Pfarrer md Jesu» Lier die Sozialdemokratie.In Schwäbisch Gmünd in Württemberg hatte auf Veranlassungdeö sozialdemokratischen Verein? ein Redakteur unsere? StuttgarterParteiorgans in überfüllter Volksversammlung über da? Thema:„Kirche und Sozialdemokratie� referiert. In der Dis-luffion trat der evangelische Stadtpfarrer Lamparter demRedner entgegen, allerdings mit wenig Erfolg. In einer vomevangelischen Arbeiterverein veranstalteten Volksversammlung sprachsodann Pfarrer Lamparter über das gleiche Thema. Einige seinerAusführungen sind so interessant, dag sie verdienen, fest-gehalten zu werden. Der Redner bestritt entschieden, dah dieKirche eine Feindin der Sozialdemokratie sei, die materialistischeWeltanschauung jedoch bekämpfe die Kirche.„Aber ich gebe zu: auchin der Bekämpfung der Sozialdemokratie von feiten der Kirche, so-«et- eS sich dabei nicht um eine Abwehr der materialistischen Welt-anschauung und eine Verteidigung der religiösen Güter gehandelthat, ist manchmal gefehlt worden...Man wird nicht sagenkönnen, daß, wenn das sozialdemokratische Pro-gramm sich verwirklichen würde, die Pflege reli-giösen Lebens und die Befriedigung der reli»giösen Bedürfnisse nicht mehr möglich wäre.Und deshalb muß die Kirche von aller Bekämpfung derSozialdemokratie als wirtschaftlicher und politischer Partei sichfernhalten. Die sozialdemokratische Parte! war die erste— das mußman ihr zugestehen, das ist ein Zeuguis der Geschichte und der Wahr-heit— die zielbewußt und tatkräftig für dir Interessen der Wirtschaft-lich Schwachen eingetreten ist."So der evangelische Pfarrer.Fast noch weiter ging der Jesuitenpater Seiler, der amIS. März in der Marienkirche in Stuttgart über„Christentumund Sozialdemokratie' sprach. Der Jesuit stellte zunächstdie Frage:„Welche Umstände haben denSozialis-mus geboren?' Diese Frage beantwortete er dem Zentrums-organ„Deutsches Volksblatt' Nr. 62 vom 17. März IVOS zufolge also:„War eS der Haß gegen das Christentum? Ganz gewiß:Nein! Zunächst war es der Haß gegen den Kapitalismus.Sein Entstehen trägt folgende Merkmale: An Stelle des Klein-betriebeS war durch die wirtschaftliche EntWickelung der Groß-betrieb entstanden. Än Stelle der Produktion für denSelb st gebrauch trat die Produktion für den Welthandel,das heißt die Warenproduktinn. Die Produktions-mittel sind in den Händen weniger Einzelner, die Massed-r Arbeiter sind besitzlose Proletarier. In der b e st e h e n d e nWirtschaftsordnung ,st eine Aenderung dieser Lohnsklavereiunmöglich, die Rettung liegt nur in der völligen Abschaffungdes Vrivateigentums an Produktionsmitteln. Der Staat der Zu-kuntt'st eine große Wirtschaftsgemeinschaft, in welcher alle inoleichem Maße Anteil an den Produktionsmitteln, alle gleichesReckt aui Arbeit haben.'Scklteplich bezeichnete der Redner den internationalen Sozia-ßBinus ais Schattenbild der internationalen Größe!de« c: h r.t st e n t u m s.' Also nicht mehr Schattenbild der HölleMeljritüm man zunächst nicht verlangen.Aus dem russischen Parteileie».Vor kurzem fand in Rußland ein Kongreß der sozialdemokratischenPartei Litauens statt, auf welchem die Organisationen in Wilna,Grodno, Wileiki, Suwalk und Kowno vertreten waren. Die Berichteder Delegierten ergaben daS bekannte Bild des Zerfalls der Organ!