Nr. 142. 26. Jahrgang.1. Keillige des Joraiiils"Dienstags 22. Juni 1909.Reichstag»266. Sitzung vom Montag, den 21. Juat-llächtnittagS 2 Uhr.Äm BundeSratstisch: Shdow, Delbrück. V. Echoen.V. Bethmann-Hpllweg.Auf der Tagesordnung steht dieFortsetzung der ztveitcu Beratung des Finanzgesetzcs.Die Beratung Wirt fortgesetzt bei Artikel IIBesteuerung der Wertpapiere.Abg. Dr. Rösicke(!.): Die Gründe gegen die Erbschaftssteuer sindschon genügend dargelegt. Wir haben uns aber nicht wie die Linkemit bloßer Negation begnügt, sondern eine wirklich den Besitz treffendeSteuer vorgeschlagen, eben die Kotierungssteuer.(Sehr richtig!rechts.) Auch wir sind nicht Feinde der Börse. Aber die Besteuerungdes Kapitals in den großen Kapitalsasioziationen ist ein gesundersozialer Gedanke.— Das Zusammengehen der Nationalliberalen mitden Freisinnigen ist nicht im Sinne des Liberalismus, sonderndes Demokratismus.(Huh I huh I bei den Sozialdemokraten.)Zu Aenderungen der Vorlagen, die die Grundlagen nicht berühren,sind wir sehr gern bereit, wenn uns nur von den anderen ParteienBorschläge gemacht werden.Der Herr Reichskanzler sagte, er könne nicht Geschäftsführer derKonservativen sein. Das ist selbstverständlich, aber wir möchtenfragen: Will der Herr Reichskanzler es verantworten, Förderer ein-seitiger liberaler Anschauungen zu sein?(Sehr richtig I rechts.) DiesenEindruck müssen wir gewinnen, wenn er fortgesetzt den liberalenWünschen entgegenkommt und unsere Anträge ablehnt. Wir habenvon Anfang an gesagt, was wir wollen und was nicht, und be-finden uns jetzt in der Defensive.(Lachen links.) Wir sehen in derErweiterung der Erbschaftssteuer direkt eine nationale Gefahr!(Stürmisches Gelächter links.) Bei Ihnen liegen Zweckmäßigkeils-gründe vor, bei uns nationale.(Erneutes Gelächter links.) DieRechte hat noch nie versagt, wenn es sich um nationale Forderungenhandelte.(Lebhaftes Bravo! rechts. Lachen links.) Woher ist dieErbitterung mit dem Hansabund gekommen? In dem Moment,wo das mobile Kapital angegriffen wurde.(Stürmischer Wider-sprach links. Sehr richtig! rechts.) Die verbündeten Regierungensollten doch bereit sein, den Anschauungen der Majorität des Reichs-tags Rechnung zu tragen.(Sehr richtig! rechts.) Bon diesem Stand-Punkt aus kann ich die Hoffnung noch nicht aufgeben, daß die ver-bündeten Regierungen den Weg finden, mit uns zusammenzukommen.(Bravo I rechts.)Reichsschatzsekretär Shdow: Es ist darauf hingewiesen worden,daß die Regierungen 1833 selbst eine Kotierungssteuer vorgeschlagenhätten. Das trifft nicht zu. Es ist nur hypothetisch davon dieRede gewesen, gewissermaßen als Verbeugung vor einer Mehrheit,die nachher zu den Einschränkungen des Börscngesetzes geführt hat.Das ist dasselbe, als wenn einem Vorschlage gegenüber gesagt wird:Das ist ja ganz gut. aber die Geschäftslage erlaubt es nicht, dasdurchzuführen.(Große Heiterkeit.)Abg. Kaempf(frs. Vp.): Herr Rösicke sprach davon, daS mobileKapital müsse belastet werden, und er vergißt dabei, daß geradevon der Erbschaftssteuer das mobile Kapital mehr belastet wird alsdas immobile.(Sehr gut! links.) Wir hoffen und erwarten, daßdie Regierung bei ihrer Haltung fcstbleiben wird, unterstützt vonder großen Masse der Bevölkerung.