der heutigen Sluptschinasitzung klar hervorgeht. In Beantwortung einer Anfrage des Altradikalen M i s i r s ch über die Mobilisierungsmaßnahmen Oester- c e i ch s sagte da der Ministerpräsident Novakovitsch: Alle Großmächte sind bestrebt, den Frieden zu erhalten, und da die G r o ß m ä ch t e daS europäische Gericht sind, ohne welches nichts becndizt werden kann, hat sich Serbien mit voller Aufrichtigkeit ihnen anvertraut. Heute ist der Glaube der Groß« niächte an die Erhaltung des Friedens derart groß, daß sie den Wunsch äußerten, Serbien möge seine Friedfertigkeit auch dadurch bezeigen, daß es nicht zur Mobilisierung schreitet, oblvohl man davon spricht und es als sicher annimmt, daß Oesterreich mobilisiere, und obwohl es den Anschein hat. daß Serbien das Recht hätte, auf diesen Schritt mit ähnlichen Maßnahmen zu antworten. Die Regierung, welche den neuen Schritt der Großmächte für die Ausgleichung der be- stehenden Differenzen zwischen Serbien ui.d Oesterreich mit vollem Vertrauen aufnahm, konnte nicht umhin, diesen Wünschen nach Vertagung der Mobilisierung Rechnung zu tragen. Die königliche Regierung hat begründete Hoffnung und den Glauben, daß ihre Dispositionen für de» Frieden und ihre Sorge, den Wünschen der Großmächte zu entsprechen, bei diesen eine gerechte Würdigung finden und gute Früchte tragen werden. So viel kann ich auf die gestellte Frage im gegen- wärtigeu Augenblicke antworten. Der Interpellant M i s i t s ch lvar mit der Antwort nicht zufrieden. Er erklärte, seine Frage habe darin bestanden, ob die Regierung besondere Gründe habe, gegen die Mobili- sierungSmaßnahmen Oesterreich -Ungarns so indifferent zu sein. Der Ministerpräsident habe auf eine ganz andere Frage ge- antivortet. Wenn der eine Staat den Krieg haben will, kann ihn der andere nicht ausweichen. Serbien will den Krieg nicht. Ministerpräsident Novakovitsch er- widerte: Eine solche Frage könnte nur dann gestellt werden, wenn nur Oesterreich und Serbien vorhanden wären. Zwischen uns steht aber ein dritter Faktor, nämlich die Großmächte. Die Be- Häuptlingen, daß Oesterreich den Krieg will, werden auf nicht authentischen Daten aufgestellt. Wir wissen aber auch aus authentischer Quelle. daß auch Oesterreich den Krieg nicht will, daß sich sogar die maßgebende Stelle in Oesterreich für die Er- Haltung des Friedens einsetzt. Hierauf erklärte sich der Interpellant für befriedigt. Der Minister antwortete dann auf eine Anfrage des Jungradikalen Markowitsch, daß Oesterreich, den Ratschlägen der Groß- mächte folgend, von der Absendung einer neuen Note bis zur Beendigung der Vermittelungsaktion der Großmächte Abstand genommen habe. Der Interpellant Markowitsch verwies darauf, daß die Skupschtina in ihrer bekannten Resolution den Stand- Punkt Serbiens in der bosnisch -herzegowiuischen Frage bereits festgelegt habe. Er wünsche deshalb Aufklärung darüber, ob die Regierung bereit sei, vor der Beantwortung der österreichischen Note die Skupschtina zu Rate zu ziehen, damit die serbische Antwortnote im Geiste derer- wähnten Resolution der Skupschtina verfaßt werde. Ministerpräsident Novakovitsch erklärte, der Minister- rat werde, sobald die österreichisch-ungarische Note vorliege. geeignete Entscheidungen fällen. Die Skupschtina trat hierauf in die Tagesordnung ein. Diese Erklärungen bedeuten, daß die Serben auch heute noch direkte Verhandlungen mit Oesterreich strikt ablehnen und alle Forderungen Serbiens aufrechterhalten. Sie tun dies in dem Glauben an das„Gericht der Groß- mächte". Dies zeigt aber, baß in Belgrad der Glaube uner- schüttelt ist. daß Rußland auch heute noch hinter den serbischen Forderungen steht. Das Verhalten Rußlands gibt ihnen recht und so ist cS natürlich, daß die Vermittelungsaktionen fehl- schlagen. Es ist nach alledem überhaupt die Frage, ob der serbischen Regierung, selbst wenn sie wollte, ein R ü ck z u g heute noch möglich ist. Die Regierung