Sachkerstandigenwesens Bei Unfällen. 3. Feststellung und Prognoseder Unfallneurosen. 4. Schätzung der Arbeitsfähigkeit vor und nachdem Unfall. 5. Einfluß der Entschädigungsart auf den Verlauf derpofttraumatischen Nervenkrankheiten. 6. Statistische Beobachtungenvom ärztlichen Standpunkte aus, nach Anwendung der Unfallgesetze.7. Die funktionelle Anpassung der traumatisierten Glieder-Was den therapeutischen Standpunkt betrifft, so herrschtegroße Uebereinstimmung darin, daß in chirurgischer Beziehungdurch zu lange Immobilisierung viel Schaden angerichtet wird, unddaß zur Beseitigung der nervösen Unfallfolgen eine möglichst früh-zeitige Aufnahme der Arbeit anzustreben sei. Prof. B u m meinte,daß durch die Ungeübtheit der Aerzte in den mobilisierenden Me-t Hoden arg gesündigt werde, und betonte die Nichtigkeit eines PassuSdes dem österreichischen Parlament vorliegenden Unfallgesetzent-Wurfes, in dem es heißt, daß häufig„ein Verletzter nur deshalbmit einem dauernden Schaden behaftet bleibt, weil ihm von An-fang an nicht die richtige Behandlung zuteil wird". Um die austherapeutischen Gründen wünschenswerte frühzeitige Aufnahme derArbeit zu ermöglichen, wurde der außerordentlich bedenkliche Vor-schlag gemacht, die Einrichtung besonderer Institute oder Gesetzes-bestimmungen von der Negierung zu fordern, in denen der Arbeiterbor voller Leistungsfähigkeit unter ärztlicher Ucberwachung arbeitenkann. Prof. Feilchenseld- Berlin schlug Genesungsrenten vor,die als Prämien für eine schnelle Genesung gegeben werden sollten.Bei all diesen Sachen besteht natürlich die Gefahr, daß man unterdem Mantel therapeutischen Vorteils den Arbeiter schnell in dieFabrik zurückschickt, um die Versicherungstasse oder Berufsgenossen-schaft zu entlasten.Die Interessen dieser auf Beeinträchtigung der Rechte des Ar»beitcrs hinarbeitenden Institutionen wurden übrigens recht starkauf dem Kongresse verteidigt. Prof. L i n i n ge r- Düsseldorf drückteseine Befriedigung darüber aus, daß in einem bis vor dieoberste Instanz gekommenen Fall ein Schlosser für den Verlustdes rechten Zeigefingers keine Entschädigung er-halten hatte, weil seine Erwerbsfähigkeit nicht behindert war!Durch Anwendung dieses Kriteriums hätte eine Betriebsgenossen-schaft in einem einzigen Jahre IS 000 M. Renten gespart. DerProfessor vergaß anzuführen, daß seine und mancher Richter Er-werbSfähigkeit danach Einbuße nicht erleiden, wenn sie ihren Kopfverlieren würden. Natürlich war auch des Jammerns über diebösen Simulanten kein Ende. Allerdings wurden auchFälle vorgeführt, in denen zweifellos willkürliche Verstümmelungenund Verletzungen als UnfallLfolgen ausgegeben worden waren.Solche, namentlich von Professor Kaufmann- Zürich undBernacchi- Mailand vorgeführten Einzefälle schädigen den ehr-lichen Arbeiter in außerordentlich hohem Maße. Diese vereinzeltenMißbräuche rechtfertigen aber keineswegs die Simulantenschnüffeleiseitens der Aerzte.Ucber die Nervenerkrankungen nach Unfällen,die eine große Zahl unfähiger Aerzte früher einfach in den großendiagnostischen Topf der Simulationen oder der Hysterie zu werfenpflegte, war der Kongreß nur insofern getrennter Ansicht, als eineMinderheit der traumatischen Neurose den spezifischen Charakterabsprach, während die Mehrheit in dieser Nervenerkrankung einendeutlich umrissenen Symptomenkomplex sah. Ueber den Einfluß,den der Kampf um die Rente auf die Entstehung der Neurose hat.war der Kongreß nicht einig. Professor W i n s ch c i d betonte, daßes sich bei der Geltendmachung der Ansprüche des Arbeiters umdurchaus berechtigte Ansprüche handele, und daß keineswegs einVorwurf für den Arbeiter darin liege, wenn man sagte,„ohneRenten keine Neurose". Der nach Unfall nervenkranke Arbeiter seitatsächlich und unleugbar krank.Bei dem offiziellen Charakter des Kongresses versteht es sichvon selbst, daß die Festlichkeiten und Empfänge mehr Zeit in An-spruch nahmen als die Verhandlungen. Der nächste Kongreß wirdin Düsseldorf stattfinden.