Nicht aus einer sozialdemokratischen Zeitung, sondern aus Ihrer eigenen Provinzpresse wird gemeldet, daß an verschiedenen Orten konstatiert ist, daß wegen Landaröciteriiiailgel sämtliche Kinder der oberen und mittleren Tchulklasscn einfach beurlaubt lverden, um Landarbeit zu verrichten. Wenn eine arme Mutter einmal, durch die äußerste Not getrieben, ihr Kind aus der Schule zurückhält, weil die Not sie zwingt, ihr Kind arbeiten zu lassen, was wir zwar nicht billigen, aber doch begreifen, dann kommt die Behörde und nimmt sie unweigerlich in Schulstrafe, im Wiederholniigsfalle sogar in Haft. Hier aber, Ivo das Fernbleiben aus der Schule im Interesse des Großgrundbesitzes geschieht, ist selbstverständlich alles er« laubt.(Sehr richtig I bei den Sozialdemokraten.) Auch auf die aus- gezeichneten Wohnungsverhältnisse der ländlichen Arbeiter haben die Herreu von der Rechten hingewiesen. Wenn es nur nicht amt- liche Feststellungen gäbe, die nicht dem Hirne eines Sozial- demokrateu entspringen und doch zeigen, wie es auf dem flachen Lande aussieht: im Osten, in der Provinz Branden- bürg, in Schlesien , allüberall! Wenn Sie den Bericht des Kultusministeriums zur Hand nehinen, finden Sie Angaben über die elenden Wohnungsverhältnisse nicht aus einer, sondern ans fast a l l e n.Provinzen Preußens. Ucberall können Sie die elenden Zu- stände der Arbeiterwohnungcn festgestellt finden. Man sieht, daß das Wort des deutschen Kaisers spurlos an Ihnen vorübergegangen ist, daß die Arbeiterwohnungcn nicht noch schlechter sein sollen als die Ställe. ES ist Tatsache, daß ein großer Teil der Arbeiter- Wohnungen schlechter ist, als die Ställe, in denen das Vieh unter- gebracht ist. Natürlich: wenn das Vieh zugrunde geht, erleidet der Besitzer einen wirtschaftlichen Schaden, und deshalb sorgt er für's Vieh, lvenn aber die Menschen zugrunde gehen, so geht ihn daö nichts an.(Zurnf des Abg. Kreth.) Gewiß ist eS Ihnen unangenehm, zu hören, wie es auf den Gütern zugeht. Aber wenn diese Verhältnisse nicht geändert werden, so werden w i r sie auch in Zukunft hier zur Sprache bringen.(Lebhafte Zustimmung bei den Sozialdemokraten.) Ich bitte Sie, unseren Antrag anzunehmen. Im letzten Augenblick ist uns noch der Antrag des Zentrums unterbreitet. Wir werden eventuell auch für diesen Antrag stimmen. in erster Linie bitte ich aber für unseren Antrag einzutreten. Der Zentrumsantrag hat gerade daS aus unserem Antrage entfernt, was in der kaiserl. Botschaft vom Februar 1330 steht. Im letzten Abschnitt unseres Antrages verlangen wir„die Zeit, die Dauer und die Art der Arbeit so zu regeln, wie es die Erhaltung der Gesundheit, die Gebote der Sittlichkeit, die wirtschaftlichen Bedürf- nisse der Arbeiter und ihr Anspruch auf gesetzliche Gleichberechtigung fordern". DaS ist wörtlich, kann ich sagen, aus der kaiserlichen Botschaft entnommen, und als gute Patrioten müßten Sie schon aus Respekt vor dem Kaiser diesem Absatz ihre Zustimmung geben.(Sehr gut! bei den Sozialdemokraten.) Die Zentrums- resolution streicht aus diesem Antrag die wirtschaftlichen Bedürf- nisse der Arbeiter und ihren Anspruch auf gesetzliche Gleichberechtigung. DaS ist eine Verbeugung vor den Großgrundbesitzern und den Agrariern. Ich wundere mich sehr, daß das Zentrum gerade diesen Passus aus seiner Resolution herausgelassen hat. Wir legen gerade auf die Anerkennung der Gleichberechtigung der Arbeiter daS Hauptgewicht und bitten Sie, unserem Antrage zuzustimmen. (Lebhaftes Bravo! bei den Sozialdemokraten.) Abg. Bindcwald(Ant.): In