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vor unseren Augen bor sich geht. Schon diese kurze Betrachtung zeigt, datz die BegriffeEntWickelung" undmenschliche Tätigkeit" sich keineswegs gegenseitig ausschlietzen. Die Zusammenballnng der Kapitale macht sich doch nicht von selbst, sondern sie wird von Menschen gemacht, nämlich von den Kapitalisten. Wenn wir also von derökonomischen EntWickelung' reden, fällt es uns im Traume nicht ein, zu glauben, daß dabei die Tätigkeit der Menschen ausgeschaltet sei. Im Gegenteil, sie ist das Werk der Menschen. Dies weiß auch Herr Naumann, denn nach seiner Meinung wird ja die neue Gesellschaftsordnung von bürgerlicher Seitege- schassen". Nun braucht man den Gedanken bloß logisch fortzusetzen, um zu erkennen, welch ungeheuerliche Idee das ist. Was von bürgerlicher Seite, nämlich von den Kapitalisten, geschaffen wird, ist die gewaltige KapitalSansammlung in wenigen Händen, ist die Ver- sklavung immer größerer Volksmassen. Die Abwerfung des Jochs, die Befreiung der Persönlichkeit wird wohl niemand im Ernst von den Rockefeller und Konsorten erwarten; das müssen die versklavten Massen schon selbst besorgen. Die Entwickelung kann und wird nicht stehen bleiben, wenn es zum Beispiel so weit gekommen sein sollte, daß in Deutschland ein paar Dutzend Trustkönige die gesamte Produktion und Konsumtion beherrschen und alle anderen Einwohner des Landes von ihnen per- sönlich abhängig sind. Die Entwickelung schreitet weiter und wird, wie auch schon zuvor, von Menschen besorgt. Die Geknechteten, die Benachteiligten sind es, die nun in Aktion treten und durch ziel- bewußte Tätigkeit den Trustkönigen die Macht und den Besitz ab- nehmen und in gemeinschaftlichen Besitz überführen müssen. Wie sie das machen, wird ihre Sache sein, aber soviel ist wohl klar, daß Kampf dazu nötig ist. Nun ist es aber ganz undenkbar, daß dieser Kampf erst dann beginnen könne, wenn die Lage der Besitzlosen eine so verzweifelte geworden ist. Wenn sie auch nicht alle mit theoretischer Klarheit einsehen, zu welch schauderhaften Konsequenzen die gegenwärtige, von den Kapitalisten gemachte Entwickelung führt instinktiv fühlen sie eS ganz gut. Und deshalb kämpfen sie schon längst dagegen an. Schon längst hat der Klassenkampf des Proletariats gegen die Bourgeoisie begonnen. Es wäre nun aber höchst töricht und fehler- Haft, wollten die Proletarier diesen Klassenkampf planlos führen. DaS würde den Kapitalisten heute wie später ein ungeheures Ueber- gewicht sichern. Am schließlichen Ende würde das freilich auch nichts ändern, denn eS ist einfach unmöglich, daß die Massen ihre gehäuften Leiden dauernd ertragen, nur um eine Handvoll Milliardäre nicht anzurühren. Der gewaltsame Umsturz wäre in solchem Falle un- vermeidlich. Aber der Kampf würde sehr viel länger dauern, das Proletariat würde sehr viel öfter zurückgeschlagen werden und Schlimmeres zu dulden haben, als wenn die Massen von vornherein wissen, was sie wollen, woher ihre Leiden stammen und was sie dem­gemäß zu tun haben, um die neue Gesellschaftsordnung herbeizuführen. Für die Gegenwart kommt deshalb alles darauf an, daS Prole- tariat zu organisieren und zu schulen. DaS ist die einzige wirklich praktische, positive Tätigkeit, und gerade das ist Auf- gäbe und Zweck der Sozialdemokratie, wie denn auch das Erfurter Programm mit klaren Worten sagt: Diesen Kampf der Arbeiterklasse zu einem bewußten und einheitlichen zu gestalten und ihm sein naturnotlvendigeS Ziel zu weisen das ist die Aufgabe der sozialdemokratischen Partei.' Also es bleibt schon dabei: Die sozialistische Gesellschaft kommt nicht von selbst, sie wird auch nicht von