-.fatton während des verflossenen Jahres. Aber zugleich machte sicyin der letzten Zeit eine Wendung zum besseren bemerkbar. In denKreisen der Arbeiter und Bauern zeigt sich ein verstärktes Interessefür politische Fragen; eS wächst die Nachfrage nach Parteiliteraturund Agitatoren. Aus den Resolutionen des Kongresses isthervorzuheben, daß„die Hauptaufgabe der Partei darin be-stehen müsse, den Defensivkampf gegen die geschlossenen Kräfte derRealtton und des Kapitals zu organisieren und die revolutionäreEnergie für den weiteren Kampf des Proletariats anzusammeln.'In der Resolution über die Parteiarbeit in den Städten empfiehltder Kongreß„allen Parteimitgliedern, an allen parteilosen Arbeiter-organisattonen. kulturellen wie gewerkschaftlichen, teilzunehmen, umdiese Organisationen im Sinne der Sozialdemokratie zu beeinflussen,und desgleichen Gruppen aus Parteimitgliedern innerhalb derselbenzu bilden.' Zugleich wird empfohlen, aus den Fabriken und Hand-werksbetrieben sozialdemokratische Gruppen zu bilden.Zur Frage der Vereinigung mit der Sozialdemo-kratischen Arbeiterpartei Rußlands nahm der Kongreßeinen detaillierten Entwurf an.Bor kurzem fand auch eine Konferenz der fozialdemokrattschenOrganisation Kleinrußlands„Spilka'(die zum Bestände der sozial-demokrattschen Arbeiterpartei Rußlands gehört) statt, auf welcherdie Organisationen in Hömel, Schostak, Woronez, Krolewez, Ber-ditschew. Schitomir, Nowgorod-Wolynsk und die ausländische Gruppeder.Spilka' vertreten waren. Die angenommenen Resolutionen(über die Tätigkeit der Dumafraktion, über die Parteiagitation usw.)tragen einen menschewistischen Charakter. Die Konferenz lehnte esab. das seit einiger Zeit erscheinende Blatt„Prawda' als das Organder.Spilka' zu betrachten._Sozialdemokratische Dumaabgeordnete im Gefängnis.Der frühere Abgeordnete der zweiten Duma, Genosse Lomta-tidse, der im Hochverratsprozeß der sozialdemokratischen Fraktionzur Zwangsarbeit verurteilt wurde, im Gefängnis schwer erkrankteund vor ewiger Zeit nach dem Sebastopoler Gefängnis transportiertwurde, wandte sich an die sozialdemokratische Fraktion mit der Bitte.wegen seiner Ueberführung nach dem Krankenhause nach-zusucken. Er teilte mit, daß außer den allgemeine» entsetzlichen Be-dingungen deS Gefängnislebens, die im Gefängnis statt-findenden Hinrichtungen einen besonders niederdrückenden Ein-fluß auf ihn machten. In dem ärztlichen Zeugnis, das er der Fraktionzustellte, heißt es, daß seine beiden Lungen und derKehlkopf von der Schwindsucht betroffen seienund daß der weitere Aufenthalt im Gefängnis sein Leben bedrohe.Dieser Tage erhielt die Fraktion ein Telegramm aus Sebastopol, inwelchem das Befinden Lomtatidses als s e h r e r n st bezeichnet midseine Ueberführung nach dem Krankenhause verlangt wird.Zu gleicher Zeit erhielt die Fraktton einen Brief des Mitgliedesder dritten Duma, Genossen K o i s o r o t o f f, der gegenwärtig eineelfmonarige Gefängnisstrafe verbüßt. Sein Gesundheitszustand istsehr schlecht, die Behandlung entsetzlich. So mutz er z. B. mitKriminalgefangenen in einer Zelle sitzen, wird äußerst schlecht ber-pflegt und bekommt keinerlei Bücher oder Zeitungen, ja selbst nichtdie stenographischen Dumaberichte ausgehändigt. Klagen beimStaatsanwalt führten zu keinem Erfolg.