Einzelbild herunterladen
 
Kr. M. A.IshrMg. tilM des Amärls" Sonntag, 20. Juni 1909. Reichstag. SOS. Sitzsvg Com Sonnabend, den 19. Juni. vormittags 11 Uhr. Bm BundeSratStisch: Bülow. v. Lethrnann-Hollweg, Shdow, v. Rheinbaben. Die erste Beratung der neuen Steuern wird fortgesetzt. Preußischer Finanzminister v. Rheinbaben: Der Abg. Mommsen hat nach den Berichten der freisinnigen Presse gestern gesagt:.daß die eidesstattliche Versicherung in die Erbschastssteuervorlage auf- genommen ist, begrüße ich, nur habe ich den Wunsch, daß sie nicht nur angewendet wird gegen Freisinnige und Aerniere, sondern auch gegen die Großgrundbesitzer." Besser wäre es gewesen, er hätte einen solchen selbstverständlichen Wunsch nicht ausgesprochen(Zu- stimmung rechts); denn dadurch muß der Argwohn entstehen, als ob Großgrundbesitzer anders behandelt werden könnten als andere Steuerzahler. Unsere ganze Steuergesetzgebung ist durchtränkt von dem Gesichtspunkt, die Aermeren und minder Leistungssähigen zu schonen und die Steuern durch die Leistungsfähigen aufbringen zu lassen.(Zustimmung rechts.) Wir erkennen an, daß auch in Preußen das Vermögen und Einkommen nicht überall voll erfaßt wird. ES handelt sich aber dabei in Stadt und Land meist nicht um eine unrichtige Methode der Einschätzung, sondern der Grund liegt in der Schwierigkeit der Schätzung überhaupt. Jedenfalls sind wir in Preußen durch immer schärfere Veranlagung zu immer besseren Ergebnissen gelangt, in den Jahre» 18981308 habe« wir gegenüber dem deklarierten Vermögen 2>/-, Milliarden mehr ermittelt,(Hört I hört! links) wovon 230 Millionen Mark Einkommersteuer gezahlt wurde. Sbg. Bruhn(Antts.) erklärt das Einverständnis seiner Freunde mit der Erbschaftssteuer. Die Börse, das mobile Kapital, ist im- stände, noch viel mehr als 60 Millionen aufzubringen. Württembergischer Bundesratsbevollmächtigter Finanzminister v. Gcßler; Meine Regierung ist stets entschieden für eine Erbschafts- steuer eingetteten. Wenn Herr Singer daraus hinwies, daß die ver- langten 100 Millionen diretter Steuern in keinem Verhältnis ständen zu den 400 Millionen indirekter Steuern, so berücksichtigt er nicht genügend die Verschiedenheit der steuerlichen Ausgestaltung im Reich und in den Einzelstaaten. In Württemberg werden zum Beispiel im Etat für 1909 vorgesehen LI Willionen direkter und nur 11 Millionen indiretter Steuern. Eine ReichSvermögenssteuer müssen die Einzelstaaten prinzipell ablehnen. Abg. v. Payer(südd. Vp.): Uebel genommen hat der preußische Finanzminister dem Abg. Mommsen, daß er sich mit der Frage befaßt hat. wie bei der Ein- schätzung des Großgrundbesitzes vorgegangen wird. Vor einigen Monaten hätte das sittliche Pathos der Regierung vielleicht Eindruck gemacht. Jetzt ist sich jedermann klar, daß die Re- gierung den Eindruck der Unentschlossenheit und Schwäche macht, und daher hat sie das Recht verscherzt, uns gute Lehren zu geben. Wie die Abstimmung über das Erbschaftssteuergesetz ausfallen wird, kann noch niemand entscheiden. Ich für meine Person bin, nachdem ich den Verhandlungen drei Tage lang zugehört habe, nur noch verwirrter geworden.(Heiterkeit.) Findet sich eine Mehrheit, welche den kümmerlichen Rest einer allgemeinen Besteuerung der wirklich Besitzenden aus der Finanzreform herausstreicht, so wird sich wohl die gesamte Linke, ich glaube auch die nationalliberale Partei dafür bedanken, an einer so verkümmerten und ihres Wertes beraubten Reform mitzuarbeiten.(Lebhafte Zustimmung bei den Liberalen.) Dann wird die neue Mehrheit zeigen müssen, waS sie an positiven Vorschlägen leisten kann.