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Nr. 140. 26. Iahrgavg. 1§n\mt In Jonuirte" Krlim AlkdlM. ZoNilljend, 19. Juni 1909. l<eickstag. 264. Sitzung vom Freitag, den 18. Juni, nachmittags 1 Uhr. Äm BundeSratstisch: Fürst BH low, Sydow.v. Beth- mann-Hollweg, Dr. Delbrück, Dernburg , Freiherr V. N h e i n b a b e n. Die erste Beratung der neuen Steuern wird fortgesetzt. Preußischer Handelsininister Delbrück wendet sich zunächst gegen die von der Rumpfkommission vorgeschlagene Mühlenumsatzfteuer und bekämpft dann den Kohlenausfuhrzoll und die Kotierungssteuer. (Im einzelnen bleiben die Ausführungen des Redners bei der großen Unruhe im Hause auf der Tribüne unverständlich.) Abg. Dr. Wiemer(fts. Vp.): Das Schicksal der Finanzreform ist noch nicht entschieden; nicht einmal aus den Ausführungen des Grafen Westarp und des Abg. Singer ist klar zu ersehen, wie die äußerste Rechte und die äußerste Linke stimmen werden; gerade hier ließ die Rede des Abg. Singer die sonstige robuste Deutlichkeit ver- missen und wir müssen noch abwarten, ob wirklich die Sozialdemo- kratie ihrem Programm zuwider gegen die Erbanfallsteuer slimnren wird. Der Redner der Polen wollte sich als Parlaments diploinat erweisen und erklärte, daß er nichts erklären wolle. Die Herren Polen , welche jetzt den Ausschlag geben, wollen offenbar die Herren rechts etwas zappeln lassen, ehe sie ihr Votum abgeben. Es ist ein eigentümliches Bild, daß die Kon servarivcn, welche gegen die Polen sogar vor Enteignungsgesctzen nicht zurückschrecken, jetzt ängstlich um sie bemüht sind. Die Ent- scheidung wird erst bei der zweiten Lesung im Plenum fallen, und die Abstimmung in der Kommission Ijj» hierfür noch nicht maß­geblich. Die 2» Polen waren in der Kommission durch zwei Mit­glieder, die bl Freisinnigen nur durch drei vertreten. Im Plenum werden also wenige Stimmen den Ausschlag geben, vielleicht die Ausnahmen bei der konservativen Partei. Not- wendig ist eS, möglichst bald Klarheit zu schaffen, und deswegen wünschen wir dringend, daß die Abstimmung über die Erbschaftssteuervorlage so schnell als möglich in zweiter Lesung vorgenommen wird. sSchr richtig I bei den Liberalen.) Ob die Ausführungen der Regierung auf die Rechte Eindruck machen, weiß ich nicht; eS war merkwürdig, gerade Herrn v. Rheinbaben gegen die agrarischen Wünsche auftreten zu sehen, und auch der Reichskanzler wird sich eine andere Grabinschrift aussuchen müssen. Das Wort vom agrarischen Kanzler paßt nicht mehr.(Lebh. Widerspruch rechts und im Zentrum.) Der Reichskanzler hält es für historisch und moralisch umecht, den liberalen Geist aus der Gesetzgebung auszu schalten, wir verlangen, daß die ganze Gesetzgebung und das öffent« liche Leben vom liberalen Geist durchdrungen wird.(Lebhafter Wider­spruch rechts und im Zentrum.) Ein modernes Staatswesen kann sich nur auf dem Fundament liberaler Staatsauffassung, auf dem Fun. dament der Rechtsgleichheit entwickeln.