der Regierung den Vorwurf des Wortbruchs und böhnte in frisch- fröhlicher Weise über das reaktionäre Abgeordnetenhaus. Ilpd doch galt eS nur der Opposition gegen die höhere Lehrcrbesoldung. Die Lehrer ineinte man und schlug auf die Regierung und das Ab- geordnetenhauS loS, weil beide Körperschaften die Lehrerschaft ein- seitig bcdorzugt und deren Begehrlichkeit aufgestachelt haben sollten. Eine Resolution, die Bürgermeister Werner und andere städtische Vertreter der Versammlung unterbreiteten, spricht denn auch von „maßloser Agitation" der Lehrer. Das was die Vorlage den Lehrern bietet, bezeichnete man als„einseitige Bevorzugung". Die„hohe" Besoldung der Lehrerinnen wird verurteilt, weil sie die„Neigung zur Ehelosigkeit" fördere. Die minimale Aufbesserung der Lehrerinnengchälter charakterisiert sodann die Resolution als gefährlichen Versuch und als„unsoziale, un- gerechte Begünstigung der Lehrerinnen", als„Verschwendung öffcnt- lichcr Mittel". So behauptete Herr Werner und er fand lebhaften Beifall! Von den bürgerlichen Vertretern wandte sich nur Herr Oberbürgermeister SchustehruS gegen die Nnterschätzung der Schule und der Lehrer. Genosse Hirsch präzisierte den Standpunkt der sozial demokratischen Fraktion des Abgeordnetenhauses zur Besoldung� frage. Seine Erklärung, die Sozialdemokratie würde sicherlich eine bessere Vorlage gemacht haben. quittierte der radikale Herr Werner mit der geistreichen Bemerkung: Eine Borlage von Ihrer Seite wurde ich auf jeden Fall ablehnen. Ein Herr Töpfer. Stadtverordneter aus Potsdam , konnte, ohne Widerspruch zu finden, erklären: Die Bedeutung der Lehrer wird weit überschätzt! Beschämend war. daß nicht einer der anwesenden Lehrer die gegen die Lehrerinnen gerichteten Angriffe und Herabwürdigungen zurückwies. Bei Freunden der Schule muß die von den Lehrern bekundete Animosität gegen die Lehrerinnen unangenehm ausstoßen. Professor Liszt versetzte den Herren einen niedlichen Hieb, indem er auf ihre Klagen über die reaktionäre Gesinnung des Abgeordneten Hauses und dessen Angriffe auf die Selbstverwaltung mit der sarkasti schen Bemerkung reagierte: Gerade die Städte, die sich hier für die Selbstverwaltung begeistern, tragen ja an der Zusammensetzung des Abgeordnetenhauses die Hauptschuld. Schließlich nahm der Städtetag mehrere Anträge an, die eine Erleichterung in der Belastung der Städte fordern. Aber damit die Oeffcntlichkeit über den Geist, der hier waltete, nicht im unklaren bleibe, bekannte der Städtetag sich ganz ausdrücklich zu der gekeun- zeichneten Resolution, indem er sie dem Borstand als Material über> wies. Das preußische Abgeordnetenhaus hat Ursache, gegen solchen unlauteren Wettbewerb auf reaktionärem Gebiet Protest zu erheben. Sie türkische Me. Im Parlament. Der Ministerwechsel und seine Begleitumstände, die vermuten lassen daß der Grotzwesir Kiamil Pascha reaktionäre Bahnen ein- schlagen will, haben zu einem akuten Konflikt zwischen der au' ihre konstitutionellen Rechte bedachten Kammer und der Regierung führt. Zugleich hat eS aber den Anschein, als ob die Gerüchte über die bevorstehende„Entthronung d e S S u l t a n s" von reaktionärer Seite ausgesprengt werden, um die Jungtiirken zu kompromittieren. Eine offizielle Mitteilung des j n n g t ü r k i s ch e n Komitees erklärt kategorisch diese Gerüchte für unbegründet und leugnet, daß deshalb der Kriegs» und der Marineminister abgesetzt worden seien DaS Komitee, welches so viel Mäßigung bewiesen, habe sich auch in dem neuen, beim letzten Kongreß ausgearbeiteten Programm ver- pflichtet, das Leben und die Rechte des Sultans, fo lange er der Verfassung treu bleibt, zu schützen und weise daher die