Nr. 88. 26. Jahrgang. t Sciltze des Lmüiirk" Freitag, t6. April 1969. ver Zzhreskongi'ek äer lllisdhsngigen Urbeiterpsrtei. London , 13. April. (Eig. Der.) Der Kongreß tagte gestern und heute und schloß mit einer Arise, die zum Austritte KeirHardies, Macdonalds, Snowdens und G l a s i e r S aus dem Parteivorstande führte. Eröffnet wurde die gestrige Sitzung mit der Beratung über den Jahresbericht des Parteivorstaudes, die Mac- donald mit folgender Rede einleitete: „Während des Berichtsjahres nahm die Partei an Mitglieder- zahl, an Tätigkeit und an Macht zu. Die wirtschaftlickieu Er- scheinungen deS Jahres haben weitere Beweise für die Ricbngkeit der sozialistischen Auffassungen über die wirtschaftliche EntWickelung gebracht. Auf die Geschäftsblüte folgte der Niedergang, auf die fieberhafte Ueberstundenarbeit die Arbeitslosigkeit. Die kapitalistische Ausbeute an moralischen, intellektuellen und materiellen Miß- erfolgen war ebenso reich wie früher. Alle sozialpolitischen Vor- schlage von irgend welcher Bedeutung kamen von Sozialisten. Auch der tÄtiderheitsbericht der Kommission über die Armengesetze ist nur eine Paraphrase alter sozialistischer Vorschläge. Gleichzeitig aber zeig»» eS sich, daß der Einfluß der Sozialisten auf die Arbeitermasien nachgelassen hat, was uns die alte Erfahrung ins Gedächtnis zurückrufen soll, daß der Sozialismus nicht aus der Armut des Volkes entspringt. Der wirtschaftliche Niedergang brachte nicht klares Denken, sondern Verzweiflung. Geistiges und körperliches Elend stumpft den Geist ab und macht ihn allen reaktionären Bewegungen zugänglich. DaS wirtschaftliche Elend breiter Bolksmassen ist der Boden, auf dem die Tarifreformer säen. Und die besitzenden Klasien, die die Empfindung haben, daß sie unter einem System leben, das verschwinden muß, haben alle Stabilität verloren und machen den Eindruck eines aufgestörten Ameisenhaufens. Sie fchivanken hin und her, sie werden nervös und fürchten sich vor Gerüchten über Invasionen, Steuerreformen und fallen den dümmsten Zeitungs- Nachrichten zum Opfer. Es ist das Bild des untergehenden Kapitalismus. der sich in seiner Angst an den Militarismus klammert und die Kriegsetats anschwellen läßt. Seine moralische Autorität ist verschwunden. Er glaubt nur noch an die Autorität der Kanone. »Die Sozialisten stellen ein andere? Bild dar. Sie erwarten nichts von der mechanischen Gewalt und verzichten auf ihre Mittel. Unsere Waffe ist die Demokratie, die wir schützen und ausbauen und in den Dienst der wirtschaftlichen Entwickelung stellen wollen. In den Augen der Sozialisten sind Gesetzlichkeit und Ordnung viel wert- voller als Anarchie. In den letzten Jahren haben wir in der Arbeiter- Partei ein Instrument erhalten, das uns gestattet, an der Gesetzgebung des Landes teilzunehmen, Erfahrung zu sammeln und unsere Fähigkeiten zu entfalten. Der Sozialismus ivird in dem Maße siegen, als die Männer, die ihm anhängen, ihm nicht als Schineichler dienen. sondern als ernste Berater, nicht nur mit den Lippen, sondern mit Kopf und Herz." Die Rede wurde mit großer Begeisterung aufgenommen. S n o w d e n gab sodann den Finanzbericht und wies auf die Notwendigkeit hin, Extrabeiträge zu leisten, da eine Parlaments auflösung bevorstehe. Die Debatte brachte heftige Auseinandersetzungen. Der Redol teur des„Labour Leader". Bruce Glasier , wurde wegen seiner Angriffe ans Grayson getadelt. Die Mehrheit des Kongresses beschloß jedoch. Glasier den Dank für seine Redaktionsleitung auszusprechen. Der Bericht enthielt auch folgende Stelle: »Am 18. November lehnte e-Z Grayson ab. mit Keir Hardie in Holborn Town Hall(London ) zu sprechen. Dieser