Ein Berein ist kein Verein, wenn er ein-- sozialdemokratischer ist. Für den tS. und 13. sächsischen NeichStagöwadlkreis bestehen zwei sozialdemolratische'Vereine, mit 3500 beztv. 23 ovo Mitgliedern. Der 12. Wahlkreis erstreckt sich auf das alte Leipzig , während der 13. Wahlkreis den Gürtel der einverleibten Vororte und eine Reihe ländlicher Orte und Städte umfaßt und 60 Ortsvereine zählt, die einem Vorstande unterstehen. Au3 der Einschachtelung des 12. Wahlkreises ergibt sich die Notwendigkeit, eine Reihe von Angelegenheiten gemeinsam zu regeln. Um das zu erreichen, ist ein viergliederigeS Agitationskomitee eingesetzt, das sich ans je zwei Vertretern des 12. und 13. Reichs- tags- Wahlkreises zusammensetzt, die wiederum Vorstands- Mitglieder der KreiSvereine find. ES besteht also für ganz Leipzig eine einheitliche Organisation. Am 11. Dezember berief nun der Vor- sitzende des Agitationskomitees Gen. Rich. Li pinski eine gemein- same Mitgliederversammlung ein und lieh jeden Besucher ob seiner Mit- gliedschaft kontrollieren. Die von ca. 1000 Pers onen besuchte Versammlung nahm Stellung zu der außerordentlichen sächsischen Landesversamm- lnng, die später in Dresden stattfand und wählte die Delegierten für beide Kreise. Diese Versammlung hatte Genosie Lipinski als eine Mitgliederversammlung angesehen. Die Polizei dachte anders und Lipinski wurde wegen Uebertretung des VereinSgcsetzeS unter Anklage gestellt. Das Polizeiamt Leipzig hatte in seiner Eingabe an die Staatsanwaltschaft darauf Hingelviesen, daß das sächsische Ministerium eine richterliche Enticheidung wünsche, die eventuell durch alle Instanzen zu führen sei. Den sozialdemo- kratischen Verein für den 13. ReichstagSwahlkreis hatte das Ministerium in einer Entscheidung nicht als Verein angesehen, weil der Verein infolge seiner großen Mit- gliederzahl ein so loseS Gebilde sei, daß von einem Verein keine Rede sein könne. Dagegen hatte das Ministerium angeordnet, daß der All- deutsche Verband, der sich über Deutschland und Oesterreich er st reckt, als geschlossener Verein an- gesehen werde, damit er am Totensonntag vorigen Jahres in Leipzig seinen Verbandötag abhalten konnte. Am Totensonntag dürfen in Sachsen öffentliche Versammlimgen nicht stattfinden. In der ersten Instanz ivieS Genosse Lipinöki aus den Statuten beider Vereine nach, daß eZ sich um keine Scheinvereine handele, sondern um wirklich festgefügte Organisationen und daß die Mit- glieder unter einander ein inneres Band verbinde, also die Voraus- fetzungen der VereinSkonstruktion des Reichsgerichts in seiner im 21. Bande abgedruckten Entscheidung erfülle. Das Schöffengericht sprach den Gen. Lipinski frei. Die Staatsanwaltschaft legte Berufung ein und so wurde die Sache in zweiter Instanz am Dienstag vor dem Landgericht verhandelt. Auch hier trat Gen. Lipinski den Beweis an, daß es sich um eine festgefügte einheitliche Organisation handele. Das Landgericht hob indes das erstinstanzliche Urteil auf und ver- urteilte Lipinski wegen Uebertretung des Vereinsgesetzes zu dreißig Mark Geldstrafe oder drei Tagen Haft. In der Begründung des Urteils wurde ausgeführt, die Versammlung sei eine öffentliche und keine Vereinsversammlung gewesen, denn es seien die sozialdemokratischen Vereine des 12. und 13. Wahlkreises keine Vereine, sondern nur eine Unter- abteilung der s o zi a ld em o kra ti sch e nPa rte i Deutsch- lands. Die große räumliche Ausdehnung der Vereine, ihre numerische Stärke, der leichte Erwerb der Mitgliedschaft decke nicht den Begriff Verein. Die Ver- sammlung sei mithin keine Mitglieder-, sondern eine öffentliche Ver- sammlung gewesen, die anmeldepflichtig war. Das alte Lied. In der Generalversammlung des Vereins der