Nr. 93.
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26. Jahrg.
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Telegramm- Adresse: ,, Sozialdemokrat Berlin"
Zentralorgan der fozialdemokratischen Partei Deutfchlands.
Redaktion: S. 68, Lindenstrasse 69. Fernsprecher: Amt IV, Nr. 1983.
Donnerstag, den 22. April 1909.
Expedition: S. 68, Lindenstrasse 69. Fernsprecher: Amt IV, Nr. 1984.
Rüstet zur Maifeier!
Der große Unbekannte.
interessantes Zeugnis bor. Herr v. Bennigsen rosen Fällen gegen polnische Staatsbürger belegen. In geradezu schrieb am 15. September 1878 an seine Frau, er fürchte, lächerlicher Weise hat man selbst einer polnischen Frau, die für Bismarck wolle mit dem Sozialistengesetz die Nationalliberalen sich und ihre Kinder eine Sommervilla bauen wollte, auf Grund des In den jüngst erschienenen, von uns bereits mehrfach an die Wand drücken". Dazu erzählt er:„ Als Bismarck in Ansiedelungsgesetzes die Genehmigung versagt. War die polnische erwähnten Memoiren des 1907 verstorbenen ehemaligen Chefs Friedrichsruh die Nachricht von dem Nobilingschen Attentat Kritik in diesem Jahre, dem ersten nach der berüchtigten Entder Reichskanzlei, des Herrn Christoph v. Tiedemann, erhielt, soll er in Gegenwart eines zum Besuch anwesenden eignungsvorlage, um so schärfer, so war die freisinnige Kritik um wird erzählt, ein„ bielgenannter sozialdemo- höheren Beamten ausgerufen haben: Jezt habe ich die Sterle!" so jämmerlicher, wenn man überhaupt das noch eine Stritit nennen tratischer Agitator" habe seinerzeit der Reichskanzlei und zur Erläuterung für den etwas verwundert ausschauenden fann. Bezeichnend war schon der Mann, den die Freisinnigen zu wertvolle Berichte aus dem sozialdemokratischen Beamten hinzugefügt haben:„ Ich meine nämlich die ihrem ersten Redner bestimmt hatten. Herr Wolff- Lissa ist Lager" geliefert. 1878 fei dieser Mann gleich nach dem Nationalliberalen". nämlich durch ein Kompromiß mit seinen konservativen Block
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Es dürfte nicht unangebracht sein, diese Mitteilung des Herrn v. Tiedemann genauer auf ihren historischen Wert zu prüfen. Zu diesem Zweck müssen wir auf die Ereignisse des Jahres 1878 zurückgehen.
Nachdem ein
Attentat Hö dels gegen Kaiser Wilhelm I. bei dem Soweit Herr von Bennigsen. Aber die Nationalliberalen brüdern ebenso wie der zweite freifinnige Redner Herr Aronsohn Chef der Reichskanzlei erschienen und habe Mitteilungen ge- gingen in die Falle. Der Reichstag wurde aufgelöst, unter als deutscher Kandidat gegen einen Polen gewählt worden. Man macht, aus denen Herr v. Tiedemann, den Eindruck dem Druck der Sozialistenheze ein neuer gewählt und ein konnte deshalb von ihm mit dem besten Willen nicht erwarten, daß er gewonnen habe, daß direkt gegen den Be- Ausnahmegesetz gegen die Sozialdemokratie durchgedrückt mit die verfassungswidrige Politik Preußens scharf bekämpfen würde. st and der Monarchie gerichtete Angriffe" der Begründung, die Sozialdemokratie sei für die Attentate Aber auch die geringsten Erwartungen enttäuschte Herr Wolff, denn bevorständen. verantwortlich, wofür man auch nicht den Schatten er sagte gegen die Polenpolitik der Regierung nicht ein ein. eines Beweises beibringen konnte. Durch den Telegraphen siges Wort, sondern er trat in streng hafatistischer Weise für wurde eine angebliche Darstellung eines angeblich mit die Erhaltung des deutschen Mittelstandes ein. Nobiling vorgenommenen Verhörs verbreitet, in dem Nobiling anderer Wolff, der sich im Gegensatz zum Lissaer Wolff konsersich als Sozialist bekannt haben sollte. Diese Depesche bativ nennt, gegen die Herabseßung der Güterpreise gewettert Am 11. Mai feuerte der Idiot Hödel aus einem trug viel dazu bei, die Wut des guten Bürgertums" gegen hatte, kam unser Genosse Ströbel zum Wort. Er ließ die 22 Revolver schlechtesten Kalibers zu Berlin Unter den Linden die Sozialdemokratie zu steigern. Allein es war fein wahres Jahre preußischer Germanisierungspolitik Revue passieren und einen Schuß gegen den porüberfahrenden alten Kaiser Wilhelm ab. Wort an der Sache. Durch das Sozialistengesetz wurde aber schilderte Mißerfolg auf Mißerfolg. Fast 400 Millionen Mark Hat Man wird nicht fehl gehen, wenn man annimmt, Hödel habe durch auch die nationalliberale Partei gespalten und damit für Preußen für diese Zwede verschwendet und steht froßdem gegen wärtig vor einem glänzenden Fiasko. Weder die Ausbreitung der fein„ Attentat" sich irgendwie bemerkbar machen wollen, denn er Bismarcks agrarische Schutzzollpolitik freie Bahn geschaffen. hatte bei seiner Festnahme feinen Pfennig mehr in der Tasche. Daß zwischen dem Hödelschen und dem Nobilingschen Polen sogar über den Osten hinaus, noch die Zunahme der polMerkwürdigerweise kam von Friedrichsruh sogleich eine De- Attentat ein Zusammenhang bestanden habe, davon ist nicht nischen Stimmen hat die Zwangspolitik berhindern, noch die Anfiedelung eines zahlreichen deutschen Kleinbauerntumis erreichen pesche Bismarcks des Inhalts: Maßregeln gegen die geringste Spur erwiesen; es ist auch ganz undenkbar. die Sozialdemokratie!" In dem größten Teil der Der Gewährsmann des Herrn v. Tiedemann ist demnach fönnen. Dafür hat sie 450 Großgrundbefizern für teueres Geld bürgerlichen Presse ging darauf fofort eine wütende Hege allem Anschein nach ein Schwindler gewesen, der den Herrn ihre Güter abgekauft. Ausführlich verweilte unser Nedner bei der gegen die Sozialdemokratie los, der man die direkte oder Chef der Reichskanzlei und den„ Herkules des Jahrhunderts" großen Proteftfundgebung deutscher Ansiedler in Gnesen , auf der mindestens die moralische" Mitschuld an dem Attentat auf- gründlich angelogen und dafür seinen Judaslohn eingestrichen der Bund der Landwirte und sein anwesender Direktor Dr. Rösicke bürden wollte. Hödel war allerdings einmal mit der Sozial- hat. Wäre er wirklich ein hervorragendes Mitglied der eine so kräftige Absage erhielten. Die Verschwendung von 400 demokratie in Berührung gekommen; er war aber energisch sozialdemokratischen Partei gewesen, so hätte sein Verrat auf Millionen Mark für diese einseitig agrarischen Zwecke brandmarkte ,,. abgewimmelt" worden und hatte dann gegen bares Geld bei die Dauer schwerlich verborgen bleiben können. Wahrscheinlich unser Redner um so schärfer, als Preußen sich feinen Verpflich den Nationalliberalen angebliche Enthüllungen über die gehörte er der Sozialdemokratie gar nicht an. Bismard hat tungen gegen das. Reich entziehen und die Viertelmilliarde geSozialdemokratie angebracht. Dann wollte er sich in einmal selbst von solchen Individuen gesagt:„ Die stundeter Matrikularbeiträge nicht bezahlen will. Die naive Furcht Berlin bei der Sozialdemokratie wieder anschmeicheln, Agenten lügen und übertreiben unverant. des Fürsten Bülow vor einem polnischen Aufstand führte Ströbel an der Schilderung der ökonomischen Verhältnisse des Ostens gründwurde jedoch derb abgewiesen und hatte sich als wortlich!"
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dann an die Christlichsozialen des Herrn Stöcker Darum hätten er und Tiedemann aber auch so gescheit lich ad absurdum. Die standalöse Enteignungsvorlage gibt uns herangemacht. sein und nicht alles glauben sollen.
