tiner energischen VesiMwng der Genubmlttel der MgemelnheUauch der allgemeine Besitz zu den Reichklasten in angemessenerWeise herangezogen werden miisite. Sie haben zu diesemZwecke eine Besteuerung der Erbschaften vor-geschlagen und sind nach wie vor der Meinung,daß dies die geeignet sie Besitzabgabe ist, die fürdaS Reich in Frage kommt."Und in beziig auf Bülows Stellung zu den Beschlüssender Finanzkommission heißt es:.Ein Teil der Presse hat über die Haltung des ReichskanzlersIn diesen Fragen gänzlich unbegründete Anschauungen entwickelt.Der Neichskanzler war in den letzten Wochen fortgesetzt mit Ver-Handlungen über die Finanzreform beschäftigt. Er hat nichts im-versucht gelassen, um eine Einigung zwischen der Rechten und derLinken herbeizuführen. Seine Stellungnahme zu den einzelnenTeilen der Reichsfinanzreform ist so häufig und so nach-driicklich dargelegt worden, daß eine neue Kundgebung in diesemSinne wohl kaum nötig sein sollte. Auch die Vorgänge in derKommission, die er auf das lebhafte st e bedauert,können ihn keineswegs zu einer Aenderung seiner ganzen bis-herigen Haltung bewegen. Der Reichskanzler wird.wie wir hören, die nächsteGelegenheit imReichs-tage benutzen, um seine Stellung vor dem Landeklarzulegen."Sllso wieder eine schöne Rede mit leeren Versprechungen.Wie gedenkt Bülow sein Versprechen einzulösen? AlleinAnschein nach dadurch, daß er den Kaiser als Vor-spann zu benutzen beabsichtigt. Für diese Ansichtspricht wenigstens, daß er jetzt mit zwei Personen Rat hält,die beim Kaiser in besonderer Gunst stehen und die zugleichals Vertraute der großen Bankfinanz und des Großhandelsgelten: der Geheimrat Witting und der Direktor Ballin vonder Hamburg-Amerika-Linie.Das Code der Komödie.Der erste Teil der Fiitanzreformkomödie ist ausgespielt. Ineiner Dauersitzung, die bereits früh um 9 Uhr begann, hat dieRumpfkommission, die das Durchpeitschen zum Prinzip erhoben, dasArbeitspensum erledigt. Zuerst die Mühlenumsatzstcuer. In der ein-dringlichsten Weise ist den konservativ-klcrikalen Steuerwütcrichen vomRegierungstische aus klargemacht worden, daß eine solche Steuer denkleinen Mühlen nichts nützen kann, die Großbetriebe aber dem Ruinzutreibt. Selbst der ZentrumSmann Zehnter erklärte, für eine solcheSteuer mit solchen Sätzen nicht stimmen zu können. Umsonst. DieSteuer fand Annahme. Mit derselben Behendigkeit ging der Kohlen-zoll durch. Die Vertreter der Regierung führten eine Menge derschwerwiegendsten Bedenken an; doch alle Gründe machtennicht den mindesten Eindruck. Ja, der ZentrumsabgeordneteDr. Fleischer brachte es sogar fertig, den Zoll zu verlangen, imInteresse der deutschen Arbeiter, die seiner Ansicht nach darunterleiden, wenn die ausländische Industrie billigere Kohlen erhält-Der Zoll auf Kohlen, der gegen die Stimmen der ReichsparteiAnnahme fand, soll dem Reichs Lö Millionen Mark bringen. HerrV. Gamp bekam es plötzlich mit geschäftsordnungS»mäßigen Bedenken zu tun. Er verlangte, mansolle diese Steueranträge in die Form von Gesetzes-vorlagen bringen, die dann im Plemim drei Lesungen zu passierenhaben. Auch er fand keine Gnade, denn auf einen Bruch der Gc-schäftsordnimg mehr oder weniger kommt cS nun in der Tat nichtmehr an.Beim Finanzgesetz kehrte das Zentrum wieder einmal seinpartikularistischeS Gesicht heraus. Den Einzelstaatrn ist in der erstenLesung die Pflicht auferlegt worden, von den gestundeten Matrikular-beitrügen 144 Millionen Mark zu zahlen. Das Zentrum setzte durch,daß diese Last