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Beilage zumVorwärts" Berlinn Volksblatt. Ur. 79. Mittwoch, den 3. April 1893. 19. Iahrg. UoKsles: Für SvSZ geisteskranke Personen hatte die Stadt Berlin wahrend des vorigen Etatsjahrcs im täglichen Durchschnitt zu sorgen. Davon befanden sich durchschnittlich täglich 1344 ln Dalldorf , 1545 in Privatanstalten, 174 in Privatpflege. Diefindige" Post. In der Freitagsnummer theilten wir eine Bekanntmachung des kaiserlichen Postamts in Steglitz im Steglitzer Anzeiger" mit, die den Absender einer Postanweisung von K Pf. zu ermitteln sucht, da der Adressat unter der ange oebenen AdresseBerlin . Alexandrinenstr. 116. Hof", nicht aufzin finden sei. Die Annonce mag gewiß der Post ein Paar Mark kosten. Wäre die Post nicht sofindig", daß sie selbst die kuriosesten Adressen, die irgend ein dummer Junge der Post als Räthsel aufgiebt, zu ermitteln sucht, wäre sie vielleicht mit etwas , venigerFindigkeit" darauf gekommen, daß es in der Alexan- drinenstraße neben einer Nr. 116 auch noch eine Nr. 116» giebt, unter welcher sie den Adressaten hätte ausstnden können. Der Prozeß gegen de« früheren vanNer Hng» Löwy sollte bekanntlich in neuer Auflage gestern vor der IV. Straf- kammer zur Verhandlung gelangen. Der Termin ist aber schließ- lich vertagt worden, u. A., weil der Gutachter, Bankdirektor Weil, sich nicht in Berlin befindet. Infolge des eingeschränkten Postdetriebes am Charfreitage und an den Ostertagen haben einige der auswärts wohnenden Zeugen die Aushebung des Termins nicht mehr rechtzeitig erfahren und so ist es denn ge- kommen, daß der Hauplzeuge aus Steiermark und ein Zeuge aus München sich gestern an hiesiger Gerichtsstätte einfanden und erst hier erfuhren, daß sie die weite Reise diesmal vergeblich ge- macht hatten. Der lSjahrige NrbeitSbursche Pank Schmidt, welcher am 1. Februar d. I. den scheußlichen Mord an der Frau L e s ch o n s k i und deren Sohn im Hause Gcrichtsstr. 43 verübt hat, wird sich am nächsten Freitag wegen dieser That vor der 7. Strafkammer hiesigen Landgerichts I zu verantworten haben. Die Verhandlung, welche sich bei dem vorliegenden umfassenden Geständniß des zuaendlichen Mörders außerordentlich einfach ge- stalten wird, findet in dem gewöhnlichen Sitzungssaale der Strafkammer statt, dessen Zuhörerraum nur einer sehr be schränkten Anzahl von Personen Plag bietet. Den Vorsitz des Gerichtshofes führt Landgerichtsdirektor Voigt, als Ofstzial- vcrtheidiger steht dem Angeklagten«in Referendarius zur Seite, Beim Schwurgericht am hiesigen Landgericht l beginnt am 16. d. M. eine neue Sitzungsperiode unter Vorsitz des Land- gerichtsdirektors R i e ck. In derselben werden vorwiegend An- klagen wegen wissentlichen Meineides zur Verhandlung gelangen. Der StellenvermittelnngS-Schwindler Buchhalter Fritz Albrecht, schon sieben Mal wegen Unterschlagung und drei Mal wegen Betruges bestraft, ist festgenommen worden, nachdem cr, wie er eingeräumt hat. in vielen Fällen stellungslose Personen betrogen hat. Er schickte Postkarten an Hausdiener und Kassirer, die durch die Zeitungen Stellungen suchten, und bestellte die Stellensuchenden nach einer Wohnung, die er lediglich zur Aus- Übung seiner Schwindeleien bezogen hatte; hier gab er sich dann für den Angestellte» einer großen Firma aus. für die er beauftragt sei, Personal zu engagiren, und ließ sich Vermittelungsgebühren von zwei bis fünfzehn Mark auszahlen. Das Nähere sollten dann die Betreffenden durch Rohrpostlarte in ihrer Wohnung erfahren. Die Karten kamen aber