Süddeutschland könnte man dem sozialdemokratischen Antrag ruhig zustimmen: aber für Nordost- deutschland paßt er nicht, denn seine Annahme würde den dortigen Großgrundbesitz erschüttern, den Deutschland nicht entbehren kann. (Lebhafter Beifall rechts. Lachen bei den Sozialdemokraten.) Den Sozialdemokraten ist die Seßhaftigkeit ein Dorn im Auge. Darum hetzen sie die Landarbeiter auf. Redner erklärt, der Landwirtschast würde nicht geholfen sein, lvenn Adolf Hoffmann Kultusminister und Zubeil LandwirtschaftSministcr würde.(Heilerkeit rechts.) Abg. Werner(Antis.): Huude, die bellen, beiße» nicht. Herr Zubeil kann auch nicht beißen.(Jubelnder Beifall rechts.) Ich bin ivohl in einer sogenannten Presse gewesen— ich befand mich übrigens dort in sehr guter Gesellschaft(Redner verliest eine Reihe adeliger Namen)— aber nicht, wie Herr Zubeil andeuten wollte, m einer Besserungsanstalt.— Ich bin auch einmal jung gewesen, jetzt aber bin ich bl Jahre.(Allgemeine Ziistimmung, Heiterkeit.) Wenn ich Geld gehabt hätte, hätte ich studiert. Hat Herr Zubeil seine landwirtschaftlichen Kenntnisse sich m seiner Budike erworben? (Tosender Jubel rechts, zu welchem Abg. Kreth den Takt schlägt.) Äbg. Znbcil(Soz.): Wenn mich der Präsident hätte ausreden lassen, so hätte sich ergeben, daß meine Aussührungen absolut keine Spitze gegen Herrn Werner enthielten. Ich habe nur auf Grund des Handbuches aus den eigenen Angaben des Herrn Werner nachgewiesen, daß sein Bildungsgrad ihn nicht zum besonderen Kenner der landwirtschast- lichen Verhältnisse stempelt.(Sehr wahr I bei den Sozialdemokraten.) Herr Werner meinte: wenn er Geld hätte, würde er studiert haben. Nun, ich für meine Person würde noch heute Gastwirt in Berlin sein, wenn ich lauter solche Gäste gehabt hätte wie Herr Werner, (Schallende mmutenlange Heiterleit.) Damit schließt die Diskussion. Das Schlußwort erhalt Abg. Stadthugcil(Soz.) (von der Rechten mit Hui Hu!-Rufen empfangen): Die Brülltöne passen ja zu den, landwirtschaftlichen Thema.(Sehr gut! bei den Sozialdemokraten.) Die Herren Konservativen behaupten, wir verstehen nichts von der Landwirtschaft(Sehr richtig! rcchtS); Sie meinen, daß Sie etwas davon verstehen, der cmc, weil er notleidend ist wie die Landwirtschaft, der andere, weil er Landlvirt ist, der dritte, weil er nicht Landwirt ist. Der Abg. Zubeil hat mit Recht darauf hingewiesen, daß Sie mit solchen all- gemeinen Redensarten gegen die von uns angeführtenTatsachen nichts beweisen. Wenn Sie irgend eine der Tatsachen, die wir angeführt haben, beseitigen könnten, wäre das etwas anderes. Dazu sind Sie aber nicht in der Lage gewesen. Die Löhne der Landarbeiter sind so jämmerlich, die B e h a n d l U n g ist so jämmerlich, ihre Recht- l o s i g k e i t ist so, wir wir es geschildert haben. Nichts davon haben Sie aus der Welt schaffen können, nur in dem einen sind Sie alle einig, daß diese Rechtlosigkeit weiter bestehen soll.(Zurufe des Abg. Kreth.) Herr Kreth behauptet in seinen Zurufen, daß er Kenntnis von der Landwirtschaft hat. Aber wenn Sie auch nicht eine der für Deutschland beschämenden Tatsachen, die wir angeführt haben, aus der Welt schaffen können, dann können Sie es auch nicht mit der allgemeinen Redensart„Ach Gott, was verstehen Sie denn davon I" Das ist eine Art nnd Weise, wie man einer sachlichen Kritik ausrückt.