9er fPottftrcifi. Paris » 20. März.(Privattelegramm des„Vorwärts".) DaS größenwahnsinnige Scharfmachertmn der Herren Clemenceau , Simhan und Barthou hat seine Früchte getragen. ES hat auZ einer Frage, die rasch und leicht hätte beigelegt werden können, einen der schwersten sozialen Konflikte entstehen lassen, und der Eifer, die Autorität um jeden Preis zu schützen, hat nur die ungeheuere Macht zum Bewußtsein gebracht, die der geschlossenen Altion der Arbeiter und Angestellten des Verkehrswesens innewohnt. Die s r a n z ö s i s ch e Kammer hat gestern in einer Sitzung. die bis 2 Uhr morgens dauerte, über den Streik verhandelt- Draußen riesige Menschenmassen, die natürlich keinen Einlaß mehr finde». Polizei, die sie„auseinandergehen" heißt, im Hof des Mini- steriums des Aeußcren Kavallerie. In den Couloirs, auf den Tribünen Gedränge und Aufregung. Die Stimmung großer Krisen- tage, trotzdem das Ministerium seines Sieges ziemlich sicher ist. Hente handelt eS sich um mehr. Die Sitzung ist furchtbar stünnisch. Vier Interpellationen sind von verschiedenen Parteien eingebracht. S e m b a t vertritt die sozialistische. Er findet die stärkste Aufmerl- samkeit, als anerkannter Kenner des Postloesens und ehemaliger Bericht- erstatter des Postbudgets. Sembat spricht in seiner bekannten scharf zu- greifenden Art. aber mit vorsichtiger Sachlichkeit— bemüht, zu zeigen. daß einzig die ungerechte, rücksichtslose Behandlung den Streik pro- doziert habe, an den die Beamten gar nicht gedacht hätten. Er sagte: Der Aufstand sei entstanden, weil die Regierung e-Z im Gegensatz zu ihren Vorgängerinnen versäumt habe, Vorbeugungs- maßregeln zu treffen, und weil sie sich ferner geweigert habe. mit dem Personal zu verhandeln. Die Postbeamten hätten nur die Forderung gestellt, ebenso wie die Eisenbahn- beamten behandelt zu werden. Sembat sprach die Hoffnung aus, daß die Kammer nicht in die Falle gehen würde, die von der Regierung zu erwarten sei, wenn sie mit der Erklärung käme, es handle sich hier um das A u t o r i t ä t S p r i n z i p der Regierung. Falls die Kammer der Regierung einen Blankowechsel ausstellen würde, dürften neue rigorose Maßnahmen die Folge sein, Die Mehrzahl der Postbeamten habe gar nicht die Absicht. einen Kampf gegen den Staat anzufangen. Zum Schluß bat er die Kammer eindringlich, nichts zu tun. was nicht wieder gut zu machen sei.(Beifall auf der äußersten Linken.) Simhan, den Sembat arg hergenommen hat, erwidert. Er hält eine provozierende Scharfmacherrede. So unglücklich, daß er auch die Radikalen verstimnit. Aber es scheint, daß sein Schicksal schon entschieden ist. Clemenceau zuckt die Achseln, schlägt die Hände über dem Kopfe zusammen und schließt diese Pantomime damit ab, daß er dem Staatssekretär am Ende seiner Rede den Rücken zukehrt. Siinyan hat furchtbare Stürme im Hause hervor- gerufen. Genosse Rouanet verteidigte, von den immer stärker erregten Abgeordneten oft unterbrochen, den Generalverband der Postbeamten. Er wirft dem Unterstaatssekretär vor, er habe sich äußerst nervös gezeigt und sich auf die Polizei Verlaffen, statt den Versuch zur Be- schwichtigung zu machen. Ihm antwortet der Verkehrsminister Barthou . Er geht mit unverkennbarer Bbsichtlichkeit über die Person Simyans hinweg und sucht nur das Prinzip zu verteidigen,' daß die Regierung mit dem Beamtcnverband nicht auf gleichem Fuße verhandeln könne. Er protestiert gegen den Vor- wurf der GünstlingSwirtschaft und Ungerechtigkeit beim Avancement. Die Assoziation sei immer angehört worden. Aber jetzt sei die Nation angegriffen, der Streik sei ein Verbrechen gegen sie. Noch fei keine Absetzung ansgesprochen worden, aber die Regierung werde mit größter Strenge vorgehen. wenn die Beamtenschaft nicht zu ihrer Pflicht zurückkehre.