Industriellen des Regierungsbezirks Köln knüpfte der Generalsekretär an seinen Jahres- bericht, wie es in der.Kölnischen Zeitung" heißt,„Bemerkungen über das sozialpolitische Wettlaufen der politischen Parteien, das in den häufigen Reichstagsverbandlungen über Arbeiterfragen zum Ausdruck gelange. Es wurde dabei Bezug genommen aus den staatlichen und städtischen Sozia- l i S m» S, der zur anhaltenden Verminderung der Arbeitszeit und Erhöhung der Lohnsätze in den Industrie- und Verkehrsbetrieben des Staates und der Städte führe. und auf die zahlreichen gesetzgeberischen Neuerungen, die gerade in der gegenwärtigen Reichstagssession zu Lasten der Industrie verhandelt oder beschlossen würden. Unter diesen Umständen müsse das deutsche Wirtschaftsleben schließlich Not leiden, da es die an der Persönlichkeit haftende Unlernehmungs- lust notwendigerweise beeinträchtige. Im Anschluß hieran wurde dem Bedauern über den Mangel emcs engen Zusanimenschlusses der Industrie in Deutschland , sowie andererseits der Genugtuung über die in jüngster Zeit erfolgte engere Verbindung der beiden großen Arbeitgebcrverbände Ausdruck gegeben." Derartige Klagen aus Unternehmerkreisen hört man, feit der Staat, getrieben durch die Macht der Arbeiterbelvegung, sich zu sozialpolitischen Zugeständnissen verstehen mußte. Man braucht sie nicht zu widerlegen, da ihre Unwahrheit durch den Stand der deutschen Industrie zur Genüge nachgewiesen wird. Gegen die Tabaksteuererhvhung planen die niederrheinischen Tabak- und Zigarrenfabrikanten in Gemeinschaft mit dem freien und dem christlichen Tabakarbeiter« verband eine große Protestkundgebung. Dem Zentrum ist diese Bewegung sehr unangenehm. Die katholischen Arbeiter und Unternehmer der Tabakbranche fragen sich, warum ihre Partei immer noch nicht offen ihre Haltung zur Tabalsteuervorlage zu erkennen gegeben hat._ Für einige unüberlegte Worte sechs Monate Gefängnis. Aus Halle a. S. berichtet man uns: Vor dem Kriegsgericht der 8. Division war der Musketier Karl M u n k o w von dem In- fanterie-Regiment Nr. S3 in Dessau angeklagt, der sich am 12. März auf dem Exerzierplatz der Gehorsamsverweigerung schuldig gemacht haben sollte. Der Mann hatte sich bei dem Unteroffizier Schulze zum Nachexerziere» gemeldet und dabei eine etwas schlaffe Haltung eingenommen. Als der Unteroffizier sagte, er solle sich ein drittes Mal in besserer Haltung melden, entgegnete Munkow murmelnd: „Nun melde ich mich nicht wieder, ich brauche keinen usw." Vor dem Hauptmann geführt erklärt« der Mann, er habe sich vergessen. Der Ankläger beantragte vier, das Urteil lautete auf sechs Monate Gefängnis. — Für solche Strafe kann ein Unteroffizier einen Unter- gebenen braun und blau schlagen. Milde Militärjustiz. Im Gegensatz zu den oft recht drakonischen Urteilen gegen Unter- gebene können die Militärgerichte sehr milde urteilen, wenn es sich um Vorgesetzte handelt. DaS als einen Ausfluß der Klassenjustiz zu bezeichnen, ist jedoch gefährlich. Als z. B. im Juni 1903 das„Hamb . Echo" dieses zweierlei Maß der militärischen Urteilsfindung unter die kritische Lupe nahm, fühlten sich die Mitglieder des Oberkriegs- gerichts des neunten Armeekorps beleidigt, weil sie sich bei Abgabe ihres Verdiktes nicht von ihren Standes- und Klasseninteressen leiten ließen, fondern, wie sie meinten, nur streng, aber gerecht ihres Amtes walteten. Das Hamburger Gericht verurteilte deshalb den Verantwortlichen vom„Echo" zu einer Geldstrafe von 600 Marl , obwohl in dem fraglichen Artikel(„Blutrichter Militarismus") dieses zweierlei Maß rein psychologisch behandelt wurde. Einen neuen Beitrag zur Psychologie der Militärgerichtsbarkeit bietet eine Verhandlung vor dem Kriegsgericht der 18. Division (Altona ). Der Artillcriehauptmann Wachs hatte sich dort wegen Be- leidigung eines Bahnbeamten zu verantworten. Am 11. Januar d. I. wollte der damals beim Feldartillerieregimcnt in Itzehoe , jetzt in Karlsruhe dienende Offizier nach Hamburg fahren. Beim Passieren der Altonaer Bahnhofssperre hatte der in Zivil gekleidete W. kein Billett, weshalb er von dem Beamten angehalten wurde. Große Eile vorschützend, wollte er trotzdem die Sperre passieren, aber er wurde festgehalten. Jetzt öffneten sich die Schleusen seiner militärischen Beredsamkeit und der Beamte wurde mit Kosenamen belegt, wie man sie oft auf Kasernenhöfen zu hören bekommt. ES entstand ein großer Menschenauflauf und eS fielen wenig schmeichelhafte Worte gegen den schneidigen Offizier. Die Bahnverwaltung stellte für den schwer beleidigten Beamten Strafantrag. Wegen„Gefährdung militärischer Interesse»" wurde selbstverständlich für die Dauer der ganzen Verhandlung die Oeffentlichkeit ausgeschlossen; nur die Urteilsverkündung fand öffentlich statt. Das Urteil lautete: Drei Mark Geldstrafe wegen öffent« licher Beamtenbeleidigung und Urteil-publikalio» in einem Llltonaer Blatt._ Vom Balkan . Die Anerkennung der Annexion. Wien , 10. April. Gestern nachmittag erschienen die Botschafter Deutschlands und Englands im Ministerium deSAeutzern, um Baron Aehrenthal die Noten, die die Zustimmung zur Aufhebung des Artikels 25 des Berliner Vertrages enthalten, zu überreichen. Heute folgen die Vertreter Frankreichs , Rußlands und der Türkei . Die österreichisch-serbischen HandelsvertragS-Verhandlnngen. Wien , 9. April. Die Aussichten der HandelSvertragS-Berhand- lungen mit Oesterreich-Ungarn und Serbien werden in unterrichteten diplomatischen Kreisen wenig günstig beurteilt. Die Ver- ständigungSavsicht der österreichisch-ungarischen Regierung, die nach den letzten Vorgängen zu Entgegenkommen auf wirtschaftlichen, Gebiete entschlossen scheint, stößt auf den harten W i d e r st a n d der Agrarier, diesseits und jenseits der Leitha , der sich namentlich gegen die von Serbien gewünschte Fleischausfuhr richtet, und es ist zu befürchten, daß es zu keiner endgültigen Regelung der Handelsbeziehungen, sondern nur zu einer provisorischen Abmachung kommen wird, die die serbischen Wünsche und Interessen nicht befriedigt. Die Lage in der Türkei . Die Errregung über die Ermordung Hassan FehmiS läßt Gegensätze, die schon lange bestanden, aber sich bisher den Fcrnerstehenden wenig bemerkbar machten, schärfer hervortreten. Heftige Anschuldigungen werden zwischen den Organen der Jung- türken und der Liberalen gewechselt, zu denen der Ermordete gehörte; zugleich rühren sich die Nationalitäten. DaS armenische Komitee tritt mit einer Proklamation auf, worin es heißt, die Existenz deS Reiches sei gefährdet. Die andere» Nationalitäten und alle politischen Parteien in der Türlei werden aufgefordert, sich an einem Kongreß zu beteiligen, der den Zweck hätte, eine Verständigung über die allgemeinen Fragen der inneren Politik herbeizuführen. Offenbar wollen die Nationalitäten auf diesemjKongreß für ihre Forderung nach Autonomie demonstrieren. Die Liberalen sind Freunde dieser Forderung, die Jungtürken bekämpfen sie. Die englischen Beobachter sind pessimistisch gestimmt und sagen Unruhen voraus. Die Kammer hat am Donnerstag mit den Stimmen der Jungtürken gegen die Stimmen der liberalen Ver- einigung und der Christen die Prügelstrafe für Landstreicher angenommen. Montenegro rüstet ab. Cetinje , 10. April. Der Boykott gegen österreichische Waren ist aufgehoben worden. Der Fürst hat den Befehl zur Abberufung und Entlassung der an der Grenze stehenden montenegrinischen Truppen erteilt._ frankmeb. Die Post- und Telcgraphenbeamte». Paris , 10. April. Gestern wurde eine Versammlung der Post- und Telegraphenbeamten abgehalten, in der u. a. die Forderung aufgestellt wurde, daß die Beamten das Recht haben sollten, von den Personalakten Abschriften zu nehmen. Eine dem- nächst einzuberufende Versammlung soll sich mit der Umwandlung des Allgemeinen Verbandes der Post- und Telegraphenbeamten in ein Syndikat sowie mit der Frage einer teilweisen Arbeitseinstellung am 1. Mai beschästigen. Der Kriegsminister hat die Unterweisung der Militär- telegraphisten in der Handhabung der HughcS- und Baudot- Apparate angeordnet, wie es heißt, im militärischen Interesse, zweifellos aber auch im Hinblick aus eventuelle neue Arbeits- einstellungen der Post- und Tclegraphenbeamten. Ballonspionage-Furcht. Paris , 10. April. Mehrere deutsche Ballons sind im Laufe des gestrigen Tages in Frankreich gelandet, u. a. ein solcher in Santemy. An Bord befanden sich drei Deutsche , welche einem genauen Verhör unterzogen worden sind. Gendarmen beschlagnahmten einen photographischen Apparat sowie Korten und verschiedene Schriftstücke, oie verdächtig erschienen. Auf Anfrage beim Kriegsministerium er» folgte der Befehl, die Luftschiffer nicht abfahren zu lassen, sowie den Ballon und alle an Bord befindlichen Gegenstände und Instrumente zu beschlagnahmen. Einer der Lnftschiffer erklärte, ein Profcffor der Physik und Chemie, der zweite ein Ingenieur und der dritte ein Rentier zu sein. Die photographischcn Platten deS Ingenieurs sollen, hiesigen Blättern zufolge, nach Entwickelung genaue Ab- bildungen des Lagers von Chalons und der um- liegenden Festungswerke darstellen. Auf anderen Platten hat man die Umgebung von Reims entdeckt. Der Professor wurde im Besitze eines Notizbuches gefunden, worin zahlreiche Aufzeich- nungcn sich befanden. Die drei Deutschen sind vorläufig in Haft genommen worden. Spanien . Anarchistische Attentate. In Madrid und Barcelona sind am Donnerstag Bomben geworfen worden. Näheres hat die Zensur nicht durchgelassen. In Barcelona wurden zwei Frauen verwundet. Italien . Blutiger Palmsonntag. Nom, 8. April. (Eig. Ber.) Schon wieder ist eine Bluttat der Polizei aus Italien zu berichten. In Vallelunga in Kalabrien ivar für den 8. d. M. eine Demonstration der bc» sitzlosen Schichten geplant worden als Protest gegen eine neue Er- höhung der Haus- und Herdsteuer. Die Demonstranten hatten am Tage vorher die Fahne der Stadt erhalten, um sie dem Zuge vor- aufzutragen. In der Nacht zum Sonntag ließ dann der Bürger- meister zahlreiche Verhaftungen vornehmen und auch eine Haus- suchung bei einer Frau, die die Fahne der Staat zum Aufheben er- halten hatte. Die Frau wollte die Fahne nicht abliefern und rief um Hilfe, worauf sich eine große Menschenmenge vor dem Hause versammelte. Anstatt nun von der blödsinnigen Beschlagnahme der Fahne einfach abzusehen, forderte die Karabincrie die Menge auf, sich zu zerstreuen, und als der Aufforderung nicht Folge geleistet wurde, gaben sie Feuer; vier Personen aus der Menge wurden ge- tötet, 40 mehr oder iveniger schwer verletzt; auch ein Wachtmeister hat eine Schußwunde erhalten. Natürlich ist die übliche Enquete eingeleitet, die zu nichts führen wird. Die Recht- und Wchrlosig- keit der besitzlosen 5tlassen in Süditalicn zwingt, diese eben zu stürmischen Dctnimstrationen als dem einzigen Mittel, durch das sie ihren Protest gegen die chronischen Vergewaltigungen der Herrschen- den zum Ausdruck bringen können. Und loww sich die Menge auf den Straßrtl zeigt, bekommen eS die Ordtmngsleuke mit der Angst. rufen eine Handvoll Bewaffnete herbei, die wohl die Straflosigkeit ihrer Exzesse kennen, und das Unglück ist fertig. Englanck. Die Flottenpropaganda. London , 