(Erneuter lauter Widerspruch rechts und im' Zentrum.) Bei den gestrigen Ausführungen des Grafen Westarp fiel mir ein Brief Roons an Bismarck ein, worin Roon schreibt: Für unsere Politik ist es nützlich, wenn die Libe- ralen die Hoffnung behalten, an der Staatsverwaltung mitzuwirken, doch darf die Hoffnung sich nicht in Wirklichkeit umsetzen. (Sehr richtig I rechts.) Der Zuruf beweist, daß die Kon. servativen noch heute so denken wie der gut konservative Roon, aber es geht nicht immer nach den Wünschen der Konservativen; Bismarck hat mit ihnen brechen müssen, und ebensowenig will Fürst Bülow ihr Geschäftsführer sein. Graf Westarp meinte, die Kon- servativen hätten den Boden für den Fürsten Bülow geebnet; sie haben ihn so geebnet, daß Fürst Bülow fast darauf gefallen wäre l (Sehr gut l bei den Freisinnigen.) Herr Singer hat uns lebhaft angegriffen, weil wir auch eine Anzahl indirekter Steuern bewilligen wollen. Aber bei 600 Millionen neuer Steuern ist das notwendig.(Sehr richtig I rechts.) Auch wir wollen aus dem Branntwein mehr ziehen, aber wir find Gegner der Liebesgabe, das Zentrum dagegen ist bereit, nicht nur die volle Liebesgabe zu bewilligen, sondern noch eine Extraliebesgabe von 10 Millionen, obwohl vor kurzem noch hervorragende Führer des Zentrums mit uns zusammen die Liebesgabe herabsetzen wollten. Bei dieser Willigkeit des Zentrums konnten die Konservattven nicht widerstehen, für ihre Haltung ist also der Wunsch nach Sonder- vorteilen matzgebend.(Lebhafte Zustimmung bei den Liberalen.) Der Reichskanzler beschuldigte die Linke doktrinärer Anschauungen und sprach verächtlich von Parteiprogrammen. Ich bin der ketzerischen Anschauung, daß sogar für eine Regierung ein festes Programm mitunter sehr wertvoll ist.(Sehr gutl links.) Dem Gedanken einer Reichswertzuwachssteuer stehen wir nicht unbedingt ablehnend gegenüber; wir dürfen aber auf keinen Fall kleines feinlieton. Die Geographie der Cholera. Die beunruhigenden Nachrichten, die aus Petersburg über die Ausbreitung der Cholera im'Zaren - reiche in den letzten Tagen gekommen sind, lenken wieder die Auf. merksamkeit auf die mannigfachen Wege, auf denen der unHeim- liche Gast nach Europa gelangt. Die russische Regierung hat es sich daher angelegen sein lassen, die verschiedenenReiserouten" der Cholera genau festzustellen, und hat eine Karte anfertigen lassen, auf der die geographischen Wege der furchtbaren Krankheit genau angegeben sind. DieseGeographie der Cholera" wird bei den vorbeugenden Maßnahmen eine wichtige Hilfe leisten können. Die Cholera scheint zum Ausgangspunkt für ihr Eindringen in Rußland das Kaspische Meer genommen und sich auf dem Fluß- wege verbreitet zu haben. Es ist daher dringend notwendig, die Flußläufe sorgfältig zu bewachen, denn die Epidemie dringt mit außerordentlicher Hartnäckigkeit vor. Eine der Hauptursachen ihrer Verbreitung ist immer die Pilgerfahrt der Mohammedaner von Indien nach Mekka . Die Krankheit, die von den Ufern des Ganges mitgebracht wird, schleicht sich trotz der getroffenen Maß- nahmen in Aegypten , in Mesopotamien , in Persien , in Afghanistan , bis in den Kaukasus ein und folgt dann den großen Wasserstraßen vom Becken des Kaspischen Meeres, die auch die großen.Handels- Wege sind. Sie wandert als furchtbares Gespenst mit den Kara- wanen, erreicht mit ihnen die volksreichen Zentren des Verkehrs in Uarkand, Buchara , Kabul , Astrachan , Nischninowgorod, Khiva und Orenburg . Sie drängt sich hinein in die Schiffe und landet mit ihnen in Malakka , Sumatra . Java, Aorneo, den Philippinen und eilt bis nach Japan und Korea . Von Hongkong , Kanton und Peking aus kehrt sie zu Lande oder zu Wasser wieder nach Indien zurück, einen entsetzlichen Kreislauf beschreibend, und wendet sich von hier nach Europa . Ueber das Rote Meer dringt sie