________Huö Induftrie und FtandelKolonial-KatzenZammer.Jahrzehntelang wollte niemand etwas von der Kolonialpolitikwissen. Dann ging auf einmal der Rummel los! Die mit demBlute der deutschen Soldaten getränkte südwestafrikanische Erdeließ kurz nach dem Eintreten DernburgS in die Diplomatie Dia-manten wachsen, und zwar zu einer so unglücklichen Zeit, daß derStaatssekretär des Kolonialamtes bei seiner Anwesenheit in Süd-West selbst solche sammeln konnte. Schlaue Leute behaupteten da-mals, man hätte die kleinen glitzernden Splitter erst vorher hin-geworfen, sie wußten, das war das beste Mittel, einen Kolonial-taumel auszulösen, wenn sich zeigte, daß unser Wüstensand dochDiamanten berge. Und so kam es. Die Berliner Börse konntein den letzten Monaten den Tropenkoller Orgien feiern sehen. DieAnteile der Deutschen Kolonialgesellschaft für Südwestafrika stiegenin wenigen Monaten von zirka 300 Proz. auf über 11000 Proz.Und alle Diamantenbergbaugesellschaften, die irgendwelche Jnter-essen auf kolonialem Boden wahrzunehmen hatten, wollten von derguten Konjunktur Nutzen ziehen. Es gab da Gesellschaften fürBaumwoll- und Kautschukkulturen, Kaffee- und Kakaopflanzungen.Unterstützt wurde der Gründer dieser Tätigkeit durch die Wirk-samkeit des deutschen Kolonialwirtschaftlichen Komitees. Eineganz besonders lebhafte Tätigkeit entfaltete die KolonialfirmaMertens in Berlin. Fast jeden Monat wurde eine neue Gesell-schaft, deren Arbeitsgebiet rn den Kolonien lag. in das BerlinerHandelsregister eingetragen. Als einmal unter der Firma„Deutsche Kolonialbank" eine neue Aktiengesellschaft mit bloß5000 M. Kapital gegründet wurde, erhob die Berliner Handels-kammer dagegen Protest und die neue Firma muße wieder gelöschtwerden. Jetzt lenkt sich die Aufmerksamkeit auf drei andereKolonialgesellschaften, die die Firma Mertens aus der Taufe ge-hoben hat. ES wurde bekanntgegeben, daß bei der Kamerun-Kautschuk-Co.. der Borneo-Kautschuk-Co. und der OstafrikanischenPflanzungsaktiengesellschaft die Verwaltung den Antrag auf Ein-setzung einer Revisionskommission gestellt habe. Erst nach undnach sickerte durch, daß die Verwaltung die Revision nicht ganzfreiwillig beantragt hatte.Bald dürfte bei manchem ein tüchtiger Katzenjammer denKolonialrausch ablösest-» und Dernbvrg ist um einen»Erfolg"tticher._Ein Weltmonopol.Die Standard Oil Company hat auf dem Wege zum Welt-Monopol einen Schritt vorwärts getan. In der letzten Zeit istder Verbrauch österreichischen Oels in Deutschland ziemlich starkgestiegen. Um für die über den Absatz hinausgehende� Oelgewin»nung der österreichisch-ungarischen Gruben einen größeren Ab-nehmerkreis zu gewinnen, traten die Raffineure, die auch einebesondere Export-Organisation schufen— Olex G. m. b. H.