von Feinden der Humanität und des OttomanentumS auf gebrachten Lügen zurück. Die Iuugtürken wollen nun den Großwefir zur Ver- a n t w o r t u n g ziehen und ihn bei der heutigen Jntcrpellatious- beratuitg über den Ministerwechsel durch ein Mißtrauensvotum lhzeckel über das Weltbild von Catnarcü und Darwin . Ernst Haeckel , der erste und wirksamste Vorkämpfer des Dav triuiömus in Deutschland , sprach am Freitagabend in der zu Dao lvinS Ehren veranstalteten Feftsctcr im Jenaer Volkshausa über Lainarck und Darwin . Tie Rede bedeutet zugleich Haeckels Abschied vom öffentlichen Leben� da er seine Profcssur bereits niedergelegt hat und nun nicht mehr öffentlich hervorzutreten ge- denkt. AIS Kundgebung dieses hervorragendsten Lehrers, Meiterbildners u»d Popularisators des Darwinismus verdient sie unser Interesse, wenn wir auch nicht in allen Punkten mit HaeckelS Auffassung übereinstimmen. Haeckcl führte aus: „Das hohe Fest, daS uns heute hier zusammenführt, wird in der Wissenschaft gleichzeitig an allen Orten in der gebildeten Welt feierlichst begangen. In allen Teilen unserer Erde sind heute ge- lehrte Gesellschaften, Naturforscher und Freunde der Aufklärung versammelt, um einmütig den lllvjährigen Geburtstag Charles Darwins zu feiern. Kein anderer großer Geist aus der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts hat so viel zur Aufklärung der Menschheit beigetragen wie Charles Darwin . Als er im Jahre 1L'>g sein epochemachendes Werk über die„Entstehung der Arten" erscheine» ließ, hatte er bereits das 50. Levensjahr überschritten. So reif luar die Frucht seines Llljährigen Denkens und Forschens, daß sie schon in kurzer Zeit ihre» Einfluß zu äußern begann. Und dcch war der Grundgedanke der Theorie von einer natürlichen Ent- Wickelung aller Lebensformen keineswegs neu. Schon 50 Jahre früher hatte ihn Jean Lamarck in eine klare wunderbare Form gegoffen. Allein dieser kühne Versuch war der Zeit viel zu sehr vorausgeeilt und wurde in den Kreisen der damaligen Naturforscher bald vergessen. Erst im Laufe der letzten 30 Jahre hat sich das Lamarcksche Werk die verdiente Anerkennung erwvrbeir. Es hat sich sogar in neuester Zeit eine Extraschule des LamarckismuS gebildet, die den Darwinismus in den Hintergrund drängen will. Unser Blick muß daher am heutigen Tage vor allem auf diese großen Führer gelenkt sein. Worin besteht daS große Reformwerk von Lamarck und Darwin und in welcher Richtung unterscheiden sich diese Geistes- Helden? Das Haupivcrdicnst der Lamarck -Darwiuschen Theorie ist die endgültige Lösung der großen Schöpfungsfrage. Wie sind die Tiere und Pflanzen, die unsere Erde bevölkern, aus die Welt gekommen? Woher ist dcc Mensch selbst gekommen, das voll- tommenste aller organischen Wesen? Solange es Menschen gibt, ist versucht worden, diese Frage zu lösen. Zunächst hat man die These der Schöpfung durch einen Gott aufgestellt, der einen be- sonderen Schöpsungsplan entworfen und mit entsprechenden Mitteln ausgeführt hat. Manchmal erscheint dieser Gott in der Form eines Dichters, manchmal in der Form eines Rtaschinen- ingcnicurs, der mit vollendetster Technik arbeitet und schließlich seinen Maschinen lebendigen Odem cinbläst. Diese besondere Farm des Schöpsungsmythus ist auch in die Wissenschaft übergegangen, besonders durch Linne, der den Satz ausstellt, daß es so viele Tiere und Pflanzenarten gibt, als von Gott erschaffen worden sind. Sck>on im Altertum hat man sich die Erde durch eine natürliche Entwickelung zu erklären versucht. Allein diese Keime wurden unterdrückt durch die Ausbreitung de-Z Dualismus, der einerseits von Plato gepredigt wurde, andererseits vom Christentum. Dieser