Umstand in Verbindung mit noch anderen Ursachen veranlaßten den Vorstand. Grayson mitzuteilen, daß die Parteileitung nicht mehr in der Lire sei, Versammlungen für ihn zu arrangieren." Einige Delegierte verlangten, daß dieser PaffuS gestrichen wird. Nach einer langen und hitzigen Auseinandersetzung wurde diesem kleines feuiUeron. Die ersten Schmetterlinge. Ein früher Apriltag. Lau Weht der Wind und warm strahlt die Sonne. Ein Vorahnen de» Früh- lingö erfüllt die Natur und am Gartenzaune suchen wir Kreits nach den ersten Veilchen. Und da wir an das geschützte sonnige Plätzchen treten, verscheuchen wir von den ersten Blumen einen Schmetterling. Goldgelb schimmern seine Flügel und leicht schwebt er fort, flattert weiter in dem hellen Sonnenschein. Auch ein Frühlingsgruß, dieser schmucke Zitronenfalter, der erste Schmetterling des Jahres! Hat schon die wärmende Sonne so viel Kraft erlangt, daß sie den Falter veranlaßte. aus der Puppe zu schlüpfen? Vule meinen es, aber sie sind im Irrtum. Der Zitronenfalter ist nicht der einzige Schmetterling, der schon im Vorfrühling zu erscheinen pflegt. Außer ihm flattern noch um diese Jahreszeit bei schönem Wetter als buntfarbige Genossen der kleine und der große Fuchs, das Tagpfauenauge, der Trauermantel und der Distelfalter. Alle diese Tagschmetterlinge haben aber bereits im vorigen Spätsommer daS Licht der Welt erblickt. Der größte Teil von ihnen ging schon im Herbst zugrunde, nachdem er durch Eiablage für die Nachkommenschaft gesorgt hatte, einige ober suchten bei Eintritt des rauheren Winterwctters allerlei Schlupfwinkel und Verstecke auf, verfielen hier in Schlaf und über- winterten glücklich, bis sie durch die Wärme der FrühlingSsonne zu neuem Leben erweckt wurden. Wer auf dem Lande wohnt und während deS Winters in Ecken und Winkeln ungeheizter Boden- lammern und ähnlicher Gelasse Umschau hält, wird derartige er- starrte Schmetterlinge nicht selten finden können. Bringt er sie in ein warmes Zimmer, so werden sie alsbald erwachen und um- herflattern. Im Freien suchen sie Baumlöcher oder unter Laub versteckte Erdlöcher als Winterverstecke auf. Wenn wir nun den einen oder anderen der schon im März umherfliegenden Schmetter- linge fangen und näher betrachten, so werden wir wohl erkennen, daß sie nicht frisch aus der Puppe hervorgekommen sind; denn ihr Glanz ist doch im Vergleich mit den Sommerschmctterlingen ab- geblaßt und die Ränder der Flügel sind nicht selten zerfetzt und abgenutzt. Außer diesen durch ihre lebhaften Farben und ihre Größe auffallenden Tagfaltern pflegen aber bei uns noch vcr- schiedene Nachtfalter und Klcinschmctterlinge in ähnlicher Weise zu überwintern. Da sie unansehnlich sind oder eine mehr versteckte Lebensweise führen, so werden sie weniger bemerkt und erregen kein Aufsehen. Aber ihre Zahl ist nicht gering. Verschiedene Forscher haben festgestellt, daß in Norddcutschland gegen 70 und in Süd- dcutschland gegen 90 Arten von Schmetterlingen zu überwintern pflegen. Die ersten Tagfalter, die im Frühjahr wirklich der Puppe entsteigen, treten erst später im Laufe des April auf. Es sind dies der Rübenweitzling und der Rapsfalter, denen wir überall begegnen, dann der Senfweißling, der sich mit Vorliebe an Waldrändern auf. hält, ferner der kleine Perlmutterfaltcr, der Mauerfuchs und eine Anzahl anderer Kleinschmetterlinge. Den meisten dieser Früh» lingskinder ist nur ein kurzes Dasein beschieden, wenige Tage nur dauert der Hochzeitsflug, nach den: sie alsbald absterben. Die Mosaiken der Sophien-Kirche in Konstantinopel sollen dem- nächst wieder ans Licht gebracht werden. Als der herrliche Bau nach der Eroberung Konstantinopels