Einschätzungen auf dem Lande gesteigert. Wenn die preußische Regierung die Wahrheit dieser Mitteilungen hestreitet, so möge Fürst Bülow dafür sorgen, daß eine Kommission eingesetzt wird, die die Einschätzungen für ganz Preußen einer Revision unterzieht. sUnruhe rechts. Sehr gut! links.) Man sagt, das mobile Kapital entzieht sich sehr häufig der Besteuerung.(Sehr richtig! recht«.) Nun, eS gibt viele Familien mit großem Grundbesitz, die daneben auch sehr großes mobiles Vermögen haben I Sollten etwa diese mobilen Vermögen der Besteuerung entzogen werden?(Sehr gut! links.) Das wenigstens wissen wir genau, daß nirgends so stark versteuert und so gerecht eingeschätzt wird als in den großen Handelszentren.(Lebhafte Zustimmung links.) Die Erbschaftssteuer ist die einzige Steuer in dem ganzen Steuerbukett der letzten zivanzig Jahre, welche wirklich neues Geld bringt, ohne in da? Wirtschaftsleben einzugreifen. Zudem liegt eS in ihrer Natur, bei der Struklur der Kapitalbildung in Deutsch - land stets wachsende Erträgnisse zu liefern.(Sehr richtig! links.) Herrn Raab will ich zugeben, daß wir es allerdings ablehnen. Steuergesetze aus dem Aermel zu schütteln. Wir erwarten von der Regierung, daß sie selbst ihre Steucrvorschläge�hier verantwortet und vertritt. Steuervorschläge zu machen, ist nicht Sache der Parteien; auf diesem Standpunkt stand anfangs auch dos Zentrum. Erst als der Bruderkuß ausgetauscht war, beteiligten sich die Herren in frucht- barster Weise an der Steuersuche, nicht zum Wohle des Landes. (Lebhafte Zustimmung bei den Liberalen.)— Wenn die Herren von der Regierung sich ihrer Verantwortung bewußt sind, können sie den dabei gefundenen Steuern nicht zustimmen.(Lebhaftes Bravo I bei den Liberalen.) Hierauf vertagt da» Haus die Weiterberatung auf Sonnabend 11 Uhr. Schluß 7 Uhr. Hus der partei Allzu schroff. In den letzten„Soz. Monatsh." antivortet Karl Leuthner mit einem neuen Hetzartikel gegen England auf die Abfertigung, die ihm Bernstein und andere zuteil werden ließen. Wir hatten keinen Anlaß, auf den Artikel einzugehen, an dem höchstens interessant ist, das er in einein Blatt, an dem Sozialdemokraten die Hauptmitarbeiter sind, Aufnahme finden konnte. Aber das müssen diese Mitarbeiter mit ihrem Verantwortlichkeitsgefühl und dem Herausgeber ausmachen. Dagegen glauben wir doch die begeisterte Auf- nähme des Artikels in der„ R h e i n.- W e st f. Z t g." verzeichnen zu müssen. Das Blatt der Kriegshetzer schreibt, nach- dem es aus einem Artikel des Genossen Schröder ein paar herabsetzende Bemerkungen gegen die Partei mit Vergnügen verzeichnet hat, unter anderem: „Fesselnder ist die hochinteressante Auseinander» f e tz u n g Karl Leuthners über die Humanitären Ideen, die in den Köpfen seiner Parteigenossen, namentlich Eduard Bernsteins , spuken, der ja bekanntlich vor einigen Tagen England nicht genug beweihräuchern konnte. Leuthner geht nun sehr sachlich auf das Thema ein und berührt dabei auch die eigentümliche Angsterscheinung, die sich in der letzten Zeit über den Kanal herüber bemerkbar gemacht hat. Da er genau zu dem- selben Ergebnis kommt, wie wir es wiederholt geäußert haben, ihm als Sozialdemokraten aber sicherlich nicht Voreingenommenheit nachgesagt werden kann, haben seine Ausführungen auch für andere Parteien großes Interesse. Er läßt einen feinen Sprühregen von Spott auf Bernstein herabgehen und meint zuerst, er sei kühl bis ans Herz hinan gegen alles Humanitäre, Jrenische, Menschen- und Völkerbeglückende, und dann offenbart er eine unerschütterliche Ueberzeugung von dem Doppelspiel, das gerade in England getrieben werde." Es folgen dann lange