(Sehr richtig I bei den Sozialdemokraten,) Wenn Sie die amtlichen Zahlen über die Löhne der Landarbeiter lesen, die ans Grund der Angaben der Arbeitgeber und der Arbeit- nehmer von den Behörden festgestellt worden sind, so werden Sie doch selbst zugeben müssen, das; man von glänzenden Löhnen nicht sprechen kann. WaS würden Sie denn sagen, wenn man Ihnen zu- muten wollte, Sie sollten einen Menschen mit 300 M. jährlich er- nähren?(Zurufe rechts.) Wenn Sie daS für ausreichend halten, dann wäre es doch unverständlich, wenn Sie auf anderen Gebiete» bei den Ve« soldungen der Beamten für Besscrstelluiia eintreten. Aber beim Arbeiter meinen Sie. muß eS gehen, da sagen Sie sogar, eö geht dem Arbeiter vorzüglich, ganz brillant, und ich wundere mich nur. warum Herr Kreth eigentlich nicht Landarbeiter geworden ist.(Sehr gut I bei den Sozialdemokraten.) Interessant war mir auch, WaS der Führer des Bundes. Herr Dr. Hahn, hier ausführte. Ueber den Antrag sagte er nichts, sondern er versuchte, eine auf nichts weniger als richtiger Anschauung beruhende geschichtliche Darstellung über die Entwickcluug einzelner Teile des Vater- landes zu geben. Was er sagte, ist zum übergroßen Teil längst widerlegt. WaS geht das uns aber au bei der Frage, ob die Land- arbeiter heute rechtlos sind. Ob die Markgenossenschaft in dem oder jenem Teile von Deutschland sich früher oder später entwickelt hat, ist bollkommen gleichgültig für die Frage, ob heute die Arbeiter rechtlos sind. Wir verlangen in unserem Antrag nichts weiter, als daß der ländliche Arbeiter dasselbe Recht bekommt wie die anderen, daß er nicht rechtloser hingestellt wird als irgend ein anderer. Wie können Sie es mit der Gestaltung des Deutschen Reiches vereinbaren, daß eine Reihe von Arbeitern rechtlos bleiben soll, daß sie außerhalb der Gesetze stehen soll, die für alle anderen Arbeiter gelten, daß sie unier einem Ausnahmegesetz bleiben sollen I(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Auch die Frage des KoalitionSrrchts hat in der Debatte eine große Rolle gespielt. In einigen Teilen Deutschlands besteht es für die ländlichen Arbeiter. Im Jahre 1806 hat daS Ministerium Bismarck seine Einführung in ganz Preußen verlangt. Die Ausdehnung des Koalitionsrechts auf' die ländlichen Arbeiter auch in den übrigen Teilen Deutschlands würde nicht ohne weiteres eine Verbesserung ihrer Lage herbeiführen. Ihre Behauptung, daß die Arbeiter die Ernte verfaulen lassen würden, ist eine schwere Beleidigung der ländlichen Arbeiter.(Leb- hafte Zustimmung bei den Sozialdemokraten.) Die ländlichen Arbeiter haben keineswegs so wenig Gefühl für daS Gemeinwesen, wie Sie ihnen zutrauen. Wahrscheinlich würde das Koalitionsrecht nur in sehr wenigen Fällen zum Streik führen. Aus den Ländern, in denen das Koalitionsrecht für die ländlichen Arbeiter besteht, konnte kein einziger Fall angeführt werden, in welchem irgend einmal die Be- fürcktniigen, in denen die Herren von der Rechten sich überboten, Wirklichkeit wurden. Wir verlangen die Beseitigung der Kontraktöruchstrafe gegen ländliche Arbeiter nnd das Gesinde! Diese Strafe steht im Widerspruch zu den Bestimmungen aller anderen Klassen der Bevölkerung. WaS würden die Herren rechts sagen, wenn man erklärte: die Großgrundbesitzer und Offiziere sollen mit Strafe belegt werden, wenn sie ihre Verträge nicht erfüllen, ihren Lieferanten ihre Weinrechnungen nicht bezahlen? Millionen von Zivilprozessen werden aus solchen Anlässen geführt. Glauben Sie wirklich, daß es der Ge- rechtigkeit entsprechen würde, daraus zu folgern, daß die Herren millionenfach ihre Verträge brechen und daß deshalb Strafbestimmungen für sie eingeführt werden müssen?