durch die Türken in eine Moschee verwandelt wurde, wurden im Innern die Mosaikgemälde übertüncht oder durch große Koraninschristen verdeckt. Im Jahre 1847 Ivurde jedoch der italienische Architekt Fossati beauftragt, das Innere in seiner ursprünglichen Pracht wiederherzustellen, und es wurden nur Verlangen mit 217 gegen 194 Stimmen stattgegeben. Diese Ab- stimmuug wurde von Keir Hardie , Macdonald, Snowden und Glasier als ein Tadelsvotum gegen sich aufgefaßt, da sie im Berichtsjahre den Vorstand bildeten und jene Aktion gegen Grayson unter- nahmen. Nach dieser Debatte schritt der Kongreß zur Vorstandswahl. Es wurden gewählt: Keir Hardie (319 Stimmen), Macdonald (274 Stimmen), Snowden(240 Stimmen), Glasier(239 Stimmen), I o w e t t(212 Stimmen).— Heute vormittag gab Macdonald die Erklärung ab, daß der gestern gewählte Parteivorstand— mit Ausnahme JowettS— für die Wiederwahl danke, aber sie nicht annehmen könne. Die Er- klärung hat selbstredend eine große Erregung hervorgerufen. Die Delegierten stürmten auf die Vorstandsmitglieder ein, ihre Erklärung zurückzunehmen, aber Macdonald sagte: »Der Nationalrat (Parteivorstand) trat gestern abend und heute früh zusammen und gab mir den Auftrag, folgende Erklärung ab- zugeben: Der Vorstand hatte in den letzten zwölf Monaten viel zu leiden, da in der Partei eine Disharmonie Platz gegriffen hat. Wir wünschen offen zu erklären, daß Sie mit Ihrer Aktion von gestern(der Streichung des Passus betreffend Grayson) den Frieden herzustellen glaubten, aber die Art und Weise, wie Sie e» taten, gleicht einem Tadelsvotum gegen diejenigen, die die Politik der Partei treu aus- geführt haben. Ein offenes Tadelsvotum hätte der Würde der Partei besser entsprochen. Deshalb treten wir von der Parteileitung zurück. Wir wollen als einfache Soldaten in Reih' und Glied kämpfen." Der Kongreß trat sodann auf den Vorschlag Ben Turner» in die Beratung der Frage ein. ob eS ratsam wäre, den gestrigen Be- schlutz(betreffend die Streichung des Passus über Grayson) nochmals zur Abstimmung zu stellen. Nach längerer Debatte wurde der Passus mit 240 gegen 110 Stimmen wiederhergestellt und eine Resolution mit allen gegen zehn Stimmen angenommen, die die von der Partei bislang befolgte Politik für die richtige erklärte. Zun, Schluß sprach Kair Hardie. der die Verzichtlei st ung ausrecht erhielt und warnte den Kongreß vor den jungen Enthusiasten, die die Partei spalten und ruinieren wollten. Die Intrigen und Verdächtigungen gegen den Parteivorstand haben das ganze Parteileben vergiftet. Es sei deshalb bester, wenn andere Genossen in den Vorstand kommen. Mit dieser Erklärung schloß der 17. Jahreskongreß der Partei, der die englische Geschichte tief beeinflußt hat. Französischer Parteitag. Zweiter Tag. St. Etienne, 12. April. (Eig. Ber.) In einer VormittagSsttzung verhandelte der Kongreß interne Parteiangelegenheitcn, namentlich die Frage der Deputiertensteuer. Es Ivurde festgestellt, daß die fälligen Beiträge jetzt viel regel- mäßiger einlaufen und von den Rückständen ein ansehnlicher Teil getilgt ist. Ein Antrag, die Steuer von 3000 auf 6000 Frank— den ganzen Betrag der Erhöhung der Abgeordnetenindemnität— zu erhöhen, wurde der Administtativkommission der Partei zugewiesen. Die Agrardebatte. Die Nachmittagssitzung brachte den Beginn der Verhandlung über die Agrarftage. Dieser Gegenstand hat für die sozialistische Bewegung in Frankreich eine besondere Bedeutung. In diesem Lande hat ja die industrielle Entwickelung keineswegs in dem Maße wie in den anderen Kulturitaaten das Verhältnis zwischen der städtischen und der ländlichen Bevölkerimg verschoben. Auch spielt der Klein- grundbesitz