Zitate auS dem Artikel Leuthners, über die das Blatt so entzückt ist, daß es zum Schluß sagt: „Das ist die Ansicht, die ww in weniger schroffer Form vor »inigen Tagen gleichfalls ausgesprochen haben. Mag die JnvasionS- furcht für die Durchschnittsengländer bestimmt sein— wir Deutsche wollen jedenfalls von dem englischen Nebel unS frei halten und die Interessen deS eigenen Landes nur um so sicherer inS Auge fasse»!" � In weniger schroffer Form— das Wort muß man sich merken! In der Tat, die Ansichten unserer Gegner in der H a n d e l s p o l i t i k, in der Flotten- oder Militärfrage sind in den„S. M." Von den S ch i P p e l und Calver, die imperialistischen Hetzereien von den L e u t h n e r und Maurenbrecher in schrofferer Form vertreten worden, als in manchem geg- nerischen Organ. Und in demselben Heft beschwert sich der gute Schröder über zu wenig Toleranz in der sozialdcmo- kraüschen Partei! Hätte er doch den Vorwurf wenigstens den Nationalliberalen gemacht, die diejenigen ihrer Mit- glieder, die gegen die Erbanfallsteuer stimmen, ausschließen wollen. Aber gegen die Sozialdemokratie? DaS glaubt ihm doch nicht mal die bürgerliche Presse, wenn sie eS auch mit Vergnügen nachdruckt. Also nicht gar so schroff, meine Herren von den „Soz. Monatsh.", und stimmen Sie Ihre Angriffe doch wenigstens auf den Ton der„Rheinisch-Westfälischen Zeitung" herab I_ Eine Kündigung an die„S. M.". Genosse Stampfer, der die bekannte Erklärung der Mit- arbeiter der„S. M." mitunterzeichnete, teilt uns mit, daß er den Herausgeber der ,S. M." au« Gründen, die mit dem Gegenstande der Erklärung nichts zu tun haben, ersucht hat, ihn aus der Mit- arbeiterliste zu streichen._ Parteiliteratur. DaS Protokoll deS schweizerischen soziakdemo» kratischen Parteitages vom 28. und 29. November 1908 in Ölten ist, 70 Seiten stark, erschienen. Es ist zu 80 Cts. durch die Grütkibuchhandlung in Zürich zu beziehen. Für die aktiv in der Bewegung stehenden Genossen ist eS ein unentbehrliches Dokument. Hub Industrie und ftandel Di- Lage am rheinisch-westsälischen Eiscnmarkt kennzeichnet die„Köln . Ztg." als verworrener den je; von Unter- nehmungslnst sei keine Spur vorhanden— Stimmung: mutlos I Nachdem die verschiedenen Umstände, welche man vorher als einer Besserung hinderlich ansah, beseitigt seien, wäre von einer solchen doch noch nichts zu merken: namentlich könne von einer ent- sprechenden Belebung der Bautätigkeit nicht gesprochen werden, wenn auch besserer Bedarf von dieser Seite komme. Erschwerend wirkten auch die zerfahrenen inneren Verhältnisse, die zu irgendwelchen Ent- schlüffen wahrlich nicht anregten. Englich seien auch die Erörterungen darüber, Ivos in drei Jahren aus dem Stahlwerkverband werde oder gar in fünf Jahren aus dem Kohlensyndikat, ebenso über billigere Kokspreise zum Herbst, nicht fördernd. Besonders fehle es au Austrägen für Eisenbahnmaterial; die Werke müßten mit längerer erheblicher ProduktionSeinschränkung rechnen. Die ErnteanSsichtn». Auf zweierlei Annahmen beruht die Preissteigerung am Getreide- markt: einmal auf der Annahme einer sehr knappen Versorgung w Weizen bis zur neuen Ernte, sodann auf dm Befürchtungen, die im Hinblick auf die Witterung wegen der kommenden Ernte gehegt wurden. Je näher wir nun der neuen Ernte kommen, desto mehr werden wir gewahr, daß die Verschiffungen der Export- l ä n d e r noch ganz ungewöhnlich zunehmen. Stellten sie"sich doch z. B. in der Woche vom 4. bis 11. Juni auf 2,74 Millionen Doppel- zentner gegen 2,16 in der entsprechenden Woche des Vorjahres. Nordamerika allerdings bleibt mit seinen Verschiffungen gegen 1908 stark zurück, aber dieses