nie an, und wenn die Slellensucher in der Wohnung des Vermittlers nachfragten, so war dieser jedes Mal verschwunden. Gestohlene Kirchenglocke». In der Nacht zum Öfter sonntag wurden die zur St. Pauluskirche der Dominikaner in der Thurmstraße gehörigen Kirchenglocken ge stöhlen, Die Glocken waren während des Umbaues der Kirche an einem niedrigen Glockenstuhl auf dem Kirchplatze befestigt. Zn erschießen versuchte sich am Sonnabend gegen 4 Uhr Nachmittags der Gelbgießermeister Hassenberg. Markgrafenstr. S1 wohnhaft. Vor einiger Zeit wurde ihm seine Gattin durch den Tod entrissen und H., der früher ein sehr ordentlicher Mann ivar. suchte nun Vergessenheit in der Flasche. Am Sonnabend brach das veliriura tremens bei ihm aus und H. jagte sich in diesem Zustande eine Revolverkugel in die linke Brust. Ter Zu- stand des Verletzten ist lebensgefährlich. Eine nicht vnbedentende Expkofioa fand vorgestern in dem Drogengeschäst von Diepow u. Gornick, Wilsnacker- fttaße 17(Ecke der Dreysestraße) statt. Infolge des ausbrechenden Brandes entstand unter den zahlreichen Bewohnern des großen Eckhauses eine arge Panik. Ehe es aber zu irgend welchen Theater. Für daS Recht der Individualität plaidirte am Sonntag Mittag Otto Erich H a r t l e b e n vor dem Publikum ron Berlin W. gegen die Sozialdemokratie. Im Lesfing- Theater gelangte seineHanna Jagert". eineKomödie" in 3 Akten, zur ersten Aufführung. Der erste Akt spielt in der Wohnung des Maurerpoliers Jagert, des Vaters der Heldin. Diese ist die Braut eines Schriftsetzers Thieme, der seine sozial- demokratische Agitation mit drei Jahren Gefängniß zu büßen hat. Durch ihn ist sie selbst zu leidenschaftlicher Verehrung der sozialdemokratischen Idee gelangt, und hat sie in vielen Ver- sammlungen vertreten. Während der Abwesenheit Thieme's lernt sie den Dr. med. Könitz, Besitzer einer chemischen Fabrik, kennen und kommt zu der Ansicht, daß es rcrgebens sei, an dem Fortschritt der Menschheit anders zu arbeiten, als indem man die eigene Individualität möglichst zur vollen Entwickelung bringe. Die Idee der Sozialdemokratie hat sie begeistert, als sie ihre Verwirklichung in nächster Nähe glaubte; wo(.as Ziel unmittelbar zu er'-eichen, da achtet man wenig der Hindernisse, die auf dem kurzen Wege liegen; diese hofft man rm Sturm zu nehmen. Wenn aber das Ziel gar zu weit liegt, dann achtet man mehr aus den Weg, und wenn man sieht, wie viel Schmutz auf demselben liegt, wie viele Gemeinheit zu überwinden ist, dann kommt man zum Zweifel, ob dieser Weg auch überhaupt zum Ziele führt, und in diesen Bedenken ist ihr denn auch die Begeisterung abhanden gekommen, zumal sie persönlich in der Lage ist. sich aus der elenden Proletarier- noth herauszuheben. So stellt sie selbst ihre Neubekehrung dar. Dem Thieme ist das letzte Jahr der Haft in Gnaden er- lassen, und sie wird so von seiner Wiederkehr überrascht. Ins Gefängniß hatte sie ihm die Nachricht von der Wandlung in ihren Ansichten und Gefühlen nicht zukommen lassen wollen, um so jäher wirkt auf ihn die plötzliche Enthüllung. Mit dem ersten Akt hätte auch das Stück beendet sein können. Nur in ihm stellt sich ein Konflikt dar, den wir auch nur auf ganz undramattsche Weise, durch Wiedererzählen, kennen lernen. Die weiteren beiden Akte zeigen uns die Heldin des Stückes, über die wir bereits im ersten Akte erfahren haben, daß sie in verhältnißmäßig behäbige» Berbältnigen lebt(ihr Bater hat als Maurervolier kein mähiaes Unfällen oder voreiligen Rettungsversuchen kommen konnte, war die Feuerwehr an Ort und