(Sehr gut l bei den Sozialdemokraten.) Ach nein. daS wollen Sie keineswegs. Den Arbeitern gegenüber aber wollen Sie es, daS ist eine Verletzung der Gleichberechtiaung, eine Herabdrückung der Arbeiter zur Hörigkeit.(Lebhafte Zustimmung bei den Sozialdemokraten.) Glauben denn die Herren rechts, die Zustände sollen wieder so weit kommen wie vor dem Jahre 1806, wo gerade die ländlichen Ar- beiter den Franzosen zujubelten, weil sie in ihnen die Befreier von ihrer Unterdrückung erblickten!(Sehr wahrl bei den Sozial- demokraten.) Die Herren rechts sagen: Sie wollen die Seßhaftig- keit der Arbeiter. Wie kindisch ist doch der Gedanke, wir träten der Seßhaftigkeit entgegen. Gerade w i r wünschen ja den Grund und Boden für alle I Der übergroße Teil der Bevölkerung ist heute ja ohne Gruitd und Boden! Die Herren aber, die für den Großgrundbesitz eintreten, die wollen uns erzählen, daß wir gegen die Seßhaftigkeit der Arbeiter sind l Nein, gerade S i e sind es, welche Millionen nicht zur Seßhaftigkeit gelangen lassen.(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Herr Bindewald hat erklärt, unser Antrag wolle die Grundlagen des Deutschen Reiches erschüttern. Also wenn man den länd- lichen Arbeitern daS gleiche Recht wie den anderen Arbeitern gibt, uild zwar ein rein formales gleiches Recht, so muß das Deutsche Reich in seinen Grundlagen erschüttert werden.(AbA. Bindewald ruft: Durch die Konsequenzen.) Also die Konsequenzen, die sich daraus ergeben, daß der ländliche Arbeiter die wenigen Rechte bekommt, die wir beantragen, sollen das Deutsche Reich in seinen Grundlagen erschüttern...(Zuruf des Abg. Bindewald.) Nennen Sie mir doch eins der Siechte, die wir für den ländlichen Arbeiter verlangen, das Sie, Herr Bindewald, nicht längst besitzen, und für das Sie nicht lebhaft kämpfen würden, wenn man eS Ihnen entzöge I(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Haben Sie nicht das Recht der Koalition, haben Sie nicht das Recht, daß die Zeit, die Dauer und die Art Ihrer Arbeit so geregelt ist, wie eS der Erhaltung Ihrer Gesundheit, den Geboten der Sittlichkeit und den Wirt- schastlichen Bedürfniffen entspricht? Wir alle, die wir hier im Saale sind, haben diese Rechte. Und wenn der länd- liche Arbeiter sie ebenfalls bekommen soll, dann soll dadurch mit einem Male das Deutsche Reich zerstört werden I In der Verfaffung ist gesagt: das Deutsche Reich ist geschaffen zum Wohle aller Mitglieder des Reiches. Da ist es eine Ungerechtigkeit der allerschlimmsten Art, daß gerade für den Landarbeiter, der seine Knochen mehr als die übrigen zu Markte getragen hat, das Deutsche Reich nicht geschaffen sein soll. Nichts anderes aber bedeutet es, wenn Sie unseren Antrag ablehnen.(Lebhafte Zustimmung bei de» Sozialdemokraten.) Sie sagen, wir verhetzen das Volk. Sie nehmen also an, wir wollen die ländlichen Arbeiter als Wild betrachten, wobei Sie die Rolle des HundeS spielen. ES ist unS aber nicht eingefallen, Sie als Hunde zu gebrauchen. Nicht wir verhetzen, sondern die Vcr- hetzung liegt in den Berhältniffen. Was im letzten Absätze unseres Antrages steht, haben die Herren bis jetzt noch nicht verstanden. Wir wollen„die Zeit, Dauer und Art der Arbeit so regeln, wie eS die Erhaltung der Ge- simdheit, die Gebote der Sittlichkeit, die wirtschaftllchen Be- dürfnisse und ihr Anspruch auf Gleichberechtigung fordern." DaS ist wörtlich das, was nn kaiserlichen Erlaß von 1830 gesagt ist. Wo steht denn da ein Wort von einer gleichmäßigen Arbeitszeit in ganz Deutschland ? Aber wenn Sie nur daran denken, daß für den länd- lichen Arbeiter s o gesorgt sein soll, wie eS die Erhaltung seiner Ge- sundheit und die Gebote der Sittlichkeit fordern, dann überläuft Sie schon ein Schauder.