Minus wird reichlich durch den Export anderer Länder aufgewogen. Vom 4. bis 11. Juni betrugen nämlich die Verschiffungen der hauptsächlichen Länder in Millionen Doppelzentnern: Zu dieser Besserung der Versorgung kommt nun noch hinzu, baß die schlimmsten Befürchtungen wegen der neuen Ernte weg- fallen müffen. Die vermißten Niederschläge find reichlich erfolgt und haben das ganze Gebiet von Frankreich bis weit ins europäische Rußland hinein befruchtet. Auch aus Argentinien und namentlich aus den Vereinigten Staaten sind Nachrichten eingelaufen, die eine Besserung der Ernteaussichten höchst wahrscheinlich machen. In Deutschland selbst ist aber zweifellas die Juniwitterung der Vegetation förderlich. Die ErnteauSstchten haben sich wesentlich ge- bessert und müssen einen Druck auf das Preisniveau am Getreide- markte ausüben._ Opiumkonsum in Deutschland . Einem Artikel im„Tropenpflanzer" entnehmen wir folgende Tabelle des Opiumkonsums in Deutschland . ES wurden eingeführt im Jahre: Allem Anschein nach machen wir also w der Opiumsucht gute Fortschritte. Dividenden. Die Schnellpreffenfabrik Frankenthal(vorm. Albert u. Co.) schlägt wieder 12 Prozent Dividende vor. 15 Prozent verteilt das vor einem Jahr gegründete Braun- kohlen- und Brikettwerk Berggeist A.-G. in Brühl . Der deutsche ArbeitSmarkt zeigte im Mai einen Andrang von 151,1 Arbeitsuchenden auf je 100 offene Stellen gegenüber einem solchen von 156,3 im Vorjahre. Damit bleibt zum ersten Male seit Mai 1907 der Andrang wieder hinter dem Parallelmonat des jeweiligen Vorjahres zurück.— Bei den organisierten Holzarbeitern betrug die Arbeitslosigkeit im Mai 3,10 Proz. gegen 4,39 Proz. im Vorjahre. Eine Steigerung von 609 Proz. und einen Kursstand von 2000 Proz. erreichten am Donnerstag an der Börliner Börse die Anteile der Deutschen Kolonialgesellschaft für Süd- westafrika. Als Ursache dieser beispiellosen Hauffe wurden alle Erwartungen übersteigende Erfolge der Diamanten- gewinnung angeführt. Gegen daS Petroleummonvpol. Die österreichischen Raffinerien wollen jetzt zusammen mit der Regierung das Geld für den Bau von Reservoirs zur Verfügung stellen, und gleichzeitig sollen die Banken die in den Reservoirs lagernden Petroleummengen beleihen, damit die Betriebsmittel den einzelnen Gruben erhalten bleiben. Auf diese Weise soll es möglich sein, der galizischen Petroleum- induftrie die Unabhängigkeit von den Amerikanem zu sichern. Der englische ArbeitSmarkt. London , 16. Juni. Nach der heute erschienenen„Labour Gazette" zeigte daS wirtschaftliche Leben Englands im Monat Mai eine kleine Besserung. Die berichtenden Trade-UnionS mit einer Mitgliedschaft von rund 700 000 hatten 55 473(7.9 Proz.) Arbeits- lose, gegen 8,2 im April 1999 und 7,4 im Mai 1908.— An Lohn» änderuugen waren 16 800 arbeitende Personen beteiligt: 2600 er- hielten Lohnerhöhungen, 14 200 Lohnherabsetzungen. DaS Rein- ergebmS dieser Aenderungen war eine Lohnherabsetzung von 1000 Pfund Sterling pro Woche. Soziales. «Prostitution beim Theater." Die Protestversammlungen der Bühnenkünstler im letzten Winter und Frühjahr haben auch eine Menge von Broschüren ge- zeitigt, deren Vorfasser sich mit der Beleuchtung mannigfacher sozialer Uebelstände im Theater befassen. Einer oer schlimmsten — nein der schlimmste— ist das käufliche Dirnenwesen, gegen welches Vollrath von Lepel(„Prostitution beim Theater". Zürich , Verlag VolkSivort) zu Felde zieht. Hauptursache hierfür bildet die hundSmäßige Entlohnung des weiblichen Künstlerpersonals, der schamlose Schacher mit Menschenfleisch, der zwischen Theater- agent und Direktor getrieben wird. Mit einem niedrigen Jahres- lohn, der