anf daS Reich übernommen wird. Zwischendurchproklamierte Herr v. Rheinbaben den Anbruch der Aera der Spar«samkeit, was er sich noch extra von Herrn Sydow bestätigen ließ.Herr v. Gamp allerdings traut diesen Prophezeiungen nicht, und ermag im Recht sein.In der NachmittagSfitzung erklärte Schatzsekretär Sydow. daßdie verbündeten Regierungen auf keinen Fall sich aufein Gesetz einlassen werden, das den Handels-verkehr schwer treffen würde. Die Regierunghält an der Erbanfall st euer fest. DaS Zentrum verlegtesich auf's Zureden, die Regierung aber blieb fest, sie gibt auchkeine Auskunft über die Art der neuen Belastung der Börse.Die Antisemiten und die Freikonservativen erklären darauf, daßsie nicht grundsätzliche Gegner der Erbanfallstcuer stich.Eintönig plätscherten die Reden weiter, bis Abg. Gröber daSWort nahm, der offenbar den Wochenrückblick der„Nord. Allg. Ztg."bereits gelesen hatte und nun laut und erregt dagegen Protest erhob,daß man Steuern ablehnt, weil sie vom Zentrum kommen. Imdeutschen Reichstag findet sich, behauptet er,keine Mehrheit für eine Erbschafts st euer.Die Besteuerung der Wertpapiere wird angenommen. EineUmsatzsteuer stellt Sydow in Aussicht; dagegen werde eine Reichs«WertzuivachSsteucr nicht kommen. DaS hinderte die Kommissionsticht, die Anträge anzunehmen.Die Kommission tritt bereits am 12. Juni zur Fest-stellung der Berichte wieder zusammen, und Mitt-woch, den IS. Juni, sollen schon die Steuervorlagen auf die Tagesordnung deS Reichstages gesetzt werden.Sitzungsbericht.Am Pfingstsonnabend begann die Finanzkonnnisfion ihr Merkbereits um 9 Uhr. Zunächst kommt die Beratung der Mühlen-Umsatzsteuer an die Reihe.Abg. Dr. Rocsicke begründet den Antrag kurz damit, �daß er dievon ihm und dem Abg. Speck tZ>) im Plenum zu die>em Gegen-stand gehaltenen Reden zur Einverleibung in das Protokoll über-reicht!Abg. v. Gamp schlägt die Annahme eines Gesetzentwurfes vor,anstatt eines Antrages der Kommisston. Anf dich« Weise muß dieMaterie drei Lesungen im Plenum passieren. Die Freikonservativensind von dem konservativen Antrag überrascht, sie werden deshalbgegen den Antrag stimmen. Die Freikonservativen wollen diekleinen Mühlen durch eine Umsatzsteuer schützen, der konservativeAntrag aber macht eine Finanzquellt für das Reich daraus.—Wenn man die Form eines GesetzentwurfcS wählt, dann kann imPlenum die erste mit der zweiten Lesung verbunden werden, undKommisstonsberntung ist nicht mehr nötig�Schatzsekretär Sydow ist durch den konservativen Antrag deshalbüberrascht, weil bis jetzt die Mühlenumsatzsteuer immer lobend alseine wirtschaftliche Maßnahme behandelt wurde. ES sei völligunzulässig, solche Bestimmungen in daS Finanzgesetz ein-zuarbeiten. Er müsse prinzipiell Widerspruch da-gegen erheben, daß diese wirtschaftliche Frage mit der Finanz-reform verquickt werde. Dem Bundesrat würde dadurch die Pistoleauf die Brust gesetzt, denn er müsse dann die Vorlage mit dieserBestimmung annehmen oder die ganze Reform scheitern lassen.Abg. Gröber will diese Bedenken nicht gelten lassen. Jedenfallskönne erreicht werden, daß mit dem Hineinarbeiten dieser Steuer indie Finanzresorm die Regierung in irgend einer Weise Stellungnehmen müsse. Diese günstige Gelegenheit dürfe man sich nicht eni-gehen lassen.Schatzsekretär Sydov verteidigt noch einmal den ablehnendenStandpunkt der Regierung.Ein Kommissar des Bundesrats trägt die Bedenken vor, diegegen die geforderte Steuer sprechen. Eine Reihe Vertreter derEinzelstaaten