Stelle eingetroffen, deren Mann- schasten nicht nur die erregten Hausbewohner beruhigten, sondern auch des Feuers sehr bald Herr wurden. Enthauptet durch eine Lokomotive wurde in der Nacht zum Sonntage auf dem Bahnhofe Westend der Maschinenputzer Karl Rauhut. Auf den Bahnhöfen befinden sich ausgemauerte Vertiefungen, von denen aus die Entleerung der Aschkasten der Lokomotiven bewerkstelligt wird. R. beseitigte, in der Grube stehend, die Asche aus einer Maschine, welche der Führer Laging bediente. Als er seine Arbeit beendigt hatte, gab er das vor- geschriebene KommandoFertig!" und Laging fuhr im langsamen Tempo von bannen. 16 Minuten später kam«ine andere Maschine über die Grube. Da R. auf das mehrfach gegebene Signal nicht erschien, mußte der Arbeiter Neumann die Grube betreten. Er fand den R. enthauptet am Boden liegen. R. muß mit dem Kopfe zwischen den Aschkasten und den oberen Rand des Mauerwerks gerathm sein. Polizeibericht. Am 1. d. M. brachte fich ei« Gelb- gießermeister in seiner Wohnung in der Markgrafenstraß« in an- getrunkenem Zustande mittels Revolvers einen Schuß in die Brust bei. Er wurde nach der Charitee gebracht. Nachmittags ging das vor einer Equipage eines Pferdehändlers gespannte Pferd in der Luisenstraße plötzlich durch, rannte in der Nähe der Marschallbrücke gegen einen entgegenkommenden Postwagen, so daß die Scheiben der Equipage zertrümmert und ein in derselben sitzender Soldat durch Glassplitter im Gesicht und an der Hand bedeutend verletzt wurde. Auf dem Werkstättenplatz von Gebrüder Zeidler, Mühlenstraße 16, waren Nachmittags Ar- beiter mit dem Anlegen eines 5 Meter hohen Bockes zur Auf- stellung einer Bockrüstung beschäftigt. Hierbei riß ein Tau, so daß der Bock umfiel, und der Zimmermann Müller gegen einen großen Sandsteiublock geschleudert wurde. Er erlitt hierdurch einen schweren Schädelbruch und wurde nach dem Krankenbause Bethanien gebracht, wo er bald darauf verstarb. Abende sprang eine eheverlassene Frau aus dem Fenster ihrer in der Petersburgerstraße 30 im zweiten Stock belegenen Wohnung in den Vorgarten hinab und erlitt außer einer Verletzung des Oberschenkels schwere innere Verletzungen, so daß sie nach dem Krankeuhause am Friedrichshain gebracht werden mußte. Auf dem Straußberger Platz wurde in der Nacht zum 2. d. M. der Maurer Gadaschewski von dem Klempner Preißler, mit dem er in Streit gerathen war, mittels eines Messers in den linken Oberarm gestochen und bedeutend verletzt. Es mußte ihm auf der Sauitätswache ein Verband angelegt werden. Am 2. d. Mts. Nachmittags brachte sich ein Arbeiter in seiner Schlaf- stelle, in der Lübeckerstraße, durch einen Stich in die Brust mittels eines Küchenmessers eine bedeutsame Verletzung bei. Abends sprang ein unbekannter, etwa 66 Jahre alter Mann vor dem taufe Louisen-User 34 in den Kanal und ertrank. Am 3. d. Mts. ormittags wurde im Landwehr-Kanal, unterhalb der Thiergarten- Schleuse, die Leiche eines unbekannten, etiva 45 Jahre alten Mannes angeschwemmt. Hinter dem Zelt 1 sprang AbendS ein unbekannter, etwa 46jähriger Mann in die Spree, wurde jedoch noch lebend aus dem Wasser gezogen und nach der Charitee ge­bracht. Slm 1., 2. und 3. d. Mts. fanden 16 kleine Brände statt. Gevilslks-FZeikung. Dreizehn Personen befanden sich gestern auf der An- klagebank der vierten Strafkammer, um sich wegen verschiedener schwerer Diebstähle bezw. Hehlerei und Begünstigung zu verantworten. Die bei den Diebstählen in erster Reihe rn Betracht kommenden ausübenden Künstler waren der noch jugendliche