in den allerwenigsten Fällen 1000 Mark übersteigt, war bis jetzt die Verpflichtung für die Beschaffung der vollständigen Theatergarderobe verbunden, deren Kosten sich bei mittleren und erstklassigen Instituten auf das zwei-, ja vielfache des Einkommens belaufen. Was ist die notgedrungene Folge? Prostitution. Wir können aber weiter fragen: Fängt die Prostitution erst an, nach- dem eine Künstlerin so glücklich gewesen ist. bei einem Theater unterzukommen? Nein, in den allermeisten Fällen kommt eine Kunstnovize überhaupt erst zur Bühne, wenn sie sich zuvor auf die „horizontale Ebene" begeben hat. TaS Opfer der Jungfräulichkeit wird bereits verlangt und gebracht, sobald sich ein junges Mädchen für den Theaterberuf vorzubereiten beginnt. Dem„Mäcen", d. h. irgendeinem„uneigennützigen" Kapitalisten, der die Studienkosten bestreitet, ist der erste Tribut zu leisten; hernach dem„Lehrer", dem Agenten, dem Regiffcur. Direktor— und so in Grazie weiter. Hinter den Kulissen und bei den Proben auf der Bühne sitzt die Rüdigkeit und die Flegelei. Hat sich wirklich mal eine Novize bis an d,e Pforte des Theater? ihre weibliche Scham und Reinheit bewahrt— ist sie erst eingetreten, dann wird sie bald verdorben sein. Rur der kann sich einen Begriff machen von der Unflätigkeit in Worten, Gesten und Handlungen, die unter dem Bühnenpersonat in Uebung sind, dem das zweifelhafte Glück beschieden war, hinter die Kulissen zu blicken. Im engen Raum stoßen sich die Sachen — doch wa» für Sachen! Hier wird oft eine Unterhaltung geführt, die an Zynismus noch den Kasernenton überbietet. Man muß nicht bloß einmal und nicht bloß zufällig irgendwo, sondern an verschiedenen Orten stiller Zuschauer bei Regieproben gewesen sein, um sich über die stallknechtsmäßige Roheit mancher, nein vieler Theaterpaschas und Regisseure in tiefster Seele zu entsctzenl Es existiert kein Bühnenkünstler, sei eS in welchem Lande immer, der meine Behauptung zu widerlegen vermöchte! Nirgends und in keinem anderen Berufe wird der Mensch rauher angepackt, wie im Theaterberufe. Ihm, der hernach, wenn er auf der Bühne als idealer Held oder edle Heldin agiert, in den Herzen der Zuschauer und Hörer den schlummernden Funken höheren Menschentums zu weincr Flamme entfachen soll, ist zuvor jeder Aufschwung deS Gefühls, jeder Glaube an Humanität und sittliche Verklarung ge, waltsam aus der Brust gerissen worden. Da wundere man sich noch über die Prostitution beim Theater! Sie hat also nicht bloß allein in der miserablen Bezahlung künstlerischer Leiswngen ihre Ursache, obwohl die PsycHopätHTä sexuäüs als beruflich hervorgetriebene Ueberreizung des Nervensystems nicht selten eine frei- lich doch nur sekundäre Bedeutung einnimmt. Vollrath von Lepel ist selbst Schauspieler. Seine Berichte über das Dirnenwesen besitzen sonach authentische Beweiskra?.. Nebensächlich bleibt, ob sie dem 5lenner des Theaterelends etwas Neues sagen. Naturgemäß scheidet Lepel die Prostituierten in zwei Sorten.„Die ersteren sind weibliche Bühnenmitglieder. welche durch die bestehenden Mißstände, durch minimale Gagen, meist gezwungen Kurden, sich zu prostituieren. Die letzteren sind Frauenzimmer, die auch vor ihrer sogenannten Bühnenlaufbahn recht schwungvoll das horizontale Gewerbe ausübten, und nur in der Hoffnung auf reicheren Segen das Theater quasi zur Unter- stützung für ihren eigentlichen Beruf in Anspruch nehmen." Daß hierzu nicht immer das SAeib den Anstoß gibt, weiß Lepel jeden- falls auch. Wie mancher Parvenü oder Offizier und höherer Be- amter holt sich nicht feitte Maitresse aus der Ladenbranche. Da ihm diese Stellung für allzu gewöhnlich