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tiner energischen VesiMwng der Genubmlttel der MgemelnheU auch der allgemeine Besitz zu den Reichklasten in angemessener Weise herangezogen werden miisite. Sie haben zu diesem Zwecke eine Besteuerung der Erbschaften vor- geschlagen und sind nach wie vor der Meinung, daß dies die geeignet sie Besitzabgabe ist, die für daS Reich in Frage kommt." Und in beziig auf Bülows Stellung zu den Beschlüssen der Finanzkommission heißt es: .Ein Teil der Presse hat über die Haltung des Reichskanzlers In diesen Fragen gänzlich unbegründete Anschauungen entwickelt. Der Neichskanzler war in den letzten Wochen fortgesetzt mit Ver- Handlungen über die Finanzreform beschäftigt. Er hat nichts im- versucht gelassen, um eine Einigung zwischen der Rechten und der Linken herbeizuführen. Seine Stellungnahme zu den einzelnen Teilen der Reichsfinanzreform ist so häufig und so nach- driicklich dargelegt worden, daß eine neue Kundgebung in diesem Sinne wohl kaum nötig sein sollte. Auch die Vorgänge in der Kommission, die er auf das lebhafte st e bedauert, können ihn keineswegs zu einer Aenderung seiner ganzen bis- herigen Haltung bewegen. Der Reichskanzler wird. wie wir hören, die nächsteGelegenheit imReichs- tage benutzen, um seine Stellung vor dem Lande klarzulegen." Sllso wieder eine schöne Rede mit leeren Versprechungen. Wie gedenkt Bülow sein Versprechen einzulösen? Allein Anschein nach dadurch, daß er den Kaiser als Vor- spann zu benutzen beabsichtigt. Für diese Ansicht spricht wenigstens, daß er jetzt mit zwei Personen Rat hält, die beim Kaiser in besonderer Gunst stehen und die zugleich als Vertraute der großen Bankfinanz und des Großhandels gelten: der Geheimrat Witting und der Direktor Ballin von der Hamburg-Amerika-Linie  . Das Code der Komödie. Der erste Teil der Fiitanzreformkomödie ist ausgespielt. In einer Dauersitzung, die bereits früh um 9 Uhr begann, hat die Rumpfkommission, die das Durchpeitschen zum Prinzip erhoben, das Arbeitspensum erledigt. Zuerst die Mühlenumsatzstcuer. In der ein- dringlichsten Weise ist den konservativ-klcrikalen Steuerwütcrichen vom Regierungstische aus klargemacht worden, daß eine solche Steuer den kleinen Mühlen nichts nützen kann, die Großbetriebe aber dem Ruin zutreibt. Selbst der ZentrumSmann Zehnter erklärte, für eine solche Steuer mit solchen Sätzen nicht stimmen zu können. Umsonst. Die Steuer fand Annahme. Mit derselben Behendigkeit ging der Kohlen- zoll durch. Die Vertreter der Regierung führten eine Menge der schwerwiegendsten Bedenken an; doch alle Gründe machten nicht den mindesten Eindruck. Ja, der Zentrumsabgeordnete Dr. Fleischer brachte es sogar fertig, den Zoll zu verlangen, im Interesse der deutschen   Arbeiter, die seiner Ansicht nach darunter leiden, wenn die ausländische Industrie billigere Kohlen erhält- Der Zoll auf Kohlen, der gegen die Stimmen der Reichspartei Annahme fand, soll dem Reichs Millionen Mark bringen. Herr V. Gamp bekam es plötzlich mit geschäftsordnungS» mäßigen Bedenken zu tun. Er verlangte, man solle diese Steueranträge in die Form von Gesetzes- vorlagen bringen, die dann im Plemim drei Lesungen zu passieren haben. Auch er fand keine Gnade, denn auf einen Bruch der Gc- schäftsordnimg mehr oder weniger kommt cS nun in der Tat nicht mehr an. Beim Finanzgesetz kehrte das Zentrum wieder einmal sein partikularistischeS Gesicht heraus. Den Einzelstaatrn ist in der ersten Lesung die Pflicht auferlegt worden, von den gestundeten Matrikular- beitrügen 144 Millionen Mark zu zahlen. Das