Schon hören w!r Zentrum, Rechte und selbst das Gros der Linken zornentbrannt gegen eine solche„Förderung der Unsittlichleit* zetern. Wo sollen nun diese Mutterschutzhäuser hergenommen werden? Wo hat der Staat„die prächtigsten, geeignetsten Mutterschutzhäuser bereits fix und fertig stehen*? „Das ist im Osten, in den Provinzen, wo die Nnsiedelungs- kommission Güter austeilt. Bei dieser Aufteilung bleibt gewöhnlich das Herrenhaus mit Garten und etwas Land übrig. Das wird meist spottbillig ver- kauft. Eine halbe Stunde von Posen hat ein Ritt- meister solch ein Herrenhaus mit 20 Zimmern. Nebengebäude, Stallungen, vier Morgen Park und Garten, 18 Morgen Feld gekauft. Kosten- Punkt für diesen ganzen Besitz„24 000 M." l* So berichtet Ruth Vrö ganz naiv. Der Zweck der Güter auSteilung ist doch nicht der, Leuten, wie diesem Rittmeister, die Erwerbung eines standesgemäßen Logis zu erschweren. Der Staat habe auch noch Borteil von diesen Mutterschutzhäusenr im Osten, sagt die Verfasserin: »Er pflanzt junges Deutschtum im Osten.. „Des Kindes erster Blick fällt in den grünen Garten. Mit dem ersten Atemzuge atmet es den Geruch der Scholle ein. Die Mutter braucht nicht mit dem neunten Tage hinaus mit ihrem Bündelchen, ohne zu wissen, wohin. Sie kann dableiben, und wennnuninihrdieLu st erwacht, auf demLande ihr Brot zu verdienen, so kann sie das Kleine mit sich nehmen in den Garten oder aufs Feld. Und das Kind schläft in Luft und Sonne und hat seine Mutter. Ist eSgrößer, so hilft es wohl ein wenig mit: Obst lesen, Kartoffel lesen, nicht als gezwungene Arbeit, mehr so zum Spaß. Oder eS geht mit in den Stall. Kühe, Kälb chen, Ziegen, Schafe, Hühner, Schweinchen, Katze. Hund, alle sind seine Gespielen... Manche Mutter würde ganz dort bleiben, wo sie zuerst im Mutterschutzhause Hilfe fand. Vielleicht könnten einige ihre Kinder im Heim lassen und in der Nähe Stellung nehmen. Wieder andere könnten ihr Kind in eine Stelle mit- nehmen. Stellen gibts überall I Bei den einzelnen Ansiedlern, bei der Ansiedelungskommission selbst und aus den königlichen Domänen, besonders in den großen Milchwirtschaften werden viel Frauen gebraucht. Sie würden auch gut bezahlt werden. Daö hat man mir bei der AnsiedelungS- kommission schon versprochen. Und verdeutsche Nachwuchs würde in den Ost Provinzen all« mählich erstarken, könnte dort wieder Landarbeit tun und lieben lernen, an die Stelle fremder Arbeiter treten, die man hereingezogen, weil die Deutschen keine Landarbeit tun wollten. Das wäre gesunde SiedelnngSpolitik I' Man spekuliert natürlich darauf, daß die armen Mütter willige und billige Arbeitssklaven abgeben werden. Sollte Ruth Brs sich das nicht selber sagen können? Entweder ist es mit der reinen Menschenfreundlichkeit solcher Mutterschützcrinnen nicht allzu weit her — oder ihre soziale Einsicht ist noch'etwas kümmerlicher, als man bisher schon annehmen mußte I Frauenarbeit. AuS den Spezialangaben der Bernfszählung veröffentlicht der „Reichsanzeiger* Zusammenstellungen über die berufliche Tätigkeit der Frau. Im Jahre 1885 betrug der Anteil der Frauen an den Gesamtberufen erst 23 Proz., im Jahre 1807 aber schon 33 Proz. Während im Jahre 1885 insgesamt 1 234 121 selbständige und 2 177 640 angestellte weibliche Berufstätige gezählt wurden, betrugen diese Zahlen 1807 1 704 137 bezw. 4 058 783. Bei den Angestellten also die Ziffer fast verdoppelt. Es wurden gezählt in: hat siö Landwirtschaft.. Industrie usw... Handel und Verkehr Hausdienst usw.. Andere Berufe.. Ohne Beruf. 