noch eine große Rolle. Die offizielle Statistik führt eine Zahl von 6 663 136 in der Landwirtschast Tätigen an, und von diesen sind 3 604 789 Betriebsleiter, Pächter und Teilpächter und 3 053346 Gutsbeamte, Tagelöhner und Dienstboten. Dieser zahl- reiche Bauernstand, eine Schöpfung der französischen Revolution, ist bekanntlich seither oer Träger verschiedener die dem islamitischen Kult widerstreitenden Mosaiken leicht verhüllt. Fossati hatte Kopien von den Mosaiken angefertigt, und es erschienen auch einige in dem Werk über die altchristlichen Baudenkmäler von Konstantinopel ,-daS W. Salzenberg 1854 in Berlin veröffentlichte. Dank dem Liberalismus des konstitutionellen Regimes in der Türkei (das freilich gerade in den letzten Tagen wieder m Frage gestellt ist) sollen nun die Originale selbst enthüllt werden, und man wird die großartigsten Bildschöpfungen KonstanttnopelS bewundern können. Seit einigen Jahren find auch die Mosaiken einer anderen Moschee, der Kahrie-Dschami, vom Putz befteit worden; aber sie befinden sich in sehr schlechtem Erhaltungszustand und sollen restauriert werden. Schließlich ist auch die Rede davon, daß die Mosaiken der Moschee von Saloniki, gleichfalls einer allen byzantinischen Sophien-Kirche. aufgedeckt werden. DaS neue San Francisco . Als in den schrecklichen Apriltagen de» Jahres 1906 das von dem Erdbeben erschütterte San Francisco in lohenden Flammen aufging, zweifelte man nicht ohne Grund, daß der Wiederaufbau einer neuen Stadt nicht so rasch sich voll- ziehen würde, als amerikanischer Unternehmungsmut eS vorhersah. Daß bereits heute, nach drei Jahren, an Stelle des alten San Francisco ein neues größeres und prächtigeres entstanden ist, dafür gibt der.Colonizer" überzeugende zahlenmäßige Aufschlüsse. Durch die Katastrophe waren damals nicht weniger als 469 große Gebäude- gruppcn vernichtet worden, danunter das Rathaus, die größte» Ge- fchäftS- und Jndustriegebäude und die Hotels. Der Schaden betrug mehr als zwei Milliarden Mark. Heute erheben sich an der Stätte des Unglücks bereits 16 831 völlig neue Gebäude, wo vordem 28 000 alte kleinere standen. Denn die neuen Häuser sind durchweg größer angelegt, so daß die 16 831 neuen Bauten einen größeren Flächenraum bedecken als die alte» 28 000. Die neuen Bauten repräsentieren einen Wert von 600 Millionen Mark, 100 Millionen mehr als die zerstörten Häuser. Man hat die furcht- bare Lehre deS Erdbebens nicht unbeherzigt gelassen: alle neuen Hänser sind vollkommen auS Eisen und Zement hergestellt. Die intercssanten Zahlen finden ihre Ergänzungen in den Schwankungen der Bevölkerungsziffer vor und nach der Katastrophe. Vor dem Unglück zählte San Francisco 450 000 Einwohner: nach der Ver» heerung sank die Zahl auf 350 000. Aber unmittelbar nach Beginn der Wiederherstellungsarbeiten wuchs auch die Einwohnerzahl, je mehr die Bauten vorschritten, umso schneller: daö neue San Francisco zählt heute 507339 Einwohner, also fast 69000 mehr als in der Zeit, die der schweren Heimsuchung voraufging. Humor und Satire. Holle adel Frau Holle schüttelt nicht mehr die Betten: Winter, adel Herr Holle ist gleichfalls nicht mehr zu retten: Holle a. D. l Die Minister müssen gewechselt werden— Frühling, juchhe!