ein nach Jeddah , dem Hafen von Mekka , und weiß den Weg ins Mittel- ländische und ins Schwarze Meer zu finden. Ueber den Persischen Golf läßt sie sich übersetzen und öffnet sich dann den Eingang nach Arabien . Die Kauffahrteischiffe führen sie als gefürchtete Fracht nach Engldnd und nach New Dork. Auf dieselbe Weise läßt sich ihr Erscheinen in Mexiko , in Kuba , auf den Antillen, in Brasilien und Argentinien erklären. Ihr trauriger Triumphzug durchläuft von Aegypten auS weite Gebiete Afrikas , Tripolis , Algerien , Marokko , reicht bis zum Senegal und seht sich fort bis Guinea . Die transsibirische Eisenbahn, die Europa mit Medina verbindet, erleichtert ihren Marsch. So sind die Wegspuren der Cholera weit verzweigt und reichen überall hin, aber diese genaue Aufzeichnung ihrer Routen erleichtert die sanitäre Ueberwachung und lvird bei­tragen zum energischen Kampf gegen fei die Gemeinden schädigen und dürfen diese schlvierige Frage nicht im Handumdrehen erledigen wollen.(Sehr wahr! links.) Ueber die jetzt vorgeschlagene Effekten- und Stempelsteuer läßt sich reden. Dagegen müssen wir die Besteuerung der Feuervcrsicherungspolicen ablehnen. Auf keinen Fall sind die vorgeschlagenen Steuern Besitz- steuern; es sind Steuern auf Verkehr und Umsatz, nicht auf den Besitz.(Sehr wahr I links.) Als Besitzsteuer wäre uns am sympathischsten die Vermögenssteuer gewesen; wir kennen die Bedenken der verbündeten Regierungen gegen sie, ich habe aber zu erklären, daß wir an der progressiven Reichs- Vermögenssteuer unbedingt festhalten.(Lebhafte Zustimmung links.) In diesem Augenblick kommt sie allerdings nicht in Frage; zurzeit kann der Besitz von Reichs wegen nur durch eine Erbschasts- st e u e r getroffen werden. Wenn eine solche Erbschaftssteuer auch nebenbei das Ziel erreicht, Steuerhinterziehungen aufzudecken, um so besser.(Sehr wahr! links.) Es ist dem Grafen Westarp nicht gelungen, die Klagen über die zahlreichen Steuerhinterziehungen, zumal auf dem Lande, zu widerlegen.(Sehr wahr! bei den Frei- sinnigen und Sozialdemokraten.) Dringend nötig ist es, die Landräte aus dem Veranlagungsgeschäft zu entfernen und durch technische Be- amte zu ersetzen. Gewiß gab es auch in unserer Partei Meinungsverschiedenheiten über die Frage der Besteuerung der Erbschaften. Wir sind uns aber einig darüber, in keinem Falle in irgendwelche neuen indirekten Steuern ohne gleichzeitige Annahme der ErbschaftSbestcueruug zu willigen.(Lebhafte Zustiinmung links, lebhaftes hört! bört!) Wenn Herr Spahn so sehr für den Familiensinn schwärmt, so setzt er sich vielleicht dafür ein, daß die kirchlichen Vermächtnisse, die manchmal zum Schaden der Familie erfolgen, schärfer besteuert werden.(Sehr gut! und Heiterkeit links. Unruhe im Zentrum.) Herr Spahn behauptete, der gewerbliche Mittelstand sei gegen die Erbschaftsbesteuerung. Sein agrarischer Fraktionsgenosse Dr. Heim denkt anders darüber(Hört I hört I links) und zahlreiche Handwerker- innungen haben sich z u g u n st e n der Erbschaftsbesteuerung aus- gesprochen.(Hört I hört!) Merkwürdig ist und bleibt der Bund der Konservativen, der ge- schworencn Feinde des gleichen und allgemeinen LandtagSwahlrechtS, mit dem Zentrum, das sich fortgesetzt für die Uebertragung des Reichstagswahlrechts auf die Einzelstaaten ausspricht. Oder sollte die Liebe des Zentrums für diese Uebertragung nur eine platonische sein?