1895 1 476 819 761 370 311 076 148 87? 97 100 617 019 1907 2728 326 1 077 600 512 743 209 503 166 422 1 063 331 Fast um die Hälfte hat die Tätigkeit der Frauen in der Land Wirtschaft zugenommen. Die Entwickelung in den einzelnen Berufen, denen die weiblichen ArbeitSkräste besonders zuströmen, war wie folgt: 1895 ».. 39 820 ... 87 531 . 12 979 ... 28 807 ... 169 853 ... 107 483 ... 20 413 ... 67 387 ... 141236 ... 42 946 ... 144445 Bergwerksindustrie 1907 43 375 116 636 28 638 51505 122 867 218 183 34 937 81230 292 531 74 986 166 935 tätigen Spinnerei...» Weberei... Bäckerei.... Tabakfabrik... Näherei usw.... Schneiderei... Putzmacherci... Wäscherei.... Warenhandel... Ltrankenpflege usw.. Schankgewerbe.. Die Zahl der in der Bergwerksindustrie tätigen weiblichen Kräfte beträgt zirka 17 000. In der Ziegelei, der Tonröhren- und Steingutfabrikation wurden rund 13 000 weibliche Erwerbstätige gezählt, etwa doppelt soviel wie 1895. 66 Frauen betrieben das Kupferschmiedehandwerk, darunter 35 selbständig. Selbständige Frauen in der Land« und Forstwirtschaft wurden rund 178 000 und in der Industrie 243 000 gezählt. 34 000 Frauen waren selbständig als Wäscherinnen und Plätterinnen, fast 80 000 im Waren- und Produktenhandel und 42 667 im Gast- und Schankgewerbe. Als Lehrerinnen und Erzieherinnen sind 51 000 Frauen selbständig tätig und beinahe 13 000 auf dem Gebiete der Musik, des Theaters und der Schaustellung. 6encht9- Zeitung* Die Räuberfahrt des noch nicht zwanzigjährigen Hausdieners Walter Schwarz nach PichelSberge, bei der beinahe ein Menschen- leben zugrunde gegangen wäre, beschäftigte gestern die Straf- kammer des Landgerichts Berlin III unter Vorsitz des Landgerichls- direktors Liebenow. Der Hausdiener Walter Schwarz stand unter der Anklage des Diebstahls unter Mitftthrung von Waffen, der Mißhandlung mittels einer Waffe und des Gebrauchs gefälschter Legitimationspapiere; der Mitangeklagte Arbeiter Leo Rosinke hatte sich wegen Begünstigung und Anfertigung falscher Legiti- mationspapiere zu verantworten. Der 19s4jährige Schwarz hatte bis zum 15. März gearbeitet, verlor dann die Arbeit und ver- mietete sich als HauSdiener in Eilenbura im Gasthaus zur«Stadt Leipzig ". Dort nahm er die Gelegenheit wahr, seinem Dienst- Herrn 300 M. zu stehlen. Er ging nach Berlin , wo daS gestohlene Geld bald verzettelt lvar. Ilm wegen des Eilenburger Diebstahls nicht gefaßt zu werden, beschloß er, nach der Schweiz zu gehen. Dazu mußte er sich aber zunächst Geld verschaffen und dazu ersann er folgenden Plan: Er begab sich nach dem ArbeitSbureau in der Jägerstrasie, gab sich für einen Bäckermeister aus Rum- melsburg aus und engagierte als solcher einen Bäckergesellen Donnig, der ihm vertrauensvoll seine Papiere überließ und erst am nächsten Tage, als er arbeitsfreudig nach RummelSburg wan- dcrte, erfuhr, daß er einem Gauner in die Hände gefallen war. Auf die Papiere des Tonnig hin ließ sich der Angeklagte Schwarz dann als Hausdiener bei dem Besitzer des„Kaiser-Gartens" in Pichelsbergc, Herrn Kühne, engagieren. Bei Herrn Kühne trat er dann als„Wilhelm Domtig" seinen Dienst