eS sich um einen freisinnigen oder konservativen Protest handele, keine Rede mehr,sondern nur noch davon, ob der Protest des Leutnants Pohl gegenalle 12 Berliner Wahlen eingelegt war. Die blockfrei-sinnige Presse und auch ein Teil der Konservativen bestritt das.Dann kam der Widerruf deS Leutnants Pohl. Es fragt sich, obeine solche nachträgliche Deklaration eines Protestes überhauptzulässig ist. Das dürfte nicht der Fall sein, weil der Wortlautdes Protestes von Leutnant Pohl gar keinerlei Deutung zuläßt.Wenn das Haus trotz des klaren Wortlautes eines Protestes sich noch bei dem Verfasser über seinen Sinn Rat holenmutz, so würde es sich dadurch einjämmerliches Armutszengni»ausstellen.(Sehr gut! bei den Sozialdemokraten.) Die Folgewäre, daß jederzeit ein Protesterheber von interessiertenKreisen bearbeitet werden könnte, damit er dem Protest eineDeutung gibt, die ursprünglich gar nicht von ihm beabsichtigt war.Leutnant Pohl soll erklärt haben, datz er aus„nationalen"Gründen seinen Protest so eigenartig gedeutet habe. Diesenationalen Gründe sind jedenfalls Rücksichten auf dir freisinnig-konservative Blockpolitik. Jedenfalls ist der Wortlaut seines Pro-tefteS völlig klar. Nachdem Leutnant Pohl die Unrichtigkeit derListenaufstellung dargelegt hat, die zur Ungültigkeitserklärung derWahl im 12. Berliner Kreise führen müßte, schreibt er:„Nachdenselben Grundsätzen wäre in Berlin nicht nur dieWahl im 12. Landtagswahlkreise, sondern in sämtlichen 12 Bcr-liner Wahlkreisen für ungültig zu erklären."(Hört! hörtl bei denSozialdemokraten.) Wenn das nicht die unzweideutige Forderungist, alle 12 Berliner Wahlen zu beanstanden, was sollte eS dannsonst sein? Leutnant Pohl ist doch ein gebildeter Herr, dem Siebei einem Pluralwahlrccht wahrscheinlich mehrere Stimmen gebenwürden.(Heiterkeit.) Und er schreibt doch nicht auSAllotria solche Sachen in einen Wahlprotest rein.Und wenn man trotz alledem noch die kuriose Auffassung hätte, datzdieser Protest lediglich einen Monolog des Leutnants Pohl ent-hielte, der für die Kommission nicht in Betracht kam, so ist doch derSchluß des Protestes ganz unzweideutig, welcher lautet:„DieWahlprüfungskommission des königlich preutzisihen Abgeordnetenhauses bitte ich hierdurch, in eine Prüfung einzutreten,ob die Wahl im 12. Berliner LandtagSwahlkreise, eventuell nachdem erst angegebenen Grunde auch in sämtlichen BerlinerWahlkreisen für ungültig zu erklären ist."(Hört!hört! bei den Sozialdemokraten.) Ich appelliere an die gesundeLogik des Hauses, der Herr Dr. Hahn gestern ein so glänzendesZeugnis ausstellte, wenn er cS wohl auch nur aus die Seite desHauses bezog, der er selbst angehört, daß diese Sätze nur bedeutenkönnen: prüft meine Beschwerde, die sich zunächst nur auf den12. Berliner Kreis bezieht, aus ihre Berechtigung, und müßt Ihraus diesem Grunde diese Wahl beanstanden, dann müßt Ihrauch die Wahlen der übrigen Berliner Wahl-kreise beanstanden.(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.)Also daS Wort c.v e n t.u e l l bedeutet nur, datz es von der B e-u r t e i l u n g des von ihm gegebenen Beanstandungö-q r v n d e s abhängt, ob die Beanstandung auch auf die übrigenWahlkreise auszudehnen ist! Daran ändert auch die famosenachträgliche Deklarierung des Leutnants Pohl nichts. Es wäreja noch schöner, wenn es in dem Belieben eines jeden ProtestlcrSstände, aus irgendwelchen nationalen oder sonstigen politischenGründen einen ganz klaren Protest nachträglich ab-z u ä n d c r n.Mit ihren krampfhaften Bemühungen, darzüiun, daß derPohlsche Protef! sich nicht auf alle 12 Berliner Wahlkreise bezöge,hatten die Blockfreisinnigcn wenig Glück. Selbst Blätter wie die„P o st", die„N a t i o st a l z e i t u n g", auch die„G e r m a n i a"und die„Märkische V o l k s z e i t u n g" gaben zu, daß einfrist- und formgerechter Protest gegen alle 12 Berliner Wahlenvorliege. Erst nach diesem Fiasko der künstlichen Ausdeutung desProtestes kam der Kommentar des Leutnants Pohl zustand?. Erstammt vom 23. Januar, d. b. drei Tage nach der Ertlärung Hei-manns, und bereits am 23. Januar früh konnten der»Vorwärts"und auch ultramontane Blätter feststellen, datz ein solches Schreibendes Leutnants Pohl an die Kommission gerichtet werden solle. E?