Dualismus hat sich bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts er» halten, stürzen. Unterdessen hat sich die Ministerkrise verschärft. Der Minister des Innern H i l m i Pascha hat in offenem Konflikt mit dem Großwesir demissioniert. Der Minister fragte den Großwesir nach dem Grund der Demission des Unterrichts- und Marineministers. Der Großwesir erwiderte, der Grund des Wechsels im Kriegs Ministerium liege in gewissen gefährlichenPlänen, welche man mit den Schütze n bataillonen vorhatte. Auf die weitere Frage Hilmi Paschas, seit wann der Großwesir davon Kenntnis habe, erwiderte dieser, seit 14 Tagen. Daraufhin habe Hilmi Pascha dem Großwesir Vorwürfe gemacht, daß er als Minister des Innern davon nichts erfahren habe und habe seine Demission gegeben. Außerdem verlautet, daß auch der Scheik ül Islam , der höchste geistliche Würdenträger, seine Demission gegeben habe. Diese Vorgänge haben in der Türkei die grüßte Erregung hervorgerufen. Das Parlament, in dem heute die Entscheidung fallen soll, ist von Menschenmassen umlagert und von Feldjägern besetzt. In der Kammer selbst steht die Jnter pellation an den Großwesir über den Ministcrwechsel auf der Tagesordnung. In den Wandelgängen herrscht große Er r e g u n g. Beharrlich erhält sich daS Gerücht, heute werde ein Wechsel im Großwesirat eintreten; Hussein Hilmi wird für daS Präsidium und für das Innere, der Londoner Botschafter Rifaat für das Aenßere und der frühere Kriegsminister Ali Giza für die Marine genannt. Nazim Pascha soll daS KriegSportefeuille beb behalten. Der Großwefir ist aber nicht erschienen. Er hat daS HauS schriftlich verständigt, daß er mit Rücksicht darauf, daß er Botschafter empfangen müsse und aus anderen politischen Gründen heute nicht in die Kammer kommen könne. Darauf hcschließt die Kammer, sofort zu erwidern, daß der Groß wesir den Empfang der Botschafter ver tagen könne. Die große Erregung in der Kammer mache das Erscheinen des GroßwcsirS unbedingt notwendig; im anderen Falle würde die Kammer gezwungen sein, sich in Per manenz zu erklären und in Abwesenheit des Großwesirs Be- schlüsse zu fassen. Darauf trat eine Pause ein. Im weiteren Verlaufe der Sitzung erklärte sich die Kammer in Permanenz, bis der Großwefir Aufkläruugen über sein Vorgehen liefern werde. Unterdessen kommt die Antwort des GroßwcsirS. Er weigert sich, dem Verlangen der Kammer Folge zu leisten. Er könne vor Mittwoch nicht erscheinen. Die Antwort ruft st ü r mische Erregung hervor. Der Präsident läßt einen Protest verlesen, den die O f f i z i e r e des hier stationierten Geschwaders gegen die Ernennung des Marineministers übersandt haben. Sie weisen darin auf die Gärung unter den Marine« truppen hin und erklären, die Marine sei ohne Kommando. Sie erkenne nur das Kommando der Kammer an Der Führer der Jungtürken , Riza Tevfik protestierte in heftiger Rede gegen dieses disziplinwidrige Vorgehen der Offiziere. Als Riza Tevfik während einer Pause in den Wandelgängen erschien, wurde er von Offizieren umringt, die ihm lebhafte Vorwürfe machten, worauf Riza ausrief:„Wir haben bisher verstanden Ordnung zu halten, wir werden eS, wenn nötig, auch weiter verstehen. Der Kammerpräsident machte dem Zwischenfall dadurch ein Ende, daß er Riza ins Präsidentenzimmer zog. lieber zwei- hundert Offiziere waren im Hause anwesend. Die Erregung steigerte sich, als der Großlvepr noch immer nicht er- schien und, als er dazu durch einen Boten aufgefordert wurde, es endgültig ablehnte, heute in der Kammer zu er« scheinen. Der Weigerung des Großwesirs antwortet der Beschluß der Kammer. Sie beschließt mit 198 gegen 8 Stimmen, also mit an Ein stiminigkeit grenzender