— mitden Amerikanern in scharfen Wettbewerb, und hatten Erfolg.Das mobilisierte die Standard-Leute, die auch den richtigen Wegfanden, größeren Einfluß in der österreichischen Petroleumindustriezu gewinnen. Während sie anscheinend das Schwergewicht aufden direkten Kampf gegen die Olex-Gesellschaft in Deutschlandlegten, bandelten ihre Vertreter mit den Oelproduzenten selbst anund brachten diese dahin, einen Vertrag zu akzeptieren, der jeneaus der finanziellen Kalamität reißt, in die sie unter der Ver-Hältnisse Ungunst hineingeraten waren, welcher aber auch gleich-zeitig der Standard Oil Company die Kontrolle über zirka dreiViertel der österreichisch-ungarischen Oelproduktion ausliefert. Dieerste Folge der Vertragsschließung war die Hcraufsetzung desRohölpreiseS von 1 Kr. auf 1,17 Kr. pro Tonne. Man hofft aller-dinas, die Regierung werde die Perfektierung des Vertrages zuverhindern wissen. Auch erklärt die Olex-Gesellschaft, daß sie denPreiskampf gegen die Standard Oil Company weiter führen werde.Gewiß, solange, bis ihr akzeptable Bedingungen für die Ueber-gäbe geboten»erden, oder sie auf Gnade und Ungnade sich ergebenmuß. Das ist der wmfcjttli.che, kapMiftifche EnfwMlgngsgavg.Rückgang der Bergarbeiterlöhne.Nach den amtlichen Angaben über die in preußischen Bergbau-bezirken gezahlten Arbeiterlöhne ergibt sich für das I. Quartal 1909gegenüber dem IV. Quartal 1908 wiederum ein starker Rückgang.Die Löhne betrugen:im im pro SchichtIV. Quartal l. Quartal IV. Quartal I. Quartal1908 1909 1903 1909M. M. M. M.Steinkohlenbergbau:in Oberschlesien..... 250 243 3,62 3,48in Niederschlesien.... 243 244 3,31 3,24im Oberbergamtsbezirk Dort-mund....... 357 327 4,76 4,56in Saarbrücker Staatswerken 294 286 4,03 4.00im Aachener Bezirk.., 332 330 4,54 4,55Braunkohlenbergbau:in, Bezirk Halle.... 270 263 3.58 3,47im linksrheinischen Bezirk. 293 274 3,96 3,97Salzbergbau:im Bezirk Halle..... 294 291 3,92 3,88im Bezirk KlauZthal... 303 309 4,03 4,11Erzbergbau:in ManSfeld...... 259 260 3,40 3,42im Oberharz...... 222 217 2,93 2,93in Siegen....... 258 262 3.65 3,67in Nassau und Wetzlar.. 217 221 3,02 8,06im übrigen rechtsrheinischenBezirk...... 239 285 3,29 3,31im linksrheinischen Bezirk. 216 211 2,96 2,96Demnach ist im Erzbergbau der Lohn teilweise etwas gestiegen,dagegen zeigt sich besonders für den rheinisch-westfälischen Kohlenbergbau eine empsindlichs Einkommensverminderung, ging doch derSchichtenverdienst um. 20 Pf. zurück und das OuartalsminuS stelltsich auf 30 Mark._Die goldene Internationale.„Courrier de la Bourse" zufolge findet in Brüssel demnächsteine internationale Konferenz französischer, belgischer und amerika-nischer Bankiers und Finanzleute behufs Einführung der vornehmstenamerikanischen Westbörsen statt. An der Konferenz werden Roosevelt,Finanzminister Shaw, die Eisenbahukönige Harriman, Winchell undGary, sowie die Vertreter des amerikanischen Stahltrustes teil-nehmen._Ausstellung in Berlin. Wie dem„L. A.' gemeldet wird, gibtein Ausschuß von Vertretern der amerikanischen Geschäfts- undFinanzwelt bekannt, daß für die Monate April, Mai und Juni 1910in Berlin eine Ausstellung amerikanischer Jnduftrieerzeugnisse zurFörderung der deutsch-amerikanischen Handelsbeziehungen geplant ist.Soziales.BundeSratSvcrordnuug über Steinmetzbetriebe.Der gestrige„Reichsanzciger" veröffentlicht eine auf Gninddes§ 1206 der Gewerbeordnung erlassene Verordnung desBundesrats über die Einrichtung und den Betriebvon Steinbrüchen und Stein Hauereien vom31. Mai d. I. Diese Verordnung tritt vom 1. Juli aban Stelle der Bundesratsverordnung vom 20. März 1902.Die neue Verordnung unterscheidet sich von der zurzeit be-stehenden in folgenden Punkten:1. In§ 4 ist ausgesprochen, daß nicht nur für die imFreien arbeitenden Steinhauer, sondern auch für die imFreien arbeitenden Schrottschläger. Kletnschläger.Klarschläger und Pflastersteinkipper(Pflaster-steinschläger) zum Schutz gegen die Unbilden der Witterungentweder Schutzdächer über den Arbeitsplätzen oder Arbeits-buden errichtet werden müssen; die Arbeitsbuden müssen nachdrei