Zentrum setzte durch, daß diese Last anf daS Reich übernommen wird. Zwischendurch proklamierte Herr v. Rheinbaben den Anbruch der Aera der Spar« samkeit, was er sich noch extra von Herrn Sydow bestätigen ließ. Herr v. Gamp allerdings traut diesen Prophezeiungen nicht, und er mag im Recht sein. In der NachmittagSfitzung erklärte Schatzsekretär Sydow. daß die verbündeten Regierungen auf keinen Fall sich auf ein Gesetz einlassen werden, das den Handels- verkehr schwer treffen würde. Die Regierung hält an der Erbanfall st euer fest. DaS Zentrum verlegte sich auf's Zureden, die Regierung aber blieb fest, sie gibt auch keine Auskunft über die Art der neuen Belastung der Börse. Die Antisemiten und die Freikonservativen erklären darauf, daß sie nicht grundsätzliche Gegner der Erbanfallstcuer stich. Eintönig plätscherten die Reden weiter, bis Abg. Gröber daS Wort nahm, der offenbar den Wochenrückblick derNord. Allg. Ztg." bereits gelesen hatte und nun laut und erregt dagegen Protest erhob, daß man Steuern ablehnt, weil sie vom Zentrum kommen. Im deutschen   Reichstag findet sich, behauptet er, keine Mehrheit für eine Erbschafts   st euer. Die Besteuerung der Wertpapiere wird angenommen. Eine Umsatzsteuer stellt Sydow in Aussicht; dagegen werde eine Reichs« WertzuivachSsteucr nicht kommen. DaS hinderte die Kommission sticht, die Anträge anzunehmen. Die Kommission tritt bereits am 12. Juni zur Fest- stellung der Berichte wieder zusammen, und Mitt- woch, den IS. Juni, sollen schon die Steuervorlagen auf die Tages­ordnung deS Reichstages gesetzt werden. Sitzungsbericht. Am Pfingstsonnabend begann die Finanzkonnnisfion ihr Merk bereits um 9 Uhr. Zunächst kommt die Beratung der Mühlen  - Umsatzsteuer an die Reihe. Abg. Dr. Rocsicke begründet den Antrag kurz damit, �daß er die von ihm und dem Abg. Speck tZ>) im Plenum zu die>em Gegen- stand gehaltenen Reden zur Einverleibung in das Protokoll über- reicht! Abg. v. Gamp schlägt die Annahme eines Gesetzentwurfes vor, anstatt eines Antrages der Kommisston. Anf dich« Weise muß die Materie drei Lesungen im Plenum passieren. Die Freikonservativen sind von dem konservativen Antrag überrascht, sie werden deshalb gegen den Antrag stimmen. Die Freikonservativen wollen die kleinen Mühlen durch eine Umsatzsteuer schützen, der konservative Antrag aber macht eine Finanzquellt für das Reich daraus. Wenn man die Form eines GesetzentwurfcS wählt, dann kann im Plenum die erste mit der zweiten Lesung verbunden werden, und Kommisstonsberntung ist nicht mehr nötig� Schatzsekretär Sydow ist durch den konservativen Antrag deshalb überrascht, weil bis jetzt die Mühlenumsatzsteuer immer lobend als eine wirtschaftliche Maßnahme behandelt wurde. ES sei völlig unzulässig, solche Bestimmungen in daS Finanzgesetz ein- zuarbeiten. Er müsse prinzipiell Widerspruch da- gegen erheben, daß diese wirtschaftliche Frage mit der Finanz- reform verquickt werde. Dem Bundesrat würde dadurch die Pistole auf die Brust gesetzt, denn er müsse dann die Vorlage mit dieser Bestimmung annehmen oder die ganze Reform scheitern lassen. Abg. Gröber will diese Bedenken nicht gelten lassen. Jedenfalls könne erreicht werden, daß mit dem Hineinarbeiten dieser Steuer in die Finanzresorm die Regierung in irgend einer Weise Stellung nehmen müsse. Diese günstige Gelegenheit dürfe man sich nicht eni- gehen lassen. Schatzsekretär Sydov verteidigt noch einmal den ablehnenden Standpunkt der Regierung. Ein Kommissar des Bundesrats trägt die Bedenken vor, die gegen die geforderte Steuer sprechen. Eine Reihe