(Sehr richtig! b. d. Soz.) Wir aber wollen, daß auch der Anspruch auf gesetzliche Gleichberechtigung für den länd- lichen Arbeiter erfüllt ist und daß seine Arbeit so geregelt wird, wie eS seine wirtschaftlichen Bedürfnisse erfordern. Denn diese erfordern, daß er nicht nur Arbeitsvieh ist. DaS ist eben der fundamentale Unterschied in unserer Weltanschanung. Wir verlangen, daß der ländliche Arbeiter nicht nur Arbeitsvieh ist, sondern ein Mensch wie ein anderer. Und wenn Sie darüber höhnen und zum Beispiel erklären, dazu wäre nötig, daß der Sonnenschein geregelt wird, so zeigen Sie nur, daß Sie(nach rechts) von Leidenschaft so verblendet sind, daß eS Ihnen unmöalich ist, die genügende Klarheit der Ueberlegnng zu bewahren. Ich stelle hier ausdrücklich fest, daß Sie den Anspruch der ländlichen Arbeiter auf gesetzliche Gleich- berechtigung l e u g n e n I Sie verlanget, damit, daß der ländliche Arbeiter ein Arbeitssklave ist.(Lebhafte Zustimmung bei den Sozialdemokraten.) Nun ist noch der Unterantrag des Zentrums gekommen. Ich bedaure, daß er unseren direkten Forderungen gegen- über sehr verschwommen ist. Insbesondere bedanre ich, daß das Zentrum nicht für die Fordert, ng eingetreten ist, daß die Arbeit ent- sprechend den Geboten der Sittlichkeit geregelt wird. Hier,>vo eS sich wirklich'mal um die Erfüllung eines Gebotes der Sittlichkeit handelt, hätten doch die Herren vom Zentrum dafür eintreten müssen. (Lebhafte Zustimmung bei den Sozialdemokraten.) Ich hoffe ja. daß unser Antrag angenommen wird,»nd damit würde ja der minder weitgehende Antrag des Zentrnms sich erledigen. Weiter ist beantragt worden, unseren Antrag einer Kom- misston zu überweisen. Dem will ich nicht widersprechen. Ich hoffe aber, daß dann mindestens unsere Forderungen auSderKommission herauskommen werden. Die Herren rechts werden da Gelegenheit haben, noch weiter ihre KcnntniSlosigkeit darzutnn oder aber darzn- legen, daß sie in der Tat einige Kenntnis von der Not und dem Elend der Landarbeiter haben. Ich bitte Sie, unseren Forderungen zu- zustiminen, damit wir uns nicht sagen lassen müssen, daß Deutschland in bezug auf die Lage seiner ländlichen Arbeiter in der Kultur daS allerzurückgebliebenste� Lau! ist. Es ist eine Schmach, wenn Oesterreich-Ungarn , Spanien Schutzgesetze für die ländlickien Arbeiter erlangen, wir in Deutschland aber den ländlichen Arbeiter rechtlos machen. Die Regelung der Frage dem preußischen Dreiklassenparlament zu über- lassen, heißt die Not der Arbeiter verewigen. Ich bitte daher dringend, nehmen Sie unseren Antrag an.(Lebhafter Beifall bei den Sozialdemokraten.) ES folgen persönliche Bemerkungen. _ Abg. Werner(Ant.) sucht auS seinem Familienstammbaum seine Befähigung zur Beurteilung landwirtschastlicher Verhältnisse nach- zuweisen und ergeht sich dabei in Schimpfereien auf den Abg. Zubeil, die bei der Unruhe des HauseS im einzelnen unverständlich bleiben und dem Redner einen zweimaligen Ordnungsruf seitens des Vize- Präsidenten Kaemps zuziehen. Es folgt die Abstimmung. Sie ist eine namentliche und ergibt die Annahme des An» träges: die gesamten zu dieser Materie gestellten Anträge und Re- solutionen an eine Kommission von 21 Mitgliedern zu verweisen, bei 310 Abstimmenden und einer Stimmenthaltung mit 203 gegen 100 Stimmen.