Schlosser Richard Hohendorf, der Hausdiener Oskar Scheibe und der Maler Martin B l ä s ch k e. zur An- klage stand u. A. ein Diebstahl, bei welchem es sich um ein Objekt von 36 666 M. handelte. Hohendorf stammt nach den Mittheilungen, die sein Verlheidiger Rechtsanwalt Dr. Schwindt über seine häuslichen Verhältnisse machte, aus einer angesehenen Handwerkerfamilie, er hat sich mit seinem Bater entzweit, ist von diesem verstoßen worden und nun in die böse Gesellschaft der genannten beiden anderen Angeklagten gerathen. in deren Gesellschaft er Gefallen am Verbrechen fand. Mit Hilfe der von ihm gefertigten Schlüssel hat er in der Nacht zum 9. Juli v. Js. mit seinem Kumpan Scheibe der Wohnung des Buchdruckerei-Besitzers Engel in der Wallstr. 16 einen Besuch abgestattet und aus dem kunstgerecht geöffneten Geldspinde Werth- papiere im Betrage von 36 666 Bt. gestohlen. Bei der Vcrwerthung eines Theiles dieser Beute sind mehrere der übrigen Angeklagten be- Einkommen, andere Kinder sind nicht da, Hanna verdient als Direktrice 46 Thaler monatlich, und ihre Modell« in der Konfektionsbranche berechtigen sie zu noch weit höheren Ansprüchen) als selbständige Inhaberin eines Konfektionsgeschäftes, zu dem ihr Dr. Könitz die Mittel gegeben. In der Zwischenzeit zwischen dem ersten und zweiten Akt ist sie vom 27. Lebensjahre uis 29. gekommen und hat es so weit gebracht, daß sie in der Lage ist, die letzte Schuldrate an Dr. Könitz abzuzahlen. Sie hat mit dessen Freund, Baron von Vernier, einer ganz unbedeutenden Puppe, mittlerweile ein Liebesverhältniß angeknüpft, und am Schlüsse des Stückes nimmt sie im Interesse des KindeS, das sie unier dem Herzen trägt, seinen Heirathsantrag an. Von Thieme erfahren wir nur, daß er nach dem enthüllten Verrath seiner Braut ihren Liebhaber, Dr. Könitz, aufgesucht und angeschossen habe, und dann nach Amerika geflüchtet sei. Von dort zurückgekehrt, erscheint er noch einmal am Schlnffe des Stückes aus der Bühne, und giebt Hanna Gelegenheit sichauszusprechen", was dramatisch recht uberflüssig erscheint und höchstens an Kotzedue'sch« oder Birch-Pfeiffer 'sche Rührscenen erinnert. Ter Konflikt der Individualität mit der Gesammtheit, mit den ihn umgebenden Berhältnissen und Gesetzen, ist die ewig fluthende Quelle des Dramas. Von Aeschqlos bis Ibsen ist dieser Kamps der Kern desselben. In allen diesen Kämpfen ringt das Individuum um sein Recht der Entwicklung gegenüber den ihn umgebenden zwingenden Verhältnissen und Zuständen. Diese werden als Tyrannei empfunden und erkannt, und das Individuum ringt danach, diese Tyrannei zu überwinden und seine eigenen höheren Anschauungen zur Geltung zu bringen. Bei Ibsen und dessen Nachlretern wird dieser Kampf nur in das Gegentheil verkehrt. Das Einzel- Individuum negirt die Gesammtheit� seine Ideen und Anschauungen will es dieser aufdrücken, nicht weil sie richtigere, wahrere, bessere oder mehr entwickelte seien, sondern weil sie das Einzel-Jndivi- duum hegt. Man hat Ibsen irrthümlich für revolutionär ge­halten, weil er in diesem Kampfe für die Individualität die herrschenden gesellschaftlichen Zustände unbarmherzig beleuchtete. Er ist es ebenso wenig wie Schopenhauer; wie dieser die Er- lösung des, Einzelnen nur in der Verneinung des Willens zum Leben sieht, der die einzige Schuld des Menschen sei<w>t hilflich gewesen. Bis auf 9100 M. hat der Bestohlene di« Werthpapiere wieder erhalten. Weiter handelte es sich um einen Diebstahl, welcher am 30. Mai bei dem Fabrikbesitzer Lust am Grünen Weg ausgeführt worden ist und um einen am 16. Juli beim Kaufmann Jacobi in der Kommandantenstr. 