(Sehr richtig I links/ DaS wird auch nicht so glatt gehen, und wenn es nicht geht, so hat der Reichstag bankerott gemacht, und dann wird ein Schrei der Erlösung durch das ganze Land gehen, wenn die Re- gierungen gezwungen werden, diesem Reichstag ein vorzeitiges Ende zu machen.(Sehr richtig! links.) Bringen Sie aber eine Mehrheit zustande für Ihre Rezepte an neuen Steuern, so wird man sich klar darüber werden müssen, ob die neuen Lasten den An- forderungen der Volkswirtschaft, der Gerechtigkeit und den von Ihnen selbst feierlich proklamierten Grundsätze» entsprechen oder nicht. Ist das nicht der Fall, so bleibt wieder nur der Appell an das Volk. Glauben die verbündeten Regierungen dagegen, ihre Zu- stimmung geben zu können, so wird an den Reichskanzler die Frage herantreten müssen, ob er die Konsequenzen aus seinen Erklärungen zieht.(Sehr richtig! links.) kleines feiiilleton. Sonnwendfeier in vorhistorischer Zeit. Etwa anderthalb deutsche Meilen von dem durch seine prächtige Kathedrale berühmten Landstädtchen Salisbury   in Südengland   liegt auf freiem Felde eine merkwürdige Steingruppc, aus 93 kolossalen Blöcken von rechteckigen Grundformen bestehend, die zum Teil noch aufgerichtet sind, zum Teil auf dem Boden liegen. Inden: man das Ganze rekonstruierte, fand man, daß ursprünglich 146 Blöcke zwei steinerne Kreise bildeten, von denen der innere rund 80, der äußere rund 100 Fuß im Durchmesser hatte. Oben waren je zwei aufrechtstehcnde Blöcke durch einen quer daraufliegenden Block verbunden. Ein Wall und Wassergraben von 300 Fuß im Durchmesser umzog das Ganze, das man jetzt als einen alten Druidcntempel deutet, der dem Sonnenkultus gewidmet war. Von diesem Tempel aus führte nämlich eine Straße nach einem über 200 Fuß entfernten einzelnen Block, den man den Zeiger, nach einer Sage aberFriars Heel" (Mönchsferse) nennt. Steht man am 21. Juni, zur Sommer- sonncnwende, im innersten Kreise des Steintempels(englisch  Stonehenge   genannt), wo ein großer Block als Altar- oder Lpferstein liegt, so sieht man gerade über den Zeiger die Sonne aufgehen. Schon in grauen Zeiten haben die Druiden, die Priester der alten keltischen und gallischen Stämme, die Sommersonnen- wenden beobachtet und gefeiert. Das Stonehenge von Salisbury  ist eines der großartigsten Bauwerke dieser Art aus vorgeschicht- licher Zeit. Man glaubt, daß es von einem großen Begräbnisplatze umschlossen war. Ein rekonstruiertes Modell steht im Museum zu Salisbury   und zeigt den Druidentcmpcl, wie er vor etwa 2500 Jahren ausgesehen haben mag. Die größte Lokomotive der Welt ist jetzt von den Baldwin- Lokomotivwerken in Chicago   für die Süd- Pacificbahn vollendet worden. Die Maschine hat 16 Treibräder. Ihr gesamtes Gewicht bewägt ohne Tender 195 Tonnen. Der Tender allein wiegt, in voller Bereitschaft für den Dienst, 77 Tonnen, so daß das ganze Gewicht von Maschine und Tender mehr als 272 Tonnen beträgt. Die Zylinder haben Durchmesser von 66 Zentimeter und 101,6 Zenti- meter, und der Kolbenhub beträgt 70 Zentimeter. Die Treibräder sind im Durchmesser 1,45 Meter; der Durchmesser des Kessels be- trägt 2,13 Meter. Die gesamte Heizfläche umfaßt 573,33 Quadrat- meter. Die RadbasiS beläuft sich aus rund 23 Meter, während die äußerste Länge überhaupt noch etwa drei Meter größer ist. Theater. Hebbel-Theater. ZweiteNovität" deS gastierenden Ensembles vom Wiener   R a i m u ud- Th e a t er:Die Welt ohne Manne r". Schwank von Alexander Engel und Julius Hör st. lieber das Stück selbst brauchen wir nichts mehr zu sagen, da es ja vorigen Jahres im hiesigen Lustspielhaus einige Zeit das RepSiltoire beherrschte. Immerhin bpuchte es das ab- Nun der andere Fall: Findet sich für die Erbschaftssteuer eine Mehrheit, so ist doch ausgeschlossen, daß alle, die für die Erb- schaftssteucr stimmen, auch für alle anderen Steuerprojekte der Negierung mit allein Nachdruck eintreten.