Seiten, insbesondere nach der Windrichtung hin geschloffenwerden können.2. Die in Z 9 der bestehenden Verordnung festgelegtezehnstündigeHöchstarbeitszeitfür Arbeiter, die beider Steingewinnung beschäftigt werden, ist in der neuen Ver-ordnung ausdrücklich auch aus den Fall ausgedehnt, daß dieArbeiter nur während eines Teils des TageS beider Steingewinnung verwendet werden. Ein gleicher Schutzgegen die Umgehung der bestehenden Höchstarbeitszeit ist zu-gunsten der Arbeiter vorgeschrieben, die bei dem Bossierenoder der weiteren Bearbeitung von Sandstein verwendetwerden: die für diese Arbeiter vorgeschriebene Höchst-arbeitszeit von neun Stunden findet vom 1. Juliab auch dann Anwendung, wenn die Arbeiter zu solchenArbeiten nur während eines Teiles des Tages verwendetwerden._3.(§ 10.) Das Verbot der Verwendung von Arbeite-rinnen und jugendlichen Arbeitern bei derSteingewinnung oder der Rohaufarbeitung von Steinen istauf die Abräumungsarbeiten ausgedehnt. Die neueVerordnung setzt hinzu:„Als Rohaufarbeitung von Steinenim Sinne dieser Bestimmungen gilt auch die Herstellung vonChausseesteinen(Schotter. Klarschlag, Knackschlag, Kleinschlag)in solchen Betrieben. Die höhere Verwaltungsbehörde kannfür ihren Bezirk oder Teile desselben gestatten, daß Arbeite-rinnen über achtzehn Jahren mit der Herstellung von Chaussee-steinen beschäftigt werden; die Dauer der Beschäftigung imSteinbruch darf in diesem Falle sechs Stunden täglich nichtübersteigen."4.(§ 10.) Falls jugendliche Arbeiter, wennauchnur während eines Teiles des Tages zur Bearbeitung vonfeuchten Sandsteinen verwendet werden, so dürfen sie vom1. Juli ab nicht länger als neun Stunden täglich be-schäftigt werden.5.(§ 10.) DaL Verbot der Beschäftigung von Ar«beiterinnen und jugendlichen Arbeitern beimTransport und Verladen von Steinen ist auf den Trans-port und das Verladen von Abraum oderAbfall ausgedehnt worden. Die von der Genehmigungder höheren Verwaltungsbehörde abhängige Ausnahme, daßjugendliche Arbeiter beim Transport oder Verladen vonSteinen mit ihren Kräften angemessenen Arbeiten beschäftigtwerden dürfen, ist aufrechterhalten.Die Verordnung ergänzt mithin die bestehende, durch un-ausgesetzte Agitafton der Gewerkschaft und der sozialdemo-kratischen Fraktion dem Bundesrat als Abschlagszahlung ab-gerungene Verordnung in nur wenigen Punkten. Die großengesundheitlichen Schädigungen, die der Steinmetzbetrieb nachsich zieht, hätten nach siebenjährigem Bestehen der Verordnungwohl insbesondere eine weitere Herabsetzung der Höchstarbeits-zeit gerechtferttgt. Leider trägt die Verordnung dem keineRechnung.__Die Saar- und Moselgruben entbehren der Sichcrheitsvorrichtungen!Das ist nunmehr gerichtlich festgestellt. Zwei Bergleute desSchachtes 5 der Saar- und Moscl-Grnben in Merlenbach ver-lichen nämlich— wie es ihr Recht war— ohne Kündigung dieArbeit, weil sie infolge des Fehlens von Sicherheitsmaßregeln gegenWggMs Mtter Gefs�r jüx GejundM Md Leben WKkteo.Die Zeiyenvervaftung behielt ihnen den Lohn von sechs Schichtenein. Die Bergleute klagten auf Zahlung des Lohnes und beriefensich dabei auf das Zeugnis des Bergrates Goebel, der im Novembervorigen Jahres, als die Arbeiter ebenfalls wegen des Mangels anSicherheitsvorrichtungen die Arbeit niederlegten, die Grube be-fahren hat. Als aber der Bergrat in dem Termin Zeugnis ablegensollte, erhielten die Arbeiter den Bescheid, daß der Termin auf-gehoben ist, weil der Zeuge Goebel erklärt hat, daß er von seinervorgesetzten Behörde keine Ermächtigung zur Aussage erhaltenhabe.Nach dem Gesetz darf die Genehmigung zur Zeugnisaussagenur dann versagt