9. April. Ein Aufruf des Reichsflottenbundes weist auf die Gefahr hin, die sich daraus ergebe, daß die Aufmcrk- samkcit der Oeffenilichkeit auf die Drcadnoughts konzentriert werde. In dem Aufruf wird eine Untersuchung über Unzulänglichkeiten in der Flotte gefordert und erklärt, das Heil Großbritanniens liege einzig und allein darin, daß das Budget vom Oberhaus abgelehnt, dadurch die Auflösung des Parlaments erzwungen und somit einer unionistijchen Regierung ermöglicht werde, ans Ruder zu kommen. Maltman Barric London , 8. April. (Eig. Ber.) Soeben bringen die Blätter die Nachricht vom Ableben Maltman Barries, eines Freundes von Karl Marx . Barric hat in den letzten Jahren der alten„Internationale" dem Sozialismus nahegestanden und war als Delegierter auf dem Haagcr Kongreß im Jahre 1872 anwesend. Dann wurde er kon- servativcr Sozialist und Journalist. Seine journalistischen Erfolge verdankt er den Informationen, oie er von Marx über die orien- talische Frage zu erhalten pflegte. In einem Briefe an Sorge schreibt Marx über sein Verhältnis zu Barric:„Barric ist mein Faktotum, er dirigiert auch den Berichterstatter der„Times". Durch ihn namentlich unterhielt ich während Monate inkognito ein Kreuz- feuer gegen den russophilcn Gladstone in der Londoner fashionablen Presse, wie in den englischen, schottischen und irischen Provinz- blättern, enthüllte seine Mogelei mit der russischen Agentin Ma- dame Nowi Roff, der russischen Gesandtschaft in London usto., dito wirkend durch ihn auf englische Parlamentarier des Unter- und Oberhauses, die die Hände über den Kopf zusammenschlagen würden, wüßten sie, daß der Rcd -Terror-Doktor(der rote, terra- ristische Doktor), ivie sie ihn auch nennen, ihr Ohrenbläser in der orientalischen Krise ist." Vor einigen Jahren hat mir Barric diese Episode geschildert. Er Ivar damals ein hochkonservativer Schriftsteller, aber noch immer voll Bewunderung für Marx . Er sagte mir:„Ich hasse drei Dinge in dieser Welt: den SemitiSmuL, den Atheismus und die deutsche Philosophie. Marx Ivar Semite, Atheist und deutscher Philosoph. Aber als ich vor ihm stand, vergaß ich alle meine Vorurteile." Barrie war ein angesehener Publizist und war in sozialdemo- kratischen Kreisen sehr einflußreich. foiLlanä. Die Dnma in den Osterferien. (Eig. Ber.) Die Vertreter der Krantjunler und Kapitalisten, die sich kraft de» Gesetzes vom 17. Juli Volksvertreter nenne», kehren nach Hause zurück, ohne ihren Wählern das winzigste Osterei zu bringe». Die offiziöse Presse lobt die Dumamehrheit über den grünen Klee für ihre„positive Arbeit". Sie bestand darin, daß die Duma die Steuerlast der mittellosen Schichten durch die Vergrößerung der Tabakakzise und die Annahme einer Zigarettenpapiersteuer vermehrte, daß sie der Provokationspolitik der Regierung ihre Zustimmung gab, indem sie die Interpellation wegen der Azew- Affäre ablehnte, daß sie jeden Versuch verniied, die„Rechte" des Zarismus an- zutasten. EinS ist bemerkenswert. Läßt man die Dumadebatten Revue passieren, hört man den Ausführungen der Redner zu, so kann man nicht bestimmen, wo die Müniier der Regierung, die Oktobristen enden und wo die„echten" Liberalen, die Kadetten beginnen. Eine Unterscheidung beider ist nur noch dadurch möglich, daß die Kadetten ihre Gegnerschaft zur Revolution sehr häufig und inbrünstig (siehe die Rede Miljokows bei der Azew-Debatte) beteuern, während die Oktobristen den Vorwurf der Illoyalität, den ihnen die Klown der äußeren Rechten entgcgenschleudern, mit Hohn und Gelächter ab« weisen. Ja, sie haben immer ihre Kart« auf die Konterrevolution gesetzt, während die Kadetten einst auch auf die Revolution spekulierten.... Sie tun dafür sehr eifrig Buße und votierten jetzt ohne