bürgerlicher Seite geschaffen, sondern sie wird geschaffen durch die organisatorische Tätigkeit der Sozialdemokratie. Sie ist wirklich und wahrhaftig das Werk der Arbeiterklasse selbst. Wer darin einen Widerspruch zur Entwickelungs- lehre des Marxismus sieht, dem ist eben nicht zu helfen. Wie nun aber Herr Naumann es sogar fertig bekommt, auf Grund seiner konfusen Ansichten von neuem Liberalismus und Sozialismus als eins zu erklären, das verdient einen besondere» Artikel. (Schluß folgt.) Das Proletariat usd der Zar. Das Exekutivkomitee des Internationalen Sozialistischen Bureaus zu Brüssel mahnt in einem Aufruf an die klassenbewußte Arbeiterschaft aller Länder zum Protest gegen das verbrecherische Regierungssystem, das Nikolaus II. verkörpert, der im Begriff steht, eine Rundreise durch Europa zu wagen und Schweden , Eng- land, Frankreich , Italien mit seiner Gegenwart beglücken. Dazu sagt das sozialistische Manifest: Die klassenbewußten Arbeiter können diesen Besuch nicht einfach als eine alltägliche und gleichgültige Veranstaltung der offiziellen Diplomatie betrachten. Die kapitalistischen Re- gierungen erfüllen lediglich ihre Aufgabe, wenn sie den Henker der russischen Arbeiterklasse, den Henker der russischen Jntelli- genz begrüßen, aber die Völker selbst können einen solchen Menschen nicht als einen willkommenen Gast ansehen. Besonders die Arbeiter haben die Pflicht, immer wieder und laut das zu sagen, was die überwältigende Mehrheit ihrer Mitbürger in den letzten Jahren nicht aufgehört hat zu wiederholen." Der Aufruf erinnert daran, daß bereits Genosse B r a n t i n g im schwedischen Reichstag namens der sozialdemokratischen Fraktion den Gefühlen des Abscheues vor dem Zaren und dem Zarcnbesuch Ausdruck verlieh, daß Will Thorne im englischen Parla- mcnt das Nötige sagte und daß in England die Abgeordneten und die Organe der mit dem Internationalen Sozialistischen Bureau verbundenen Parteien schon beschlossen haben, Protestkundgebungen zu veranstalten! Das sozialistische Manifest rollt dann das Sündenregister des Despoten auf:> Frankreich und Italien werden ebenfalls nicht schweigen können beim Einzug dessen, der das System der blutigen Reaktion verkörpert und dessen Negierung verhängnisvoll ge- wcsen ist für Nußland nicht nur, sondern für die ganze moderne Zivilisation überhaupt. Hat dieser Nikolaus II. nicht die Bauern, statt ihnen die Freiheit zu geben, dem Hunger über- liefert? Hat er nicht, statt eine sparsame Politik zu treiben und den Staatsfinanzen eine gesunde Grundlage zu geben, das Land in Schulden gestürzt und im Heere sowie in der Zivilverwaltung die organisierte Plünderung geduldet und duldet er sie nicht noch heute? Hat er nicht, statt in einem Reiche, in welchem öS Proz. der Bevölkerung weder lesen noch schreiben können, die Kultur nach Kräften zu fördern, eine geisttötende Zensur aufrecht- erhalten und ohne Erbarmen die opferwilligsten Freunde der allgemeinen Volksbildung verfolgt? Hat er nicht, statt die Orb- nnng durch Gewährung der Freiheit herzustellen, die Arbeit der Henker vervielfacht? Er hat sich von dem Verband der wahrhaft russischen Leute zum Beschützer ausdrück- lich ernennen lassen, desselben Verbandes, dessen verdammungs. würdige Tätigkeit in der Organisation der Progrome und poli- tischen Morde besteht, er hat sich das Abzeichen feierlichst überreichen lassen und. damit ja niemand an seiner Mitschuld an der Niedertracht zweifle, hat er diese Gesellschaft von Ban- diten, im Einverständnis mit der Regierung, mit Geldmitteln unterstützt. Aber diese Aufmunterung genügte ihm noch nicht. Er hat den schwarzen Banden Straflosigkeit zugesichert, indem er ihre