werden, wenn die Ablegung des Zeugnisses demWohle des Reiches oder eines Bundesstaates Nachteil bereite»würde. Solch Nachteil kann offensichtlich nicht entstehen, wenn dieBergleute unrecht hätten. Er kann lediglich dann entstehen, wennin der Tat die Gruben in einem das Leben und die Gesundheit derArbeiter bedrohenden Zustand sich befinden und die zu Schutz-maßnahmen verpflichtete Behörde zur Erfüllung ihrer Verpflich-tung ohnmächtig ist. Damit ist festgestellt, daß die Saar- undMosel-Gruben in gemeingefährlichstem Zustande sich befinden.Dringend notwendig ist mithin im Interesse des Wohls des Reichesund Elsaß-LothringenS ein Reichsberggesetz und die Anstellungunabhängiger Bergleute zur Durchführung von Sicherheitsmaß-regeln,Simulantenfchnüffler.Die Simulantenschnüffelei einiger Fabrikkrankenkassen undAerzte wurde durch eine dieser Tage vor dem Münchener Wer-waltungsgerichtShof stattgefundenen Verhandlung in grelles Lichtgestellt. Der jetzt im 56. Lebensjahre stehende Arbeiter Johann K.war 10 Jahre in der Emaille» und Blechwarenfabrik der FirmaStrudinger und Müller in Weißenburg i. B. beschäftigt und ge-hörte auch der Fabrikkrankenkasse an. K., der während seiner Dienst-zeit bei der Firma die Fabrikkrankenkasse nie in Anspruch genommenhatte, nahm nach seinem Austritt diese Kasse, deren freiwilligesMitglied er geblieben war. wiederholt in Anspruch. Als K. imJanuar v. Js.� wiederum 51,20 M. Krankengeld verlangte, ver-weigerte ihm die Kasse die Bezahlung des Betrages, da K. ihremVerlangen, sich ins Krankenhaus zu begeben oder sich von dem prakt.Arzt Dr. Dörfler behandeln zu lassen, nicht nachgekommen war.Die Vorstandschaft der 5wsse behauptete nämlich, K. sei ein Simu-laut, der es lediglich auf die Ausbeutung der Kasse abgesehen habe.Sie stützte sich dabei auf ein Gutachten, das Tr. Dörfler im August1997 abgegeben hatte, sowie auf einige gehässige Äußerungen, dieK. gegenüber der Kasse gemacht haben soll. Anderer Anschauungwie die Fabrikkrankenkasse war jedoch der dortige Bezirksarzt, derden K. schon seit langem behandelte. In einem ausführlichen Gut.achten erklärte er K. als schwer mit Neurasthenie bebaftct, bei demvon einer Simulation nicht die Rede sein könne. Die Fabrikkrankcn-kasse erklärte darauf, der Bezirksarzt mache„zu Gunsten des 5t.Konzession" und blieb bei ihrer ZahlungSweigerung. In die Behandlung des Dr. Dörfler sich zu begeben, hatte K. sich deshalb ge-weigert, weil dieser ihn als Simulant erklärt hatte; in das Kran-kenhaus war er nicht gegangen, weil Dr. Dörfler auch Krankenhaus-arzt ist. Die Regierung von Mittelfranken, die sich auf erhobeneBeschwerde hin mit der Angelegenheit zu beschäftigen hatte, fordertezunächst ein oberärztliches Gutachten ein. Der Arbeiter K. wurdenochmals eingehend untersucht und außer schwerer Neurastheniewurden noch eine ganze Reihe objektiver Krantheitserscheinunge»festgestellt, wie Atemnot, Verdauungsbeschwerden, Lähmungser-scheinungen, rasselndes Geräusch in der Lunge usw. Das Gutachtendes Kreismcdizinal-Rcfcrentcn deckte sich infolgedessen auch voll-kommen mit dem des Bezirksarztes. Die Regierung erklärte darauf-hin die Fabrikkrankenkasse auch für verpflichtet, an den K. den Be-trag von 51,20 M. zu zahlen. Wenn Zweifel wegen Simulationbestehen, so hätte die 5ätsse allerdings das Recht zur Krankenhaus-einweisung. Voraussetzung sei aber, daß diese Zweifel auch hin-länglich begründet seien. Das sei aber hier nicht der Fall, die ge-hässigen Acußerungen bieten keinen hinreichenden Anlaß zur Ein-Weisung, ebensowenig könne das Gutachten des Dr. Dörfler vomAugust 1907 für eine Erkrankung im Dezember maßgebend sein.Der BerwaltungSgerichtshof, an den sich die Fabrikkrankenkassebeschwerdeführend wendete, gab dieser nur insofern statt, als erden zu zahlenden Betrag auf 43,20 M. ermäßigte.