(Hört! hört! rechts.) Die verbündeten Regierungen sind der schlagende Beweis dafür, wohin man kommt, wenn man ohne den Kompaß fester Grundsätze sein Schifflein treiben läßt. Ihr einziger Grundsatz war, daß wenigstens 100 Millionen Mark von den neuen Steuern die Besitzenden tragen müssen. Und jetzt erfolgt neben der ge- ringen Erbschaftssteuer die Besteuerung der Besitzenden nach der Höhe ihrer Feuerversicherung! Das heißt also, das Grundstück des reichen Mannes wird nach denselben Grundsätzen erfaßt wie das bis über das Dach verschuldete Wohnhäuschen, und die üppigsten Einrichtungen großer Gesellschaften nach denselben Grundsätzen wie das Warenlager eines Kaufmanns, von dem ihm kein Pfennig gehört. Das nennen die RegierungenBesteuerung der Besitzen- den". Die Feuerversicherungssteuer, die schamhaft alsStempel" auftritt, ist nichts anderes als eine roh und ungerecht gestaltete partielle Reichsvermögenssteuer.(Sehr gut! links.) Ihr zuzustimmen, ist eine Zumutung an die Linke, von der ich im Augenblick noch nicht übersehen kann, wieweit ihr wird entsprochen werden können. Der Block ist zu Ende gegangen. Der Reichskanzler hat zwar versucht, am Grabe seines Lieblingskindes die Hoffnung auf ein Wiedersehen aufzupflanzen.(Heiterkeit.) Aber ich glaube, der Block wird nicht wieder auferstehen. Umsonst ist er aber nicht gewesen. Alles in allem kann ich sagen: Der Block wird uns eine lehrreiche und höchst interessante Erinnerung sein.(Stürmische Heiterkeit.) Man sagt, der Kampf gehe in Wirklichkeit um das preußische Wahlrecht. Die Konservativen bestreiten es ja, aber es ist durch- aus notwendig, daß diese Frage in den Vordergrund der Dis- kussion im Deutschen Reiche gestellt wird. Es geht nicht an, daß die Interessen des Reiches zurückstehen sollen vor einem Reservat- recht der in Preußen herrschenden Klassen. Warum soll der Kampf der preußischen Regierung mit den preußischen Konser- vativen denn auf Reichskosten hier ausgekämpft werden?(Sehr gut! links.) Wenn jetzt Konservative und Klerikale sich zusammen- finden, so werden die anderen Parteien allen Anlaß haben, auf der Hut zu sein auch in allen anderen Fragen.(Sehr richtig! links.) Als erfreuliches Ergebnis der Ereignisse der letzten Zeit ist zu verzeichnen, daß der Mittelstand, der bisher glaubte, seine Interessen nicht besser wahren zu können, als wenn er den Großgrundbesitzern und deren politischen Trabanten Heeres- folge leistete, jetzt ernstlich mit diesem Glauben ins Wanken gerät. (Sehr richtig! links.) Ich möchte mit dem Wunsche schließen, daß die Kommission schnelle Arbeit macht, und daß der Reichstag die immer deutlicher werdenden Schlußrufe, die von außen in dieses Haus dringen, nicht länger unbeachtet läßt.(Lebhafter Beifall links.) Ein Antrag auf Schluß der Debatte wird angenommen gegen die Stimmen der Sozialdemokraten. Die neuen Steuern gehen andie F i n a n z k o m m i s s i o n. Weiter stehen auf der Tagesordnung die von der Finanz- kommission beschlossenen Steuern zur zweiten Lesung. Hierzu liegt ein Geschäftsordnungsantrag Aassermann(natl.) vor, diese von der Kommission als neue Materie beschlossenen Steuern als Jnitiativgesetzentwürfc anzusehen und die heutige Beratuilg als erste Lesung zu behandeln. Ein Antrag Singer(Soz.) fordert die Absetzung dieser Steuern von der Tagesordnung. Abg. Bassermann(natl.): Die Kommission hat Materien be- handelt, die sich nicht im»rspniilglichen Regierungsentwurf befanden. Es ist schon in der Kommission hervorgehoben worden, daß die sich auf diese Materien beziehenden Gesetzentwürfe zunächst in der Form von Initiativanträgen im Plenum eingebracht werden und dort die erste Lesung passieren müssen.