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ein schönes Vorbild, wie wir es einmal machen können, aber Die Hödel Affäre genügte dem Herkules des Jahr- Die Behauptung, daß die Sozialdemokratie die Urheberin dann nicht für eine Handvoll preußischer Junker, sondern im hunderts", eiligst ein monströses Gesetz zur Abwehr sozial- der Attentate von 1878 gewesen sei, wird heute von niemand Interesse der breiten Massen des Volkes. Den Intereffen der der Ansiedelungspolitik interessierten Streise stellte demokratischer Ausschreitungen" ausarbeiten zu lassen. Der mehr ernst genommen, der nur einigermaßen logisch denken wenigen an Reichstag lehnte aber das Gesetz mit überwältigender Mehr kann. Nur der schwäbische Professor Gottlob Egelhaaf . Ströbel entgegen die Interessen der so jämmerlich entlohnten die kein Geld da war, Virchow richtete an die Behörden das Gesuch, ihm den in seiner Geschichte der neuesten Zeit" nochmals behauptet, Aus all diesen Gründen des sozialen Fortschrittes und der natioheit ab. Hödel wurde später verurteilt und hingerichtet. eine Leuchte der nationalliberalen Partei, hat in diesen Tagen Unterbeamten und Staatsarbeiter, für während es hier in Massen zum Fenster hinausgeworfen wird. Kopf Hödels zu überlassen, um festzustellen, ob er ein Idiot die beiden Attentate seien aus der Verhegung der sozial- us all diesen Gründen des sozialen Fortschrittes und der natio nalen Ehre lehnt deshalb unsere Fraktion den Ansiedelungsetat gewesen sei. Das Gesuch wurde bezeichnenderweise abgelehnt, demokratischen Massen" entstanden, doch wird dieser„ Historiker" nalen Ehre lehnt deshalb unsere Fraktion den Ansiedelungsetat aber der Verleumdungsfeldzug gegen die Sozialdemokratie nur noch von nationalliberalen Mannesseelen ernst genommen. ab. Am Donnerstag geht die Beratung weiter. wegen ihrer angeblichen Mitschuld an dem Attentat dauerte fort, Tiedemann hat, als er seine Memoiren niederschrieb,
wenn auch die Fruftifizierung" borläufig mißglückt war. offenbar daran gedacht, daß die Geschichte ein hartes Urteil Die Jungtürken und der Sultan . Nach dem Attentat ist also, wie Herr v. Tiedemann er- fällen fönnte über den Staatsmann und seine Handlanger", zählt, der vielgenannte sozialdemokratische Agitator" auf der die eine so einschneidende Maßregel, wie das Sozialistengesetz, Die Umfassung Konstantinopels durch die Jungtürken ist Reichskanzlei erschienen. Wenn Herr v. Tiedemann aus dessen nur mit der völlig frei erfundenen Behauptung vollendet. Die Belagerungsarmee erhält fortwährend Zuzug Mitteilungen damals die Ueberzeugung gewonnen hatte, daß von der Mitschuld der Sozialdemokratie an den beiden von Mannschaften der Garnison, von Militärschülern und weitere„ direkt gegen die Monarchie gerichtete Angriffe" bevor- Attentaten begründen konnten. Zur Rechtfertigung, die selbst Freiwilligen. Ein Widerstand der Garnison gegen die anstanden," so erwuchs ihm, als einem hohen Beamten dieser verständlich mißlingen muß, läßt er feinen großen Un- rückende Armee erscheint ausgeschlossen. Ist so der Sieg der Monarchie, die Pflicht, der Sache auf den Grund zu gehen, bekannten" auftreten. Aber wenn dieser Zeuge einen Wert Jungtürken gewiß, so liegt es im ungewissen, wie die Stelle, von der die weiteren Angriffe drohten, aus haben sollte, so mußte er genannt werden. Die Geschichts - die Jungtürken ihren ihren Sieg benußen wollen, und findig zu machen und ihnen womöglich vorzubeugen. Der forschung glaubt an den großen Unbekannten noch weniger, unklar bleibt vor allem ihre Stellung zum Sultan. ,, bielgenannte Agitator" mußte auch in diesem Falle den Ver- als der Strafrichter, vor dem er in tausend Fällen an- Stein Zweifel, daß die Verhandlungen des jungräter spielen, wenn er nicht als Mitschuldiger angesehen gerufen wird. sein wollte. Wollte er keine bestimmten Angaben machen, so Herr v. Tiedemann hat der großen historischen Blamage, fache allein läßt erkennen, daß die