Mitglieder, die des Morde» überführt waren, begnadigte. Er hat immerfort Telegramme ausgetauscht mit ihrem Vor- sitzenden, dem Doktor DMowiu« xjMtn offeulMdigen Ver­brecher, üt die Ertliordung des Abgeordneten JolloS angestiftet hat, der'von der großherzoglich finnischen Regierung angeklagt worden ist, den Mord des Abgeordneten Herzenstein verschuldet zu haben, der von seinem früheren Sekretär, Prussakoff, an- gezeigt worden ist, weil er das Attentat vorbereitet hatte, in besten Verlauf Graf Witte sein Leben einbüßen sollte." Der Aufruf erinnert ferner an die zarische Provokateur- und Spitzclwirtschaft mit ihrem Azew-Gelichter, an die Mißhandlungen, Folterungen und Morde, die hinter russischen Kerkermauern un- aufhürlich von Nikolaus' feigen und feilen Kreaturen mit Wissen, ja auf Befehl des Zaren an wehrlosen Männern, Frauen, Kindern begangen werden. Das Manifest schließt: Will die zivilisierte Welt sich all dieser Greuel für mit- schuldig erklären, indem sie deren verantwortlichen Urheber ohne flammenden Protest seines Weges ziehen läßt? Wird sie die Kniee beugen vor diesem Machthaber, dessen Grausamkeit die Grausamkeit Abdul Hamids noch übertrifft, der sich durch Folter und Mord an einer besiegten Revolution rächen will und dessen Ziel es ist, neue Millionen zu ergattern, um sein unheilvolles Werk fortzusetzen? Weiß nicht die Welt, daß die russische Re- gierung. wenn sie auch die Verpflichtung übernommen hat, die ausgelieferten Gefangenen vor ein ordentliches Gericht zu stellen, diese Unglücklichen bei der Ucberführung in ein anderes Gefängnis einfach niederschießen läßt und dann dieses Ver- brechen zu rechtfertigen sucht, indem sie sagt, der Häftling habe entfliehen" wollen? Die Zeit scheint uns gekommen, um gegen dieses Regiment zu kämpfen, welches den ganzen Westen bedroht. Bereits findet man in Deutschland , ohne sich große Mühe geben zu müssen, Polizeiabteilungen, die an der Spionage und der Lockspitzcltätig- keit der russischen Geheimpolizei teilgenommen haben, entgegen- kommende Gerichtshöfe, welche Prozehkomödicn veranstalten zu dem Zweck, die Studenten davonzujagen und Nikolaus II. Opfer für seine Galgen zuzutreiben. In der Schweiz hat die hohe Justiz durch die Angelegenheit Wassilieff lbewicsen, welchen moralischen Wert sie besitzt, und in Belgien macht man in diesem Augenblick eine erste Anstrengung, um auch dieses kleine Land zum Mitschuldigen an den zaristischen Verbrechen zu machen. In Frankreich endlich streckt die russische Geheim- Polizei überall ihre Ausläufer aus unter der Leitung der Mit- schuldigen des Azew, die zu wiederholten Malen versucht haben, das Asylrecht zu gefährden. Diese allbekannten Tatsachen sind bezeichnend genug für den gegenwärtigen Augenblick. Sie sind als Zeichen zu betrachten dafür, daß der Zarismus sich in gleicher Weise bemüht, seine frühere politische Vormachtstellung wieder zu erlangen und die Bande der freihensmördcrifchen Heiligen Allianz von neuem zu schüren. Aber die völkerbefreiende Arbeiterbewegung wird sich keine Fesseln anlegen lassen, weder durch die Kleinmut der bürger- lichen Demokratie noch durch die Gewalttätigkeit des auto- kratischen Despotismus. Darum wird sie allenthalben ihre Stimme erheben und dem Häuptling der schwarzen Banden kund- tun, daß wir uns keine Knute gefallen lassen." Es unterliegt keinem Zweifel, daß dieser flammende Protest in den Herzen aller freiheitlich und rechtlich gesinnten Arbeiter und Arhriterianen des Erdballs seinen Widerhall finden wird. politische(leberlicht. Berlin , den 21. Juni 1909. Die Debatte über die Kotierungssteuer. Aus dem Reichstage.