(Bravo I links.)Was die Kotierungssteuer anlangt, so werden meine politischenFreunde den Widerstand gegen sie nicht aufgeben. Herr Spahn wiesauf die Kotierungssteuer in Frankreich hin; aber dort sind die aus-ländischen Papiere ausgenommen. Wenn wir übrigens von Frank-reich etwas übernehmen wollen, so wollen wir die Sätze der fran-zösischen Erbschaftssteuer übernehmen!(Sehr richtig I bei den Libe-ralen.) Dann würden wir einen so erheblichen Teil des Entwurfsvon 566 Millionen decken, daß wir derartige Schritte vom Wege nichtbrauchen.(Zustimmung bei den Liberalen.)Abg. Müller-Fulda(Z.): Herr Kaempf hat selbst darauf hin-gewiesen, daß 70—100 Milliarden Papiere an der Börse zugelassensind. Daraus ergibt sich, einen wie großen Teil des National-Vermögens die Kotierungssteuer trifft.(Sehr richtig I im Zentrum.)Unter der Konzlerschaft des doch gewiß dem mobilen Kapital nichtfeindlichen Caprivi sprach sich die amtliche Begründung einerRegierungsvorlage durchaus günstig über den Gedanken einerKotierungssteuer aus(Hört! hört! rechts) und schon 1883 wurde sievom nationalliberalen Abgeordneten und Geh. Finanzrat BüsingRleines fciiilleton.Die' Blitzgefahr für Menschen. Jetzt, da wir in die Periodeder Gewitter eintreten, mögen einige Worte über die Blitzgefahrfür Menschen wohl am Platze sein. Im allgemeinen ist sie sehrgering, weit geringer natürlich in den Städten, als auf dem flachenLaude. Nach der Hcllmannschen Statistik tötete der Blitz in einemfünfzigjährigen Zeiträume durchschnittlich in Preußen 4,4, inBaden 3,8, in Frankreich 3, in den Niederlanden ebenfalls 3, inSchweden 3,1, in England nur 1, in Ungarn dagegen 16 von einerMillion Menschen. Im Innern eines Hauses, besonders in dengrößeren Städten, steht die Angst, von der sich wohl viele beieinem heftigen Gewitter beherrschen lassen, in keinem Verhältniszu der kaum nennenswerten Gefahr. Anders verhält es sich auffreiem Felde, wo, allen Warnungen zum Trotz, vom Gewitterüberraschte Personen immer wieder Schutz unter Bäumen suchen.Wer auf einem Pferde oder Wagen sitzt, ist dadurch, daß er überseine Umgebung hinwegragt, in höherem Grade gefährdet als diese.blnsammlungen von Menschen und marschierende Truppen scheinenden Blitzschlägen weit mehr ausgesetzt zu sein als einzelne Per-sonen. Die warme, feuchte Luftsäule, die sich infolge des Atmungs-Prozesses über größeren Menschenansammlungen bildet, soll alsverhältnismäßig guter Leiter den Blitz gewissermaßen anziehen.Acußcre Verletzungen schwerer Art gehören bei den vom BlitzGetroffenen zu den Seltenheiten, in den weitaus meisten Fällenwird der Tod wohl durch eine Lähmung des Nervensystems sofortherbeigeführt. Die Bewußtlosigkeit tritt sofort ein. Wie wirProfessor Dr. A. Gockels Buch über das Gewitter entnehmen, ver-mochten von den vielen durch den Blitz betäubten Personen, diespäter wieder zu sich kamen, nur ganz wenige sich über ihreEmpfindungen in dem verhängnisvollen Augenblick Rechenschaftzu geben, weitaus die meisten nahmen weder Blitz noch Donnerwahr, nur einige wußten von Feuerkugeln zu erzählen, die aufsie lossprangcn.Acsthciische Gymnastik als Mittel zu harmonischer Körper-bildung beginnt immer mehr an Stelle der rein äußerlichen turne-rischen und gymnastischen Uebungcn Boden zu gewinnen. Indemsie sich an klassische Vorbilder anlehnt, bringt sie nach den Rhythmenbegleitender Musik gymnastisch geordnete Bewegungsübungen, dieeine Verbindung geistiger Bilder und