—„Das Echo des Bundes",so betitelt sich das vor kurzem erschienene ausländische Organ desjüdischen Arbeiterbundes. Der Zweck dieser, in russischer Spracheredigierten Zeitschrift ist derselbe» wie ihn der vorrevolutionäre„Bote des Bundes', der direkte Vorgänger des„Echo" verfolgthatte, nämlich:„Die Herstellung eines engen Kontaktes zwischender revolutionären Bewegung des jüdischen Proletariats und jenerauf dem Standpunkte der Sozialdemokratie stehenden Intelligenz,die eine Annäherung an dieses zum bewutztseinserfüllten Lebenaufgewachten Proletariat suchen wird.'— Aus dem reichen Inhaltdes Heftes sind hervorzuheben: der Artikel„Früher und jetzt", derdie gegenwärtigen veränderten Bedingungen der sozialdemokratischenArbeit in Rußland bespricht, ferner„Die A z e w a f f ä r e",worin das Fiasko der terroristischen Taktik dargelegt wird, zweiArttkel über die Organisationsfrage, genauer: über legale undgeheime Tätigkeit, wobei die Anhänger einer seden von ihnenzu Worte kommen, u. a. mehr. Außerdem enthält die Nummereine gedrängte Wixdergabe der wichtigsten Ausführungen aus demjüdischen Zentralorgan des Bundes(„SttMme des Bundes").Tom Mann in Australien.Tom Mann, der bekannte englische Sozialist und Organisator,der vor etwa 8 Jahren nach Australien auswanderte, hat dort eineungeheure Popularität erworben. Als Agitator ist er unermüd-lich, alle Teile der Kolonie bereist er und hält Versammlungen ab,die sich immer starken Besuches erfteuen. Auch als Organisatorhat er sein Geschick bewiesen, denn gerade er hat viel zur Bildungder sozialistischen Partei Australiens beigetragen. Durch sein inMelbourne erscheinendes Blatt„TKe Socialist" wirkt er unablässig für die Verbreitung des sozialisttschen Gedankens unter deraustralischen Arbeiterschaft. Von der bürgerlichen Klasse wird ergefürchtet und gehatzt. So wurde ihm kürzlich von den Behördenvon Neu-Südwales untersagt, in Versammlungen zu reden. InBröken Hill dauert nämlich seit Wochen ein Streik der Bergleute,die Tom Mann in ihrem Kampfe wirksam unterstützt hatte. Daherdas Verbot! Die Arbeiterschaft aber wußte sich zu helfen. Siewollte den beliebten Redner vor seiner Abreise nochmals hören,und so wurde eine Versammlung auf der Grenze zwischen Neu-Südwales und Süd-Australien einberufen; Tom Mann sprach vonjenseits der Grenze. Von Bröken Hill aus hatte ein vonder Arbeiterpartei gestellter Extrazug gegen 4006 Menschen herbeigeführt. Die bürgerliche Presse muh selbst zugestehen, daß etwasAehnlicheS wohl in ganz Australien noch nie dagewesen ist._ MitStaunen und Unbehagen sieht man die wachsende Popularität dessozialistischen Agitators, dessen Lehren auf immer größeres Ver-standnis bei der Bevölkerung stoßen. Selbstverständlich ist TomMann längst nicht mehr allein, der Sozialismus hat in Australienaußer ihm eine ganze Anzahl der tüchtigsten Verfechter gesunden.poiirellicdes, Ocricbtlicheo ulw.ES gibt keine Klassenjustiz.Als an einem Sonntag im Januar d. I. die ländlichen Ort-schaften des Wahlkreises Mühlhausen-Langensalza-Weißensee miteinem Flugblatt über das persönliche Regiment belegt wurden, verbreiteten zwei Genossen diese Flugblätter auch in Tennstedt.Ein Landwirt, der mit seinem Gefährt auf der Straße hielt, warauf die