selbst ist gespalten. Während der Minister des Aeußeren M i l o w a n o w i t s ch. wenn man seinen Worten vertrauen darf, für eine friedliche Lösung eintritt, agitiert der Kriegsminister Zivkowitsch ganz offen für den Krieg und hat dabei bis jetzt die Maiorität seiner Kollegen auf seiner Seite. Bei der großen Erregung ist aber die Schwäche und Uneinigkeit der Regierung ein Hindernis für die Umkehr. In Wirklichkeit ist auch davon keine Rede. ebensowenig wie von einem Aufschub der Mobilisierung, trotz der Versicherung Nowakowitschs. Vielmehr werden die Rüstungen mit aller Macht fortgesetzt. Es ist unter diesen Umständen natürlich, daß in Wien die Situation als verzweifelt bezeichnet wird. Auch in Oesterreich dauern die Rüstungen ununterbrochen an. Die Flotte ist kriegsbereit und fortwährend werden aus allen Teilen des Reiches die Truppen an die Grenze gesandt, darunter auch das eine der beiden Wiener Regimenter, wobei sich beim Abschied vor der Kaserne und auf der Straße herz- zerreißende Szenen abspielten. Die Wiener „Arbeiterzeitung" wurde wegen Schilderung dieser Szenen konfisziert. Unterdessen bereitet die österreichische Diplomatie ihren letzten Schritt in Belgrad vor. Es hieß, daß die dem Ultimatum gleichkommende Note be- rcitS morgen in Belgrad überreicht werden sollte. Doch scheint nochmals ein Aufschub bis Sonnabend statt- gefunden zu haben. Unterdessen will die englische Regierung noch einen letzten Versuch machen. Nach dem„Matin" soll ein neuer englischer VermittelungSvorschlag in Ueber- einstimmung mit Frankreich und Rußland heute in Wien überreicht werden. Erklärungen im ungarischen Abgeordnetenhaus. Budapest , 24. März. In der heutigen Sitzung interpellierte Mezofi(Sozialist) den Ministerpräsidenten über die aus- »värtige Lage und ersuchte ihn, daß er sich für die Er- Haltung des Friedens entscheide. Ministerpräsident Dr. Weierle erwiderte: Wir bieten alles auf, um die Segnungen des Friedens zu erhalten. Wir haben unsere friedliche Gesinnung bis zu jener Grenze bekundet, über die hinaus wir ohne Verletzung unserer Interessen und, nicht unserer Würde, sondern bloß unseres Selbstbewußtseins nicht gehen konnten. Wenn unsere ehrlichen Bemühungen jedoch scheitern, wenn die Notwendigkeit uns auf das Schlachtfeld ruft, dann fordern wir von jeder- mann, auch von dem interpellierenden Abgeordneten, daß. wo die Kraft der Nation mit ihrem ganzen Gewicht austritt, er deren Wirkung nicht durch gelegentliche Erklärungen zu vermindern sich bemühe. Der Ministerpräsident erklärte dann, daß jetzt die letzten Versuche gemacht wurden, ob Oesterreich bezüg- lich des Verhaltens Serbiens seine Politik so werde einrichten können, daß sie sich im Rahmen btS Friedens bewege und teilte mit, daß er in den nächsten Tagen Gelegenheit nehmen werde, das Abgeordnetenhaus über die«uswärtige Lag« näher zu unterrichten. Die Antwort beS Nmisterpräsidenten wurde zur Kenntnis genommen. An der türkisch -bulgarischen Grenze. Koustantinipel, 24. März. Nach einer Depesche dcS Korn- Mandanten des dritten Armeekorps an das Kriegsministerium dauert das Gefecht zwischen dem türkischen Blockhaus Awnullah bei Dchumai Wala und der bulgarischen Grenz- wache fort. Da die bulgarische Bevölkerung an dem Kampf teilnimmt, wird eine Weiterverbreitnng auf andere Wachhäuser befürchtet. Der bulgarische Kommandant erklärte, das Feuer einstellen zu wollen, wenn dies türkischerseits auch geschehe. Die Verluste sind bisher unbedeutend. Das zweite und dritte Korps sollen beauftragt sein, rasche Maßregeln zu er- greifen. Die gegenseitige Beschießung der türkischen und bulgarischen Grenzposten bei Dchumai Bala ist auf die F e st n a h m e zweier des Schmuggels verdächtiger Bulgaren durch türkische Grenz- Posten zurückzuführen.