an. Durch den Kegel» jungen erfuhr er, wo Herr Kühne sein Geld bewahrte. Am 1. Mai schlich sich Schwarz in das Schlafzimmer der Kühneschcn Eheleute, wo in einem verschlossenen Schrank eine Kassette mit Geld aufbewahrt wurde. Er schloß den Schrank mit einem fal- sehen Schlüssel auf und fand etwa M M. in einer Sammlung �'alter Taler vor. Nachdem'er sich das Geld angeeignet, forderte er den Jungen auf, mit ihm auszurücken. Der Junge sagte auch zu, bat aber, immer vorauszugehen, da er sich nur seine Mütze holen wolle. Der Funge hatte aber Angst bekommen und teilte den Diebstahl schleunigst Herrn Kühne mit. Dieser tclephonierte sofort an den Besitzer der„Neuen Welt" in Spandau , Herrn Fraebe, und bat ihn, auf den Spitzbuben, der dort vorbeipassieren müsse. Acht zu geben. Herr Fraebe stellte sich mit einigen An- gestellten vor die Tür seines Restaurants und als der Verbrecher sichtbar wurde, machte sich der Buffetier Klagemann an ihn heran und redete ihn mit einer gleichgültigen Phrase über das Wetter an. Walter Schwarz merkte aber, daß man ihn fangen wollte und gab plötzlich Fersengeld. Auf der Flucht drehte er sich Um und gab auf Klagemnnn zwei Schüsse ab, die diesen in den Kopf oberhalb des linken Ohres trafen und zweifellos tödlich gewesen wären, wenn nicht der Rand der Mütze, die Klagemann trug, die Kraft der Kugeln abgeschwächt hätte. Dann entfloh Schwarz quer über die nassen Wiesen nach Charlottenburg . Es gelang ihm, mit Hilfe eines Autos nach Berlin zu entkommen. Hier machte er die Bekanntschaft des zweiten Angeklagten auf der Straße und teilte ihm seine Erlebnisse mit, fragte ihn auch gleich, ob er ihm nicht Quartier, trockene Kleider und Legitimationspapiere ver- schaffen könne. Rosinke war bereit dazu und führte ihn, nachdem beide erst noch etwas gezecht hatten, in die Wohnung seiner Wirtin in der Tieckstraße, wo er in Schlafstelle lag. Hier ver- tauschte er seine Kleider mit anderen, die ihm Rosinke verkaufte. Dort wurde das erbeutete Geld gezählt, die leicht zur Entdeckung führenden alten Taler ausgesondert und Schwarz erhielt ein nettes Legitimationspapier gegen Geld und gute Worte. Am nächsten Morgen las Schwarz den Bericht über seine Pichelsberg-Spandaucr Heldentat in der Zeitung. Er hielt es nun für geraten, baldigst aus Berlin zu verschwinden. Er bestieg an der Ecke der Johannis- und Friedrichstraße eine Autodvoschke, deren Chauffeur Albert Müller den Bericht über das Verbrechen und die Personalbeschrei- bung des Täters schon gelesen hatte und in Schwarz den jungen Mann erkannte, den er selbst an lßem kritischen Tage nach Berlin gefahren hatte. Der Chauffeur verständigte unauffällig einen Schutzmann, als dieser jedoch in das Auto stieg, zog der Angcilagte seine Pistole aus der Tasche und versuchte, sich zu erschießen. Er erhielt jedoch nur einen Streifschuß. So endete das Räuber» abenteuer des Angeklagten. Der von ihm angeschossene Buffetier Klagemann hat 14 Tage im Krankenhause zubringen müssen und leidet noch jetzt an Schwindelanfällen.