(Sehr richtig links.) Nur auf die völlig neue Materien betreffenden Artikel der Kommisstons- fassung bezieht sich unser Antrag, also nicht auf die Steuer auf Beleuchtungskörper.' Die drei Lesungen sind das wichtigste Axiom unserer Geschäfts ordnung.(Sehr wahr I links.) Ebenso ist ausdrücklich in der Geschäftsordnung festgelegt worden, daß die Kommission sich nur mit den ihnen ausdrücklich überwiesenen Entwürfen zu beschäftigen haben.(Lebhaftes HörtI hörtl links.) Wir hoffen, geleierte Thema von der bekehrten Männerfeindin auch diesmal wieder zuwieherndem" Lacherfolg Dank einer vorzüglichen Darstellung, die auf den echten Wiener   Ton gestimmt war. Natur- lich schoß Jenny Reingruber als rabiate Gusti Brandl, die ebenso rabiat im Männerhaß, wie in der Liebe, den Vogel ab. Gute Typen boten ferner Rudolf Ander(Advokat Specht), Hugo Riedl(Konzipient Dr. Waldek», Eugen Jensen  (Kanzleibeamter Gamperl). Auch die anderen Mitwirkenden lösten ihre kleineren Aufgaben recht passabel. Alles ging frisch und munter. Aber wollen die Wiener   Gäste nicht mit Besserem aufwarten? Solche ollen Kamellen" ziehen laum mehr auf die Dauer. Hoffen wir also, daß die nächste Novität eine wirkliche Neuheit für Berlin  sei, und dann eine um so angenehmer empfundene lleberraschung bereiten möchte! e. K. Reinhardt in München  . Die Harmonie Verlin-Mün- chen, genauer Max Reinhardt  - München   er Künstler- theater, gall einen guten Zusammenklang. Die Eröffnungsvor- stellung am Donnerstag zeigte vor allen Dingen das eine: wie treu und künstlerisch selbstlos der imponierende Stab großer Ta- lente im Reinhardt-Ensemble sich einzig in den Dienst des Dramas der Dichtung stellt. Man gabH a ni l e t" in 5l4stündiger Auf­führung mit Alexander M o i s s i in der Titelrolle. Des jungen, rassigen und leidenschaftlichen Schauspielers Leistung überzeugte wohl nicht alle an Hamlet-Konvention und Kulissenpathos Ge­wöhnte, riß aber die freier Denkenden, die Vorurteilslosen des Publikums unbedingt mit sich fort. In der Besetzung enttäuschten eigentlich nur B e r e g i als Laertes, eine schwache Moissikopie, und Fräulein Eiben schütz als Ophelia. Das Drama wurde sehr breit und langsam gespielt. Fritz Erlers neue kostümliche und szenische Ausstattung ist fast durchweg rühmenswert, nur zer- teilt sich das Drama in 17 Bilder. Der fortwährende Szenen- Wechsel mit langen Pausen wirkte schließlich stimmunglähmend. Das ist die große Gefahr der Rialerbühne, daß der bildende Künstler sich vor den Dichter drängt. m. Humor und Satire. Die Fürsorge der Polizei. In einer preußischen Stadt verhaftete die Polizei einen Redakteur, als er in einer öffentlichen, unter freiem Himmel stattfindenden Versammlung der Jugend einen unpolitischen Vortrag halten wollte. Die Verhaftung erfolgte, um den Redakteur an einer Straftat gegen das Vereins- gefetz zu hindern. Das-Auftreten der Polizei ist tadelnswert. Freilich ist ihre Fürsorge zu rühmen, die ein Verbrechen verhindern will; aber zu tadeln ist es, daß die Verhaftung erst im letzten Augenblick erfolgte. Wie, wenn der Polizeibeamte durch eine Entgleisung der elektrischen Lahn   oder durch eine Entbindung seiner Frau aufgehalten worden wäre? Dann wäre er vielleicht zu spät gekommen, und das Ver- brechen, das er verhindern sollte, wäre geschehen gewesen! Des- halb muß die Tätigkeit der Polizei früher beginnen. Wenn sie den Redakteur einige Tage vorher verhaftet, so nützt auch dies daß gegen unseren billigen Vorschlag kein Widerspruch erhoben wird, und wir werden uns dann selbstredend«n beiden Veratungen be- teiligen.