Vorstellungen mit Muskel-Übungen und entsprechendem seelischen Ausdruck darstellen und soden ganzen Menschen in harmonischer Weis� beschäftigen. DasSystem beruht auf bestimmten natürlichen Gesetzen, die gefunden zuhaben das Verdienst des Franzosen Delsarte ist. Miß GenevieveStebbius baute diese Gesetze zu einen: System aus, das in seinerVollendung und Vielseitigkeit alle existierenden Systeme übertrifft.Sie war es auch, welcher Fr. Dr. Menscndicck ihre Anregungen zurSchaffung ihrer bekannten gymnastischen Uebungen verdankt. MißStebbiuS gründete nach jahrelangem Studium in Frankreich undempfohlen.(Erneutes lebhaftes Hört! hört! rechts und im Zentrum.)In der bekannten Versammlung im Zirkus Schumann hat inan ab-weichende Meinungen nicht zu Worte kommen lassen.(Widerspruchlinks; Sehr richtig! rechts und im Zentrum.) Man hat HerrnKirdorf nicht ausreden lassen.(Lauter Widerspruch bei den Liberalen,wiederholte Rufe:.Adolf Wagner!" Rufe rechts: Ruhe! Ruhe!Unruhe im ganzen Hause.) Die Herren vom Hansabunde wollenerst nach dem Tode zahlen, wir aber wollen sie schon bei Lebzeitenbesteuern!(Tosender Beifall im Zentrum und rechts, lautes Lachenlinks.) Redner behauptet, oftmals von stürmischem Widerspruch derLiberalen unterbrochen, daß Herr v. Mendelssohn im ZirkuS Schu-mann eine total schiefe Darstellung von den Vorgängen und Be-schlüssen der Finanzkommission gegeben habe; er sei nicht richtig in-formiert gewesen und habe die Beschlüsse erster mit denen zweiterLesung verwechselt.(Erneuter heftiger Widerspruch links, brausendestört! hört 1 im Zentrum.) Auch die Finanzminister waren auf ihreronferenz nicht genügend informiert.(Hört! hört! rechts.) Manspricht von den weiten Kreisen, die in Mitleidenschaft gezogen werden.Ja, wer wird denn bei einer SSV Millionen-Forderung nicht mitin Leidenschaft(Heiterkeit), in Mitleidenschast gezogen? Ich werdeauch in Mitleidenschaft gezogen I(Erneute Heiterkeit.)— Eine Finanz-reform ohne genügende Heranziehung der Börse ist unmöglich.Wollte der Reichstag in eine solche einwilligen, so wäre das eineVerbeugung vor der Börse I(Lautes Bravo I rechts.) Warum sollman die tragfähigsten Schultern freilassen?(Laute Rufe links:Großgrundbesitz! Erbschaftssteuer I) Die Lebenden sollen zahlen I(Lärmender Beifall rechts und im Zentrum.) Die Kotierungssteuerist die gerechteste aller Steuern I(Tosender Beifall bei den Anti-semiten beider Richtungen, Konservativen, Zentrum.)~ Reichsschatzsekretär Sydow bestreitet, daß die Finanzminister inihrer Konferenz nicht richtig informiert worden seien. Er selbst habedie Beschlüsse zweiter Lesung dort mitgeteilt, Herr Müller-Fuldamüsse also falsch informiert worden sein.(Widerspruch des Abg.Müller-Fulda.)Reichsbankpräsident Havcustein: Daß ausländische Staaten unsereKotierungssteuer zahlen, ist ganz ausgeschlossen; sie werdenruhig zusehen, daß ihre Papiere von unserem Kurszettelverschwinden, und die deutschen Inhaber stehen dieser Streichungder Kursnotizen vollständig ohnmächtig gegenüber und laufen Gc-fahr, daß ihre Papiere schwerer verkäuflich werden.(Sehr richtig!links.) Durch die rückwirkende Kraft der Kotierungssteuer würdeeine Vernrögensschädigung von mehr als 2 Milliarden eintreten.