— Wie die Jahreszeiten wechseln auf Erden: Holle , adieu! Weshalb man noch zögert, wenn ich's nur wüßte! Soviel wie Floh' gibt's ja. oder wie Sand in der Wüste, Minister io spe, Regierungssysteme gewesen: des ersten und zweiten Kaiser - reiches, wie jetzt der radikalen Republik . Die agrarische» Fragen sind in allen parlamentarischen Parteien von entscheidender Bedeutung. So sah sich auch die sozialistische Propaganda früh- zeitig vor die Aufgabe gestellt, ihre Methoden auf dem Land prinzipiell und taktisch zu bestimmen. Der alte Partie Ouvricr Francais hat auf dem Marseiller Kongreß 1892 ein Landprogramm beschloffen und in Nantes 1894 ergänzt. Die geeinigte Partei ist bisher zu einer eingehende» Verhandlung über diesen Gegenstand nicht gekommen. Dabei wurde eine Klärung immer dringlicher. Die soziale und politische Entwickelung brachte auf dem Lande eine Reihe neuer, merkwürdiger Erscheinungen hervor. In einigen Gegenden haben Gewerkschaften ländlicher Arbeiter ansehnliche organisatorische und wirtschaftliche Erfolge erzielt, im Süden sind Winzergenossenschaften sozialistischer Kleinbauern entstanden. Ms dann vor zwei Jahren die große Winzerbewegung aus- brach, standen ihr die Parteigenossen ziemlich ratlos gegenüber. Die sozialistische Partei muß aber um so mehr zu einem sicheren Stand- Punkt in der Agrarfrage kommen, als die Zahl der Wähler, die ihr aus den ländlichen Wahlbezirken zuströmen, immer mehr steigt. Was hat die Partei ihnen zu bieten? Welche Hoffnungen und welche Forderungen? Der Kongreß in Limoges hat zum Studium dieses Problems eine Agrarkommisfion gewählt, die Fragebogen an die Partei« föderationen aussendete. Ihr Bericht wurde vonCompöre-Morel, dem um die ländliche Propaganda so hoch verdienten Genossen dem Parteitag in Toulouse vorgelegt, jedoch wegen Zeitmangels nicht mehr beraten. Diesmal ist dieser Punkt in der Tagesordnung voran- gesetzt, und so ist die Möglichkeit für eine eingehende Erörterung gegeben. An ihr teilzunehmen sind namentlich auch die ländlichen Delegierten— Landwirte und Arbeiter— berufen, die zahlreich er- schienen sind. Welche Bedeutung dieser Debatte zugeschrieben wird, geht auch daraus hervor, daß sich der Ackerbaumini st er Ruau unlängst bemüßigt gefühlt hat, in einem langen, mit Zitaten auö der sozia- listischen Literatur reichlich gespickten Vortrage zu beweisen, daß in der Landwirtschaft die Konzentrationstendenz nicht vorhanden sei. An diese Rede knüpft Compöre- Morel in der Rede an. womit er die Diskussion eröffnet. Er kritisiert bie offiziellen Fragebogen, die es ermöglichten, die winzigen Kartoffel- äcker und Gemüsebeete der Arbeiter als landwirtschaftliche Unter- nehmungen zu zählen. Selbst ein dem Sozialismus so tvenig ge- neigter Autor wie A v e S G u y o t gibt zu, daß die eigentlichen landwirtschaftlichen Unternehmungen— diejenigen, die Lohnarbeiter beschäftigen— an Zahl abnehmen. Wohl ist die Konzentration der Betriebe nicht allgemein. In der Nähe der Großstädte werden Güter zerstückelt und an Gemüsezüchter verkaust. Auch vermehrt sich das Kleineigentum dort, wo der Boden schlecht ist und die An- Wendung moderner technischer Mittel nicht erlaubt. Auch die sozialistische Gesellschaft könnte im Gebirge keine Dampf- pflüge verwenden. Dort aber, wo der Boden gut ist, ist die Konzenttatton eine Tatsache. Der kleine Eigentümer arbeitet, wie der Agronom Prof. Grandeau erklärt, mit um 20 bis 25 Proz. höheren Kosten als der große. Der Kleinbauer erhält sich nur, Werl er außerhalb der Gesellschaft und ihrer Kultur lebt. Er ist viel schlechter daran als der Lohnarbeiter in der Stadt. Wir haben auf unseren Agitationstouren genug Leute gefunden, die ein und das- selbe Gewand sieben bis acht Jahre auf dem Leibe trugen. Der Gegensatz zwischen dem Bauer und dem Städter rührt daher, daß der Bauer sich die Genüsse des Städters versagt sieht. Die Ver- arößerung der Hypothekenlast hat nicht der Verbesserung deS Besitzes, sondern der Schuldenzahlung gedient. Die Bodenverschuldung aber steigt ungeheuer. 