(Lebhafter Beifall links.) Präsident Graf Stolberg: Nach§ 4 der Geschäftsordnung dürfen Reden zur Geschäftsordnung die Dauer von fünf Minuten nicht überschreiten.(Stürmische Heiterkeit.) Ich habe von dieser Bestimmung dem Herrn Vorredner gegenüber abgesehen und werde auch bei den folgenden Herren Rednern heute ausnahmsweise davon absehen.(Er- neute Heiterkeit und Zustimmung.) Abg. Singer(Soz.): Mit den sachlichen Ausführungen des Herrn Kollegen Bassermaim bin ich durchaus einverstanden und bin ihm persönlich dankbar dafür. daß er mir die Vorbringnng einer ganzen Menge Materials erspart hat. Aber die Annahme des Antrages Bossermann würde zu er- heblichen Unbequemlichkeiten führen und auch die Forderungen der Geschäftsordnung nicht befriedigen.(Sehr wahr! b. d. Soz.) Sieht man mit dem Kollegen Basiermann die Anträge als Jmtiativ- anträge an, so muß erst wiederum geschäftsorduungsmäßig die Frage entschieden werden, wann sie zur Verhandlung kommen sollen. Nur ein widerspruchsloser Beschluß des Hauses würde es ermög- lichen, Initiativanträge im Moment ihrer Einbringung..zu behandeln, selbst wenn die Mehrheit des Hauses von der Bestimmung über die Reihenfolge solcher Anträge abgehen sollte. Die unmittelbare Vor« nähme der zweiten hinter der ersten Lesung würde eben, falls eine Abweichung von der Geschäftsordnung bedeuten, die eine Fristaussetzung nur unter gewissen Umständen zuläßt. Die Schwierigkeiten werden also nicht gehoben mit der Annahme des Antrages Bassermann, derlein Messer ohne Schneide, ein feierlicher Protest gegen das Vorgehen der Kommission ist, aber nicht das erreicht, was Kollege Bassermann sachlich will, und ein höchst gefährliches Präjudiz schafft, welches für spätere Zeiten sehr unbequem und verhängnisvoll Ivcrden kann. Die Jnnehaltung von Fristbestimmungen ist in der Gesetzgebung so wichtig wie in der Rechtsprechung, und nur in Ausnahmefällen und mit allgemeiner Zustimmung kann man einmal davon absehen. Aber ein solcher AuSnabmefall bietet noch keineswegs unter allen Umständen Garantien dafür, daß man es in Zukunft immer wieder so machen kann. Ent- hält auch in Erinnerung an frühere Blockzeiten der Antrag Basser- mann gewiß ein freundliches Entgegenkommen gegen frühere Block- freunde(Große Heiterkeit bei den Sozialdemokraten.), so hebt er, wie ich gezeigt habe, in keiner Weise Schwierigkeiten auf und ist in seiner Ausführung noch dazu von noch sehr zweifelhasten Be- schlüssen abhängig. Nun zu unserem Antrag. Zunächst möchte ich kurz auf ein paar Parapraphen der Geschäftsordnung hinweisen.§ 22 sieht vor, daß Gesetzentwürfe bezw. Anträge nach der Begründung der ersten Beratung unterzogen werde». Die Kommissionen stehen nicht über dem Plenum: sie haben die Aufträge des Plenums ans- zuführen, und nur im Nahmen dieser Aufträge sind sie berechtigt, ihre Tagesordnung selbst zu regeln.(Lebhafter Beifall auf der ge- samten Linken.) Anders kann dieser Paragraph nicht verstanden werden.(Sehr richtig I links.) Herr Bassermann meint, eventuell könne eine Kommission in einen Gesetzentwurf andere Sachen hineinarbeiten als darin stehen. Aber er verlangt und darin stimme ich ihm durchaus bei einen einmütigen Beschluß. In der Finanzkommission haben aber eine Reihe von Kommissionsmitgliedern Widerspruch erhoben, und damit war das Recht der Kommission, diese Dinge zu behandeln, ausgeschlossen. Und nun weiter: Das Plenum ist nicht an den Komnüssions« beschluß gebunden. In dem Augenblick, wo im Plenum Wider- spruch erhoben wird, ist der Beschluß der Kommission, selbst wenn er einmütig gefaßt wird, hinfällig.