(21. Juni.) KotierungS- steuer wird diejenige Blume im agrarischen Steuerbukctt genannt, durch welche die an der Börse gehandclten Wert- Papiere mit einer Steuer belegt werden sollen; für die Konservativen begründete Herr R ö s i ck e. für das Zentrum Herr Müller- Fulda die Zustimmung zu dieser Steuer. Letzterer konnte aus den Reichstagsakten nachweisen, daß sich bei früheren Gelegenheiten Vertreter der Negierung ebenso wie der frühere nationalliberale Abg. Büsing einer solchen Steuer geneigt gezeigt hätten. Damit war allerdings nicht bewiesen, datz das vorliegende Produkt der agrarischen Mehrheit an sich brauchbar ist. Gegen die Steuer sprach mit großem Eifer der Freisinnige K a e m p f. In sehr eingehender und sachkundiger Weise wies dann der Reichsbankpräsident H a v e n st e i n die schweren Schäden nach, die dem deutschen Wirtschaftsleben aus einer solchen Steuer erwachsen müßten: Es sei ein Hauptirrtum, anzunehmen, daß die großen Börsenspekulanten persönlich davon getroffen würden. Die Steuer würde zum Teil die ausländischen Papiere, besonders die besseren, vom Markte vertreiben und dadurch Deutschlands Einfluß auf den Weltmarkt schwächen. Dann würde aber auch die Unterbringung von Anleihen bei deutschen Unternehmungen künftig durch Erhöhung des Zins- fußes erschwert werden. Das deutsche Kapital würde ins Ausland abfließen. Aehnliche Erscheinungen hätten sich ja schon als Folge der früheren verfehlten Börsengesetzgebung gezeigt. Der Schatzsekretär S y d o w suchte den Hinweis auf frühere Erklärungen der Minister zu entkräften. Dabei passierte es ihm, daß er ein Geschäftsgeheimnis des Beamten- tums enthüllte. Er sagte nämlich: wenn zu einem Beamten ein Abgeordneter mit irgend welchen untauglichen Projekten komme, so werde der Beamte nicht unbedingt ablehnen, sondern einige zustimmende Argumente vorbringen, sich aber die endgültige Entscheidung für später vorbehalten. Später erkläre er dann, nach reiflicher Ueberlegung könne er das Projekt doch nicht für durchführbar halten. Die vorläufige unverbindliche wohlwollende Zustimmung sei häufig nichts weiter als eine Verbeugung vor einer maßgebenden Richtung! Genosse Frank meinte in Würdigung dieser interessanten Enthüllung, dann seien wohl auch Bülows wohlwollende Be- merkungen über eine preußische Wahlrechtsreform weiter nichts als solcheVerbeugungen" gewesen. Zum Verhandlungs- thema führte Frank aus: In dem Eifer, mit dem die Agrarier die unüberlegte Kotierungssteuer befürworteten, präge sich nur ihre eigene Steuerscheu aus. Er wies dann noch in Ergänzung der Havcnsteinschen Darlegungen über die Beeinträchtigung des Wirtschaftslebens durch die geplante Steuer darauf hin. daß die Besteuerung der Hypothekenpfandbriefe einen lähmenden Ein- fluß auf die Bautätigkeit ausüben werde. Darunter würden aber vor allem die Bauarbeiter schwer zu leiden haben. Zum Schluß sprach er die Hoffnung aus, daß die Tage der agrari- schen Vorherrschaft in Deutschland , die zum Teil auf der un- gerechten und rechtswidrigen Wahlkreiseinteilung beruhe, jetzt gezählt seien, da sich hoffentlich an den Agrariern das Sprich- wort bewahrheiten werde: Hochmut kommt vor dem Fall l Dann wurde die Debatte auf Dienstag vertagt. Die Gefahren des Wettrüstens. Wenn wir darauf hinweisen, daß die deutschen Flottenrüstungen und insbesondere die Weigerung, mit England ein Flotten- übereinkommen zu schließen, eine Gefahr für den Frieden bedeuten, so werden wir von den Panzerplatten- und Flotten- interessenten zum mindesten des nationalen Verrats beschuldigt. Da ist es nuu ganz inieressant, daß die Gefahren des Flotienwettkampfes auch von Leuten betont werden, die selbst das Patent auf nationale Gesiiinung besitzen. So