— Und nun spielt der Minister seinen Trumpf aus: Die Streckenarbeiter hätten die Drähte zerschnitten. Den Urhebern werde die strengste Strafe zuteil werden. Barthou bekommt von den Regierungsparteien einen starken Applaus. Der Antrag, seine Rede anzuschlagen, bekommt 318 Stimmen gegen 157, die von der äußersten Linken und Rechten abgegeben werden. Die Verhandlung wird auf eine Stunde unterbrochen. aber nach dieser Abstinunung ist das Endergebnis ziemlich sicher. Nach Wiederaufnahme der Sitzung spricht Genoffe B e d o u c e: Die Frage des R e ch t s z u m S t r e i k für gewisse Beamte sei vom Parlament noch nicht besprochen worden. Die Beamten der Post, Telcgraphie und des Telephons hätten daher das Recht zu der Anficht, daß sie in den Ausstand treten können. Vor dem Eintritt in den Ausstand hätten die Beamten alle friedlichen Mittel versucht, um ihre Forderungen durch- zusetzen. Die Kammer dürfe dem Proletariat die Frei- heitennichtver weigern, welche es fordere. Barthous Verleumdungen Kitt Genoffe Willm entgegen. Er legt ein Schriftstück vor, in dem die Linienarbeiter auf ihr Wort erklärten, sie hätten keine Drähte durchschnitten. Nachdem die Diskussion bis gegen 2 Uhr nachts fortgesetzt worden war, nahm die Kammer mit 368 gegen 211 Stimmen eine Tagesordnung R e i n a ch an, welche besagt, die Kammer beschließt. einen Streik von Beamten nicht zuzulassen; sie drückt der R e g i e r u n g das Vertrauen aus, daß sie Ordnung und Ruhe im Post-, Telegraphen- und Telephondieust wiederher- stellen wird und billigt ihre Erklärungen. Das ist das parlamentarische Ergebnis. Aber das Ergebnis im L a n d e? Der Streik hat sich aus- gedehnt. Die Pariser Beamten haben seine Fortsetzung be- schloffen, die großen Provinzstädte schließen sich an.— Die Telegraphen Verbindungen nach dem Norden, dem O sten und demSü den sind unterbr ochen. Nur mit London . Wien und Berlin ist eine Verbindung aufrechterhalten aus Rücksicht auf die internationale Lage. Die Streikenden hatten schon gestern der Regierung acht Beamte zur Verfügung gestellt, um den diplomatischen Depeschenwechsek zu sichern. Man hat dieses Angebot hochmütig unbeachtet gelassen. Jedenfalls ist eS von den Ausständigen sehr geschickt, daß sie dem Vorwurf, während einer internationalen Spannung die Regierung Frankreichs isoliert und so die nationalen Interessen verletzt zu haben, derart vorgebeugt haben. Simhan wird morgen ziemlich sicher seinen Abschied nehmen. Aber die sofortige Rückkehr zur Arbeit setzt voraus, daß die Regierung von Skafmaßregeln absieht. Wird sie darauf verzichten, die beleidigte„Autorität" zu rächen? Nur so kann sie dann die Fortdauer der alles auswühlenden Krise ersparen. Generalstreik? Paris , 20. März. Das Komitee zur Verteidigung der S y n d i k a t s r c ch t e hat beschlossen, zur Unterstützung deS Aus- standeS der Post- und Telegraphenbeainten die Möglichkeit eines Generalstreiks der Angestellten im Staatsdienst und im öffentlichen Dienst wie auch in Handel und Industrie ins Auge zu fassen, falls nicht der Streik schnell zugunsten der Ausständigen beigelegt wird. Politilcde(leberllcbt. Berlin , den M. März IM). Eincms Deroute und Rückzugskanonade. Aus dem Reichstage.