(Lebhafte Zustimmung bei den Freisinnigen und Sozialdemo- kraten; Unruhe im Zentrum.) Haben etwa auch hierüber Be­sprechungen stattgefunden und hat sich in Sachen des Wahlrechts das Zentrum dem Willen des Herrn v. Hcydebrand, dieses un- gekrönten Königs von Preußen(Schallende Heiterkeit) unterworfen? Wir begrüßen die Begründung des Hansabundes(Zuruf rechts: Wir auch!) es freut mich, daß er auch von der Rechten begrüßt wird.(Große Heiterkeit.) Herr Singer freilich hat gestern abfällige Kritik an dem Bunde geübt es ist ja leider gebräuchlich, daß, wenn das liberale Bürgertum sich aufrafft, die Sozialdemokratie ihm in die Flanken fällt.(Widerspruch bei den Sozialdemokraten.) Herr Singer bezog sich auf die unsozialen Ausführungen des Herrn Kirdorff; aber diese haben in der Versammlung sofort den schärfsten Widerspruch gefunden.(Sehr richtig I bei den Freisinnigen.) Sächsischer Finanzminister Dr. Rüger(zunächst sehr schwer ver- ständlich): Herr Singer hat wieder einmal über die Belastung der Massen durch die Verbrauchssteuern geklagt. Er vergißt, daß durch die direkten Steuern der Einzelstaaten die Besitzenden auf das schärffte in Anspruch genommen werden.(Zustimmung bei den bürgerlichen Parteien, besonders rechts.) Ich möchte gern die direkten Steuern, die ich zu zahlen habe, um den Preis der indirekten Steuern los« werden, die Herr Singer und seine gesamten Fraktionsgenossen hier im Hause zu bezahlen haben.(Heiterkeit und Zustimmung rechts. Lachen bei den Sozialdemokraten.) Redner empfiehlt den Tabak als ganz vorzügliches Steuerobjekt und wendet sich dann der Erbschaftssteuer zu: Man kann nicht sagen, daß sie den konservativen Grundsätzen widerspreche, weite Kreise der Konservativen Sachsens sind mit ihr ein- verstanden, 1806 und 1397 hat sich die sächsische kon- servative Partei für die Erbschaftssteuer erklärt; ebenso ist der Mittelstand in Sachsen für diese Steuer. Daß der Familien- sinn durch die Erbschaftssteuer irgendwie beeinträchtigt wird, kann nicht zugegeben werden. Der Familiensinn ist von ganz anderer Seite bedroht, er ist gefährdet durch die allgemeine Genußsucht bei Hoch und Niedrig, durch die Leichtfertigkeit in allen Kreisen. Jeden- falls ist ohne Erbschaftssteuer die Finanzreform nicht möglich; denn der Weg der direkten Steuern ist für das Reich nicht gangbar, sie müssen den Einzelstaaten bleiben, wenn nicht die wichtigsten Kultur- aufgaben schweren Schaden leiden sollen. Abg. Raab(Ant.): Es ist interessant, daß die Freisinnigen ihre Mitarbeit in dem Moment versägten, als die Börse heran- Der Ursprung deS türkischen Halbmondes. Der Halbmond ist so sehr zum Wahrzeichen des türkischen Islam geworden, daß man ohne werteres geneigt ist, ihn für das Ergebnis einer uralten Sitte zu halten. Profestor Ridgeway aber hat im Journal des Anthro- pologischen Instituts von Großbritannien den Nachweis geführt, daß der Halbmond durchaus nicht ein altes mohammedanisches Symbol gewesen ist. Er war auch den Arabern und anderen Völkern, die ursprünglich der Lehre des Propheten anhingen, unbekannt. Ebenso- wenig führten ihn die Sarazenen, die gegen die europäischen Kreuz- ritter im heiligen Lande kämpften. Erst nachdem die Osmanli- Türken, von denen noch heute die Türkei als das osmanische Reich bezeichnet wird, den Schauplatz der Weltgeschichte betreten hatten. wurde der Halbmond zum Wahrzeichen des