Majorität, eine Wirtung des brüsken Auftretens des Großwesirs, diesem dos Mißtrauen Dieser herrschenden Anschauung trat zuerst Lamarck enb gegen. Er schuf die UmbildungLlehre. Als die wichtigsten Momente dieses UmbildungsprozesseS nannte er die Anpassung und Ver c r b u n g. Lamarck nahm auch den Menschen von dieser Um- bildung nicht aus. Er erkannte die natürliche Einheit des großen Wirbeltierstammes und stellte auch zuerst die vier Klassen auf: Fische, Amphibien, Vögel und Säugetiere. Schon Lamarck sagte, daß durch Umbildung der Mensch das höchste Säugetier geworden sei. Dieser Grundpfeiler unserer modernen Entwickclungslehre warf die alte Schöpsungssage über den Haufen. Ihr wurde aber von den herrschenden Autoritäten so energisch entgegengetreten, daß sie beinahe vollständig vergessen wurde. Als 50 Jahre später Darwin sie von neuem aufnahm, wenn er auch von anderen Gesichtspunkten anSging, erschien die ganze Abstammungslehre als neue Theorie und wurde kurz Darwinismus genannt. Der auffällige Gegensatz zwischen dem Mißerfolg von Lamarck und dein großen Erfolg von Darwin erklärt sich zunächst durch die glänzenden Fortschritte, die die Naturwissenschaft gemacht hat, außerocm aber durch zahlreiche Entdeckungen, auf dem Gebiete der Physiologie. Außerdem füllte der Darwinismus weite Lücken auS, die Lamarck offen gelassen hatte. Darwin stellte die Selektions- theorie aus und löste das große Rätsel von der mechanischen Ent- tchung und der Zweckmäßigkeit der Organismen. Er erklärte die Frage, daß die Natur sich ohne Schöpfer selbst regeln könne. Sein Verdienst war es, daß er ein klares, einheitliches Weltbild aufstellte. Er gab uns die natürlichen Ursachen für die wundervollen Er- 'cheinungen des täglichen Lebens, er bewies die Allmacht der unbeug- amen Naturgesetze gegenüber der alten mystischen Auffassung eines persönlichen Schöpfers. Was man in der Astronomie und Geologie längst wußte, bewies er auch für die Naturwissenschaft. Lamarck und Darwin waren Autodidakten; durch die unmittelbare Anschauung der Natur selbst gelangten sie zu ihren Ansichten. Lamarck stellte zuerst den Unterschied zwischen den Wirbeltieren und den wirbellosen Tieren fest. Bei der Untersuchung der Tausende von Pflanzen und Tieren fand er, daß es überall innere Verwandt- chaft gäbe. Er verglich auch die Skelette der alten Tiere und kam zu dem Schluß, daß diese die Vorgänger der heutigen Organismen ein müssen. Er vermochte aber mit seiner Lehre nicht durchzu- dringen." Anders ging Darwin vor. Auf seiner Forschungsreise durch Südamerika konnte Darwin in fremden Gebieten weite Studien- reisen ausführen. Nach der Rückkehr von dieser Weltreise entstand sein Werk von der„Entstehung der Arten ". Lamarck hatte die Lösung ans deduktivem Wege versucht, Darwin verfuhr induktiv. Darwin studierte jahrelang die Umänderung, die der Mensch an Haustieren und Hauspflanzen hervorgebracht hatte. Er lernte so die künstliche Zuchtwahl genau kennen. Er war der erste Physiologe, der sich die Frage vorlegte: Wie sind die merkwürdigen Verändc- rungcn in den zahlreichen Pferde- und Taubenrasscn hervorgebracht? Er erkannte, daß das organische Leben sicher aus mehr als 100 Millionen Jahre zurückgeht, und verglicb die Ausgrabungen mit den heutigen Zwergsormen. Er fand gewisse Aehnlichkeiten, deshalb 'agte er sich, daß die früheren Tiere mit den heutigen stammes - verwandt fein müßten. Trotzdem Darwin niemals Philosoph sein wollte, war er es vielmehr als alle, die sich so nennen. Er wollte eben Empiriker(auf dem Boden der Tatsachen) bleiben und nur das anerkennen, was er an taufenden Beispielen beweisen konnte. Das bedeutungsvollste Problem aber war für ihn dieEntstchung es Menschen. Schon Lamarck hat diese Frage zu beantworten versucht durch Uebertragung der Abstammungslehre vom Tier auf auszudrücken. Darauf wird eine Resolution angenommen, in welcher der Präsident der Kammer ersucht wird, dem Su'ltan die Willensmcinung der Kammer zur Kenntnis zu bringen, daß ein Kabinettschef ernannt würde, welcher das Vertrauen der Kammer besitze. Der zweite Teil der Resolution, worin die Kammer erklärt, sie wolle so lange tagen, bis sie die Erklärung de» Großwesirs erhalten hätte, wurde abgelehnt.