— Das Gericht verurteilte den geständigen Schwarz zu 4 Jahren Zuchthaus und 4 Wochen Haft, den sehr dreist leugnenden Rosinke zu 1 Jahr Gefängnis. Aerztliche Schmiergelder. AIS Nachspiel zu der sogenannten„Patientenschacheraffäre" verhandelte am Donnerstag das ärztliche Ehrengericht für die Provinz Brandenburg in zwei bis zum späten Abend währenden Sitzungen die Disziplinarstrafanträge, die die in dem Acrzteprozcß mehrfach genannten Dr. med. Siegfried Wcischein und Sanitätsrat Dr. Friedcmann(Schöneberg ) gegen sich selbst gestellt hatten, In beiden Fällen endete die Verhandlung mit einem Freispruch« Worin ein Amtsanwalt keine Klassenjustiz erblickt. AuS Halle a. S. berichtet man uns unterm 11. Juni: Für den Werdegang unserer emporstrebenden Justizmänner von recht charakteristischer Bedeutung ist ein Fall, der sich heute vor dem Schöffengericht abspielt«. Ein Student Hohmann, der vor dem Examen steht, amüsierte sich am Abend des zweiten Osterseier- tages in den Thaliafestsälen auf einem Stiftungsfest der Bäcker- innung und beabsichiigte von dort ein junges Mädchen nach Hause zu begleiten. Als sich im Saal kein Anschluß für ihn fand, ging er in die Garderobe und forderte dort das junge Dienstmädchen Pansch unter unsittlichen Redensarten auf, mit„auf seine Bude" zu kommen. Der Student versuchte dem Mädchen, das sich die Belästigungen verbat, einen Zigarrenstummel in den Mund zu stecken. Die Belästigt« wies den zudringlichen Menschen widerholt ab und versuchte ihm schließlich eine Ohrfeige zu verabreichen, die aber leider nicht traf. Darauf setzte der Student„wutent- brannt" über die Garderobentische hinweg und verabreichte der fliehenden P. mit seinem Spazierstock einen Schlag auf den Arm, der dick anschwoll. Das Mädchen verschaffte sich ein ärztliches Attest und stellte Strafantrng. Der Student versuchte die Sache mit Geld tot zu machen und zahlte der Verletzten 50 M., um sie zur Zurücknahme des Strafantrages zu bewegen. Dies war jedoch nicht möglich. Der Student kam wegen Körperverletzung mittels gefährlichen Werkzeuges vor Gericht. Er entschuldigte sich mit Trunkenheit und ein Polizist sagte aus, der Angeklagt« habe sich auch noch auf der Polizeiwache ungehörig benommen. Als man ihm sagte, er solle seine Kopfbedeckung alurehmcn, entgegnete er, erst solle der Wachtmeister seinen Helm abnehmen. Was sagte nun der AmtSanwalt, ein allerdings noch etwas junger Mann, der den Staat vertrat, zu dem Fall? Man höre: Das' der Stock ein gefährliches Werkzeug sei, müsse man bezweifeln. Beurteile man de» Fall„rein" menschlich und bedenke man, daß sich der Student infolge Alkoholgcnusses in einer sexuellen Er- regniig befunden habe. Er vertrat, da man versuchte, ihm eine Ohrfeige zn geben, feine studentische Ehre. Das studentische Leben bringt das nun mal so mit sich. Ich glaube nicht, daß man von Klassenjustiz reden kann, wenn man den Angeklagten freispricht. — SagtF und setzte sich. Nach dieser glanzvollen„Anklagerede" erlaubte sich der Verteidiger des Studenten noch zu sagen, die „Scheinohrfeigc" sei für d«n Studenten schmachvoller gewesen, als die Belästigungen für das Mädchen. DaS Gericht ließ den Stu- deuten mit 59 M. Geldstrafe davonkommen. ES sah den Stock gleichfalls nicht als gefährliches Werkzeug an.