— Vor wenigenTagen hat, wie unfern Lesern aus dem Bericht über das Reichs-gerichtsurteil gegen den Pastor Felke erinnerlich sein wird, dasReichsgericht angenommen, selbst jemand, der unentgeltlich undohne Approbation einen Mitbürger zu heilen suche, sei für dasNichterkennen einer bestimmten Krankheit strafrechtlich verantwort-lich. Es ist vom Standpunkt der Rechtsgleichheit aus zu bedauern,daß in vorliegendem Falle der Vorstand der Kasse und der Arztnicht strafrechtlich belangt werden können. Ist doch die Kasse ge-setzlich und vertraglich zur Gewährung freier Arzthilfe verpflichtetund der Kassenarzt soll ja Wohl, auch wenn er Fabrikkrankenkassen-arzt ist, sein Entgelt für seine Hilfe, nicht für die Weigerungzu helfen erhalten. Konnte der Arzt und der Vorstand die selbstfür einen mäßig fähigen Arzt leicht erkennbaren objektiven Krank-heitserscheinungen nicht erkennen, so bewiesen sie, daß ihre Simu-lantenschnüffelei ihnen den Weg selbst zu der leichtesten Erkenntnisversperrte. Derartige Ungeheuerlichkeiten folgen aus dem Wesender Fabrikkrankenkassen. Die Reichsversicherungsordwing ist leiderweit entfernt, die Fabrikkrankenkassen zu beseitigen.Angst vor Unzufriedenheit.Gegen Schulsparkassen sprach sich in einer Sitzung der städtischenKollegien der Oberbürgermeister von Göttingcn aus. Im Interesseder Arbeiterschaft und anderer Berufszweige beschloh man, in Zu-kunft die Spargroschen für die Sparkasse durch Beauftragte abholenzu lassen. Dabei wurde auch die Schulsparkassenfrage erörtert.Der Oberbürgermeister erklärte, er betrachte die Schulsparkassenals einen sozialen Mißgriff. Für Schüler brauche man keine Spar-lassen. Es sei höchst bedenklich, durch eine Maßnahme der Schul-Verwaltung bessersituierte Kinder zur Abgabe von Einlagen anzu-halten, während manche arme Mutter kaum in der Lage sei, dennotdürftigsten Lebensunterhalt für ihre Kinder zu erschwingen. TieSchulsparkasse» trügen unter solchcu Umständen nur Unzufrieden-heit in die Reihen der KinderlDer Göttinger Oberbürgermeister hat ganz recht. Er täuschtsich nur, wenn er meint, daß es erst der Schulsparkassen bedürfe,um Unzufriedenheit zu erwecken. Die ist schon in übergroßem Matzeda. Das Bestehen der höheren Schulen, Mittelschulen und ähn-licher Anstalten haben der Volksschule den Charakter der Armen-schule aufgedrückt. Und Unzufriedenheit erweckt auch in gleichemMaße, wenn die Kinder der armen Witwe hungern oder il?r dürf»tiges, oft trockenes Frühstück in der Schule verzehren und die gut-belegten Butterbröte der Bessersituierten begehrend betrachten.Man beseitige dann doch lieber die Unzufriedenheit durch Ein-führung gerechter, alle Volksgliedcr befriedigende Zustände,Hu9 der Frauenbewegung.Ueber„Mutterschutzhäuser"veröffentlicht in bürgerlichen Blättern Ruth B r ü einen Vorschlag,der für die Ideologie der Mutterschutzbewegiing, soweit sie überbloß praktische Arbeit hinausgeht, charakterisiffch ist. Da wird zu-nächst erwähnt eine„einstimmig angenommene Resolution", in derman den Reichstag ersucht habe,„Mutterschutzhäuser zu errichten, um Frauen, die durch ihren Zu-stand nicht mehr arbeitsfähig sind, einige Zeit vor der Entbindungaufzunehmen. In diesen Zufluchtsstätten sollen sie die letztenTage oder Wochen vor der Geburt des neuen Staatsbürgers inRuhe und Frieden verleben können und nicht bis zur letztenMinute in lebenzerstörender Angst obdachlos herumirrm müssen."