Ar. 138. 26. Achrglmg.L Stilnje Ks Jsraättf Derlim Pollislilntt.Dollüerstag, 17. Inni 1909.Reichstag»801 Sitzung vom Mittwoch, den IS. Juni,nachmittags 2 Uhr.DaS Haus ist sehr stark besetzt. Tribünen und Logen sindlängst vor Beginn der Sitzung überfüllt.Am Bundesratstisch: Bülow, Bethmann, Shdow,Rheinbaben. Delbrück, Kraetke, Dernburg usw.und die Vertreter Bayerns und aller anderen Bundesstaaten.Auf der Tagesordnung steht dieerste Lesung der neuen Stenern.Reichskanzler Fürst Bülow:Bevor der Herr Schatzsekretär die vom Bundesrat vor-geschlagenen neuen Steuern im einzelnen begründet, möchte ich michüber die im Vordergrund des Interesses stehende allgemeine Lageaussprechen.Die allgemeine Lage.Zunächst muß ich eingehen auf mein Verhältnis zu den großenbürgerlichen Parteien. Daß die Mitwirkung des Zentrums bei derNeichsfinanzreform von den verbündeten Regierungen oder vom Reichs-kanzler ausgeschaltet worden sei, ist eine vollständig irrigeAuffassung.(Schallendes Gelächter.) Von Anfang an ist dasZentrum auf meine Veranlassung wie alle anderen bürgerlichenParteien über die Absicht der verbündeten Regierungen unterrichtetworden. Anträge des Zentrums sind in der Kommission vom Schatz-sekretär nicht darum für unannehmbar erklärt worden, weil sie vomZentrum kamen, sondern weil gegen sie, wie z. B. gegen den An-trag Herold mit seinem Eingriff in die Finauzhoheit der Einzel-staäten, sachliche Bedenken obwalteten. Ich habe aber auch niemalsdaraus ein Hehl gemacht. daß ich es im ganzen Verlaufeder Verhandlungen als meine Pflicht betrachtete, die Liberalenzur positiven Mitarbeit an der Reichsfinanzreform heran-zuziehen. Ich habe nie eine Partei an positiver Arbeitverhindert, und ich würde sachliche Unterstützung selbstvon der äußersten Linken annehmen, wenn sie nur brechenivollte mit ihrer negativen Haltung und mit ihrem intolerantenDogmatismus, den ihr ein französischer Gesinnungsgenosse nichtganz mit Unrecht vorgeworfen hat.(Lautes Lachen bei den Sozial-demokraten.) Die Gehässigkeit eines Teiles des Zentrums gegenmich hat meine Haltung nicht beeinflußt. Man hat meine voll-bewährte und zweifellose Bundestreue gegenüber Oesterreich-Ungarnund(mit erhobener Stimme) sogarmeine ebenso zweifellose Treue für das königliche Haus undSeine Majestät de» Kaiserverdächtigt.(Gr. Unruhe im Zentrum. Zurufe beif den NationaUib.:Sehr richtig I) An Berleumdungenchin ich ja gewöhnt.(Große Unruheim Zentrum.) Ich begreife jetzt, daß Fürst Bismarck einmal zueinem Manne sagte, der die Annahme eines Ministerpostens ver-weigerte:»Ich verstehe eS, daß Sie nicht in die Drecklinie einrückenwollen I"(Schallende Heiterkeit.) Diese unschöne Kampfesweise richtetsich von selbst.Ich lasse mich auch dadurch nicht beirren, daß Mitglieder andererParteien dieses Hauses die gesellschaftlichen Beziehungen zu mir ab-gebrochen haben!(Bewegung.) Anderswo, zumal in England, ist mannicht so kleinlich, die politischen Gegensätze auf das persönliche Ge-biet zu übertragen. Ich hoffe, wir werden auch noch dahinkommen, daß man nicht den, der in politischen, wirtschaftlichenoder sozialen Fragen anders denkt, als man selbst, deshalb gleicheinen Narren oder Schurken nennt.(Lebhafte Zustimmung links.Bewegung.) Aber vorläufig sind wir noch nicht so weit auf demWege der Abstreifung von Philisternetzen. Ich habe niemals darangedacht, die Zentrumspartei zu boykottieren. Ich werde mich aberauch nicht bewegen lassen, die Geschäfte so zu führen, daß dieLiberalen von der Mitwirkung ausgeschlossen werden. Ich denkeauch heute nicht daran, mir daS liberale Programm anzueignen.aber die Mitwirkung der Liberalen bei großen gesetzgeberischen Auf-gaben erscheint mir im Interesse einer ruhigen und gesunden Fort'entwickelung in hohem Grade wünschenswert.