erscheint, so sucht er das Mädchen beim Theater anzubringen. Meist erfreut er sich ja der persönlichen Bekanntschaft des Direktors. Fehlt sie ihm, so erwirbt er sich die Freundschaft irgendeines einflußreichen Bühnenkünstlers, der beim Direktor vermittelt und solcherweise indirekt, ohne es zu beabsichtigen, Kupplerdienste leistet. Jetzt segelt die Dam- unter der Flagge eines Bühnenmitgliedes, wodurch� ihr der Eintrit! in die sogenannte„Gesellschaft" erleichtert ist. Der Galan bezahtt dem Direktor die ihm erwiesene Freundlichkeit mit einer kleinen für die Geliebte bestimmten Gage. Jugend, Schönheit, rassige? Temperament oder Frechheit helfen über Talentlosigkeit hinweg. Der Weg zur„Herrenbekanntschaft" steht offen und wird aus- genützt. Die Sittenpolizei sieht dem Treiben zu, ohne sich zu rühren, denn die„Dame" hat sich schlauerweise unter die Obhut eines wohlsituierten Vertreters der Gesellschaff gestellt, wodurch die Anwendung des Kontrollparagraphen paralysiert wird. Es tjk wahrlich nicht notwendig auf Provinzdirektoren hinzuweisen, die, in nicht mißzuverstehender Hindeutung„auf die Garnison der betreffenden Stadt, den weichen Mitgliedern ganz geringe Gagen bieten, ihnen also den geschichtlichen Verkehr mit den Offizieren direkt offerieren..." Man könnte an Berliner Theatern dutzende von Exempeln einer heillosen Kokottenwirtschaft statuieren. Lepel macht einige Vorschläge zur Beseitigung solcher Miß- stände, die dadurch, daß sie schon oft aufs Tapet gebracht worden sind, nichts an ihrer Aktualität verlieren.„Die Bühnenleiter müssen gezwungen werden, höhere Gagen zu zahlen. Nicht lebenS - fähige Theater müßten behördlich geschlossen werden. Sogenannte „Schmieren " und Wandertheater müßten überhaupt versdistvwden. Ebenso müßte ein gewisser Bildungsgrad bei männlichen wie bei weiblichen Bühnenmitgliedern gefordert werden. Es ist ja un- glaublich, was heutzutage alles zum Theater läuft. Das Theater ist doch zum Henker nicht der Rückzugsort für gescheiterte und minderwertige Existenzen? Es ließe sich wohl eine staatlich ge- leitete Prüsungsanstalt für angehende männliche und weibliche Bühnenmitglieder ins Leben rufen. Der Prüfungskommission wär� einzuschärfen, sich die Kunstjünger und Kunstjüngermnen recht genau anzusehen, bevor sie dieselben den einzelnen Theatern zu» weisen würde. Und dann eine Gencralsäuberung der bestehenden Kunstinstitut«. Mit eisernem Besen müßte da allerdings gekehrt werden. Rücksichtslos! Weg mit den Intendanten und Di» r e k t o r e n, welche die schamloseste Prostitution cm ihren Theatern dulden und unterstützen und dadurch die Achtung vor dem Künstler- stände beeinträchtigen; weg mit den Agenten, welch« nur unter gewissen Bedingungen den weiblichen Bühnenmitgliedern Engage- ments vermitteln, und weg vor allen Dingen mit dem D ix neu» tum am Theater!"» Lepel weiß sehr wohl, daß namentlich dies letztere*u beseitigen die Bühnenkünstler in erster Linie verpflichtet sind. Warum oppo- nieren sie nicht? Warum dulden sie, daß Kokotten unter ihnen sitzen? Lepel meint ganz richtig: es fehle den Bühnenkünstlern meistens an der nötigen Achtung und Würde voreinander; sie ermangeln der moralischen Einsicht und der Selbsterziehung zur Sittlichkeit. Das ist sl Soll alles anders, d. h. besser werden, damr werden die Bühnenkünstler total aus ihrer bourgeoisen Haut herausfahren müssen. Wohl haben sie ja jüngst hierzu einen An- lauf genommen und eS war erffeulich zu sehen, daß in einzelnen ihrer Versammlungsreden die Anregungen von unserer Seite hier verwertet wurden. Wenn sie vorwärts wollen, so müssen sie sich organisieren gleich den sozialistisch-gewerlschaftlich