—„Selbstverständlich" werden von nun an solche Stöcke in den Fäusten der Arbeiter auch nicht mehr als gefährliche Werkzeuge angesehen. „Strengste Diskretion." In dem Rhönstädtchen Kaltennordheim bei Leinefelde befindet sich eine Anstalt, die unter der Leitung des vor kurzein ver- storbenen Dr. Rehfeld stand. Er hatte es nicht nötig, die Damen „gebildeter Stände", die sich«unter strengster Diskretion" für einige Zeit zurückziehen wollten, durch Inserate einzuladen, denn sein Haus wurde nicht leer von solchen Damen, die den ersten Kreisen Rheinlands , Hessens und Westfalens angehörten. Den Niedergekommenen stellte Dr. Nehfeld Frauen vor, die die Neu- geborenen gegen Entgelt adoptierten. Zu diesen Frauen gehörte auch die Frau deS Malermeisters Johann Schmidt aus Mann- heim. Sie war im Oktober 1899 mit Dr. Rehfeld in Verbindung getreten und hatte von ihm wiederholt Kinder zur Adoption zu- gewiesen erhalten. Eine fleißige Lieferantin der Frau Schmidt wurde mit der Zeit eine Nittergutsbesitzcrstochter aus Hefen bei Hamm in Westfalen . Sie kam mehrfach in der Anstalt nieder. Die erst wenige Wochen alten Kinder gmgen jedesmal in den Besitz der Frau Schmidt gegen eine Abfindung von 1290— 2009 Mk. für jedes Kind über. Frau Schmidt verpflichtete sich, die Kinder zu adoptieren und über deren Herkunft absolutes Stillschweigen zu bewahren. Die Angeklagte hat die Kinder sehr bald der Mutter eines ihrer Dienstmädchen übergeben, und zwar gegen eine Ab- findnng von je 299 M. In der Pflege dieser Frau ,st ein Knabe bald gestorben, während ein zweites Kind an Frau Schmidt zurück- gelangte, nachdem sie erfahren hatte, daß die Mutter sich ver. heiratet hatte. Frau Schmidt begann nun, die Dame und deren Angehörige mit erpresserischen Briefen zu bombardieren und drohte, das Kind zurückzubringen, wenn man ihr nicht weiter» Summen aushändige. Auf diese Weise preßte sie über 5999 M. heraus. Eine andere Dame, ebenfalls eine frühere Ritterguts- besiherötochter, hat die Angeklagte auf dieselbe Weise um 3969 M. geschädigt. Gegen Frau Schmidt wurde am Mittwoch bor der Mannheimer Strafkammer eine Anklage wegen Betrugs und Er- Pressung verhandelt. ES stellte sich heraus, daß in dem letzten Fall bereits Verjährung eingetreten war, so daß die Verurteilung nur wegen der beiden anderen Fälle erfolgen konnte. In der Verhandlung wurde übrigens noch festgestellt, daß Dr. Rehseld vsn des; Gelbe« das iii Avgeklsgte für die Adoptiov erhielt, jedes- mal 509 M. für sich behielt. Die Angeklagte verteidigte sich da- mit, daß sie die adoptierten Kinder in sehr guter Pflege gehalten habe und die Adoption vornahm, weil ihrer Ehe Kinder versagt geblieben seien. Das Urteil lautete wegen Betrugs und Er- Pressung auf nur 4 Monate Gefängnis, von denen acht Wochen durch die Untersuchungshaft abgehen. Revision von Igel verworfen. Das Reichsgericht verwarf gestern, wie uns aus Leipzig tele- graphisch gemeldet wird, W Revision des GerichtSreferendars Harry von Igel, der vom Schwurgericht III Berlin am 23. März wegen Körperverletzung mit tödlichem Ausgang zu vier Monaten Gefängnis verurteilt worden war. Haftpflicht wegen Stehenlassens eines Wagen». � Mit dieser Frage hatte sich unlängst daS Reichsgericht zu be- schäftigen. ES Händelte sich um eine Klage des Metzgergesellen S. in Dornstatten gegen den Fuhrwerksbesitzer und Talmüller G. in Hallwangen . Der Kläger ist mit seinem Fahrrade auf der Nach- barschaftSstraße von Unternutzbach-Hallwangen dadurch zu Fall gekommen, daß er auf das linke Hinterrad eines dem Beklaqten gehörigen, mit Lagerholz beladenen Wagens, der rechts von seiner Fahrtrichtung auf jener Straße stand und nicht beleuchtet