schrieb kürzlich imTag" der kaiserliche Legations- rat a. D. und preußische Landtagsabgeordnete vom Rath über die Londoner Prestelonfercnz: Für uns liegt der Schwerpunkt der Londoner Reden darin, daß die öffentliche Meinung des britischen Imperiums auf die Möglichkeit eines Krieges vorbereitet wird, un.d daß der wahrscheinliche, wenn auch unausgesprochene Gegner Deutschland sein' wird.... Es ist unübersehbar, welche verderblichen Folgen diese Agitation für den deutschen Ha n d e l haben ivird. Wenn dieser Erfolg auch nicht erreicht wird, so wird jedenfalls daS erzielt, daß die kolonialen Journalisten mit der Ueberzeugung heimkehren, daß der jetzige Zustand der SeelriegSrüslung und der britischen Flotlen- dislokation auf die Dauer unhaltbar ist. Daß der Flotten- wettkampf der Nationen immer heißer entbrennt, je größer die Zahl seiner Teilnehmer und je mächtiger ihre An- strengung wird, und daß er dadurch sich täglich Verderb- lich er, gefährlicher und volkswirtschaftlich rui- n ö s e r gestaltet. Aus dieser lleberzeugung aber schöpft die Theorie ihre Nahrung, daß es richtiger ist, mit dem Schwerte einem Zu- stände ein Ende zu machen, der die Kolonien exponiert und den: Mutterlande immer unerträglichere Lasten aufbürdet. Ist die Nährung und Förderung dieser Ueberzeugung das Ziel, das die britischen Staatsmänner mit ihren Reden an die Kolonial- journalisten und mit ihrer Flotteudemonstration verfolgen, dann sind wir wieder um einen Schritt dem Erfolge des Flottenwrttkampscs näher gckonnncn, auf den ich schon häufig warnend hingewiesen habe. Dann charakterisiert der Londoner Pressekongreß sich als eine journalistische Mobilmachung des britischen Weltreiches." Damit ist die Sinnlosigkeit des Wettrüstens ganz richtig ge- kennzeichnet und die Notwendigkeit und Dringlichkeit unserer Forderung nach einem Uebereinkommen zur Beschrän­kung der Flottenrüstungen aufs neue bewiesen. Kulturaufgabcn leiden nicht. Dns Reich wendet Millionen und Milliarden für Heer und Marine, für Panzerschiffe und Kanonen auf; ungezählte Summen werden jährlich in den dürren Boden der Kolonien gesteckt, aber im größten Bundesstaate des Deutschen Reiches herrscht Mangel und Not in den notwendigsten Mitteln der Wissenschaft und Bit- dung. Diese Tatsache erhält eine Bekräftigung durch einen Artikel derKölnischen Zeitung ", betitelt: Die Not der rheinischen Universitätsbibliothek". Tarin wird dargelegt, daß von den 95 000 Bücherbestellungen, die im Jahre 1908 bei der Bibliothek der Bonner Universität erfolgten, nur 67 Proz. durch Verabfolgung des gewünschten Buches er- ledigt wurden; ein volles Drittel der Bestellungen war erfolglos. Dabei ist noch in Betracht zu ziehen, daß die eifrigsten Benutzer der Bibliothek, vor allem die ortsanwesenden Hochschullehrer, sich vorher durch Nachschlagen des Katalogs über das Vorhandensein des fraglichen Buches vergewissern. Wieviel Wünsche in Wirklichkeit erfolglos bleiben, ergibt sich aus der Tat- fache, daß von 12 168 auswärtigen Bestellungen nur 6027. also knapp die Hälfte, ausgeführt werden konnten. ES heißt in dem Artikel: Man mache sich klar, welche Folgen das nach sich ziehen müßte, wenn der jämmerliche Zu st and auch nur»och ganz kurze Zeit bestände. Es ist eine schon nickt mehr zu bc- streitende Tatsache, daß die preußischen Universitäten den Wett- bewerb im wissenschaftlichen Leben nur noch mit Mühe mit Sachsen , Baden, Elsaß aufrechterhalten können. U e b e r a l l läßt die Lust zur wissenschaftlichen Arbeit bei den nicht direkt von Amts wegen Verpflichteten und unmittelbar an den Quellen deS Materials Sitzenden in bedenklicher Weise nach. In den Vorreden mehren sich