1841 wurden 329 576 Hypothekenschulden im Betrage von 401 575 840 Frank aufgenommen, 1898 aber 465 470 im Betrage von 2700 Millionen, also mehr alS das Sechsfache. Wenn sich der Kleineigentümer erhält, so oft darum, daß ihn der Großgrundbesitzer an seiner Seite haben will, um billige Arbeiter zu haben, so win ein Fabrikant Arbeiterwohnungen baut. Als Gärtner und Gemüsezüchter kann der kleine Eigentümer existieren, weil große technische Erfahrungen und Kenntnisse' dazu ge- Tuch taugt für dieses Ressort ein jeder: „Kultus?" Aeh— bäh I" Ein Soldat oder Bureaukrat entweder war es von je. Nehmt irgend einen! Er braucht von den Fragen in seinem Metier nicht mehr zu verstehen wie vom Lautenfchlagen— Holle o. D.I_ Franz. Notizen. —„N o r a" bei den B o t o k'u d e n. Im Jahre 1879 vollendete Ibsen sein Drama»Nora". Die erste Aufführung fand im Hoflheatcr in Kopenhagen am 21. Januar 1879 statt. Im nächsten Jahre folgten die größeren Theater in den nordischen Ländern und da? kgl. Residenz-Theater in München , ferner das Dresdner Hoftheater, Hannover und ein Berliner Theater. Das Drama erweckte Debatten und gab unübersehbare Anregungen in der ganzen Welt. Kein größeres Theater dürfte existieren, an den es nicht wiederholt aufgeführt wurde.... Sogar in kgl. Schau« s p i e l h a u s e zu Berlin ist das merkwürdige Stück jetzt aufgeführt worden und zwar zum ersten Male am 14. April 1909— bloß 80 Jahre nach seinem ersten Erscheinen. Es muß dort aus reinem Versehen hingeraten sein. Doch nein, eS gibt eine Erklärung: die Intendantur hatte JbsenS Ordensliste eingesehen und sie ganz repräsentabel gefunden, und ihr zuliebe durfte„Nora" einziehen, geführt von Herrn Lindau, dem Dramaturgen, der mit seinen 70 Jahren immer noch viel zu revolutionär ist für diese Alterttimssammlung. — Im Berein fürFrauen undMädchen der Arbeiterklaffe wird am Montag, den 19. April, in Beckers Festsälen, Komman- dantenstraße 62, die Schriftstellerin Klara Viebig aus eigenen Werken vorlesen. Gäste sind willkommen. — Hei leiwet noch! Das„Brieqer Stadtblatt' brachte folgende Notiz:„Die Schlacht bei Mollwitz", patriotisches Volks« stück in vier Akten, geht am Montag, den 15. d. M., am hiesigen Stadttheater in Szene. Vielseitigen Wünschen entsprechend tritt im letzten Akt der König Friedrich II. persönlich auf." Bei den getreuen Patrioten in Brieg scheint demnach alle» möglich zu sein. — Ausgesungen hat nach New Yorker Meldungen der Tenorübermensch beider Hemisphären, Caruso, der Göttergleiche. Er hat seine goldlegende Henne derartig ausgenutzt(im Theater und für Grammophonaufnahmen), daß sie nun versagt. Zuerst suchte er dann die hohe» Töne zu forcieren. Aber eS kam nichts mehr. Nun soll er zwei Jahre nicht mehr singen und auch nicht laut sprechen, verlangen die Aerzte. Die vielen 10 000 Mark, die Caruso für den Abend in Deutschland verlangt— drüben noch mehr— sind ftitsch und die vornehme Welt ist um ihre Sensation gebracht. Caruso, der ttotz des grotesken Kultus ein echter Künstler geblieben ist, will in Europa Heilung suchen. — Die Zeppelin-Spende hat. wie Zeppelin mitteilt, den Betrag von 6 096 555 M. erreicht. Der Empfänger hat daraus eine �Zcppelin-Stiftimg" gebildet, die staatlich genehmigt wurde. Ihre Miliel solle» dazu dienen, das bei Echtcrdingen verbrannte Luftschiff zu ersetzen und die Zeppelinschen Luflschiffbauten zu fördern. Eine in Friedrichshafen begründete Gesellschaft„Luftschiffbau Zeppelin ", an der auch Privatkapital beteiligt ist, soll an der Verwirklichung der Zeppelinschen Pläne arbeiten. Immerhin sollen auch andere Luftschiffunternehmungen und wissenschaftliche Untersuchungen unter- stützt werden.
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