war, aufgefahren ist. Der Wagen, dessen Langholzstämme etwa 7 Meter weit überragten, war aus Versehen ohne Beleuchtung in später Abendstunde auf der Straße stehen gelassen worden und zwar hatten der Beklagte und sein Fahrknecht geglaubt, vor Dunkelheit zurück- zukehren, so daß sie das Mitnehmen einer Laterne für überflüssig hielten. Infolge Hilfeleistungen, die sie anderen Fuhrwerken ge- währten, war es aber später geworden, als man anfangs geschätzt hatte. Die Schädigung des Klägers besteht in einem Bruch des linken Unterschenkels. Sein Anspruch belauft sich auf Ersatz für die Verminderung seiner Erwerbsfähigkeit, soweit er nicht Unter- stützung durch die Fleischerei-Berufsgenossenschast Mainz erhält. Das Landgericht Rottweil erkannte auf Berurteilung des Beklagten zu drei Vierteilen. Das OberlandcSgcricht Stuttgart cut- schied auf Abweisung des Klägers, da dieser jedenfalls unvorsichtig gefahren sein könne. Er sei bielleicht durch einen Stein abge- prallt und in den Wagen hineingekommen, trotzdem er ihn gesehen habe. Das entsprach auch viel eher der Wahrscheinlichkeit als die Erzählung des Klägers. Durch Urteil des Reichsgerichts wurde das Urteil des Ober» landeSgerichlS wieder aufgehoben, da es verkehrwidrig und fahr- lässig sei, ein Fuhrwerk zur Nachtzeit ohne Laterne auf der Strafte stehen zu lassen. Diese Umstände hätte der Berufungsrichter bei Bemessung des eigenen Verschuldens in Berücksichtigung ziehen müssen. Die Sache wurde deshalb zur anderweitigen Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückveuoiesen. Versammlungen. Das Automobilhaftpflichtgesetz und die Chauffeure lautete daö Thema, das eine stark desuchte öffentliche Versamm- lung der Automobilführcr am Donnerstag beschäftigte. Genosse Stadthagen hielt das Referat. Dem beifällig aufgenommenen Vortrage schloß sich eine lebhafte Diskussion an, die erst um Mitternacht durch die Annahme eines Schlußantrages ihr Ende erreichte. Einmütig kam zum Ausdruck, daß das Gesetz den Automobilführern wohl ein reichliches Maß von Pflichten, aber keine Rechte gibt. Einige Redner meinten, die gegen den bisherigen Zustand bedeutend verschärften Strafbestimmungen seien der übertriebenen Aengstlichkeit des Publikums zn danken. Keiner Maschine sei bei ihrer Einführung ein solcher Widerstand entgegengesetzt worden, wie dem Automobil. Die Antipathien in der öffentlichen Meinung seien durch die TageSpresse genährt worden. Auch der„Vorwärts" habe sein Teil dazu beigetragen durch seine Notizen, die vom„rasenden" Automobil und dergleichen sprachen. Der sozialdemokratischen ReichStagSfraktion, ins- besondere den Mitgliedern derselben, die der Kommission an- gehörten, müsse nachgesagt werden, daß sie die Interessen der Automobilfahrer nicht entschieden genug gewahrt haben. Die Forderung der Einführung der achtstüiid'gen Arbeitszeit hätte zum mindesten durchgesetzt werden sollen. Die Fraktion hätte nicht für das Gesetz stimmen dürfen. An der Hand zahlreicher Bei- spiele aus der Praxis wurde noch gezeigt, daß die Führer zn sehr der Willkür der Polizei preisgegeben sind. Insbesondere werden Vorschriften der Polizeiverordnung über die Fahrgeschwindigkeit als schikanöse empfunden. Bei den Wettfahrten wird aber un- gehindert gezeigt, daß das Fahrzeug eine Hundertkilometcr- geschwindigkeit besitzt. Die Verordnung sei im Verkehr nicht durch- fühlbar. Das würde sich am deutlichsten zeigen lassen, wenn die Chauffeure die passive Resistenz ausüben wollten. Verlangt müsse ferner werden, daß die Strafprozesse, die aus Anlaß der Automobil- Unfälle entstehen, beschleunigt werden, da dem Führer der Fahr- schein bis zur Entscheidung entzogen wird, auch wenn er schuldlos ist. Dadurch sei die Existenzsicherheit der Führer und ihrer Familien arg gefährdet.