(20. März.) Ein Tag der Miß- erfolge war das für den General der Kavallerie v. Einem, dem die Leitung des preußischen Kriegsministeriums anvertraut ist. Seine Schutztruppe im Reichstag hat zwar alle möglichen Kriegslisten aufgeboten, um ihn zu retten und zu decken, aber es half alles nichts. Zunächst lief schon eine Plänkelei mit den Freisinnigen übel für den Minister aus. Herr G o t he i n stellte aus Einems eigenen Worten fest, daß er gegenüber dem Militärkabinett und den Regi- mentskommandcuren völlig einflußlos sei bei der Besetzung wich- tiger Stellen und bei der Aufnahme der Offiziersaspiranten. Des- halb blieben seine Wünsche betreffs gleicher Behandlung von. Adel und Bürgertuin im Heer eben nur fromme Wünsche. Herr Müll er- Meiningen ergänzte das durch den zahlenmäßigen Nachweis, daß bei der Besetzung der Stellen im Großen G e ii e r a I st a b der Adel ganz unverhältnismäßig begünstigt wird. Herr V. Einem wußte sich nicht anders zu helfen, als daß er verlangte, man müsse ihm glauben, daß der Aoel auch im Generalstab nicht bevorzugt werde. Da der Glaube wohl Berge, aber nicht Zahlen versetzen kann, versagte das Eincmsche Rezept auch in diesem Falle. Tarauf kam der Zentrumsmann Beizer mit einer kurzen Befürwortung der Beschwerde der hohenzollernsazen Lande an die Reihe, und dann stand Genosse Frank- Mannheim auf der Red- nerliste. Er sollte auf die gestrige Provokation des Kriegsministcrs antworten. Die patriotische Einem-Schutztruppe leistete dem Kriegs- minister den üblen Dienst, einen Schlußantrag einzubringen, um ihn zu retten. Genosse Singer ergriff sofort zur Geschäftsord- nung das Wort, um unter Hinweis auf die Illoyalität der Versuche. unserem Redner das Wort abzuschneiden, die Beschlußfähig- keit des Hauses anzuzweifeln. Vor der Auszählung verließen die Sozialdemokraten den Saal. Das Mittel hatte den erwünschten Erfolg. Trotzdem in ganz unzulässiger Weise das nur für namentliche Abstimmungen bestimmte Nebelhorn eine Viertel- stunde lang das Haus durchheulte, kamen nur 172 Abgeordnete zur Stelle. Das Haus war beschlußunfähig. Nunmehr setzte der Vizepräsident Paasche für eine Viertelstunde später eine neue Sitzung an und verkündete gleichzeitig, daß ein Antrag auf namentliche Abstimmung über den Schlutzantrag gestellt sei. Dies Manöver hatte den Zweck, die Sozialdemokraten zum Da- bleiben bei der Abstimmung zu nötigen, wenn sie nicht ihre Diäten einbüßen wollten. Das hätte natürlich unsere Fraktion nicht be- wogen, sich anders zu verhalten. Mittlerweile hatte sich aber durch Umfrage bei den Fraktionen herausgestellt, daß die Einem-Schutz- truppe voraussichtlich für ihren Antrag gar nicht einmal die Mehr- heit bekommen würde. Sie zog deshalb in letzter Minute ihren Schlußantrag zurück, und so konnte dann Genosse Frank nach dieser wirksamen Einführung durch die ungeschickten Einem-Freunde vom Leder ziehen. Der Minister mutzte vor die Klinge, ob er wollte oder nicht. Frank besorgte die Abrechnung gründlich und wirksam. Seine Nachweise der Zitatenkünsteleien des Kriegsministers wirkten auf die hartgesottensten Patriotenseelen wie eine kalte Douche. Als Frank dann aber die Schlußfolgerungen zur Wertung der ministen- eilen Ethik zog. machten die Patrioten ihrer Beklemmung durch das übliche Wutgeheul Luft, wobei Herr v. Liebert den Anführer abgab. Die Dramatik der Szene steigerte sich noch als Frank einen geschichtlichen Ueberblick über den Wert politischer Eide gab und dabei auch Hohcnzollcrnkönige und preußische Minister exempli- fizierte. Das Mißgeschick