koalierten Hand- arbeitern. DaS heißt aber: lernen von ih nen, anstatt, wie das auf einer der letzten GenossenschastStagungen von einer Stelle aus geschah, öffenllich gegen die Sozialdemokratie loszuziehen. Mit sozialer Rückständigkeit und spießbürgerlicher Angstmeierei wird nichts getan sein— und alles wird bleiben wie zuvor. Behördliche Drangsalierung von Kasse«. DaS Gewerkschaftshaus in Wald bei Solingen ist bei dem dortigen Bürgermeister wenig beliebt. Die Ortskrankenkasse und eine Privatkrankenkasse daselbst, deren Mitgliederbestand sich Haupt- sächlich aus Arbeitern rekrutieren, faßten vor einiger Zeit den Beschluß, den Sitz der beiden Kassen in das Gewerkschaftshaus zu verlegen und die Versammlungen und Vorstandssitzungen nur dort abzuhalten. Der Bürgermeister inhibierte diese Beschlüsse. Der Bezirksausschuß in Düsseldorf sanktionierte den bürgermeister- lichen Terrorismus. Kürzlich ging nun der Vorstand der Privat- Sterbekasse ,.Eintracht"-Solingen ebenfalls dazu über, die Zahl- stelle Wald genannter Kasse nach einem Beschluß in das dortige Gewerkschaftshaus zu verlegen. Wieder griff der Bürgermeister von Wald ein, welcher den Einwand erhob, daß das Gewerkschafts. Haus— nebenbei bemerkt das schönste Lokal in der ganzen Stadt —„kein einwandfreies Lokal" für den Sitz der Kasse sei und er- suchte gleichzeitig, den Beschluß aufzuheben. Für den Fall der Zuwiderhandlung wurde den 70 Vorstandsmitgliedern(die Kasse hat mehrere tausend Mitglieder im Kreise Solingen ) je eine Geldstrafe von 50 M. angedroht, wenn dem bürgermeisterlichen Verlangen nicht Rechnung getragen würde. Tie Vorstandsmit» glieder kehrten sich nicht an die Strafandrohung, sondern unter- breiteten die Angelegenheit dem Slegierungspräsidenten in Düffel- darf, welcher dieser Tage entschied, daß nach§ 14 Wsatz 12 des Statuts der betreffenden Sterbekasse nur der Vorstand der Kasse für ein geeignetes Lokal zu sorgen habe. Die Kasse bleibt also im Gewerkschaftshaus. Hoffentlich sind die Kassen, denen zu Unrecht und dem Gesetz entgegen die Benutzung deS Gewerkschaftshauscs bei Strafe der- boten wurde, in den beiden ersten Fällen bis an das Oberverwal» tungsgericht gegangen. Wenn nicht, so sollten sie einen erneuten Beschluß über Benutzung des Gewerkschaftshauses fassen, sodann bis zum Oberverwaltungsgericht rekurrieren. UeberdieS sollte daZ GewerkschastShauS auf Schadensersatz gegen den Bürgermeister klagen._ Kindervergehen. In der„Umschau" schreibt der Italiener Lino Ferriani über „diebische" Kinder. Er mißt ausschließlich der Gesellschaft die Schuld für dieses Uebel bei. 80 Proz., sagt er, aller Knaben. vergehen nehme der Diebstahl ein. Nach seiner Untersuchung stahlen von je 100 diebischen Kindern: 23 auS Naschhaftigkeit, 11 aus Hunger, 40 infolge schlechten Beispiels, 26 weil erblich be- lastet. Diesem ganzen Elend könne durch die Gesellschaft selbst vorgebeugt werden. Vom 1. Januar 1907 bis 31. Oktober 1908 zeigt daS fugend- liche Verbrechertum in Italien nach Ferriani folgende, ungeheure Zahlen auf: 71372 zwischen 18—21 Jahren, 35 023 zwischen 14 bis 13 Jahren. 10 753 zwischen 9—14 Jahren. Die Zunahme minorenner Missetäter zeigt er für Italien an der nachfolgenden Liste: 1905: 67 695. 1996: 69 787, 1908: 77 568, 1907: 52 901. Weil in diesem letzten Jahre zwei Amnestien stattfanden, weist sie weniger hohe Zahlen auf. Ferriani kommt zu dem Schluß: einen internationalen Bund zum Schutz der Kindheit zu begründen, da auch in allen- anderen Ländern, besonders aber in allen großen Zentren aller Länder, die Verhältnisse ähnlich liegen.
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