(Bravo 1 links.) Für die Verweisung an die Kommission stimmen Sdzialdemo- kraten. Freisinnige, Zentrum, Polen und ein Teil der National- liberalen(darunter die Abgg. Kleye, Stresemann, Dr. Weber, Bassermann, Everlin�, Müller» Rudol stadt und die meisten süddeutschen Mitglieder der Fraktion). Gegen die Verweisung stimmen die konservative, reichspartei- liche und antisemitische Rechte und ein Teil der Nationaltiberalen (u. a. die Abgg. Schwabach , Sieg, v. Schubert, Hage' mann). ES folgt die erste Beratung des Antrags Brandys u. Gen.(Polen ) auf Erlaß eines RcichSgesetzcs, durch welches alle landcsgcsetjlichen Bestimmungen über Beschränkung des Erwerbs oder der Veräußerung von Grundrigcntum oder der Errichtung von Wohnstätten in Rücksicht auf Konfession, politische Gesinnung, Nationalität aufgehoben werden. Abg. v. DziembowSki-Pomian(Pole): Unser Antrag fordert eigent- lich etwaS Selbstverständliches.(Sehr richtig I bei den Polen . Sozialdemokraten und im Zentrum.) Bor ein paar Jahren hätte man noch gefragt: Was wollen die Herren denn eigentlich mit ihrem Antrag? WaS sie wollen, ist ja bereits reichsgesetzlicher Zustand. So haben wir auch gedacht, aber das bekaimte Ausnahme- und Euteignungsgcsetz zeigt die Notwendigkeit, ein ausdrückliches Reichs- gesetz, wie wir eS in unserem Antrag fordern, zu erlassen. Diese Notwendigkeit ist freilich sehr beschämend für einen Kulturstaat. (Lebhafte Zustimmung bei den Polen und Sozialdemokraten.) Nach der Enteignungsvorlog« könnte man sich kaum mehr wundern, wenn morgen ein Gesetz erlaffen würde des In- Halts, nur Blockangchörige können Grundbesitz erwerben. (Heiterkeit. Sehr gut! bei den Polen und Sozialdemokraten.) Alle Parteien sollten gegen diese Art Gesetzgebung Front machen, denn was heute den einen trifft, kann morgen den anderen treffen.(Sehr wahr!) WaS sollen die polnischen Landarbeiter tun, die sich kein Häuschen, kein Stückchen Land auf ihrer heimischen Scholle erwerben können? Sie strömen in die Stadt und vermehren das industrielle Proletariat.(Sehr wahr!) Wenn Mächte des Erdinnern Länder und Städte zerstören, wie jetzt das unglückliche Messina , so regt sich das allgemeine Solidaritätsgefühl der Menschheit— aber in unseren östlichen Provinzen duldet man eine landverwüstende Politik. Selbst im Kriege schont man daS Privateigentum; aber im Nationalitäten- kämpfe soll seine Heiligkeit nicht gelten. Vergessen denn die Kon- servativcn, daß nicht landbesitzende, sondern landlose Leute die Truppen des Umsturzes sind? Wir bitten den ganzen Reichstag um Annahme unseres Antrages.(Lebhafter Beifall be« den Polen und im Zentrum.) Abg. Graf Praschma(Z.): Gleich unserem verstorbenen Führer, Frhrn. v. Huene, betrachten«vir diese Frage nicht vom Standpunkt des Polentums und nicht von dem des Deutschtums, sondern von« Standpunkte des Rechts.(Lebhaftes Sehr richtig I im Zentrum.) DaS Eigentum ist nach der Reichsverfassung unverletzlich. Durch die preußische Gefttzgebung ist aber da» Eigentum verletzt durch die Verhinderung der Ansiedelung sowie des Kaufs und Verkaufs. Für diese Gesetzgebung sind nationale und religiöse Gründe maßgebend gewesen. Man begründete sie mit der allgemeinen Staatsnotwendig- keit; diese könnte auch einmal das Entgegengesetzte ver- langen. Die Oppelner Regierung hat einmal einem katholischen Pfarrer die Schulaufsicht entzogen, weil er zu scharf germanisiert hat. (Hört l hört! im Zentrum.) Mit allgemeiner Staatsnotwendigkeit könnte man vielleicht auch eininal begründen, daß deutscheAnsiedler zurückgehalten werden müssen von der Anfiedlung.