hatte Herrn Johannes Kaempf auf den Präsidentenstuhl geführt. Wie gewöhnlich erteilte er Ord- nungSrufe an der unrichtigen Stelle und zur unrichtigen Zeit. Nummer drei verzapfte er noch, als Frank schon von der Tribüne abgetreten war. Herrn v. Einems Verteidigungsrede war zunächst ein Ver- legenheitsgestammel, das die Rechte durch heftige Bravos zu decken suchte, Tann bemühte er sich, seine Deroute durch das bekannte Manöver der Rückzugskanonade zu decken, erhob neue bcweislose Beschuldigungen und warf mit Ausdrücken wie„infam" um sich. Als ein Sozialdemokrat Beweise von dem Minister verlangte, fuhr Graf Stolberg mit einem Ordnungsruf dazwischen, während die Rechte fortgesetzt gegen die Sozialdemokratie tobte. Alles in allem war der Tag ein kläglicher Mißerfolg für den Militarismus und seine Handlanger. »• Kautsky und der„Militärjesuit". Zu der skandalösen Zitatcnfälschung, die Herr v. Einem dem deutschen Reichstag am Freitag bieten zu dürfen glaubte, hat Ge- nosse Kautsky uns eine der Wahrheit zu ihrem Rechte verhelfende Tarstellung überfandt. Da Genosse Dr. Frank— was Kautsky noch nicht wissen konnte, als er seine Erklärung absandte— den Minister des Krieges am Sonnabend elegant abgestochen hat, so erübrigt sich die Wiedergabe der genannten Zuschrift. - Minister v. Breitenbach als Sozialpolitiker. Die Staatsbetriebe, die einem Ausspruch des deutschen Kaisers zufolge Musterbetriebe sein sollen, find in der Tat Muster von Be- trieben, wie sie nicht sein sollen. DaS gilt ganz besonders von den Eisenbahnbetrieben, die seit Jahrzehnten von Männern ver- waltet werden, die, bar jedes sozialen Empfindens, von den Ar- beitem verlangen, daß sie ihnen mit ihrer Arbeitskraft zugleich auch ihre politischen Rechte und ihre Gesinnung verkaufen, daß sie aus freien Arbeitern zu Staatssklaven degradiert werden. Die Löhne sind weit geringer als die in der Privatindustrie, die Arbeitszeit ist eine weit längere, die Ausbeutung der Arbeitskraft eine weit intensivere. Hierzu kommt ein unerhörter TerrorismnS, den die Verwaltung gegen die StaatSarbeiter ausübt, und vor allem dieHeuchelei.mitder sie sieüber ihre wahre Lage hinwegzutäuschen sucht. Mit WohlfahrtSeinrichwngen aller Art, die in Wirklichkeit längst zur Wohlfahrts plage geworden sind, und bei denen der Staat noch ein gutes(Geschäft macht, sucht man die Arbeiter zu fesseln, sucht man sich gefügige Werkzeuge zu schaffen, die der Verwaltung zu Diensten sind. Diese staatliche Wohlfahrtspflege als das hingestellt zu haben. was sie ist, der Verwaltung die Maske vom Gesicht gerissen und an der Hand amtlichen Materials die wirklichen Zustände geschildert zu haben, ist das Verdienst unseres Genossen Leine rt, der am Sonnabend bei der Beratung des Etats der Eisenbahnverwaltung im Dreiklaffenparlament als Fraktionsredner in einer tief emp- fundenen Rede, mit der er trotz der vorgerückten Stunde das Haus fesselte, die Interessen der Staatsarbeiter vertrat. Treffend bezeichnete er die Wohlfahrtspflege als Reklame, hinter der nichts steckt; zahlenmäßig wies er nach, daß von einer besonderen Wohlfahrt für die Arbeiter keine Rede sein kann, daß eS sich im Grunde genommen nur um die Erfüllung ge- fetzlicher Pflichten handele, und daß man da, wo eine gesetzliche Ver- pflichtung nicht besteht, auch von der Wohlfahrtspflege nichts merkt. Die geringen Löhne, das Ueberstundenwesen, die ungewöhnlich lange Arbeitszeit, der Mangel an Ruhetagen und Sommerurlaub wurde von dem sozialdemokratischen Redner nicht minder