Islam erhoben. Zur Zeit der Kreuzzüge und schon lange zuvor war höchst wahrschein- sich der Halbmond in Verbindung mit dem Stern das gewöhn- liche Abzeichen von Byzanz(Konstantinopel ) und seiner Kaiser ge- Wesen. Die Frage bleibt nun zu lösen, woher der Halbmond stammen mag. Professor Ridgeway meint, daß er nicht unmittelbar ein Abzeichen des Mondes sein sollte, sondern auf ein altes Amulett aus einem halbmondförmig gekrümmten Bärenzahn zurückzuführen ist. Solche Amulette, die zuweilen auch aus zwei Bärenzähnen be­standen, fanden die Osnianen überall in ihrem neuen Reich vor, und sie wurden von ihnen möglicherweise als Urbild für Halbmond und Stern genommen. Es soll dabei nicht geleugnet werden, daß auch schon von den Pfahlbauer» der«chweiz ähnliche Darstellungen des Mondes verehrt und daß auch zu anderen Zeiten und in anderen Gegenden die Bärenzähne wegen ihrer Form mit dem zunehmenden Mond verglichen wurden. Ein derartiger Schmuck aus Värenzähnen liegt in den Ausgrabungen aus alter Zeit an der Donau und sogar von Sparta vor, und damit ist der Nachweis erbracht worden, daß dieser Brauch in ein hohes Alter zurückreicht. Die Türken übernahmen ihn wahrscheinlich, als sie ihre erste Bekanntschaft mit den Bären machten. Politische Briefmarken. Die Briefmarkensammler können sich freuen, da ihnen eine neue große Ernte bevorsteht: eS gibt jetzt nämlich politische Briefmarken. Seit einiger Zeit so schreibt der ,.Gil Blas" zirkulieren in Frankreich merkwürdige Briefmarken, die auch auf Briefen und Drucksachen erscheinen. Man hat mehrere Arten zu unterscheiden. Da ist zuerst eine richtige Brieftnarke der Republik , die jedoch mit einem eigens angeklebten Rande versehen ist; auf diesem Rande stehen auf rotem Grunde die Worte:vieu protege la France"(Gott schütze Frankreich ), die königliche und kaiserliche Devise, die die Republik erst vor kurzem von den Rändern ihrer Münzen getilgt hat. Dann ober gibt es Marken mit dem Bilde des Herzogs von Orleans und einer Aufschrift. Die Post- Verwaltung gibt sich die größte Mühe, diese politischen Kundgebungen zu unterdrücken obwohl es dafür eigentlich an einer gesetzlichen Handhabung fehlt; das Gesetz erklärt für strafbar nur die Ver- breitung solcher Briesmsr.krn, welche durch ihre Zeichnungen oder gezogen werden sollte.(Lebhafter Widerspruch links.) Herr Baffer- mann meinte, die Beschlüsse der Kommission seien ein Schlag ins Gesicht des Liberalismus. Nun, die Beschlüsse richten sich gegen die Banken, gegen das Großkapital. Ich habe nicht gewußt, daß das Gesicht dieser Kreise identisch ist mit dem Gesicht des Libe- ralismus.(Lachen links.) Auch Herr Bernhard hat imPlutus" zugegeben, daß die Kotisrungssteuer jedenfalls den Vorteil habe, den Mittelstand im Bankiergewerbe weniger zu belasten als da? Großkapital; sie bedeute vor allem eine Belastung der großen Emissionsinstitute. Eine starke Börse, sagt man, ist nötig, damit sie im Kriegsfall nicht versagt; wieso dann der Umlauf aus- ländischer Wertpapiere notwendig ist, vermag ich nicht einzusehen. Wenn die Hoffnung für den Kriegsfall auf die Börse gesetzt wird, so möchte ich doch an die Vorgänge im Jahre 1370 erinnern: Von den kleinen Leuten im Volke wurde die Kriegsanleihe ge- zeichnet, nicht von den Großbanken; der Chef des Frankfurter Rotschild-Hauses, der Abgeordnete Karl Meyer v. Rotschild, erschien in der entscheidenden Sitzung überhaupt nicht im Reichstagel (HörtI hört! bei der Wirtschaftlichen Vereinigung.) Ich habe die Börse verhältnismäßig lieb(Zuruf links: Ihre Börse! Große Heiterkeit), aber von den lumpigen 60 Millionen, die sie auf- bringen soll, sollte man nicht soviel Sums machen.