8 verübten Diebstahl, bei welchem die Beute an Seidenstoffen, Mänteln und Jaquets über 1566 M. betrug. Bei dem letzteren Diebstahl waren namentlich die angeklagten Frauen in Aktion getreten, indem sie die gestohlene Waare von Hand zu Hand wandern ließen. Zwei weitere Diebstahlssälle mußten einer späteren Verhandlung vorbehalten bleiben, da die Äestohlenen nicht zur Stelle waren. Der Gerichtshof verurtheilte auf Grund der Ergebnisse der Beweisaufnahme Hohendorf zu zwei Jahren Gefängniß, Scheibe zu 2 Jahren Zucht- haus, Bläschkezul Jahr6Monaten Gefängniß. Die übrigen Angeklagten erhielten Gefängnißstrafen, deren Höhe zwischen einer Woche und drei Monaten schwankte. Eine besonder»schwere" Hand muß der Schlosser Julius B e i e r st e i n besitzen, welcher sich gestern wegen Körper- Verletzung mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung vor der 2. Strafkammer deS Landgerichts I zu verantworten hatte. Der Angeklagte gerieth am 12. Dezember v. I: in der Melchior- straße mit dem etwas angetrunkenen Zimmermann Hildebrandt. welcher ihn beim Vorbeigehen angestoßen hatte, in Streit und empörte sich über dieseAnrempelung" dermaßen, daß er den H. auffordert«, ihm zur Polizeiwache zu folgen. Sildebrandt weigerte sich, dieser Aufforderung nachzukommen. r ließ ein Wort wieVerbrecher" fallen, mit denen er nicht zur Wache gehe und erhielt nun vom Angeklagten einen Schlag in's Gesicht, der ihn sofort zu Boden streckte. Er blieb besinnungslos an der Bordschwelle liegen, mußte nach Bethanien getragen werden und hat dort fünf Wochen zubringen müssen. Die Kraft des gegen ihn geführten Schlages war eine so starke. daß eine Gehirnerschütterung die Folge war und Hildebrandt vollständig die Erinnerung an den ganzen Vorfall verloren hat. Der Staatsanwalt beantragte 9 Monate Gefängniß, der Ge- richtshof hielt dieses Strafmaß aber nicht für ausreichend, sondern verurtheilte den Angeklagten zu einem Jahre Ge- f ä n g n i ß. Eine empörende Brutalität führte kürzlich den Büffetier, früheren Kaufmann Julius Hartwig aus Neu-Weißensee vor die zweite Strafkammer am Landgericht II. Am 16. Oktober vorigen Jahres trieb der 17 jährige Sohn eines Geflügelhändlers eine Heerde Gänse durch Neu-Weißensee, als der Angeklagte mit seiner großen maulkorblosen Dogge aus einer Kneipe heraus»- stürzte, mitten unter die Gänse sprang und mit den Worten: Wo ist denn hier der Gänse- Spitzbube!" eine Gans nach der anderen beim Halse ergriff, in der Luft umher- schleudert« und alsdann seinem Hunde vorwarf, der die Thiere ganz gehörig zerzauste. Der Schlächtermeister Hamann aus Friedrichsberg, der zufällig des Weges k-rm, rief ihm zu:Mann, sino Sie denn von Sinnen?" statt aller Antwort packte Hertwig den Hamann, einen älteren Mann, beim 'alfe, warf ihn zu Boden und hetzte seinen Hund aus ihn. Der und riß dem Hamann die Kleider vom Leibe und zerfli.'ischte ihm den Körper, während der Angeklagt« dem am Boden Liegenden noch einen Messerstich beibrachte. Der Schmiedvmeister P a l l e s ch k e, der von seiner Wohnung aus den empörenden Vorfall sah, konnte die Sache nicht länger mit ansehen, er lies auf die Straße und warf den Hartwig zu Boden, diesen dort festhaltend; indessen biß der Hund den neuen Gegner wiederholt in die Lenden und das Gesäß, bis der Schlächtermeister Rothe mit seinem Gesellen herbeieilte. Der Geselle faßte den wüthenden Hund mit sicherem Griff beim Halsband« und schleppte ihn fort in abgelegene Straßen hinein. Nunmehr wurde auch