— Die Zufuhr des Krikigsmaterials. Konstantinopel , 24. März. Von serbischer Seite bemüht man sich neuerdings eifrigst beim türkischen Gesandten in Belgrad und bei der Pforte um die Erlaubnis zur Durchfuhr des in Saloniki angekommenen oder unterwegs befindlichen und weiter- bestellten Kriegsmaterials und strebt hierfür auch eine Unterstützung durch Rußland , Frankreich und England an.— poUtifebe Oeberfkbt. Berlin , den 24. März 1909. Bulotvs Drückebergerei. Aus dem Reichstage(24. März). Seit dem No- vember hat der Reichstag nicht das Vergnügen gehabt, den einzigen verantwortlichen Beamten des Reiches, den Reichs- kanzler, in seiner Mitte zu sehen. Die wichtigsten Fragen be- schäftigen die Oeffentlichkeit— Bülow verbirgt sich irgendwo im ReichSkanzlerpalaiS. Seit mehreren Tagen ist die Frage der Marinerüstungen brennend geworden durch die Enthüllungen im englischen Parlament; die Budgetkommission dringt auf Er- örterung der Frage, wie sich die deutsche Regierung zu den Anregungen der englischen wegen der Einschränkung der Marinerüstungen stelle— Bülow kneift. Schließlich wird, um ihn vors Messer zu bringen, auf Antrag der Sozial- demokratie das Rcichskanzleramt aus die Tagesordnung gesetzt— Büloiv schickt Schoen und Locbell. Er selbst kneift wieder. Schoen verlas eine dürftige Erklärung des Kanzlers. Was darauf zu antworten war, haben die sozialdemokratischen Vcr- treter mit hinreichender Deutlichkeit gesagt. Aber der der- antwortliche Vertreter der Reichsgewalt muß selbst Rede und Antwort stehen. Wir müssen klarere und eingehendere Aus- kunft haben, als es ihm beliebte durch seinen Briefträger Schoen oerlcsen zu lassen. Heute stand der Marinectat auf der Tagesordnung des Reichstages. Da war also wieder eine schöne Gelegen- heit für den Reichskanzler, endlich Aufklärungen zu geben. Der Briefträger Schoen war zur Stelle und der Admiral v. Tirpitz. Bülow glänzte durch Abwesenheit. Die bürger- lichen Parteien hatten verabredet, die Nüstungsfrage erst beim Neichskanzleramt zur Verhandlung zu bringen, und um ganz sicher zu gehen, nahmen sie sogar Abstand davon, zu irgend einer anderen Marinefrage sich zu melden. Der Referent v. Thünefeld murmelte einige unverständliche Bemerkungen herunter, dann wurde die Debatte über den Titel„Staatssekretär" geschlossen. Erst in letzter Minute hatte Genosse Singer von den Abmachungen erfahren. Er stellte in einer Geschäftsordnungsbemerkung fest, daß der Reichskanzler sich der persönlichen Verantwortung für sein Ver- halten in der Rüstungsfrage doch nicht werde entziehen können, da die Sozialdemokratie jedenfalls beim Etat des Reichs- kanzlerS, der am Montag oder Dienstag auf die Tages- ordnung kommen wird, auch hierüber mit ihm abrechnen werde. Beschwerden der Werstarbeiter wurden dann vom Genossen Severing vorgebracht. Er teilte mit, daß er sich vergeblich bemüht habe, durch direkte Verhandlungen mit dem ReichSmarincamt für solche Beschwerden Abhilfe zu erwirken. DaS Amt habe sich auf die Wcrftordnung berufen. Deshalb müßten die Beschwerden jetzt hier erörtert werden. An einzelnen stattstischcn Zahlen wies er insbesondere nach, welch enorme Fluktuation der Arbeiterschaft auf den Wersten stattfinde und wie die Akkordlohnsätze zu den widersinnigsten Entlohnungen führten. Trotzdem weigere sich die Werst- Verwaltung, mit den SlrbeiterauSschüssen zur Festsetzung der Löhne in Verbindung zu treten. Alls diese Ausführungen wußte der Admiralitätsrat tz a r m s nur zu erwidern, daß ihm die angeführten Tat- fachen nicht bekannt seien. Da die bürgerlichen Patteien sich der Diskussion enthielten, ging die Debatte bald zu Ende. Bezeichnend für den Geist, von dem die bürgerlichen Parlamentarier beseelt sind, ist es, daß die rasche Erledigung des Etats von einigen Liberalen unter Führung des Frei- sinnigen E i ck h o f f mit Bravo ! begrüßt wurde und daß, alS Genosse Severing mit einigen Worten auf die Rüstungsftage einging, Eickhoff zum Präsidenten eilte, um den Sozialdemokraten zu denunzieren, daß er nicht zur Tagesordnung spreche, worauf denn auch der Präsident den Genossen Severing ermahnte, sich an die Werftarbeiter- frage zu halten.