(Heiterkeit.)! Wenn die Herren links unsere Steucrvorschläge verwerfen, sollten sie selbst bessere ausarbeiten; statt dessen haben sie bloß stunden- lang geredet. Die Nachlaßsteuer ist in der Kommission gegen 6 Stimmen seinerzeit abgelehnt; die Nationalliberalen haben sie mit zu Grabe getragen.(HörtI hört! rechts.) Auch Herr Dr. Müller-Meiningen hat einmal von der Erbschaftssteuer gesagt, sie sei eine Wer- höhnung der Leidtragenden.(Schallende Heiterkeit.) Nun zum Hansabund. Es ist mir mitgeteilt, daß auch Leute christlichen Be- kenntnisses dort aufgenommen werden.(Große Heiterkeit.) Ter Hansabund soll auch eine Vertretung des Mittelstandes sein! Wohl durch den famosen Obermeister Richter, einen Schüler der ältesten freisinnigen Klippschule? In den Kreisen des Handwerks findet man es schier unbegreiflich, daß Regierung und Reichstag alles unter die Steuerfuchtel nehmen, aber vor der Börse Halt machen. (Sehr richtig I rechts.) Man wirft der Kotierungsfteuer und der Wertzuwachssteuer vor, sie seien aus dem Handgelenk gemacht. Nun, wir lassen mit uns reden, aber freilich mit Leuten, die aus- gerückt sind, konnten wir nicht reden.(Große Heiterkeit rechts.)) War denn mit dem Block Nr. 1 überhaupt die Finanzreform mög- sich? Die Liberalen haben ja alle Steuern abgelehnt außer der Biersteuerl 275 Millionen sind bisher von dem alten Block be- willigt worden. Sagen Sie doch endlich einmal, wie Sie die fehlen- den 225 Millionen decken wollen.(Sehr gut! rechts.) Wenn Sie solche Ersatzsteuern nicht namhaft machen können, ist es doch etwas viel verlangt, daß die Regierung mit Ihnen die Finanzreform machen soll. Wir sind bereit, die Erbschaftssteuer nach oben noch auszubauen, verlangen aber stärkere Heranziehung der Börsen- kreise, kreise. Nachdem man die Nachlaßsteuer in der Erbanfallsteuer hat wieder aufleben lassen, hoffe ich, daß man auch der Wehrsteuer neues Leben einhauchen wird. Möge die Linke endlich mit positiven Vor- schlügen komme» und nicht immer stereotyp wiederholen: Vermögens- steuer, Vermögenssteuer I(Bravo I rechts.) Rcichsschatzsekretär Sydow: Von einer Abhängigkeit der Regie« rung von der Börse kann keine Rede sein.(Bravo I links.) Man sagt, die Börse kann 60 Millionen hergeben. Ja, sie gibt sie aber nicht her.(Große Heiterkeit.) Wenn der Herr Vorredner behauptet, daß in Frankreich russische Papiere z» höherem Werte gehandelt werden als bei uns trotz der französischen Kotierungssteuer, so ist ihm entfallen, daß die Kotieruugssteuer in Frankreich für ausländische Papiere nicht erhoben wird.(Heiterkeit links.) Abg. Mommscn(frs. Vg.): Wenn Herr Raab mit seinen AuS« führungen Beifall über seine engeren Freunde hinaus fand, so muß ich sagen: Jede Mehrheit hat die Führer, die sie verdient.