Hartwig losgelassen und lies nun schleunigst dem Hunde nach. Hamann und Palleschke mußten sofort zu einem Arzt gehen und sich verbinden lassen, ersterer hatte vier Bißwunden an den Schultern und mehrere am Unterleib, außer- dem einen Messerstich; Palleschke hatte mehrere Wunden im Gesicht, beiden, sowie dem Schlächtermeister Rothe war das ganze Zeug vom Leibe gerissen. Wie häufig in solchen Fällen, gelang es dem Angeklagten, eine Menge Entlastungszeugen zur Stelle zu bringen, welche ihn exkulpiren sollten, dieselben hatten aber l Heils gar nichts gesehen, theils warm sie erst am Schlüsse des Vor- falles hinzugekommen. So blieb dem Angeklagten keine andere Entschuldigung als sinnlose Trunkenheit, die aber von den Be- lastungszeugen entschieden in Abrede gestellt wurde. Der Staats» anwalt beantragte ein Jahr Gefängniß, der Gerichtshof erkannte jedoch nur auf sechs Monate. Trotzdem beantragt« der Staatsanwalt die sofortige Verhaftung, da ein Büffetier in der ganzen Welt sein Fortkommen finde. Der Gerichtshof hielt aber Fluchtverdacht nicht für vorliegend und lehnt« die Berhas- tung ab. Ibsen nur in der absoluten Loslösung der Individualität von der, wie immer gestalteten, Gesammtheit das einzige Heil des Einzel- menschen. Ob man dem Jdeengange Jbsen's beipflichten mag oder nicht, hier ist nicht der Platz über seine Richtigkeit, und noch weniger über seine Berechtigung zu diskutiren. Jedenfalls muß man an- erkennen, daß Ibsen seine Idee zu vertiefen und in dramatischem Konflikte zur Erscheinung zu bringen weiß. Bei Ibsen ist das Recht der Individualität doch noch etwas anderes als die bloße Zügellosigkeit des Genusses und die Abstreifung alles desfen, was diesen hemmt. Wie anders aber steht es bei Hartleben ? Er ver- meidet sorgfältig den Konflikt oder vielmehr, was noch viel schlimmer ist, er fingirt ihn dort, wo er gar nicht vorhandm ist. Das Recht der Individualität läßt ihn protestiren gegen dm Sozialisinus. Worin ihre Vergewaltigung durch diesen besteht, erfahren wir gar nicht, wenn es auch leicht zu errathm ist. Die großen Massen des Bolls, welche durch die herrschenden Klassen bis zur Vernichtung jeder Individualität herabgewürdigt sind, fangen an, zum Gesammt- bewußtsein ihrer Klassenlage zu gelangen und nach einem Ge- sellschastszustande zu streben, der auch ihnen die freiere und vollere Entwickelung ihrer Individualität ermögliche. In diesem Kampfe mögen vielleicht die schönen Augen oder die noch schöneren Gefühle einergebildeten" Direktrice weniger gewürdigt werden, als es von seilen des Freiherrn v. Vernier geschieht, und mögen auch die Arbeiter nicht die gebichrende Huldigung der genialen Individualität eines Hartleben und Kon- sorten entgegenbringen, aber wozu haben diese überhaupt nöthig, sich unter die sozialdemokratische Gesellschaft zu be« geben? Haben sie einmal den Versuch gemacht, dort hinein- zuriechen, kein tiesereZ Band knüpft sie an einander. Die Gesell- schaft, in der sie leben, ist so weit von der Sozialdemokratie geschieden und so wenig von dieser beherrscht, daß die Freiheit chrer Individualität nichts von ihr zu fürchten hat. Das Recht der Individualität, welches Hartleben in seinem Stücke vertritt, ist in der heutigenGesellschaft" vollständig unangefochten. Hinter ihrem Rucken ist sie sehr nachsichtig, zumal gegen- über derfreien Liebe", die Hartleben verherrlichen will. Diese Gesellschaft wird in dem Hartleben 'schen Stücke durch das Berhältniß mit der Hanna Jagert gar nicht in- kommodirt- ein Konflikt kann böchstms nach dem Schlüsse des