—_ Politische Falschmünzerei. Die Sitzung des Reichstages vom Mittwoch gibt der Scherl- Preffe Anlaß, politische Falschmünzerei zu treiben. Daraus, daß das Gehalt des Staatssekretärs v. Tirpitz ohne Debatte bewilligt wurde, schließt diese Preffe: »In dem Schweigen des Reichstages lag eine elementare Kundgebung, die im Auslände und in Deutschland zweifellos richtig verstanden werden wird.� Diese Schlußfolgerung beruht auf völliger Verdrehung der Tat- fachen. Wie die Sache zustande gebracht ist, geht aus der vor- stehenden Korrespondenz au? dem Reichstage hervor. Daß die bürgerlichen Parteien in keine Diskussion eintraten, erklärt sich nicht daraus, daß eine Kundgebung beabsichtigt war, sondern daraus, daß die englischen Flottenabrüstungsvorschläge beim Etat des Reichskanzlers erörtert werden sollen. Es handelt sich also bloß um eine Verschiebung der Erörterung dieser Angelegenheit. Die Sozialdemokratie wird eS jedenfalls nicht an einer deutlichen Kundgebung ihrer Sympathie mit den Llbrüstnngsbcsttebungen fehlen lassen. Natürlich sind auch alle Meldungen von einer einstimmigen Annahme der Baukosten für die neuen Schlachtschiffe in der Budget- kommission der reine Unsinn. Die sozialdemokratischen Vertreter haben für den ManniSmuS nie einen Pfennig de« willigt und diesmal so wenig wie sonst. Das Ende des Blocks? Im Reichstage zirkulierte heute mit aller Bestimmtheit das Gerücht, daß der konservative Führer Abg. Normann dem nationalliberalen Führer Bassermann mit ziemlicher Deutlich- keit erklärt habe, daß die ganze Blockarbeit wertlos und es deshalb angebracht sei, das Blockverhältnis zu lösen. Dieses Gerücht gewinnt dadurch eine gewisse Wahrscheinlichkeit, daß sowohl Freisinnige als auch Nattonalliberale sich für die Bc- seitigung der Branntwein-Liebesgabe erklärt haben. Möglich ist allerdings auch, daß die Konservativen auf diese Weise einen Druck auf ihre liberalen Blockbrüder ausüben wollen. Herr v. Normann soll erklärt haben, daß die Konservativen fest entschlossen seien, eventuell die Reichsfinanzreform mit dem Zentrum zu machen.--_ Das Wahlrecht der„kleinen Stände". Tie kirchlich-soziale Konferenz, eine Grün- dung des jüngst verstorbenen Stöcker, hat durch den christlich- sozialen Schriftsteller Dietrich von Oertzen ein Buch herausgegeben, betitelt„Von Wichern bis Posa- d o w s k y". Es soll ein Beitrag zur Geschichte der Sozial- reform und der christlichen Arbeiterbewegung sein; in Wirk- lichkcit ist es eine Schmähschrift gegen die Sozialdemokratie, mit der sich der Verfasser fast aus jeder Seite seines Buches beschäftigt. Interessant ist das Werk besonders durch seinen Schluß, der darauf hinausläuft, den christlichen Arbeitern die Konservativen als ihre besten Freunde zu empfehlen, da sie sich von jeher durch„großes Verständnis und diel aufrichtiges Wohlwollen für dasAuf- streben des viertenStandes" ausgezeichnet hätten. Durch den Verlauf der christlichsozialen Bewegung und die wachsende Belastung der Landwirtschaft infolge der Sozial- gesetzgebung seien die Konservatwen zeitweise mißmuttg ge- worden, aber diekonservativeParteisei trotz alledem auch heute noch diejenige, deren Bundesgenossen- schaft am ersten zu erreichen und am ernste- sten zu erstreben sei. Zu diesem Zwecke weist Herr von Oertzen sein christliches Arbeitergesolge an, bei Wahlen sich nicht gegen die Konservativen, sondern gegen die Sozial- demokratcn und Liberalen zu wenden und dann: „Weiter wird es richtig sein, nach Möglichkeit solche Forde. rungen zu vermeiden, die sofort auf den entschieden st en Widerstand der Rechten stoßen würden, wie etwa die Ausdehnung des RcichstagSwahlrechtS auf dir Landtage oder gar auf die Kommunen. Die christ- lichen Arbeiter müssen einsehen, daß, solange sie selbst nur eine kleine Minderheit der Arbeiterwelt bilden und gar keine Garantie gegen