von HauS zu HauS gehenden Fluglattverteiler aufmerksamgeworden und bat sie neugierig um ein Exemplar der Blätter. Siekamen der Bitte in gefälliger Weise nach, doch das Auge des Gesetzeshatte sie schon bei der„strafwürdigen" Handlung bemerkt. Jederder beiden Genossen erhielt vom Schöffengericht Tennstedt eineGefängnisstrafe von acht Tagen zudiktiert I In derBegründung deS Urteils wird ausgeführt, daß beide Sünder ver«sucht hätten,„die Einwohner des Ortes in Aufregung zu versetzen'!Aus Geldstrafe wurde nicht erkannt, weil diese Ntcht von denAngeklagten bezahlt würdetWiderstand gegen die Strafgewalt durch Erinnerung an die1848er Revolution.Der Erste Strafsenat des Reichsgerichts verwarf amMontag die vom Genossen Thieme in Frankfurt a. M.eingelegte Revision gegen das Urteil der Strafkammer, dieihn wegen„Widerstandes gegen die Strafgewalt" zu 200 M.Strafe verurteilt hatte. Er hat das Verbrechen begangen,im Schaufenster der Buchhandlung unseres Frankfurter Partei-blattes Bachs„Geschichte der Wiener Revolutton' auszuhängen,auf dessen erster Seite ein alter Auftuf an die Soldaten nach-gebildet war. Das Gettcht nahm an, dem Angeklagten seies nicht bloß darum zu tun gewesen, Käufer anzu-locken, sondern er habe gleichzeitig antimilitaristtsche Agitattontteiben wollen.— Das Frankfurter Urteil hatte Kopfschüttelnund Hohngelächter in der ganzen zivilisierten Welt hervor-gerufen, denn seit Jahren wird das Werk unbeanstandet inganz Oesterreich verkaust. Daß das Reichsgericht, das ja vonJahr zu Jahr immer mehr in Formalismus verknöchert,dieses unglaubliche Urteil bestätigt hat, wird das Ansehen derdeutschen Justiz ganz gewiß nicht heben.—Die„loyale Handhabung" des Reichsvereinsgesetze».In Löbtau(Ostpreußen) hatte der Parteisekretär GenosseLinde zu einer Kassenrevision des Kreisvereins 12 Personen,darunter 2 NichtMitglieder, brieflich eingeladen. In dieser Zu-sammenkunft wurden auch politische Angelegenheiten erörtert. DiePolizei machte daraus eine„öffentliche Versammlung", und derAmtsanwalt wollte die Bestrafung des Genoffen Linde wegenUcbertrctung des Vereinsgesetzes herbeiführen. Das Schöffengerichterkannte indes auf Freisprechung, ohne allerdings dem Ge»Nossen Linde die Unkosten zu ersetzen.Das Gericht erklärte: es komme nicht darauf an, ob politischeAngelegenheiten erörtert worden seien oder nicht; die Versammlungkönne nur dann eine öffentliche sein, wenn sie von vorn-herein als öffentliche geplan tu nd zu dem Zweckeeinberufen worden sei, politische Angelegen»heiten zu erörtern; die Versammlung bekomme auch nochnicht den Charakter einer öffentlichen, wenn an ihr zufällig einigeNichtMitglieder tetlnehmen. Der Amtsanwalt wird gegen diesesUrteil Berufung einlegen.Inzwischen wird schon wieder eine neue Aktion geplant. Esfinden Vernehmungen der Teilnehmer einer Mitgliederver-s a m m l u n g statt, die in Labiau abgehalten Warden ist. Auchdurch die Abhaltung dieser Versammlung soll Genosse LindedaS Vereinsgesetz überireten haben. Der Bürgermeister hat beider Vernehmung der Mitglieder des sozialdemokratischen Vereinsgesagt, sie möchten lieber zur Kirche gehen und sich diePredigt des Pastors anhören, statt der Versammlung des Lindebeizuwohnen!