Vertreter der Einzelstaaten schließen sich dieser Ansicht an. Abg. Raab(Antis.) begeistert sich natürlich für die Mühlenumsatz- steuer. Im übrigen verlritt er die Auffassung, daß die Finanz- kommission die Ausgabe habe, möglichst viele neue Sreuern zu be- raten und sie dem Plenum zur Auswahl zu unterbreiten. Schatzsekretär Sydow tritt einer in der Debatte gefallenen Acußerung entgegen, wonach man dem Reichstag   allein die Ver- antwortmig üb'erlaffen solle. Das käme einer Abdankung des Bundesrates gleich. Ein bayerischer und ein sächsischer Vertreter wünschen, daß wenn der Antrag Gesetz werde, der Ertrag den Einzelstaatcn überwiesen werde. Schließlich wird der Antrag Gamp auf Einbringung eines Gesetzentwurfes abgelehnt. ES folgt die Beratung der Kohlensteuer. Ein preußischer Geheimrat gibt statistische Daten, die gegen diese Steuer sprechen. Abg. Gras Midzynski ist gegen den Zoll. DaS deutsche Gruben- kapital wälze die Steuer auf die Arbeiter ab. Abg. Rocsicke: Der Preispolitik des Kohlensyndikats muß ent- gegengetreten werden. Durch Belastung der Kohle könne das Reich enorme Mittel gewinnen. Der Ausfuhrzoll werde die Ausfuhr nicht beeinträchtigen. In England sei die Ausfuhr trotz des Zolles nicht bloß gestiegen, sondern auch die Preise haben sich gesenkt. Die deutsche Grubenindustrie verkaust im Ausland zu Schleuder- preisen. Füglich kann sie eine Belastung auch ertragen. Der Ertrag ergibt bei Steinkohleu 19 Millionen, bei Koks usw. 7 Millionen Mark. Von eineni Kommissar deS Bundesrats wird aus- einandcrgesetzt, daß der Export nicht leidet, denn die Gruben müssen exportieren. Zu den hohen Preisen tragen die sozialpolitischen Lasten mit 1,28 M. per Tonne bei. Zahlen müssen bei dieser Steuer die Konsumenten. Abg. Dr. Fleischer wirft den Preiskonventionen Terrorismus bei der Preissestsetzung vor. DaS schlesische Grubenkapital habe, als die schlestsche Textilindustrie schwer daniederlag, diese genötigt, die hohen Kohlenpreise zu zahlen, gleichzeilig gaben sie die Kohlen zu billigeren Preisen an die österreichische Konlurrenz ab. Deshalb wollten die Arbeiter den Kohlcuzoll! Abg. Müller- Fulda bestreitet, daß die von der Regierung be- fürchteten winschafilichcn Nachteile eintreten. Der Kohleilausfuhrzs» wird gegen die Stimmen der Freikonservanven beschlossen. Es folgt die Beratung des Finanzgcsetzcs. Schatzsekretär Sydov: Jede gesunde Finanzvolitik muß ans dem Grundsatz fußen: Keine Ausgaben ohne vorherige Sicherung der Einnahmen. Die Stundung der Matrikularbeiträge sei eine be- denkiiche Maßnahme gewesen. Die Festsetzung der Höchstgrenze sür die Matrikularbeiträge sei nötig, damit die Finanzminister wissen, mit welchen Ausgaben für das Reich sie im Höchstfälle zu rechne» haben. Er bitret die Fassung der Regierungsvorlage anzunehmen. Finanzminister v. Rheinbaben: Die Finanzen der Einzclstaaten hatten sich dadurch nngüustig entwickelt, daß die Ausgaben stärker gestiegen seien als die Einnahmen. Die Einzelstaaten hätten teils ihre Steuern bereits erhobt, teils werden sie daS in der nächsten Zeit tun müssen. Die hohen Ueberschüsse der Eisenbahnen gehören der Vergangenheit an. 1993 hätten die preußischen Eisenbahnen 146 Millionen Mark weniger eingebracht, als veranschlagt worden war. Das werde auch dann nicht wesentlich besser werden, wenn die wirtschaftliche Depression überwunden ist, wenn die Ausgaben weiter steigen. Die beste Garantie für eine sparsame Wirtschaft sei die Stärkung der Position des ReichsschatzamteS. Der Finanzminister in Preußen dürfe nicht überstimmt werden, und