(Lebhaftes Sehr richtig! links.) Angenommen auch, der Riehrheitsbeschluß der Kommission wäre gültig, so wäre er doch nur für sie gültig, nicht aber für das Plenum: denn sonst könnten ja dle Kommissionen auch sachliche Beschlüsse fassen, die dann das HanS als definitiv ansehen müßte. lieber die Ereignisse, die zu der Sezession in der Kommission geführt haben, wird einer»neiner Parteifreunde sprechen, der persönlich daran beteiligt war und daher besser geeignet ist als ich, diese Dinge hier vorzutragen. Aber ausdrücklich habe ich hier zu erklären, daß unsere ganze Fraktton einmütig ihr volles Einverständnis »nit dem Verfahren unserer Freunde in der Kominission erklärt hat. (Lebhafte Zustimmung bei den Sozialdemokraten.) Nach unserer Auf- fassung hätte ein anderes Verhalten unserer Freunde ihre eigene Würde und die der FSaktion verletzt.(Lebhafte Zustimmung bei den Sozialdemokraten.) Die Darstellung, die Kollege Bassermcmn von den Präzedenz» nichts; denn bis zu seiner Verhaftung kann er eine Unmenge von politischen Schandtaten begehen. Politisch verdächtige Persönlich- ketten müssen viel, viel früher unschädlich gemacht werden; sie dürfen überhaupt nicht frei herumlaufen, sie»nüssen bielmehr, da. mit ihnen jede Gelegenheit zur Verübung politischer Verbrechen genommen wird, schon als Embryonen verhaftet und erst dann entlassen werden, wenn bei ihnen die Leichenstarre bereits ein- getreten ist. E i n Landarmenvcrband. Es mehren sich die Fälle, in denen Besitzer großer Güter, die einen ihrer gesellschaftlichen Stellung entsprechenden Aufwand treiben, gar keine oder nur eme ganz geringfügige Einkommensteuer bezahlen, ein Beweis, daß diese anscheinend so wohlhabenden Leute in Wirklichkeit sehr arm sind. Die Beweise dieser Armut werden immer häufiger und augenfälliger: Ein Rittergutsbesitzer war von elf seiner Dienst- mägde auf Alimente verklagt worden; er beantragte für die elf Prozesse die Bewilligung des Armenrechts. Ein anderer Guts- besitzer beantragte eine Armenunterstützung, weil er ohne eine solche nicht in der Lage sei, seinen Rcnnstall weiter zu behalten. Ist es nicht schrecklich, wie die Not unter den Agrariern zu- nimmt? Zweifelhaft ist nur, ob diese beklagenswerten Männer zu den verschämten Armen gehören oder zu den unverschämten. (Jugend".) Nottzen. Bühnenchroni!. Das Berliner   Bellealliance- Theater ist vo,n früheren Opernsänger und Gcsangspädagogen Dr. M. Alfieri für mehrere Jahre gepachtet worden und soll als V o l k L o p e r am 1. September niit VerdisErnani  " eröffnet werden. Eine Ausstellung der Unabhängigen beabsich- tigt, wie dieKunstchronik" mitteilt, eine Gruppe Berliner   Künstler nach Pariser Muster zum Herbst ins Leben zu rufen. Es soll eine bestimmte Reihe von Malern aufgefordert werden, ohne Jury eine zugebilligte Zahl von Werken auszustellen. Fragt sichlnur, wer auf« gefordert und WaS zugebilligt wird. Dem Dichter W. v. Polenz von dessen lebensvollen Bmiernromanen in derNeuen Welt" vor Jahren der Büttncrbauer erschien lvird in seiner Heimat Ober-Kunewalde ein Denk-' mal errichtet. Es besteht aus zwei mächtigen Lausitzer Granitblöckcn. in die ein Relief mit dem Bildnis des Dichters eingelassen ist. Koniferen und Laubbäume umgebeir den Denkstein, der in uninittel- barer Nähe des alten Herrensitzes liegt, wo Polenz gelebt hat. Die standesbewußten Verwandten des Dichters ehren das Andenken des Dichters schon seit längcrem auf ihre Weise, indem sie sozialdcmo- kralischen Zeitungen nicht die Erlaubnis geben, Werke ihres Sippen« genossen abzudrucken. Die Lektüre können sie immerhin nicht ver« bieten. Ein Dürerfund. Eine bisher verschollene Schrift Dürers über die Niiigkunst wurde in der kaiserl. Familieiisidei- kommißbibliothek in Wien   aufgefunden. Sie ist von Dürer   eigen« händig geschrieben und mit Federzeichnungen geziert.