— Eingreifen der Flotte. Frankfurt a. M., 13. Februar. Einer Meldung der„Franks. Zeitung" aus Konstaiitinopel zufolge hatten die K o m m a n- d a n t e n der drei vor dem Palaste von Dolma Bagtsche liegenden Panzerschiffe an den Großwesir ein Ultimatum gerichtet, worin sie die Wiedereinsetzung der ab» gesetzten Minister verlangen und mit einem Born» bardement drohen, bei dem gering st en Versuche der Pforte, reaktionäre Maßregeln zu ergreifen. Konstantinopel , 13. Februar. (Meldung des Wiener k. t. tele- graphischen KorrespondenzbureauS.) Die Kommandanten der Panzerschiffe haben in ihrem dem Großwesirat und der Kammer eingereichten Proteste auf die Gärung unter den Marinetruppen hingewiesen und erklart, die Marine sei ohne Kommando. Sie erkenne nur das Kommando der Kammer an. poUtifebe ücberrkbt* Berlin , den 13. Februar 1909 Reichsgesundlicitsamt und Reichsversicherungsamt. Aus dem Reichstag (13. Februar). Das Kapitel Reichsgesundheitsamt" gab zu eingehenden Debatten Anlaß. Genosse Brühne führte die Mißstände vor, die durch den Kölner Aerztcstreit veranlaßt worden sind, und drang, wie Zubeil früher schon, auf ernstlichere Bekämpfung der Blei- crkrankungen in den verschiedenen Betrieben, in denen die Arbeiter mit Blei in Berührung kommen. Der Präsident des Reichsgesundheitsamts, Herr B u m m, meinte, ein Verbot der Bleiweißverwendung lasse sich nicht rechtfertigen, riet aber, die Arbeiter möchten das Bleimerkblatt, das vom Reichsgesnndheitsamt herausgegeben worden ist, sorgfältig studieren, dann würden sie sich vor den schädlichen Einflüssen des Bleies meist bewahren können. Herr Mugdan (srs. Vp.) suchte die Schuld an dem Kölner Aerztestreik den Krankenkassenverwaltungen aufzubürden, worauf Genosse Hoch diesen und ähnlichen früheren Angriffen des Freisinnigen Dr. S t r u v e entgegentrat. Nicht von einem Zlvist zwischen Aerzten und Kassenvorständen könne man reden, da die Vorstände die volle Zustimmung der Mit- glieder, und zwar sowohl der Unternehmer wie der Arbeiter hätten. Die Behauptung des Herrn Struve. die Leipziger - Kasse hätte die Kölner vor den Leipziger Aerzten gewarnt, entkräftete Hoch durch Verlesung eines Briefes des Leipziger Kassenverbandcs, aus dem genau das Gegenteil der Struvescheu Behauptung hervorging. Beim Kapitel Reichsversicherungsamt erörterte Genosse B ö m c l b u r g die Mängel der Unfallstatistik und der Unfallverhütungsvorschriften. Er wies nach, daß für die gefährlichen Arbeiten unter Preßlust bei Bauten im Wasser ganz verschiedenartige Vorschriften vom Reichsmarineamt und der TiesbauberufSgenossenschaft erlassen find. ersteres dulde z. B. fortgesetzte Arbeiten unter Wasser nur zwei Stunden lang, letztere sechs Stunden lang. Es sei dringend notwendig, daß das Reichsversicherungsamr energischer als bisher auf genügende Schutzeinrichtungen bei der Tiefbaubernfsgenossenschaft dringe. Der Direktor Caspar verwahrte die Behörde gegen den Vorwurf, daß sie zu zag- hast den Unternehmern gegenüber sei, versuchte aber gar nicht den Menschen. Lamarck schilderte den merkwürdigen Gang dieses Umbildungsprozesses. Er erklärte auch die