— Man hat sich in Labiau sogar den Kops darüberzerbrochen, ob Genosse Linde wegen„versuchter lieber-tretung" des Reichsvereinsgesetzes zu bestrafen sei.Es hat nämlich eine Versammlung stattfinden sollen, aber sieist schließlich abgesagt worden, und deshalb sollte hier wenigstensder„Versuch" bestraft werden! So wird in Ostpreußen das Reichs-Vereinsgesetz gehandhabtl—Sericbts- Leitung.Ein umfangreicher Pferbcwursischwindelliegt einem Strafprozeß zugrunde, der gestern vor der 1. Straf»kammer des Landgerichts III begann und vermutlich etwa eineWoche in Anspruch nehmen dürste. Angeklagt wegen Betruges undwissentlichen Berkaufs verfälschter Nahrungsmittel sind folgendePersonen! 1. Der Schlächter Karl Behnke aus Weißensee, 2. dessenEhefrau Auguste B. geb. Holzapfel, 3. der Schlächter FranzKaulisch, 4. der Händler Anton Fettig aus Karlsruhe, b. der HändlerGustav Krüger aus Pankow, 6. dessen Ehefrau Berta K. und 7. derHändler Hermann Schroller. Gegen den nichterschienenen Ange-klagten Fettig wurde Haftbefehl erlassen. Zu der Verhandlungsind etwa 100 Zeugen geladen, die von dem Vorsitzenden auf dieeinzelnen Verhandlungstage in kleineren Gruppen verteilt wordensind.Der als Rohwurstfabrikant schon seit langem bekannte Ange-klagte Karl Behnte übernahm im Jahre 1901 von dem RoßschlächtcrWeimann die in Weißensee, Charlottenburger Straße 78, gelegeneRoßwurstfabrik. Hier verfertigte B.„Prima Salami- und Schlack«wurst, Blockwurst, Mettwurst und Polnische Wurst", die er dannals durchaus reelle aus Schweine- und Rindfleisch bestehende Wurstin den Handel brachte, die tatsächlich aber aus prima„Hottehüh"unter Zusatz von Schweinefleisch bestand. Wegen dieses betrüge-rischcn Verlaufs von Roßwurst wurde Behnke schon im Jahre 1902von der Strafkammer des Landgerichts I zu einer Gefängnisstrafevon 6 Monaten verurteilt. Auf seine Revision hob das Reichs-gericht aus einem formellen Grunde dieses Urteil auf, jedoch istein neues Urteil bisher noch nicht ergangen. Im November 1902,bald nach diesem Prozeß, änderte Behnke seine Firma. Inhaberinwurde seine Ehefrau, während sein früherer Geselle, der jetzigeMitangellagte Kaulisch, Geschäftsführer wurde. Behnke selbst wurdeReisender und eröffnete in seinem früheren Wohnorte St. Johann-Saarbrücken ein« Niederlage. Kaulisch wurde der technische Leiterder Wurstfabrik, während Frau Behnke mehr die kaufmännischeLeitung, insbesondere die Expedition der Roßwurst nach außerhalbübernahm. Nach außen hin blieb der Geschäftsbetrieb ein ganzunverfänglicher, denn die Geschäftsbriefbogen trugen den Harm-losen Aufdruck:„Karl Behnke, Wurstfabrik mit Kraftbetrieb, Neu-Weißensee bei Berlin, Charlottenburger Straße 78". Der Betriebnahm von Anfang an einen sehr großen Umfang an, Abnehmerwurden mehrere hundert Geschäftsleute, darunter hauptsächlichDelikatcßwarenhändler und Gastwirte in allen Gegenden desReiches. Wie aus den beschlagnahmten Geschäftsbüchern hervor-ging, wurden wöchentlich weit über 20 Zentner Pferdewurst versandt. Viele Firmen, darunter auch verschiedene Berliner, ließensich die Wurst unter einer Deckadresse senden. Die Angeklagtenweigerten sich bisher, nähere Auskunft hierüber zu geben. WährendBehnke hauptsächlich Elfaß-Lothringcn, insbesondere Metz, Straß-bürg, Montignh, Plantieres usw. mit Pferdewurst versorgte, hatteder