wem: der Schatzsekretär nicht nach Belieben Matrikularbeittägen aus« schreiben dürfe, dann könne er einzelnen Ressorts erklären, daß sie sparen müßten, weil er nicht genügend Mittel beschaffen könne. Abg. v. Gamp mißt der Bindung der Matrikularbeiträge eine besondere Bedeutung nicht bei; wenn eben in zwei Jahren die Mittel nicht reichten, dann müsse wieder eine Aenderung eintreten. Preußen habe prunkvolle Bahnhöfe gebaut und dadurch Verschwendung ge- trieben. Keine neuen Ausgaben ohne höhere Einnahmen daö müsse auch der Leitsatz für die Budgetkommission werden. Bebel sei viel zurückhaltender als wie der preußische Finanzminister, der den Aktionären mit der Gesellschafts- steuer eine Belastung von 32 Proz. aufbürden wollte. Schon jetzt seien einzelne Ressorts an der Arbeit, wieder neue Forderungen zu stellen. Damit müsse endlich gebrochen werden. Abg. Erzberger   schließt sich der Kritik an. Abg. Müller-Fulda begründet einen Antrag des Zentrums, 144 Millionen Mark testierende Matrikular­beiträge ans daS Reich zu übernehmen. Schatzsekretär Sydo« wendet sich dagegen, die ganze schwebende Schuld nach fünf Jahren auf Schatzanweisimgcn zu nehmen. Am besten sei es, man wandle die gesinndelen Matrikularbeiträge in eine Schuld um. die in 29 Jahren zu tilgen ist. DieKo m Mission ist da miteinver standen. In der Rachmittagösitzung verband man gleich die zweiten mit den dritten Lesungen und ar- bettete im Ramsch. Zu den Belitzsteuern ergriff das Wort Schatzsekretör Sydow: Die Besteuerung der Wertpapiere, wie die Mehrheit der Kommission sie beschlossen habe, sei eine partielle Vermögenssteuer. Weil aber nur ein Teil des Vermögens betroffen werde, sei die Steuer auch ungerecht. Frei bleibe das Kapital, da» in Hypotheken angelegt sei. Die ausländischen Papiere würden von den deutschen   Börsen vertrieben. Daran könne das Reich keinerlei Interesse haben. In Frankreich   habe sich diese Steuer schlecht be- währt. Man trage sich dort mit der festen Absicht, sie demnächst auf- zuhcben. Wenn wir diese Steuer einführten, dann hinderten wir die Börse in der Beschaffung der Mittel sür Handel und Industrie. Abg. Graf Westarp   verteidigt diese Steuer damit, daß im Reichstage eine Mehrheit für«ine Erbschaftssteuer nicht zu haben sei, weshalb das bewegliche Kapital aus anderem Wege getroffen werden soll. Finanzinluister v. Nljeinlrndcn bestätigt die AuSsührungen deS Schatzsekrelärs. Schatzsekretär Sydow kündigt eine Steuer an. die eine Betastung der Börse bringen werde. Abg. Erzberger   redet der Regierung zn, doch zu nehmen, was sie bekommen könne. Andernfalls besiehe die Gefahr, daß die Finanzreform im Reichstag überhaupt keine Mehrheit fludet. Schatzsekretär Sydow: Die Regierung hält an der Erbanfall st euer fest. Dadurch wird alles Kapital ge- troffen und vermieden, daß dem Gcldverkehr Schwierigkeiten ent- stehen. Abg. Gras Oppersdorfs findet, daß die Gründe der Regierung absolut nicht stichhaltig find. Abg. Böhme jAntis.) und Abg. v. Gamp wollen die Erbanfall- steuer abwarten und sind eventuell bereit, dafür zu stimmen. Abg. Gröber findet eS eigenartig, daß man Antrüge nur des- halb nicht akzeptieren wolle, weil sie von einer bestimmten Fraktion kommen. Man soll nur so fortfahren, über das Resultat brauche man sich dann nicht zu wundern. Da« Zentrum sei sür eine E r b s ch a f t S st e u e r nicht zu haben. Auch darauf soll man nicht rechnen, daß ctiva die Regierung SukkurS vom bayrischen Flügel deS Zentrums erhalte. Der deutsche Reichstag würde keine Erbschaftssteuer» wie sie auch geartet fem