—(Lebhafter Beifalllinks. Lachen im Zentrum und rechts.) Den liberalen Geist auszu-schalten, würde ich für ein historisches Unrecht halten und für einenpolitischen Fehler.(Lebhafter Beifall bei den Liberalen.) Was imalten Preußen möglich, ist nicht immer möglich im Deutschen Reiche.Man wird in Süddeutschland und Mitteldeutschland den Wert deskonservativen Preußens viel höher einschätzen lernen müssenRleuies fciullcton.Shnckleton über seine Südpolarexpedition. Der Leiter der letztenvon so außerordentlichem Erfolg begünstigten' britischen Südpol-expedition ist nach England zurückgekehrt. Einem Vertreter desReuterschen Bureaus hat Shackleton einiges Neue erzählt. Daß derSüdpol nicht vollends erreicht wurde, ist nur dem Mangel anProviant zuzuschreiben. Shackleton berichtet: Am 9. Januar d. I.haben wir 97 geographische Meilen vom Südpol entfernt diebritische Flagge an dem südlichsten Punkte, den wir erreichten,aufgepflanzt. Dann wandten wir uns, tiefes Bedauern imHerzen, wieder rückwärts; wir wußten, daß es uns nichtbeschieden war, das Endziel unserer Expedition zu erreichen, dennwir waren am Ende unserer Kräfte und unserer Lebensmittel an-gelangt. Ein weiterer Versuch, vorzudringen, wäre der sichereTod gewesen. Wir standen vor der Entscheidung, zu sterben oderzurückzukehren, um Nahrung zu finden. Meine Kameraden warentrotzdem bereit, weiterzugehen, wenn ich es verlangte? dies wäreaber der helle Wahnsinn gewesen, wir wären sicherlich gestorben,ohne daß die Ergebnisse unserer Expedition der Welt bekannt ge-lvorden wären. Wir hätten also unser Leben gänzlich nutzlos---opfert. Der Gedanke, daß wir, hätten wir weitere LS PfundBiskuit und 30 Pfund Fleischkonserven mit auf die Fahrt genommen.sicherlich den Südpol erreicht haben würden, war für uns nicht ebentröstlich. In den letzten Tagen hatten unsere Nahrungsvorräte der-ort abgenommen, daß wir schließlich auf eine Ration von 16 Unzenpro Mann und Tag gekommen waren. Unsere Lebenskraft war durchdiese mangelhafte Ernährung derart heruntergekommen, daß wir schonkurz nach dem Punkte, wo wir die Flagge aufpflanzten, zusammen-gebrochen wären, wenn wir wirklich den Versuch unternommen hätten,weiter nach Süden vorzudringen.Uebcr die wissenschaftlichen Ergebnisse sprach sichShackleton dahin aus: Das hauptsächlichste Ergebnis liegt natürlichdarin, daß wir einen südlicheren Breitegrad erreicht haben als diefrüheren Südpolexpeditionen. Wir haben neue Gebirge und großeEisberge entdeckt, haben die Felsen jener Gebirge genau untersuchtund Probestücke davon mitgebracht. Die Entdeckung von Sand-gestein mit Kieseln, die vom Wasser abgescheuert sind, sowie neuerKohlenarten und Kalksteine halte ich für ein Ergebnis von äußersterWichtigkeit.Auf der Rückreise mußten die Mitglieder der Expedition ausErschöpfung alles Entbehrliche zurücklassen; die geologischen Musterbehielten sie jedoch bei sich, trotzdem sie dadurch ein Gewicht von35 bis 40 Pfund mit sich zu schleppen hatten. Die Expedition hatauch wertvolle Beobachtungen zur Feststellung der oberen atmosphärischenStrömungen, sowie magnetische Beobachtungen und mikroskopischeUntersuchungen anstellen können. Diese bezogen sich Haupt-sächlich auf die„Rotifera", die mikroskopischen Rädertierchen,welche zwar überall vorkommen, in den antarktischen Gebieten jedochbesonders interessant find. Man fand sie im Eise eingeschlossen,(Lautes Gelächter links. Sehr richtig I rechts), man wird abertu Preußen nicht vergessen dürfen, daß der Liberalismusauch für daS Deutsche Reich unentbehrlich ist. Daß die parlamen-tarische Stärke der liberalen Parteien nicht der Stärkedes liberalen Gedankens entspricht, dafür finde ich dieErkärung nicht allein im Emporkoinmen der Sozialdemokratie, auchnicht in öer Entziehung liberaler Kräfte durch den Kulturkampf,sondern auch in einem gewissen doktrinären Zug der linksstehendenliberalen Gruppen.