Jungtürken sich doch mußte man sich seiner als eines Mitwissers hochverräterischer die man mit dem Sozialistengesetz erfahren hat, durch seine schwächer fühlen als es den rein militärischen MachtverhältKomplotte versichern- alles dies vom Gesichtspunkt der amt- ungeschickte Einführung des großen Unbekannten" noch eine nissen entspricht. Vor allem darf nicht vergessen werden, daß lichen Verpflichtungen des Herrn v. Tiedemann aus gedacht. Kleinere angefügt. die Jungtürken zwar zu Lande über die erdrückende UeberEs scheint aber nichts dergleichen geschehen zu sein! Der große Unbekannte" taucht übrigens später noch macht verfügen, daß aber die Haltung der Flotte Am 2. Juni folgte das Attentat von Nobiling. Nach mals auf. Zu Anfang der achtziger Jahre machte in Berlin auch jetzt noch zweifelhaft ist. Ein Bombardement den Angaben des Herrn v. Tiedemann hätten die beiden ein Wachtmeister der Kriminalpolizei den Versuch, einen Konstantinopels durch die Kriegsschiffe, das das Leben Attentate in Zusammenhang gestanden. Aber damit treuen und zuverlässigen Parteigenossen zu bestechen, der Ausländer in Gefahr bringt, wäre aber wohl flagt er sich selbst einer von seinem Standpunkte aus un- damit er der Polizei Berichte liefern solle. Der Wacht der Anlaß zu einer Intervention der auswärtigen Mächte, verzeihlichen Fahrlässigkeit an, denn er hätte doch dem angeb- meister wurde in eine Falle gelockt und belauscht. Auch er die die Jungtürken um jeden Preis vermeiden müssen. lichen Komplotte nachspüren müssen. sprach von einem ,, vielgenannten Agitator", der angeblich der Denn ihre Revolution soll ja gerade darin ihre Rechtfertigung Nach dem Nobilingschen Attentat, bei dem der alte Polizei Spionendienste leistete. Doch wurde auch hier kein finden, daß die Erringung der Konstitution die Türkei vor den Kaiser schwer verwundet wurde, erreichte die Sozialistenheze Name genannt. Die Affäre wurde damals an die Deffent- Eingriffen des Auslandes befreite und dessen Ränken und ihren Höhepunkt. Die Sozialdemokratie wurde in einer nieder- lichkeit gebracht und machte viel Aufsehen. Intrigen ein Ende machte. So sind die Jungtürken in der trächtigen, verlogenen Bresse der direkten Anstiftung des Auch in diesem Falle muß der vielgenannte Agitator" schwierigen Lage, nicht nur einen Sieg erringen, sondern Attentats beschuldigt. Nobiling, ein verbummelter Mensch, wohl ein Schwindler gewesen sein, wenn er überhaupt auch einen un blutigen Sieg sich sichern zu müssen. hatte mit der Sozialdemokratie niemals etwas zu tun gehabt; existiert hat. Darum ihr Zögern, darum das Hinausschieben des Einmarsches, der jetzt wieder für Donnerstag mittag festgefekt wird, und darum auch die Verhandlung mit Abdul Hamid . Gelingt es, mit ihm zu einer Vereinbarung zu kommen, so drohen auch von der Flotte her den Jungtürfen feine Komplifationen, und sie können sich Konstantinopels ohne Schwertstreich bemächtigen. Von der Furcht, zu einer auswärtigen Intervention Anlaß zu geben, sind sie dann befreit, und erst einmal im Besitz der Stadt, mag es ihnen dann leichter werden, bon ihrer Macht Gebrauch
er war nur einmal in Dresden in einer Versammlung als Redner gegen die Sozialdemokratie aufgetreten und hatte im Sinne der nationalliberalen Partei gesprochen.
Der Etat der Gewaltpolitik.
Will man ihn politisch klassifizieren, so muß man ihn den Einen Tag später als der Reichstag nahm am Mittwoch bas Nationalliberalen zuzählen. Wenn man diese Tat- preußische Abgeordnetenhaus seine Beratungen wieder fache erwähnt, so stellt die nationalliberale Presse sich dumm, auf und setzte die zweite Etatlesung beim Etat der Ansiede weil ihr kein anderer Ausweg bleibt. Iungskommission fort. In der Generaldebatte übte der Bismarck fruftifizierte" das zweite Attentat aber nicht Bole Dr. Seyda scharfe Kritik an der Zwangspolitik Preußens mur gegen die Sozialdemokratie. Dafür liegt ein und konnte seine Ausführungen durch eine große Reihe von rigo