(Lebhaftes Hört! hört! bei den Liberalen. Widerspruch rechts undim Zentrum.) Die Machtstellung Englands in der Welt ist wesent-lich unterstützt durch die Machtstellung der Börse von London,die herbeigeführt worden ist durch die schonende Behandlung,die ihr die englische Gesetzgebung hat angedeihen lassen.Zum Teil ist diese Machtstellung erreicht auf Kostender deutschen Börse, die geschwächt war durch die deutsche Börsen-gesetzgebung.(Sehr richtig! links.) In dieser Richtung würde auchdie KotierungSsieuer wirken. Daher bitte ich Sie dringend, ihr dieZustimmung zu versagen.(Lebhafter Beifall links.)Abg. Dr. Frank-Mannheim(Soz.):Der Reichsschatzsekretär hat bei seinen Mitteilungen über dieRegierungserklärung von 1893 einige interessante Handwerksgeheim-nisse verraten, und wir haben den Eindruck, daß durch das, ivaSer mitgeteilt hat, der Wert von Regierungserklärungen für die Zu-kunft wesentlich herabgedrückt wird.(Sehr richtig! bei den Soz.)Man wird künstig nicht wissen, ob Sympathie- oder Antipathie-erklärungen der Regierungen Verbeugungen sind oder das Gegenteil.(Heiterkeit.) Zum Beispiel wissen wir nicht, ob nichr auch dieSympathieerklärung des Reichskanzlers für die preußische Wahlrechts-reform nicht mehr gewesen ist als eine bloße Verbeugung.(Sehrgut! bei den Sozialdemokraten.) Was nun die Meinung der Re-gierung über die Kotierungssteucr betrifft, so sind meine Freunde dergleichen Ansicht wie zurzeit die Regierung.(Heiterkeil und sehrgut!) Die Debatte selbst hat uns keinen Anlaß gegeben, unsereMeinung zu korrigieren; denn die Ausführungen der Herren vonder Rechten zugunsten der Kotierungssteuer leiden an einemgroßem Mangel: sie verlieren an Uebcrzeugungskraft undinnerer Wahrhaftigkeit durch die Tatsache, daß die gleichenParteien, die einen Teil des Besitzes angeblich belastenwollen, sich der allgemeinen Besitzsteuer, der Erbanfall- undder Vermögenssteuer widersetzen.(Lebhaftes Sehr richtig! bei denSozialdemokraten.) Das einzige, was uns vielleicht zugunsten derKotierungSsieuer stimmen könnte, nicht aber stimmt, ist nicht hier imHause gesprochen worden, sondern das waren einzelne Reden derAmerika ihre„School of Expression"(Ausdruck-Schule) in NewVork, unter dem Protektorat der Universität stehend. Neben derAusbildung von Lehrkräften widmete sie ihre Tätigkeit der Ein-führung ihres Systems in einer großen Anzahl von Schulen inNew Kork, und zwar mit hervorragendem Erfolg. In Deutschlandunternimmt es jetzt Fr. Kallmeyer-Simon, ein ähnliches Institut inBrannenburg bei München ins Leben zu rufen, nachdem sie beiMiß Stebbius die erforderliche Ausbildung genossen hat. AuchProf. Jaques Dalcroze in Genf wirkt mit einem großen Kreisevon Schülern und Schülerinnen, die Wanderkurse veranstalten, indieser Richtung.Musik.Die Morwitz-Oper gehört nun einmal zum BerlinerSommer. Meist im östlichen Schiller- Theater spielend, hat siesich diesmal im Friedrich-Wilhelmstädtischen Schau-spielhaus eingerichtet. Am Sonnabend begann sie, reklaniefreiwie immer. Große künstlerische Experiinente und Vorführungenweltberühmter Sänger wie von der Gura- Oper sind von ihrnicht zu erwarten. Man muß, schon angesichts der niedrigenPreise, gleichsam mit kleineren Ausgaben der Opernwerkerechnen und sich z. B. mit nur 13 Streichem im Orchesterbegnügen. Soll da die Kritik nicht überhaupt vom Spiel undBesuch abraten? Nein— und zwar hanptsächlich, weil so gut wiealles Theaterspiel überhaupt lediglich mehr