zu mucksen, das Militärbudget. In der Taktik deS Polenllnbs ist keine Aenderung zu bemerken. Auch die brüske Provokation, die sich der Justizmiinster SiWscheglowitow den Polen gegenüber erlaubte — er erklärte, daß polnische Richter die russische Justiz verdrecken würden— konnte die Vertreter der polnischen Nation nicht zur scharfen Opposition verketten: sie stimmten für das Budget deS Justizministeriums. Eine sehr erfreuliche Tatsache bilden die letzten Reden der sozial- demokratischen Abgeordneten; die Budgetreden der Genossen Polrowski, Tscheheidze und Bjelousow. Sie waren klar, scharf pointiert, für die Massen bestimmt, sie rechneten nicht nur mit der Regierung sondern auch mit den Kadetten ab. Bis jetzt wurde den FraltionSrednern vorgeworfen, und das leider mit Recht, daß sie zu sehr der Duma mit gelehrtem Material imponieren wollten, daS ihre Reden über- lastet und sie für die Massen unverständlich macht, daß sie an de» Kadetten keine Kritik übten und zu oft ihre Leier auf den Ton der liberalen Büßer stimmen. Diese Vorwürfe können die letzten Reden nicht treffen und so quittiert schon das Zentral- organ der Partei in seiner letzten Nummer diese Wandlung inS Bessere. Wird die Fraktion sich in dieser Richtung konsequent ent- wickeln, dann wird auch die Mißstimmung, welche ihre bisherige Tätigkeit bei der Mehrheit der Partei hervorgerufen hat, verschwinden und die Partei wird von der Tätigkeit der Fraktion den Nutzen haben, den sie von ihr erwartete, als sie die Teilnahme an den Wahlen beschloß._ Die Petersburger Gewerkschaften und die projektierte» VersichcrungSgesetze. Wie daS Zcntralorgan der russischen Sozialdemokratie—»Der Sozialdemokrat"— in seiner lctzterschienenen Nummer bc- richtet, befassen sich die Petersburger Gcwerlschasten sehr lebhaft mit den Verstchernngsgesetzen. die von der Regierung vorgeschlagen worden sind. Das Kartell der Petersburger Gewerlschaften nahm zu den Gesetzesvorschlägen Stellung und kam nach eingebender Bc- sprechung zu dem Schtnß, daß sie in mancher Hinsicht geeignet sind, die Lage der Arbeiter noch zu verschlechtern. Es be« schloß eine Agitation zu entfalten, die den Arbeitern den wahren Sinn der zarischen Soziacholittt klarmachen soll. Die Agitation wurde eingeleitet durch ein Flugblatt, dann wurde die Frage in den Zeitungen der Gewerkschaften und später in ihren Generalversammlungen besprochen. Der Stadthauptinann gestattete diese Erörterung der Arbeiterversicherung in öffentlichen Versa mm« lungen. Die Agitation hat viel zur Belebung der Gewerkschaften bei- getragen._ Zur Affäre Reinbott. Ans Moskau wird der„Russ. Korr." vom 6. April geschrieben: Trotz aller endlosen Beröffentlichungen über ReinbottS Er- presmugeil und Unterschlagungen erfreut sich der Held der unerhörten Verbrechen bislang nicht nur ungehemmter Freiheit, sondern sogar einer ziemlich starken Stelenruhe. Er scheint offenbar in der Hoff- nung zu leben, daß er schließlich ebenso wie Gurko aus allen kom- promittierenden Bedrängnissen straflos hervorgehen würde. Wie der „GoloS Moslwy" mitteilt, äußert sich Reinbott gegenüber allen Ausfraget« also:„Vorläufig ist gegen mich offiziell nicht die geringste Anklage erhoben worden.... Die Revision ist auf meine Bitte hm eingeleitet worden. Unter Hinweis darauf wandte sich dann der Senator Garin an mich mit dem Ersuchen, zum Erfolg der Revision beizutragen, woraus ich ihm eine Charak- teristik einzelner Beamten, die mir unterstellt waren, gab. Jetzt warte ich dl« Möglichkeit all, uin auf die gegen mich erhobenen Be- schuldigungen zu antloorten." DaS klingt ja fast siegesbewußt. Wie sollte es aber auch anders sein, wenn Reinbott, wie er versichert,
Einzelbild herunterladen
verfügbare Breiten