möge, bewilligen. ' Bei der Abstimmung wird der konservative WertpflpUwnUaz angenommen. Zu der Umsatz- und Wertzuwachssieuer bemerkt Schatzsekretär Sydow, daß der erstercn Steuer näher getreten werden solle. Der Ertrag werde ein erheblicher nicht sein. Die Denkschrift zur Wertzuwachssteucr werde dem Plenum zugehen. Ihre Durchführung sei nicht in Aussicht zu stellen. Nach einer langen Debatte waren endlich auch diese Steuern erledigt. Im Handumdrehen wurden ohne Diskussion erledigt: Kaffee, Zündwaren, Kohlen, Mühlenumsatzsteuer und Glühkörper. Damit hatte die Finanzkommisfion ihre Arbeiten abends V27 Uhr beendet._ Willkomm demtzochperrSter"! Genosse Karl Liebknecht  , der Verurteilte im Hochverrats- Prozeß vom 12. Oktober 1997, verläßt am Morgen des 1. Juni die Festung G l a tz. Die deutsche Sozialdemokratie bietet dem Kämpfer. der um der Sache deS Proletariats willen 1% Jahre Festungshaft erdulden mußte, herzlichen Willkommensgruß. In der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung wird der Prozeß, dem Genosse Karl Liebknecht   zum Opfer fiel, unvergessen bleiben. Als eines der krassesten Zeugnisse deutscher Klassenjustiz wird da» Urteil des Reichsgerichts, wird das ganze Verfahren be- wahrt werden in den Dokumenten der deutschen   Sozialdemokratie, im Gedächtnis des Proletariats. Zu Anfang des Februar 1997 erschien Liebknechts Broschüre: Militarismus und Antimilitarismus". Zwei Mo- nate lang blieb sie unbeanstandet, zwei Monate lang wurde sie im Buchhandel verbreitet, in der Presse besprochen da erfolgte am 23. April die Beschlagnahme auf Antrag deS ObcrreichsanwaltS wegenHochverrats"! Spät kam er, der Herr ObcrrcichSanwalt, aber um so eiliger hatte ers nun. Schon am 29. April wurde Ge- nosse Liebknecht vor dem Untersuchungsrichter vernommen. Man begreift die Eile, wenn man weih, daß das Verfahren an hohen Stellen mit intensivem Interesse verfolgt wurde. Eine hohe Be- Hörde, so gab der Oberreichsanwalt im Verfahren an, hatte ihn zum Eingreifen gegen das gefährliche Werk aufgefordert. Und der Kaiser ließ sich ständig über das Verfahren und besonders über die Hauptverhandlung Bericht erstatten. Ständig korrespondierte der Untersuchungsrichter am Landgericht Berlin I mit dem Polizei- Präsidium. Alle Anzeichen deuteten darauf hin, daß unserem Gc- nossen, der sich durch seine Mitwirkung im Königsbcrger Hochver- ratsprozeß, im Plötzenserprozeß und durch sein« antimilitaristischc Propaganda den Herrschenden schon unangenehm gemacht hatte, ein schwerer Stand erwachsen würde. Und obgleich unter den Genossen und jenen vom Bürgertum, denen der Haß wider die Sozialdemo- kratie noch nicht jeden objektiven Maßstab zur Beurteilung der Liebknechtschen Broschüre geraubt hatte, nur eine Stimme darüber war, daß diese Schrift nicht», gar nicht? enthalte, wa» auch nur entfernt als Hochverrat gedeutet werden könnte, so gab es doch kaum einen Optimisten, der die Freisprechung zu erwarten wagte. Vor dem NntersiichungSrichter erfuhr Liebknecht, daß sein An- klüger aus der Broschüre heraus- oder vielmehr in sie hineingelefen haben wollte, der Verfasser beabsichtige. Frankreich   zu einem Angriff auf Deutschland   zu Hetzen. Diese tolle Beschuldigung war leicht pariert sie starb an ihrer eigenen Unsinnigkeit. Aber die An- klage starb nicht mit ihr. Sie gebar immer neue Tat- bestandskonstruktionen, die den Hochverratsbegriff erfüllen sollten. Die Anklageschrift wies eine andere auf, als der UilterslichuugS« richter zur Verfügung hatte, der EröffnungSbeschlnh wieder eine andere und nachdem der