scharf und ab-< fällig kritisiert, wie das Verbot des MimsterS,„sozialdemokratischen" Konsumvereinen beizutreten, seine Versuche, die Freizügigkeit der Arbeiter einzuschränken, ihnen das KoalitionS- und Wahlrecht zu nehmen, die Arbeiterausschüsse zu Marionetten in der Hand der Verwaltung zu gestalten. All das konnte L e i n e r t durch zahlreiche Beispiele belegen, die zwar der Mehrheit und der Regierung höchst unangenehm sind, die aber dadurch an Beweiskraft nichts ein- büßen. Um Zeit zur Vorbereitung auf die Widerlegung der von dem sozialdemokratischen Redner erhobenen Anklagen zu gewinnen, ver- ständigte sich Herr von Breitenbach in seiner Hilflosigkeit mit dem Oberscharfmacher Frhrn. v. Z e d l i tz. der denn auch eine seiner auf Vorrat gearbeiteten Reden gegen die Sozialdemokratie vom Stapel ließ. Es war Dutzendware, wie sie sich für das Dreiklaffen- Parlament am besten eignet, törichtes Gerede über sozialdemolrati- s-hen Terrorismus, über künstlich von der Sozialdemokratte gezüchtete Unzufriedenheit u. dgl. Phrasen, an die Herr v. Zedlitz selbst kaum glaubt, die aber ans das Parlament der Schlot- und Krautjunker Eindruck machen. Ihm schloß sich in allen Punkten der Minister von Breiten- Vach an, der dadurch aufs neue den Beweis erbrachte, daß er von der modernen Arbeiterbewegung keine Ahnung hat und einzig und allein durch ungesetzliche Maßnahmen gegen die Eisen- bahner den Betrieb aufrecht erhalten zu können wähut. Sachlich wußte der Minister so gut wie nichts vorzubringen; er kennzeichnete sich selbst am besten durch seinen Ausspruch, daß er sich auf „Indizienbeweise" stützt! Wie schwach muß es um die Position eines Ministers bestellt sein, der zu so armseligen Argumenten seine Zuflucht nehmen muß! Allerdings, wozu braucht sich auch ein preußischer Minister Mühe zu geben, auf sachliche Ausführungen der Minderheit sachlich zu antworten? Die Mehrheit hat er ja doch immer auf seiner Seite, die Mehrheit, die förmlich nach scharfmacherischen Maßnahmen lechzt und die den Staatsarbeitern das vorenthalten will, was sich die Arbeiter in der Privatindustrie längst errungen haben. Aber mögen die Scharfmacher nach außen hin auch noch so große Gleichgültig- keit den sozialdemokratischen Anklagen gegenüber zur Schau tragen, im Innern ihres Herzens ist es ihnen doch unheimlich zu Mute, denn sie wissen nur allzu gut, daß die StaatSarbeiter nicht ür ihnen, sondern einzig und allein m der Sozialdemokratie ihre Vertretung erblicken. Wie üblich wurde durch einen Schlußantrag unseren Genossen die Erwiderung unmöglich gemacht. «»' Heber die vom Abgeordnetenhause beanstandeten Wahlen unserer Genossen Borgmann, Hei mann, Hirscki und Hoffmann liegt jetzt die gutachtliche Aeufeerung deZ Berliner Magistrats vor. Der Magistrat gibt zu, daß in allen Berliner Wahlkreisen, auch in d e n Kreisen, in denen Freisinnige gewählt sind, die Wählerlisten in der Weise aufl gestellt sind, daß für die Zensiten unter 3000 M. das Steuerjahr 1908, für die Zensiten über 3009 M. das Steuerjahr 1907 zugrunde gelegt ist. Der Magistrat erklärt weiter, d a sz er gar nicht anders habe handeln können. Tie Antwort des Magistrats wird nunmehr an die Wahl- Prüfungskommission des Abgeordnetenhauses gehen. Das Plenum wird sich erst nach den Osterferien damit befassen und dann endgültig über die Wahl beschließen. Das Tabaksteuerkompromiß. Leichter wie über das Besitzsteuerkompromiß haben sich, wie wir bereits gestern berichteten, die blockparteilichen Sftii gliedcr der