die entschuldigen- den Mitteilungen, datz es dem Verfasser leider nicht möglich gewesen sei, das und jenes wichtige Werk noch in die Hand zu bekommen." Der gegenwärtige Zustand, so wird weiter dargelegt, drohe schließlich die wissenschaftliche Forschung zu einer Sache des Vermögens zu machen, indem der Vermögende durch reichere Ausstattung feiner Privatbibliothek sich einen Bor - rang sichere vor dem Fachgenossen, der auf die öffentlichen Biblis - theken angewiesen sei. Viel schlimmer aber sei die Tatsache, daß in einigen Fächern nickt nur die wissenschaftliche Forschung, sondern auch der wissenschaftliche Unter- richt bedroht sei: 1 So ist eS z. B. in Bonn nicht möglich, in den feminari- stifchen und proseminariftifchen Uebungen für deutsche Literatur- geschichte nach Belieben und nach lediglich sachlichen Gesichts- punkten die Themata zur Bearbeitung zu wählen, weil die V e- schaffung der notwendigen Literatur auf ganz ungewöhnliche Schwierigkeiten stößt. Die Litera- tur des 19. Jahrhunderts z. V. ist in Bonn auf weiten Strecken nur mit großer Mühe und mit großen Opfern gründlich zu studieren. Die Seminarbibliothek, die ganz erbärmlich dotiert ist, hat kaum die tvichtiysten Nach schlage- werke, keineswegs die laufenden Publikatiousreihen und alle Fachzeitschriften; auf der Bibliothek werden und müssen die Desiderata für alle neuen Pcriodica vorläufig abschlägist b e s ch i e d e n werden, weil selbst ältere unter dem Druck der Lage zurzeit abgebrochen werden mußten!" Und wie hoch ist die Summe, die zur Besserung dieser trost- losen Verhältnisse, die nicht nur für Bonn gelten, als nötig erachtrt wird. Der Verfasser des Artikels rechnet für die preußischen Uni- versitäten(außer Berlin ) die Summe von 450 000 M. heraus. während jetzt vielleicht die Hälfte zur Verfügung steht. Also eine Viertelmillion zur würdigen Ausgestaltung der preußischen Uni- versitätsbibliotheken sie ist nicht aufzutreiben! Aber daß 600 Millionen dem unersättlichen Schlund des Molochs Militarismus überantwortet werden sollen, darüber herrscht bei den Regierungen und unter den bürgerlichen Parteien von der äußersten Rechten bis zur äußersten Linken vollkommene Uebcreinstimmuug! Der Breurer Lehrerverein. Der bisherige, gemäßigte Vorstand des Vereins hat in einen, Rund- schreiben seine Mandatsniederlegungmotiviert". Dieses Rundschreiben operiert mit Ausdrücken des Senatsjargons: es spricht von dem die Würde des Vorstandes verletzenden und mit den parlamentarischen Formen unvereinbaren Vorgehen einer Gruppe von Mitgliedern", vonschwerer Ver­unglimpfung' usw. Die Kampfesweise der Gegner seiunvereinbar mit denF or derung en der BereinSdisziplin, die den Mitglieder» die Pflicht auferlegt, sich dem Willen der Mehrheit zu fügen." Also die alte Klagen, elodie der zur Minorität gewordenen einstigen Majorität! Der neue V o r st a n d, zu dem auch Holzmeier gehört, er- hielt von 247 abgegebenen Stimmen 122. Es wurden 118 weiß: Zettel gezählt I 7 Stimmen waren ungültig. Bei der Wahl des ersten Vorsitzenden verließen so vieleGemäßigte" den Saal, daß nur 156 Stimmzettel einliefen. Mit allen 122 radikalen Stimme» wurde Südeling, der einzige Radikale des bisherigen Vorstandes, gewählt. ErwieS daraufhin, daß jenes Programm, wegen dessen Ablehnung im Januar 1903 der radikale Vorstand sein Ami niedergelegt hatte, jetzt wieder zu Recht bestehe. Dieses Programm lautet: Die Ziele, für deren Verwirklichung der Bremer Lehrer- verein in den letzten Jahren gestrebt hat, lassen sich in die Wort: zusammenfassen: Weltliche Schule. Einheitsschule, Arbeitsschule. Diese Ziele weist auch das Schul- Programm der fozialdemokratischea Parte» auf.