(Widerspruch links.) Gerade-vom Standpunkt derLinien habe ich es für einen Fehler gehalten, daß sie sich so un-endlich lange aufgehalten hat bei der sogenannten Liebesgabe, daß sieeine durchgreifende Besteuerung des Tabaks abgelehnt hatl Ich habeeS auch nicht verstanden, daß sie gegenüber einer nach ihrer Ansichtunzulässigen Handhabung der Geschäftsordnung sich nicht mit einemProtest begnügte, sondern sich von den weiteren Verhandlungen fernhielt. Eine Partei ist immer besser dran, wenn sie auf dem Postenbleibt und weiter ficht, statt demonstrativ das Feld zu räumen. DieLiberalen hätten auch in einer ganzen Reihe steuerlicher Einzelfragensehr wohl agrarfreundlich auftreten und dabei doch liberal bleibenkönnen.(Lebhafter Widerspruch links.) Meinen Bitten um Nachgiebig-keit wurde stets das liberale Programm entgegengehalten.(Heiterkeitrechts.) Programme veralten und loerden leicht zu Kulissen der Tatlosig-keit. Aehnlich steht es mit den. Erfahrungen, die man mit der Besteuerungdes Massenkonsums gemacht hat. Auch Leute, die vor 20 Jahrenscharfe Gegner der Mehrbelastung des Massenkonsums gewesen sind,können heute zu der Einsicht gelangt sein, daß die mit der allgemeinenHebung der Wirtschaftsverhältnisse in Widerspruch stehende Krank-heit der Reichssinanzen nicht geheilt werden kann ohne eine starkeDosis Steuern auf Genußmittel.(Zustimmung rechts.) Icherkenne es hoch au, daß die Linke sich nicht grundsätzlichgegenüber diesen Steuern aus einen ablehnenden Standpunktgestellt hat. Ich betrachte es aber nicht nur als natürlich,sondern als notwendig und gerecht, daß neben dem Ver-brauch auch der Besitz zur Deckung herangezogen wird. Unddamit komine ichzu der Haltung der rechten Seite dieses Hauses.(Aha! und große Heiterkeit.) Weil ich mich nicht der Zentrums-Partei unterordnen wollte, ist es zum Bruch mit dieser Partei ge-kommen. Ich kann mich aber auch der rechten Seite nicht unter-ordnen. Ich habe stets die Bedeutung der konservativen Partei zuschätzen gewußt, ich habe die Spannung zwischen Konservativen undKrone beseitigt, habe die gänzlich verfahrene Kanalfrage eingerenktund bin stets für die Landwirtschaft eingetreten.Die Rechte kann lange warten, bis sie wieder einen sowahrhaft konservative» Kanzler bekommt!(Große Heiterkeit und lebhafte Zustimmung links.)_ Abervon der Linie, die mir das Staatsinteresse vorzeigt, lasse ich michauch nicht durch die konservative Partei abbringen. Ich bin keinFührer der konservativen Partei und habe hier keine Ratschläge zuerteilen; ich glaube aber, daß die konservative Partei sich selbst ammeisten schadet, wenn sie sich berechtigten Forderungen verschließt.(Sehr wahr! links.) Die verbündeten Regierungen haben bereits inder Begründung zum Finanzgesetzentwurf hervorgehoben, daß 500Millionen neue Steuern nicht lediglich durch weitere Ausgestaltungder indirekten Steuern aufgebracht werden können, und sie habendaher neben Steuern aus Genußmittel, auf Elektrizität, auf Gasund Anzeigen auch Steuern vorgeschlagen, die vornehmlich vonden Besitzenden getragen werden. Es würde gegen die vor-nehmsten Grundsätze der deutschen Sozialpolitik verstoßen,wenn die Finanzreform ausschließlich auf Abgaben auf'gebaut würde, die trotz der Errungenschaften der Sozial'Politik und trotz fortgesetzter Steigerung aller Einkommen dieärmeren Volksklassen erheblich belasten. Da nun die Heran-ziehnng der Besitzenden durch Einkommen- und Vennögenssteuer dasFundament der Finanzwirtschast der Einzelftaaten und der Selbstverwaltungskörpcr gefährden würde, sind— wie eS in der Vorlageheißt— die verbündeten Regierungen fest entschlossen, neben