Angeklagte auch diese zerstört hatte, wurden in der Hauptverhandlung nacheinander zwei funkelnagelneu- produziert und als auch die den Argumenten Liebknechts nicht Stand hielten, da ward in die Urteilsbegründung abermals eine neue, die sechste gesetzt. Die mußte der unbequeme Angeklagte wohl stehen lassen, die konnte er wenigstens vor deutschen   Richternnicht mehr zerfetzen. Denn gegen das Urteil des Reichsgerichts gibt es keine Berufung und keine Revision. Es ist gesetzlich unanfechtbar. Trotz der Eile des Oberreichsanwalt» konnte die Haupt- Verhandlung erst am 9. Ottober zu Leipzig   stattfinden. Der zweite und dritte Strafsenat de» Reichsgerichts traten unter dem Senats- Präsidenten T r e p l i n zusammen. Oberreichsanwalt O l s h a u f e n vertrat seine Anklage, die Verteidigung führte Genosse RechtSanwal: Hugo Haas  « sowie die Rechtsanwälte Dr. Hezel-Leipzig   und Rosen- berg-Berlin. Drei Tage währte der Kamps unter lebhafter Teilnahme der Oeffentlichkeit. Sie auszuschließen hatte man nicht gewagt die sozialdemokratische Presse hatte frühzeitig dagegen Einspruch erhoben, daß der Angeklagte hinter verschlossenen Türen ab­geurteilt werde. Aber gern wäre man summarisch vorfahren die Broschüre vollständig zu verlesen, hielt man anfänglich nicht sür nölig. Indes Genosse Liebknecht   wußte, von seinen Verteidigern trefflich unterstützt, seine Rechte energisch zu wahren. Sein Wer? mußte verlesen werden. Dann gingen er und die Verteidigung zum rücksichtslosen Angriff vor, dem die Anklage nicht standhalten konnte. Schon im Borverfahren hatte der Oberreichsanwalt, wie erwähnt, seine Stellung zweimal wechseln müssen. Jetzt versuchte er es mit der dritten und al» das nichts half, mit einer vierten Kon- struktion. Die ganze Anklage balanzierte er schließlich auf einen Druckfehler", der»ur den einen Fehler hatte, daß der Angeklagte ihn absolut nicht zugeben konnte, weil er eben nicht existierte. Alz  der Oberreichsanwalt sich schließlich noch nachweisen lassen mußte. daß das, was er jetzt dem Angeklagten als Verbrechen vorwarf, von ihm früher selbst al« rechtlich völlig zulässig hingestellt worden war, war die Anklage tot. ES blieb nicht« mehr übrig al» Mit- leid mit ihrem Vertreter, von dem jeder im Saale wußte, daß er hier nur ein Amt, aber keine Meinung hatte. Freilich, als er dann am Schlüsse den Antrag auf zwei Jahre Zuchthaus  stellte, da mischte sin, diesem Gefühl noch ein anderes bei, dem der Angeklagte am Schiusse semer letzten Ausführungen treffenden Ausdruck durch die Erklärung verlieh, daß er seine Stelle in diesem Saale nicht mit der de« Oberreichöanwalrs tauschen möchte. Die Anklage war tot, aber der Angeklagte wurde verurteilt. Auf 1� Jahre Festung lautete das ungeheuerliche Urteil. Genosse Karl Liebknecht   hat der Gefahr des Zuchthauses tapfer ins Augesicht geschaut. Bis zum Schluß hat er für seine An- schauung und seine Sache gekämpft, wie es deS Manne« und des Sozialdemokraten würdig ist. Die Partei durfte stolz sein auf den Kämpfer, der keinen Fußbreit zurückwich und vor den Richtern des Klassenstaates stand als einer, dem die Pflicht gegen die Partei über die Sorge um seine Person geht. Am 12. Oktober, mittags 12% Uhr wurde das Urteil, daS von tatsächlichen Unrichtigkeiten und Mißverständnissen wimmelt, ver- kündet. Bereits am 13. Oktober gingdem Liebknecht" die Weisung zu, bis zum 24. Oktober die Strafe in der Festung Glay anzutreten, die, verlängert durch einige notwendige Wochen Ur- laubsunterbrechungen, jetzt am 1. Juni, vormittags 9,29 Uhr, ihr Ende«reicht,/