die Ueberflutung des öffentlichen Lebens durch die Sozialdemokratie zu bieten ver- mögen, kein ernster Politiker die Verantwortung auf sich nehmen kann, ein steigendes Maß politischen Einflusses der Umsturz- Partei auszuliefern. Für gewagte Experimente ist dies Gebiet gar nicht geeignet und die Gefahr zu groß, der man Volk und Volksleben aussetzt." Wenn also die christlichen Arbeiter hübsch bescheiden bleiben und nur fordern, was das junkerliche Interesse nicht gefährdet, dann wird ihnen die Freundschaft der Konser- vativcn sicher sein, dann werden diese einer Aenderung der Landesverfassungen zustimmen, so daß nicht mehr„die kleinen Stände, die Handwerker und Arbeiter, von der Beteiligung am öffentlichen Leben ausgeschlossen werdend Weiter heißt es: „Die Forderung solcher Beteiligung ist kein Widerspruch gegen die Ablehnung des Reichstagswahlrechts mit seinen handgreiflichen Mängeln und seiner Entrechtung der Minderheiten. Vielmehr muß und kann sehr wohl ein Wahlrecht gefunden werden, das jeden ehrlichen Stand nach Maßgabe seiner Bildung und Bedeutung an der Volksvertretung beteiligt, aber keinem die unbestrittene Herrschaft zuspricht. Nicht Herr- scheu sollen die kleinen Stände auf Grund des rein äußerlichen Moments der Kopfzahlmehr- heit, aber sie sollen nicht zum Schweigen gebracht werden." Also ein Mchrstimmenrccht glaubt der Geschichtsschreiber der christlichsozialen Arbeiterbewegung im Namen der Konser- vattven versprechen zu können. Daß er die Arbeiterklasse zu den„kleinen Ständen" rechnet, und daß er sich aus- drücklich gegen das Prinzip der Kopfzahl, d. h. gegen das allgemeine, gleiche Wahlrecht wendet, läßt erkennen, daß die Arbeiter die Betrogenen sein werden, wenn es zu einer Regelung des Wahlrechts„nach Maßgabe von Bildung und Bedeutung" im konservativen Sinne kommt. Herr von Oertzen gehört mit Herrn Mumm zu der christlichsozialen Arbeiterführern, die als die Väter des christlichnationalen ArbeiterkongresseS zu betrachten sind. Als vor zwei Jahren auf diesem Kongreß von süddeutscher Seite ein Antrag auf Forderung des all- gemeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahlrechts, auch für die Landtage eingebracht wurde, da wurde der Antrag- steller bearbeitet, daß er seinen Antrag zurückzog. Die christ- lichnationalen Slrbeiter hatten nicht den Mut. sich offen für eine Forderung auszusprechen, deren Erfüllung den hoch- mögenden Gönnern des Kongresses wider den Strich ging. Man sieht, die christlichen Gewerkschaften, die katholischen und evangelischen Arbeitervereine, die deutschnationaleu Handlungsgehilfen und was sonst auf dem Arbeiterkongreß vertreten war. wußten damals schon, was sie ihren konservo- tiven und ulttamontanen Freunden schuldig waren. Die neue Basis der Reichsstnauzreform« Die„Germania " weiß zu berichten: Das Zustandekommen der Finanzreform soll auf folgender Grundlage gesichert sein: Der Gesamtmehrbedarf wird auf 490 Millionen bemessen; davon kommen jedoch in Abzug 00 Millionen, weil die Fahrkarten- steuer und Zuckersteuer in ihrer biShengen Höhe erhalten bleiben sollen. Der Rest von 430 Millionen soll wie folgt aufgebrach'. werden: 26 Millionen Mark durch Erhöhung der Matriknlar- beitrage, 100 Millionen Mark durch eine Besitzsteuer, gleichviel in welcher Form, voraussichtlich durch Besteuerung der Erbanfälle an Kinder und Ehegalten und 306 Millionen Mark durch Erhöhung oder Neueinführung folgender indirekter Steuern: Brausteuer mehr 100 Millionen Branntweinsteuer» 100» Tabak- und Zigarettensteuer„ 60„ Koffeezoll, 40„ Zündholzsteuer(neu)» 15. Die»Germ.", der lvir die Verantwortung für die Richtigkeil ihrer Angaben überlassen müssei«, bemerkt selber zu diesen: Dieser Koinpromißvorschlag befindet sich bereits in vielen Händen und wurde auch in der vorgestrigen Sitzung des Tabak- Vereins vroduziert. Es würde ein Entaegenkommen von beiden
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