schließen sich dieser Ansicht an.Abg. Raab(Antis.) begeistert sich natürlich für die Mühlenumsatz-steuer. Im übrigen verlritt er die Auffassung, daß die Finanz-kommission die Ausgabe habe, möglichst viele neue Sreuern zu be-raten und sie dem Plenum zur Auswahl zu unterbreiten.Schatzsekretär Sydow tritt einer in der Debatte gefallenenAcußerung entgegen, wonach man dem Reichstag allein die Ver-antwortmig üb'erlaffen solle. Das käme einer Abdankung desBundesrates gleich.Ein bayerischer und ein sächsischer Vertreter wünschen, daß wennder Antrag Gesetz werde, der Ertrag den Einzelstaatcn überwiesenwerde.Schließlich wird der Antrag Gamp auf Einbringungeines Gesetzentwurfes abgelehnt.ES folgt die Beratung derKohlensteuer.Ein preußischer Geheimrat gibt statistische Daten, die gegendiese Steuer sprechen.Abg. Gras Midzynski ist gegen den Zoll. DaS deutsche Gruben-kapital wälze die Steuer auf die Arbeiter ab.Abg. Rocsicke: Der Preispolitik des Kohlensyndikats muß ent-gegengetreten werden. Durch Belastung der Kohle könne das Reichenorme Mittel gewinnen. Der Ausfuhrzoll werde die Ausfuhr nichtbeeinträchtigen. In England sei die Ausfuhr trotz des Zollesnicht bloß gestiegen, sondern auch die Preise haben sich gesenkt.Die deutsche Grubenindustrie verkaust im Ausland zu Schleuder-preisen. Füglich kann sie eine Belastung auch ertragen.Der Ertrag ergibt bei Steinkohleu 19 Millionen, bei Koks usw.7 Millionen Mark.Von eineni Kommissar deS Bundesrats wird aus-einandcrgesetzt, daß der Export nicht leidet, denn die Gruben müssenexportieren. Zu den hohen Preisen tragen die � sozialpolitischenLasten mit 1,28 M. per Tonne bei. Zahlen müssen bei dieserSteuer die Konsumenten.Abg. Dr. Fleischer wirft den Preiskonventionen Terrorismus beider Preissestsetzung vor. DaS schlesische Grubenkapital habe, als dieschlestsche Textilindustrie schwer daniederlag, diese genötigt, die hohenKohlenpreise zu zahlen, gleichzeilig gaben sie die Kohlen zu billigerenPreisen an die österreichische Konlurrenz ab. Deshalb wollten dieArbeiter den Kohlcuzoll!Abg. Müller- Fulda bestreitet, daß die von der Regierung be-fürchteten winschafilichcn Nachteile eintreten.Der Kohleilausfuhrzs» wird gegen die Stimmen derFreikonservanven beschlossen.Es folgt die Beratung desFinanzgcsetzcs.Schatzsekretär Sydov: Jede gesunde Finanzvolitik muß ansdem Grundsatz fußen: Keine Ausgaben ohne vorherige Sicherungder Einnahmen. Die Stundung der Matrikularbeiträge sei eine be-denkiiche Maßnahme gewesen. Die Festsetzung der Höchstgrenze sürdie Matrikularbeiträge sei nötig, damit die Finanzminister wissen,mit welchen Ausgaben für das Reich sie im Höchstfälle zu rechne»haben. Er bitret die Fassung der Regierungsvorlage anzunehmen.Finanzminister v. Rheinbaben: Die Finanzen der Einzclstaatenhatten sich dadurch nngüustig entwickelt, daß die Ausgaben stärkergestiegen seien als die Einnahmen. Die Einzelstaaten hätten teilsihre Steuern bereits erhobt, teils werden sie daS in der nächstenZeit tun müssen. Die hohen Ueberschüsse der Eisenbahnen gehörender Vergangenheit an. 1993 hätten die preußischen Eisenbahnen146 Millionen Mark weniger eingebracht, als veranschlagt wordenwar. Das werde auch dann nicht wesentlich besser werden, wenn diewirtschaftliche Depression überwunden ist, wenn die Ausgaben weitersteigen. Die beste Garantie für eine sparsame Wirtschaft sei dieStärkung der Position des ReichsschatzamteS. DerFinanzminister in Preußen dürfe nicht überstimmt werden, undwem: der Schatzsekretär