denVerbrauchssteuern die Erbschaftssteuer zur Deckung des Bedarfsheranzuziehen.Die Erbschaftssteuerermöglicht, wie kaum eine andere, eine Belastung nach der Größedes Vermögens und entspricht daher vorzüglich den Anforderungensozialer Gerechtigkeit. Konsequent haben die verbündeten Regierungenund ich diese Ausfassung festgehalten. Soll die Erbschaftssteuer ver-mieden werden, so müßte eine gleichartige, die verschiedenen Artendes Besitzes treffende andere Steuer gefunden werden. So langeeine solche Steuer nicht gefunden ist, müssen die verbündetensagte Shackleton, wo sie sich bei einer Temperatur von 40 bis 50Grad unter Null sehr wohl zu finden schienen. Dann wurden siein heiße Temperaturen bis zur Siedehitze verpflanzt und trotzdemblieben sie am Leben. Auch daß sie unmittelbar darauf wieder indie Gefrierteinpcratur zurückversetzt wurden, schien ihrem Wohl-befinden nichts zu schaden.Während des ganzen Verlaufes der Expedition wurden regel-mäßige meteorologische Beobachtungen und Aufzeichnungen gemacht,was vdn Wichtigkeit ist, weil das Wetter Australiens und Neusee-lands in engem Zusammenhange mit jenem der antarktischen Gebietesteht. Während der Reise nach Norden wurde die absolute Lage desmagnetischen Südpols festgestellt. Das südliche Viktoria-land, von den Winterquartieren der Expedition bis zum MountMelbourne, ist nunmehr kartographisch mit voller Genauigkeit beizeichnet.Den Bericht über seine Expedition hofft Shackletonnoch im Herbst herausgeben zu können. Er wird in zwei Bändenerscheinen und an 400 Photographieu enthalten. Shackleton, der imNovember in Verlin vor der Gesellschaft für Erdkunde einen Vor-trag halten wird, hat bereits angekündigt, daß er eine neue Süd-polarreise plane.Sittlichkcitsverbreche» Jugendlicher haben in den weitaus meistenFällen ihren Grund in der Pubertät. Lehrer Kruppa von derLandesstrafanstalt Bautzen stellte fest, daß unter 750 jugendlichenGefangenen nicht weniger als 95, das sind 122/3 Proz., Sittlichkeitsverbrecher waren, unter ihnen 58 vom Dorfe. Nächst demDiebstahl ist daS Sittlichkeitsverbrechcn die am häufigstenwiederkehrende Straftat unter Jugendlichen. Alle Beob-achtungen. die Kruppa an den wegen dieses Delikts ver-urteilten Jugendlichen machen konnte, haben ihn in der An-nähme bestärkt, daß„der Grund für diese Tatsache einzig und alleinin der Pubertät zu suchen ist." Sittlichkeitsverbrechen, wie sie sichbeispielsweise Lehrlinge mit dem Töchterchcn ihres Meisters zuschuldenkommen lassen oder wohl auch solche an der Landstraße und imWalde, die mehr im Affekt, im plötzlich erwachenden Geschlechtstriebegeschehen, sind nur in der Pubertät begründet. Auch die wegen Be-leidigung zu Gefängnis verurteilten Jugendlichen, die Briefe un-glaublich gemeinen Inhalts an weibliche Personen, meist jüngereMädchen geschrieben haben, sind zu ihrer Tat durch den erwachendenGeschlechtstrieb bewogen worden. Enthalten dergleichen Schriftstückekeine unsittlichen Aufforderungen an die Empfängerin des Briefes,sondern ergehen sich nur in gcineinen Redensarten, oder sind sie anMänner gerichtet, so gehören sie wohl schon ins Gebiet des Patho-logischen. Der widernatürliche Umgang mit Tieren wird meist nur,wie schon Forel bemerkt,„bei Schwachsinnigen oder Tölpelnbeobachtet, die, von allen Mädchen ausgelacht und verschmäht, in derStille eines Stalles bei einer Kuh Trost suchen." Die aus land-wirtschaftlichen Betrieben wegen SittlichkcitSvcrbrechen Ein-gelieferten erliegen einesteils gewissenlosen älteren Mitknechten.die. so auffallend dies auch gerade bei weniger Gebildetenerscheinen mag, die schmutzige Lektüre den iünaeren Ge-Regiemngen an der Erbschaftssteuer festhalten.