Finanzkommission über die höhere Belastung des Tabaks geeinigt, wird doch durch eine Erhöhung der Tabak- bcsteuerung der Geldbeutel der Wohlhabenden lange nicht in gleichem Maße in Anspruch genommen, wie durch eine Besih- oder Nachlaßsteuer, denn die Kosten einer stärkeren Belastung des Tabaks hat in der Hauptsache die breite Masse der Tabakkonsumenten, vor allem aber die Tabakarbeiterschast zu tragen. Die„Franks. Ztg." ist in der Lage, nähere Mitteilungen über dieses Tabaksteuerkompromitz machen zu können. Sie läßt sich aus Berlin telegraphieren: „Die Silbkommission für die Tabaksteiicr hat sich auf einen nationalliberalen Antrag geeinigt, wonach neben der Erhöhung der Gewichtssteuer für inländischen Tabak auf 75 M. für den Doppelzentner eine Zollerhöhung für Zigarren und Zigaretten stattfinden soll. Der Zoll für Zigarren soll auf 700, für Zigaretten ans 1000 M. für den Doppelzentner erhöht werden. Äußerdein soll für ausländische Tabakblätter(bearbeitete und unbearbeitete) beim Uebergang an einen Verarbeiter ein Zollzuschlag vom Wert erhoben werden. Bis zum Uebergang sollen die Tabakblätter unter der Zollaufsicht des Reiches bleiben. Als Wert soll im allgcnieinen der Preis gelten, der zwischen dem Verkäufer und und dem Verarbeiter vereinbart wird. Zur Ausführung des Ge- setze» soll in Bremen eine zollamtliche Prüfungsstelle errichtet werden, die mit weitgehenden Machtbefugnissen ausgestattet werden soll. Auf Grund dieser Bescblüsse arbeitet das Reichsschatzamt nunmehr eine neue Vorlage ans." Die geplante Mehrbelastung des Tabaks Ivird erst dann in ihrem ganzen Umfange erkannt, wenn man die vor geschlagenen neuen Zollsätzen mit den alten vergleicht. Bis her betrug der Zoll für: Tabakblätter 180 M. pro Doppelzentner, künftig ca. 320— 360 M. Zigarren. 270 M. pro Doppelzentner, künftig 700 M. Das Glektrizitäts- und Gassteuergesetz abgelehnt! DaS war Grabesluft, die am Sonnabend im Beratungszimmer der Steuerkommission wehte. TagS zuvor hatte man die Inseraten- steuer verscharrt, heute galt es. das ElektrizitätS- und Gassteuergesetz zur Ruhe zu bringen. Herr P i ch l e r vom Zentrum hielt ihm die Grabrede. Man soll von den Toten nur GuteS reden— gebietet ein altes, pietätvolles Wort. Herr Pichler fand dieses Wort»ich:, und wenn er seine Rede noch länger ausgedehnt hätte, würde er auch dann kaum etwas Gutes an dem Toten entdeckt haben. Als Freunde der Steuer bekannten sich nur die Abgeordneten Schultz von der Reichspartei und v. Richthofen- Damsdorf von den Konservativen. Die Redner der anderen Parteien, die sich der Steuer gegenüber ablehnend verhielten, konnten sich nach dem 1>/zstündigen Referat des Abg. Pichler auf kurze Erklärungen be- schränken, die namens der sozialdemokratischen Vertreter Genosse Emmel abgab. Der Schatzsekretär machte keine besonderen Ver- suche, sein sterbendes Kind zu retten. Resigniert bemerkte er nur auf eine Auslassung des nationalliberalen Abg. Fuhrmann, daß der technische Berater der Regierung bei dem Entwurf mindestens fo sachverständig sei wie seine Kritiker. Der„Sachverständige" hielt es aber für geraten, unmittelbar vor der Abstimmung sein Werk in längeren Ausführungen zu verteidigen.„Zurück. du rettest den Freund nicht mehr"— raunte ihm ein anderer Vertreter der Regierung zu—, und in der Tat lag einige Minuten später die Vor- läge entseelt am Boden. Mit allen gegen vier Stimmen wurden sowohl der§ 1 der Vorlage abgelehnt, der die elektrische Arbeit und
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