Vernunft, diese höchste Tätigkeit, aus physikalischen Ursachen. Darwin baute das weiter aus, aber er fürchtete das allgemeine Vorurteil gegen die tierisckje Abstammung, obgleich er sie zuerst nur andeutete. Diese An- dcutung schien aber dem deutschen Ucbersc|er so bedenklich, daß er ie überhaupt wegließ. Aber nachdem schlMtich Bückmer und Voigt in Deutschland aufgetrelcn waren, erschien 1871 Darwins Werk über die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl. Die hohe allgemeine Bedeutung dieses anthropologischen Werkes Darwins liegt in der Darstellung der Entstehung der heutigen Formen aus anderen Forme». Die Seele ist ihm nicht ein über. natürliches Wesen, das im Körper wohnt und ihn dann verläßt, andern sie ist die Summe der Gehirnfunitionen. Um Mißverständnissen über die verhaßte Affcnabstammung entgegenzutreten, möchte ich erklären: Es ist ganz sicher, daß auch die menschenähnlichsten Affen keine Vorläufer von Menschen sind. Ter wichtigste Punkt, aus den es Darwin ankam, ist zweifel- loS die Einheit des S ä u g e t i e r st a m m e s. Alle Säuge- tiere haben so viel merkwürdige Eigenschaften in ihrem Körperbau gemein, daß niemand mehr an ihrer einheitlichen Abstammung zweifelt. Kein anderer als Goethe hat das schon erkannt. Es wurde lange gestritten, wie weit Goethe als Vorläufer Darwins anzusehen sei. Aber soviel steht fest, daß die Formenlehre, wie ie Goethe schon vor 120 Jahren begründete, unmittelbar als Vor- läufer der Lainarckschen und Darwinschen Lehre anzusehen ist. Goethe schließt auch den Menschen aus seiner Entwickelung nicht aus. Diese klare monistische Weltanschauung ist die Grundlage, auf der Goethes herrlichste Schöpfungen beruhen. DaS ist dieselbe atheistische Religion, die vor Jahrhunderten Giordano Bruno in Italic» und Spinoza in Holland gelehrt hatten und die in der Jetztzeit durch die Empirik ihre Begründung gefunden hat. Gemein- am sowohl bei Lamarck wie Darwin und Goethe ist ihr tief- gründiges Denken, ist das große einheitliche EntwickelungSgesetz, das das Gesanitgebiet der Natur beherrscht und das den Menschen aus diesem Gesetz nicht ausschließt. Durch die Anerkennung dieser Lehre finden wir jene kosmopolitische Perspektive, die unseren Geist über Zeit und Raum erhebt. Wir werden von den Irrtümern und Vorurteilen der traditionellen dualistischen Weltanschauung befreit. KopernikuS zerstörte den Irrtum, daß die Erde der Mittelpunkt der Welt sei. Darwin zerstörte das Dogma, daß der Mensch der vorausbejtimmtc Mittelpunkt des Erdenlebens sei." Nachdem sich der stürmische Beifall gelegt hatte, nahm Haeckel noch einmal daS Wort, um seine eigene Rolle in dem Kampf um den Darwinismus zu beleuchten. Seine Abschiedsworte lauteten: „ES ist mir schon vorgestern, äks ich meine letzte akademische Vorlesung hielt, seitens meiner Schüler soviel der Zuneigung und Dankbarkeit zuteil geworden, daß ich nur sagen kann, meine be» 'cheidenen Verdienste werden weit überschätzt. Ich bin nur einer von den Epigonen, die in den Fußtapfcn unserer großen Heroen Goethe, Lamarck und Darwin gewandelt sind, und ich habe in dem halben Jahrhundert meiner Naturforschertätigkeit nur das, was ich als wahr erkannt habe, meinen Schülern vorgetragen. Ich weiß, daß ich als Mensch Irrtümern unterworfen bin; allein, wenn ich heute zurückblicke auf diese lange Zeit eines schwierigen, kampfbewegtcn Lebens, so kann ich sagen, daß ich mit einer gewissen Befriedigung schließen kann: Die Grundgedanken unserer Führer find durch die neuesten Forschungen zu solcher Festigkeit erhoben worden, daß sie, wie ich glaube, für alle Zeiten nicht zu zer» stören sind.
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