(Lebhafter Beifalllinks.)Es mußte auffallen, daß die sonst so geschäftsgewandt«konservative Partei sich von Anfang an mit solcher unnötigenStarrheit gegen die Erbschaftssteuer festgelegt hat; sie hätte sichein Beispiel nehmen sollen an der bewähvteir Taktik einer ihr nahesitzenden Partei. Haben Sie je einen Sprecher deS Zentrums inerster Lesung ablehnen hören?(Große Heiterkeit und vielfachesSehr gut l links.) Das Zentrum hat nie von Anfang an einenGesetzentwurf in Grund und Boden geredet. Ich gebe zu, dasVerhalten der Konservativen ist vielleicht durchaus konsequent,aber Konsequenz rechtfertigt keine politischen Fehler._ DerSieg in der Gegenwart ist häufig der Pfad zu Nieder«lagen in der Zukunft.(Sehr gut! links.) Neberall bestätigtdie Geschichte diese Wahrheit. Ich verkenne nicht die Verdiensteder konservativen Partei und der Elemente, die ihr Rückgrat bilden,für Jahrhunderte preußischer Geschichte. Unter Führung derMonarchie und der mit Unrecht so geschmähten Junker(Widerspruchlinks, brausendes Gelächter bei den Sozialdemokraten) ist derpreußische Staat aufgerichtet worden.(Rufe: Er ist danach I Rufebei den Freisinnigen: Jena!) Mehr als eine andere Parteihaben die Konservativen Anteil gehabt an der Regierung. Aberdie Regierung kann nicht die GeschäftSführerin der konser-vativen Partei werden(Beifall links), so wenig, wie dieRegierung verlangt, daß die konservative Partei eine unbedingteRegierungspartei werden soll. DaS Wort des alten Gerlach von derkonservativen Partei„mit der Regierung voll Mut, ohne dieRegierung voll Wehmut, gegen die Regierung in Demut" giltnicht mehr.(Heiterkeit.) Durch ihre eigene Schuld gräbt sichdie konservative Partei ihr eigenes Grab, wenn sie sichberechtigten Forderungen verschließt und unhaltbare Positionennicht rechtzeitig räumt. Nur dann, wenn die Konservativenfesthalten an ihren großen Grundsätzen und sich mitden Aufgaben der Zeit erfüllen, werden sie immer ein bedeutsamerFaktor bleiben in unserem öffentlichen Leben, zum Segen des Landes.Vielleicht bringen die Konservativen durch ihr„Unannehmbar" dieErbschaftssteuer in diesem Augenblick zu Fall, aber sie werden da-durch für die Zukunft neuen Erbschaftssteuern die Wege eröffnen.(Sehr richtig I links.) Und diese, neuen Erbschaftssteuern werden denWünschen der Konservativen weniger Rechnung tragen als die jetztvorgeschlagene Erbschaftssteuer. Der Widerstand der Konservativengegen die Erbschaftssteuer wird im Lande tiefen Eindruck machenund kann Widerstände und Gegensätze gegen die konservative Parteihervorrufen und sammeln, die zu einem Wege führen können, den zubegünstigen weder Sie(nach rechts) noch ich vor der Zukunft ver-antworten können. Man hat den Gedanken des Zusammenwirkensder Konservativen und Liberalen als eine vorübergehende par-lamentarische Konstellation hingestellt. Erst gestern habe ich einenin diesen: Sinne gehaltenen Artikel gelesen. Daß die konservativ-liberale Konstellation ein staatsmännischer Gedanke war, wird dieZukunft einsehen und die Geschichte anerkennen,gleichviel, od der Träger dieses Gedankens früher oderspäter von seinem Platze abtreten wird.(Bewegung im ganzen Hanse.)Die detaillierte Begründung der vorliegenden Entwürfeüberlasse ich den Herren Ressortchefs. Hier will ich nur nochdas Folgende sagen: In Uebereinstimmung mit den verbündeten Re«gierungen betrachte ich es als Ehrenpflicht ausgleichender Gerechtigkeit,daß die der Gesamtheit neu auferlegten Steuern zum großen Teilvon den Besitzenden getragen werden. Es geht nicht an, 500 Millionenneuer Steuern nur auf die Mittelklassen oder die noch iveniger Be-mittelten zu legen in der Form von indirekten Steuern, die die Mittel«klaffen und weniger Bemittelten verhältnismäßig härter treffenals die Begüterten.