Mitangeklagte Krüger, der von Behnke seine Wurst bezog,seine Absatzgebiete mehr in Frankfurt a. M., Dortmund. Pirmasensund in Bayern. Der Angeklagte Krüger, der früher bei Behnkeals Kutscher bedienstet war, hatte sich mit dem ehemaligen Schlächter-gesellen Schroller zusammengetan und später unter der hoch-tönenden Firma:„Gustav 5ttüger u. Co." einen Pferdewurstvertricberöffnet. Er bezog den größten Teil der von ihm in den Verkehrgebrachten Pferdewurst aus der Rotzwurstfabril von Malinowsky,sehr viel aber auch von Behnke. Krüger, der vielfach mit seinem„Ehrenwort" versicherte, daß seine Wurst durchaus reell ausSchweine- und Rindfleisch angefertigt sei, lieferte u. a. auch andie Kantine des Regiments Nr. III in Rastatt und an das Ulanen-regiment Nr. 12 in Saarburg. Welchen Umfang der Geschäfts-betrieb der Firma Krüger u. Co. schon angenommen hatte beweist,daß Schroller allein an eine Firma in der Zeit vom 2. April bisMitte September 1902 für 20 944 M. Pferdewurst als„ff. Schwarz-Wälder und Thüringer Wurst" geliefert hatte. Krüger bezog alleinvon dar Firma Malinowsky monatlich etwa 100 bis 120 ZentnerPferdefleisch— Schließlich ist auch der Angeklagte Fettig a« den,Rotzwurstvertrieb Engros beteiligt, der schon seit Jahren vonseinem Heimatort Steinmauern aus mit Behnke in GeschäftSvcr-bindung stand. Er verlegte fein Geschäft dann nach Karlsruhe,von wo er in etwa 4 Monaten für über 3000 M. Pferdewurst inVerkehr brachte. Er behauptet, selbst nicht gewußt zu haben, daßihm von Behnke Roßwurst geliefert worden war. Die AngeklagtenBehnke dagegen behaupten, daß dem Fettig die Zusammensetzungder Wurst sehr wohl bekannt gewesen sei. In dem Vorverfahrenhaben die Behnkeschen Eheleute und auch Kaulisch zugegeben, daßin der Weißenseer Fabrik nur Roßwurst hergestellt worden seiDagegen bestreiten sie, die Wurst durch unverfängliche Inserateempfohlen zu haben. Auch stellen sie in Abrede, daß sie die Wurstals reelle Wurst aus Rind- und Schweinefleisch angeboten undverkauft haben. Sie räumen jedoch ein, daß sie den Bestellernniemals mitgeteilt haben, daß es sich um Pferdewurst handele,wollen aber der Ansicht gewesen sein, daß diese schon aus dembilligen Preise eS erkannt haben mußten.— Das Urteil werdenwir mitteilen.Bor dem Schwurgericht in Güstrowhatte sich wieder eine mecklenburgische Ordnungsstütze zu vcrant-Worten und zwar der Senator Nagel aus Marlow. Wegen„Unterschlagung amtlicher Gelder, unrichtiger Buchführung undBetruges", begangen von 1005—1908, verurteilte ihn das Gerichtzu 1 Jahr 6 Monaten Gefängnis. Obwohl in der GeschäftsführungNagels wiederholt Ordnungswidrigkeiten vorkamen, ließ man ihmdie drei Kassen, die er für die Stadt verwalten sollte, in Händen.N. entschuldigte sich vor Gericht damit, daß er— an Ohrensausenleide. Sein gutgehendes Geschäft ließ N. vor seiner Verhaftungauf semen Sohn überschreiben.Von demselben Gericht wurde der 23 Jahre alte SchweizerJos. Jablonski aus Russisch-Polen zum Tode verurteilt, weil erim Streite den Gutsbesitzer Strohmcier, bei dem er arbeitete, er-schlagen hatte. �J. bestritt, daß er seinen Dienstherrn habe tötenwollen, er habe ihn nur geschlagen,„damit er keinen Menschen mehrärgern solle". Die Leiche wurde damals im Viehhaus unter Säckenund Stroh gefunden.