nicht nach Belieben Matrikularbeittägen aus«schreiben dürfe, dann könne er einzelnen Ressorts erklären, daß siesparen müßten, weil er nicht genügend Mittel beschaffen könne.Abg. v. Gamp mißt der Bindung der Matrikularbeiträge einebesondere Bedeutung nicht bei; wenn eben in zwei Jahren die Mittelnicht reichten, dann müsse wieder eine Aenderung eintreten. Preußenhabe prunkvolle Bahnhöfe gebaut und dadurch Verschwendung ge-trieben. Keine neuen Ausgaben ohne höhere Einnahmen— daömüsse auch der Leitsatz für die Budgetkommission werden. Bebelsei viel zurückhaltender als wie der preußischeFinanzminister, der den Aktionären mit der Gesellschafts-steuer eine Belastung von 32 Proz. aufbürden wollte. Schon jetztseien einzelne Ressorts an der Arbeit, wieder neue Forderungen zustellen. Damit müsse endlich gebrochen werden.Abg. Erzberger schließt sich der Kritik an.Abg. Müller-Fulda begründet einen Antrag des Zentrums,144 Millionen Mark testierende Matrikularbeiträge ans daS Reich zu übernehmen.Schatzsekretär Sydo« wendet sich dagegen, die ganze schwebendeSchuld nach fünf Jahren auf Schatzanweisimgcn zu nehmen. Ambesten sei es, man wandle die gesinndelen Matrikularbeiträge in eineSchuld um. die in 29 Jahren zu tilgen ist.DieKo m Mission ist da miteinver standen.In derRachmittagösitzungverband man gleich die zweiten mit den dritten Lesungen und ar-bettete im Ramsch.Zu den Belitzsteuern ergriff das WortSchatzsekretör Sydow: Die Besteuerung der Wertpapiere, wiedie Mehrheit der Kommission sie beschlossen habe, sei eine partielleVermögenssteuer. Weil aber nur ein Teil des Vermögens betroffenwerde, sei die Steuer auch ungerecht. Frei bleibe das Kapital, da»in Hypotheken angelegt sei. Die ausländischen Papiere würden vonden deutschen Börsen vertrieben. Daran könne das Reich keinerleiInteresse haben. In Frankreich habe sich diese Steuer schlecht be-währt. Man trage sich dort mit der festen Absicht, sie demnächst auf-zuhcben. Wenn wir diese Steuer einführten, dann hinderten wir dieBörse in der Beschaffung der Mittel sür Handel und Industrie.Abg. Graf Westarp verteidigt diese Steuer damit, daß imReichstage eine Mehrheit für«ine Erbschaftssteuer nicht zu habensei, weshalb das bewegliche Kapital aus anderem Wege getroffenwerden soll.Finanzinluister v. Nljeinlrndcn bestätigt die AuSsührungen deSSchatzsekrelärs.Schatzsekretär Sydow kündigt eine Steuer an. dieeine Betastung der Börse bringen werde.Abg. Erzberger redet der Regierung zn, doch zu nehmen, wassie bekommen könne. Andernfalls besiehe die Gefahr, daß dieFinanzreform im Reichstag überhaupt keine Mehrheit fludet.Schatzsekretär Sydow: Die Regierung hält an derErbanfall st euer fest. Dadurch wird alles Kapital ge-troffen und vermieden, daß dem Gcldverkehr Schwierigkeiten ent-stehen.Abg. Gras Oppersdorfs findet, daß die Gründe der Regierungabsolut nicht stichhaltig find.Abg. Böhme jAntis.) und Abg. v. Gamp wollen die Erbanfall-steuer abwarten und sind eventuell bereit, dafür zu stimmen.Abg. Gröber findet eS eigenartig, daß man Antrüge nur des-halb nicht akzeptieren wolle, weil sie von einer bestimmten Fraktionkommen. Man soll nur so fortfahren, über das Resultat braucheman sich dann nicht zu wundern. Da« Zentrum sei sür eineE r b s ch a f t S st e u e r nicht zu haben. Auch darauf soll mannicht rechnen, daß ctiva die Regierung SukkurS vom bayrischenFlügel deS Zentrums erhalte. Der deutsche Reichstagwürde keine Erbschaftssteuer» wie sie auch geartet femmöge, bewilligen.' Bei