— Stadthagen wie? in seinem Schlußwort darauf hin, daß der Reichstagsfraktion der heutige Zustand nicht unbekannt war und von ihr bekämpft ist. Es ist schade, daß die Reden der Abgeordneten in der Kommission über die Polizeischikanen nicht stenographiert worden sind, dann würde man sich von der Haltlosigkeit der Vorwürfe sofort überzeugen können. Es könne natürlich nicht verlangt werden, daß die Allein- Herrschaft des Automobils auf der Straße anerkannt werden soll. Schäden an Leben und Gesundheit müssen unbedingt von dem Halter des Kraftfahrzeuges entschädigt werden. Darin liegt keine Schädigung der Chauffeure, die nach dem neuen Gesetz nicht in stärkerem Maße wie zuvor haften. Die erregte Stimmung gegen die vielen ungerechten Strafen teile er bollkommen. Doch die ungerechten Strafen haben ihre Ursache in der Gerichts- organisation. nicht im Autogesetz. Sie sind wie in so vielen anderen Arbeiter treffenden Fällen der richterlichen Auffassung zuzuschreiben, und diese können durch ein Autogesetz nicht beseitigt werden, sondern nur durch Ersatz der Richter durch Leute, die aus dem und durch das Volk gewählt werden. In Zukunft werde eine Kritik solcher Urteile im Reichstage wesentlich erleichtert. Die Heraufsetzung der Maximalstrafgrejtze von 60 auf 150 M. hat die Fraktion leider nicht hindern können, wohl aber in der Kommission die erheblichen Strafschärfungen des Entwurfs und der ersten Lesung zu Falle gebracht, wie ja auch die Uebertragung von Befugnissen der Polizei auf den Bundesrat und eine Aus- schliehung der Willkür bei Konzessionscrteilungen auf die sozial- oemokratische Arbeit mit zurückzusiihrcn ist. Freilich alles ist nicht erreicht und konnte bei dem Widerstand nicht erreicht werden. Das Erreichte sei festzuhalten und auszubauen. Durch ent- schlossene gewerkschaftliche und politische Agitation könne und werde auch auf diesem Gebiete eine Besserung erzielt werden.(Beifall.) Darauf wird auf ein Urteil hingewiesen, das kürzlich das Landgericht I gefällt hat und das den Arbeitern das Koalitionsrecht raubt. Zur Besprechung desselben kam es wegen der vorgerückten Zeit nicht mehr/ Es soll dazu eine besondere Versammlung ein- berufen werden. Eingegangene Druchrebnften. DaS alte Lied. Erlebnisse eines Fräulein Mutter. Von E. I. Eichen. 5. Wigand, Berlin -Leipzig . Der Stegreifritter»nd der Zng nm S Nhr 10. Zwei Novellen von H. L. Rojegger. Broschirt 3 M., geb. 4 M. C. Seifert, Köstritz und Leipzig . Moderne Blutforschung und Abstammungslehre. Bon Dr. M. Seber. 1. M. Neuer Frankfurter Verlag, Frankfurt a. M. Ferdinand Laffalle und seine Bedeutung für die deutsche Sozialdemokratie. Von Dr. B. Harms. Broich. 1.50, geb. 2 M. G. Fischer, Jena . Bericht und Abrechnung für 1907—08 des BnndeS der technifch-iudustrielleu Beamten. Selbstverlag Berlin , Wcrflstr. 7.
Einzelbild herunterladen
verfügbare Breiten