(Sehr richtig I im Zentrum) Der Reichskanzler hat sich selbst als agrarisch bezeichnet; möchte er auch bei der Finanzreform sein agrarisches Herz wieder entdecken. Seine Ansiedelungspolitil ist jedenfalls keine besonders gute agrarische Politik. Das monarchische Gefühl im Volke kann nicht besser gestärkt werden, als wenn die Bevölkerung mit ihrem Grund und Boden verbunden bleibt.(Lebhafter Beifall im Zentrum.) Abg. Stadthagen (Soz.): Es ist sehr vezeichneud, daß ein solcher Antrag eingebracht werden kann und daß wir ihm zustimmen, obwohl er eigentlich überflüssig ist. Denn das Gesetz, welches hier angegriffen ist, ver- stößt ganz offen gegen das Reichörecht. ES ist bedauerlich, daß ein Partikularstaat sich unterfangen hat, ein Gesetz über Ansiedelungen zu geben, daS einen klaren Bruch mit dem ReichSrecht darstellt. (Lebhafte Zustimmung bei den Sozialdemokraten und den Polen .) Ich bin keineswegs polnischer Gesinnung(Hört! hört! rechts), aber das kann mich nicht davon abhalten, das Unrecht, das den Polen zugefügt wird, zu bekämpfen. Auch ist es ein Irrtum der Polen , zu glauben, daß das Anstedelungsgesetz nur auf sie beschränkt sei, es ist auch auf Nicht-Polen angewendet, falls sie Sozialdemo- kraten sind.(HörtI hört! bei den Soziaidemolraten.) Ich will nicht im einzelnen darlegen, warum das Gesetz ungerecht ist. Nur eines ist wunderbar, wenn man an die eben gehörten Debatten denkt: Die Herren von rechts klagen innner, daß die Landbevölkerung von uns aufgehetzt wird; sie behaupten. sie wollten die Bevölkerung seßhaft machen, wir aber hielten die Bevölkerung davon ab. Aber hier handelt es sich um ein Gesetz, durch das die Seßhaftmachung geradezu unter- b u n d e n werden soll, und zwar aus politischen Gründen. Um die? zu bekämpfen, sind die Herren recktS nicht zu haben, da sind sie hinausgegangen.(Sehr richtig I im Zentrum und bei den Sozialdemokraten.) Natürlich, Sie haben ja im preußischen Landtag dafür gestimmt, daß die Kleinbauern ohne jeden Rechtsgrund von Hau» und Hof vertrieben werden können, borläufig in Posen und ipäter in ganz Preußen. Denn darüber soll man sich keinem Zweifel hingeben, daß der Heißhunger der Agrarier, die ihren Großgrundbesitz arrondieren wollen, nicht in einzelnen Provinzen Halt machen, sondern weiter gehen werde. (Sehr richtig I bei den Sozialdcinokraten.) Wenn dem einzelnen Ansiedler sein Eigentum geraubt Ivird, wenn ihm verboten wird, in seinem Hause zu wohnen, wenn er es schließlich dann verkauft an einen Deutschen , so ist in der Tat ein solcher Eigentumserwerb nicht? anderes als gemeiner Diebstahl ans Grund des Gesetzes. Diese Ex- propriation der kleinen Baneni, die von den Herren rechts betriebest wird, ist nichts weiter als ein ganz gewaltiger Raub. Bei solchem Raub tun wir nicht mit. Durch dieses Gesetz wird die Seßhaftmachung unterbunden und die Leutenot künstlich vermehrt. Eine Reihe von Kleinbauern, denen von der AnsiedelungSkommisiion die Ansiedelung nicht gestattet wurde, haben ans der Provinz Posen fortziehest müssen und sind jetzt Bergleute im llhihrrcvier.(Hört! hört! bei den Sozialdemokraten.) So vertreiben Sie(nach rechts) die Leute von Hans und Hof unter Mißachtung des Siechts. ES wurde hier auch der Fall ScSzika erwähnt, dem nicht be- scheiuigt werden konnte, daß er konservativ oder antiseinitisch sei. aber wenigstens konnte ihm bescheinigt werden, daß er königstreu sei. Aber auch das hat ihm nichts genützt! Die Konservattvea in
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