(Sehr gut I links.) Unsere weitere Mitarbeit in der Kommission haben wir verweigert, als geschäftsordnungswidrig die Kaffee» und Teezölle sowie die Zündholzsteuer auf die Tagesordnung gesetzt wurden. Die Behauptung deS Herrn Raab also, wir seien ausgeschieden, als Bank- und Börsensteuer aufs Tapet kamen, ist absolut unrichtig, und wir erwarten, daß Herr Raab soviel parlamentarisches Gefühl besitzt, um nachher zu erklären, daß er sich gröblich geirrt hat. Bis zu Ostern ging in der Kommission alles so, wie es der Reichs« kanzler nach seinem Grundgedanken wünschte. Aber nach Ostern wurde beim Spiritus mit Zentrumshilfe eme Extraliebesgabe an» genommen; das war der Liebesbrief des Zentrums, dem die Rechte nicht widerstehen konnte. Die Erbitterung det städtischen Kreise ist gerade durch die Nachrichten über die falschen durch ihre Aufschriften gegen die gute Sitte verstoßen und für den Briefempfänger etwas Verletzendes haben. Es machen in Frank- reich übrigens nicht nur die Royalisten durch Briefmarken Pro- paganda für ihre Ideen. Die Postämter haben Briefe mit dem Aufdruck:Keinen Mann und keinen Groschen für den Militaris- mus Krieg dem Kriege" angehalten. DerGil Blas" verlangt energische Motzregeln gegen diese Propaganda; aber das dürfte sich gar nicht so leicht durchführen lassen, da man sonst auch jeden anderen Aufdruck auf Briefe, die durch die Post befördert werden sollen, untersagen müßte._ Notizen. -Musikchronik. Marcella Sem brich verabschiedet sich von der Bühne in der G u r a- O p e r. Donnerstag sang sie die Violetta, Montag will sie noch imBarbier von Sevilla " mit- wirken und dann nur noch im Konzert auftreten. Der Lyriker Martin Greif vollendete am 18. Juni das 70. Lebensjahr. Von Geburt Pfälzer lebt Hermann Frey , wie er bürgerlich heißt, seit Violen Jahren in München , still, be- schaulich und zeitfremd. Seine historischen Dramen haben die Bühnen nicht erobern können und auch in den nicht allzu zahl- reichen Gedichten wird man den Spiegel der Zeit(außer in einigen dieser Natur gar nicht liegendenpatriotischen") vergebens suchen. Aber in ihnen lebt ein feines, inniges Naturgefühl, und der schlichte Volksliedton ist in ihnen wieder erstanden. Wenn die deutsche offizielle Welt einen Künstler ehren will, so weiß sie nichts anderes anzufangen, als ihm einen Titel anzuhängen. Der alte Herr ist also glücklich Ehrendoktor der Universität München geworden. Eine Akademie von G e l d s a ck s Gnaden hat der Inhaber der Mannheimer Maschinenfabrik Lanz der Universität Heidelberg gestiftet. Sie soll(vermittels einer Spende von einer Million Mark) ohne Lehrzwecke der«reinen, freien Forschung" dienen. Daß die reine, freie Forschung im Klassenstaate bestenfalls eine Illusion, meistens aber eine Heuchelei ist, daß die Akademien wenig fruchtbar sind und die wahren, wenn auch sehr unfreiwilligen Stifter dieser Akademie die Mehrwert produzierenden Arbeiter ver» schiedener Generationen sind das versteht sich am Rande. D i e alte Rheinbrücke bei Köln . Die augenblicklich im Abbruch befindliche Rheinbrücke bei Köln hat genau fünfzig Jahre ihren Dienst getan. Sie wurde 1855 begonnen und 1859 vollendet. Als Bindeglied für den Eisenbahnverkehr diesseits und jenseits des Rheins ist sie von höchster Wichtigkeit geworden. Nächst der von 186658 erbauten Rheinbrücke bei Kehl war sie die erste eiserne Brücke, die über den Rhein geschlagen wurde. Erst nachher folgten ihr die Eisenbahnbriicken bei Mainz , Koblenz , Griethausen. Mannheim , Düsseldorf , Wesel usw., deren heilte einige Dutzend den Verkehr zwischen beiden Usern auch für die schwersten Last- und Personenzüge erinöglichen. Uebrigens wurde die alte eiserne Weichsel » brücke bei Dirschau bereits 1850 begonnen.