(Lebhaftes Hört I hört l links.) Es wäre auchungerecht und unrichtig, einzelne Arten des Besitzes zu belasten.Weil die Erbschaftssteuer alle Arten des Besitzes gleichmäßigtrifft, weil sie die Abstufung nach der Leistungsfähigkeit ermöglicht.Iveil sie dem Boden sozialer Gerechtigkeit entspricht, nicht aus Eigen-sinn und Rechthaberei halte ich an der Erbschaftssteuer fest undwende mich gegen die Versuche, einzelne Arten des Einkommensoder Erwerbes einer Besteuerung zu unterwerfen. Ich lehne es ab,im Bundesrate Steuern zu vertreten, die Handel und Gewerde schwerschädigen und die gesamte wirtschaftliche Stellung des Landes ver-fchlechtern.(Lebhafte Zustimmung links.) Alle verbündeten Regie-rungen sind der Ansicht, daß die Finanzreform nur zustande kommenkann, wenn die Beschlüsse dieses Hauses sachlich vertretbar sind unddie unbedingt notwendige Summe in ihrem vollen Betrage ergeben.nassen zugänglich machen, und andernteils dem schlechten Beispiel, dasKnechte und Mägde in ihrem Reden und Tun dem Schulentlassenengeben.„Man muß staunen, wie ungeniert Unsittlichkeiten auf demLande betrieben werden." Die von der Stadt eingelieferten jugcnd-lichen Sittlichkeitsverbrecher erliegen mehr der Versuchung durchschlechte Lektüre und unsittliche Bilder>md nicht zuletzt dem Alkohol,der sie in die Hände von Dirnen treibt, deren Umgang sie zu Dieb-stahl und Unterschlagung verleitet, oder der sie zu Affektvergehenanreizt, also zu Sittlichkeitsdelikten, deren Ausführung von' demnüchtern gewordenen Attentäter dann tief beschämt vor dem Richtereingestanden zu werden pflegt.Die norwegische Ueberlandbahn. Ein Seitenstück zu derschwedischen Lapplandbahn, die vor einigen Jahren eröffnet wurde,ist die großartige Bahnanlage Kristiania-Bergen, die jetzt ihrerVollendung entgegengeht. Sie ist mit einer Gesamtlänge von516 Kilometern die größte Bahnstrecke Norwegens überhaupt,dessen Eisenbahnnetz bisher nur rund 2500 Kilometer— etwa denzwanzigsten Teil des deutschen— umfaßte. Der Bau wurde 1895begonnen und ist jetzt bis auf die Teilstrecke GulSvik— Roabeendet, so daß man� 1911 die ganze Strecke dem Betrieb über-geben zu können hofft. Welche technischen Schwierigkeiten dieseHochgebirgsbahn zu überwinden hatte, lehrt schon die Tatsache, daßsie nicht weniger als 184 Tunnels umfaßt, von denen der größteüber 5 Kilometer lang ist.(Der Gotthardtunnel hat eine Längevon 15 Kilometer.) Der höchste Steigungspunkt der Bahn liegt1300 Meter hoch. Die Gesamtkosten dürften rund 60 MillionenMark betragen. Die Reise von Kristiania nach Bergen wird nachFertigstellung der ganzen Strecke nur mehr 13—14 Stunden in An-spruch nehmen, während jetzt noch die Seereise über fünfzig Stunde»dauert._Notizen.— Ein hundertachtzig Meter hoher Zement-türm, der h ö ch st e dieser Art, der je gebaut worden ist undder auch die Türme des Kölner Doms noch um zwanzig Meter über-treffen würde, wird jetzt im Auftrage der Marinebehörde der Ver-einigten Staaten im Rock Creek Park in Washinqton zum Zweck derdrahtlosen Telegraphie errichtet. Auch innerhalb der anierikanischenBauten wird dieser Turm eine» würdigen Platz einnehmen. Er wirddaS berühmte Washington-Monument überragen und nur einigenWolkenkratzern in New-Aork nachstehen. Die Tragweite der vondiesem Turm zu entsendenden drahtlosen Telegraphie ist auf fast5000 Kilometer berechnet worden.— Der Erdbebendien st in Italien wurde erst nachdem großen Riviera-Erdbeben vom 23. Februar 1887 begründet.verfügt aber heute bereits über 673 Observatorien ersten bis drittenGrades, die möglichst in Abständen von etwa 20 Kilometern überdaS ganze Königreich und die zugehörigen Inseln verteilt sind. DieHauptwarte befindet sich in Rom, wo alle Berichte der anderenWarten zusammenlaufen. Auch die täglichen Wetterberichte in Italienenthalten kurre Angaben über Erdbeben.