der Abstimmung wird der konservative WertpflpUwnUazangenommen.Zu derUmsatz- und WertzuwachssieuerbemerktSchatzsekretär Sydow, daß der erstercn Steuer näher getretenwerden solle. Der Ertrag werde ein erheblicher nicht sein. DieDenkschrift zur Wertzuwachssteucr werde dem Plenum zugehen. IhreDurchführung sei nicht in Aussicht zu stellen.Nach einer langen Debatte waren endlich auch diese Steuernerledigt.Im Handumdrehen wurden ohne Diskussion erledigt: Kaffee,Zündwaren, Kohlen, Mühlenumsatzsteuer und Glühkörper.Damit hatte die Finanzkommisfion ihre Arbeiten abendsV27 Uhr beendet._Willkomm dem„tzochperrSter"!Genosse Karl Liebknecht, der Verurteilte im Hochverrats-Prozeß vom 12. Oktober 1997, verläßt am Morgen des 1. Juni dieFestung G l a tz. Die deutsche Sozialdemokratie bietet dem Kämpfer.der um der Sache deS Proletariats willen 1% Jahre Festungshafterdulden mußte, herzlichen Willkommensgruß.In der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung wird derProzeß, dem Genosse Karl Liebknecht zum Opfer fiel, unvergessenbleiben. Als eines der krassesten Zeugnisse deutscher Klassenjustizwird da» Urteil des Reichsgerichts, wird das ganze Verfahren be-wahrt werden in den Dokumenten der deutschen Sozialdemokratie,im Gedächtnis des Proletariats.Zu Anfang des Februar 1997 erschien Liebknechts Broschüre:„Militarismus und Antimilitarismus". Zwei Mo-nate lang blieb sie unbeanstandet, zwei Monate lang wurde sie imBuchhandel verbreitet, in der Presse besprochen— da erfolgte am23. April die Beschlagnahme auf Antrag deS ObcrreichsanwaltSwegen„Hochverrats"! Spät kam er, der Herr ObcrrcichSanwalt,aber um so eiliger hatte ers nun. Schon am 29. April wurde Ge-nosse Liebknecht vor dem Untersuchungsrichter vernommen. Manbegreift die Eile, wenn man weih, daß das Verfahren an hohenStellen mit intensivem Interesse verfolgt wurde. Eine hohe Be-Hörde, so gab der Oberreichsanwalt im Verfahren an, hatte ihnzum Eingreifen gegen das gefährliche Werk aufgefordert. Und derKaiser ließ sich ständig über das Verfahren und besonders über dieHauptverhandlung Bericht erstatten. Ständig korrespondierte derUntersuchungsrichter am Landgericht Berlin I mit dem Polizei-Präsidium. Alle Anzeichen deuteten darauf hin, daß unserem Gc-nossen, der sich durch seine Mitwirkung im Königsbcrger Hochver-ratsprozeß, im Plötzenserprozeß und durch sein« antimilitaristischcPropaganda den Herrschenden schon unangenehm gemacht hatte, einschwerer Stand erwachsen würde. Und obgleich unter den Genossenund jenen vom Bürgertum, denen der Haß wider die Sozialdemo-kratie noch nicht jeden objektiven Maßstab zur Beurteilung derLiebknechtschen Broschüre geraubt hatte, nur eine Stimme darüberwar, daß diese Schrift nicht», gar nicht? enthalte, wa» auch nurentfernt als Hochverrat gedeutet werden könnte, so gab es dochkaum einen Optimisten, der die Freisprechung zu erwartenwagte.Vor dem NntersiichungSrichter erfuhr Liebknecht, daß sein An-klüger aus der Broschüre heraus- oder vielmehr in sie hineingelefenhaben wollte, der Verfasser beabsichtige. Frankreich zu einem Angriffauf Deutschland zu Hetzen. Diese tolle Beschuldigung war leichtpariert— sie starb an ihrer eigenen Unsinnigkeit. Aber die An-klage starb nicht mit ihr. Sie gebar immer neue Tat-bestandskonstruktionen, die den Hochverratsbegriff erfüllen sollten.Die Anklageschrift wies eine andere auf, als der UilterslichuugS«richter zur Verfügung hatte, der EröffnungSbeschlnh wieder eineandere und nachdem der Angeklagte auch diese zerstört hatte, wurdenin der Hauptverhandlung nacheinander zwei funkelnagelneu-produziert und als auch die den Argumenten Liebknechtsnicht Stand hielten, da ward in die Urteilsbegründungabermals eine neue, die sechste gesetzt. Die mußte der unbequemeAngeklagte wohl stehen lassen, die konnte er— wenigstens vordeutschen Richtern—nicht mehr zerfetzen. Denn gegen das Urteil desReichsgerichts gibt es keine Berufung und keine Revision. Es ist— gesetzlich— unanfechtbar.Trotz der Eile des Oberreichsanwalt» konnte die Haupt-Verhandlung erst am 9. Ottober zu Leipzig stattfinden. Der zweiteund dritte Strafsenat de» Reichsgerichts traten unter dem Senats-Präsidenten T r e p l i n zusammen. Oberreichsanwalt O l s h a u f e nvertrat seine Anklage, die Verteidigung führte Genosse RechtSanwal:Hugo Haas« sowie die Rechtsanwälte Dr. Hezel-Leipzig und Rosen-berg-Berlin.Drei Tage währte der Kamps unter lebhafter Teilnahme derOeffentlichkeit. Sie auszuschließen hatte man nicht gewagt—die sozialdemokratische Presse hatte frühzeitig dagegen Einsprucherhoben, daß der Angeklagte hinter verschlossenen Türen abgeurteilt werde. Aber gern wäre man summarisch vorfahren—die Broschüre vollständig zu verlesen, hielt man anfänglich nichtsür nölig. Indes Genosse Liebknecht wußte, von seinen Verteidigerntrefflich unterstützt, seine Rechte energisch zu wahren. Sein Wer?mußte verlesen werden. Dann gingen er und die Verteidigung zumrücksichtslosen Angriff vor, dem die Anklage nicht standhaltenkonnte. Schon im Borverfahren hatte der Oberreichsanwalt, wieerwähnt, seine Stellung zweimal wechseln müssen. Jetzt versuchte eres mit der dritten und al» das nichts half, mit einer vierten Kon-struktion. Die ganze Anklage balanzierte er schließlich auf einen„Druckfehler", der»ur den einen Fehler hatte, daß der Angeklagteihn absolut nicht zugeben konnte, weil er eben nicht existierte. Alzder Oberreichsanwalt sich schließlich noch nachweisen lassen mußte.daß das, was er jetzt dem Angeklagten als Verbrechen vorwarf,von ihm früher selbst al« rechtlich völlig zulässig hingestellt wordenwar, war die Anklage tot. ES blieb nicht« mehr übrig al» Mit-leid mit ihrem Vertreter, von dem jeder im Saale wußte,daß er hier nur ein Amt, aber keine Meinung hatte. Freilich, alser dann am Schlüsse den Antrag auf zwei Jahre Zuchthausstellte, da mischte sin, diesem Gefühl noch ein anderes bei, dem derAngeklagte am Schiusse semer letzten Ausführungen treffendenAusdruck durch die Erklärung verlieh, daß er seine Stelle in diesemSaale nicht mit der de« Oberreichöanwalrs tauschen möchte.Die Anklage war tot, aber der Angeklagte wurde verurteilt.Auf 1� Jahre Festung lautete das ungeheuerliche Urteil.Genosse Karl Liebknecht hat der Gefahr des Zuchthauses tapferins Augesicht geschaut. Bis zum Schluß hat er für seine An-schauung und seine Sache gekämpft, wie es deS Manne« und desSozialdemokraten würdig ist. Die Partei durfte stolz sein auf denKämpfer, der keinen Fußbreit zurückwich und vor den Richtern desKlassenstaates stand als einer, dem die Pflicht gegen die Partei überdie Sorge um seine Person geht.Am 12. Oktober, mittags 12% Uhr wurde das Urteil, daS vontatsächlichen Unrichtigkeiten und Mißverständnissen wimmelt, ver-kündet. Bereits am 13. Oktober ging„dem Liebknecht" dieWeisung zu, bis zum 24. Oktober die Strafe in der Festung Glayanzutreten, die, verlängert durch einige notwendige Wochen Ur-laubsunterbrechungen, jetzt am 1. Juni, vormittags 9,29 Uhr, ihrEnde«reicht,/