oder minder gut ist undweil die Künstler viel Gelegenheit zur Betätigung, womöglich alsSprungbrett zu Höherem, brauchen.Also gehen wir mit der nötigen Anspruchslosigkeit beispielsweisin K. M. v. Webers.Freischütz", wie wir ihn am Sonntagzu hören bekamen. Unter der, freilich nicht pointenreichen, Regiedes hier bereits bekannten L. Frank traten meist neue Leute auf.Vielleicht am besten sang A. Tharau daS Aennchen; künstlerischenErnst in Sang und Spiel entfaltete E. Otto als Agathe so sehr,daß wir noch Besserem von ihr besonders gern entgegensehen;durch vorzügliche Aussprache trat M. B a r t H als Eremit hervor;noch in Entwickelung begriffen oder befangen erschien G. Rot herals Max.Aber wennS auch nur wenig war: der„Freischütz" kann denkritischesten Theatergänger in das naive Kind zurückverwandeln, dasda andächtig dem„im deutschen Gebirge" spielenden Drama, seinerWaldeöstimmung, seiner so wahrhaft volkstümlichen Art lauscht. Werdie dramatischen Mängel des von F. Kind gedichteten, zum Teil inder Tat kindlichen und manchmal sogar kindischen Textes und auchdie der Musik auseinandersetzen will, hat leichtes Spiel. Und daßtrotz dieser„Fehler" daS wahrhaft deutsche Meisterwerk immer undimmer wieder lockt und uns den künstlerischen Geschmack hochhält;diese Einsicht vermittelt uns vielleicht am besten eine Aufführung,bei der jede Kritik des berühmten Zusatzes bedarf:.unter den ge-gebenen Verhältnissen". es.Herren vom Hansabund I Daß die verschiedenen Redner im ZirkusSchumann mit so großem Eifer und Feuer sich gegen dieÄötierungssteuer gewendet haben, während sie keine Silbe der Abwehrgefunden haben gegen die Belastung der großen Massen mit neuenKonsumsteuern(Lebhaftes Sehr richtig l b. d. Sozialdemokr.)— dasist es. was uns und manchen anderen stutzig gemacht hat. WennSie uns wirklich eine Steuer bringen, die uns überzeugt, daß wirklichdie großen Hansen davon getroffen werden, würden Sie uns bereitfinden, mitzumachen. Von der Steuer, die Sie uns präsentieren,haben wir diese Ueberzeugung nicht.(Zustimmung bei denSozialdemokraten.) Wir meinen, es ist eine etwas starke Zumutungan unsere Leichtgläubigkeit, wenn Sie uns diese Steuer unterder Marke„Besitzsteuer" präsentieren. Wir wissen ja. nament-lich seit der letzten Geschäftsordnnngsdebatte, daß die Mehr-hcit alles machen kann, nur— nach dem englischen Sprichwort—nicht aus einem Mann eine Frau.(Heiterkeit.) Und wenn Sie aufeiner Flasche Kartoffelschnaps das Etikett anbringen„Rüdesheimer",so wird darum noch kein Rheinwein daraus.(Heiterkeit.) Wir hörenallerdings von Ihnen, es würden durch diese Steuern Börsenund Banken, große Gesellschaften belastet. Nichtig ist,daß zunächst der Einzug bei diesen Adressen geschieht.aber dadurch entsteht noch keine Besitzsteuer. Wenn dieseNote zuträfe, wären ja auch die Gctreideschutzzölle eine Besitz-stcuer!(Sehr gut! links.) Denn der Zoll wird zunächst auch beiden reichen Getreideimporteuren erhoben. Die Börsen und Bankensind Durchgangsstationen für die Wertpapiere. Das wissen die Herrenvon der Rechten auch, sie sind überhaupt viel gescheiter, als sie sichstellen.(Heiterkeit.)Sie sagen, das mobile, also das nicht landwirtschaftliche Kapitalentziehe sich sehr häufig— legal und illegal— der Besteuerung,deshalb müsse sich der Herr Rcichsschatzsekretär an der Börse, be-waffnet mit dem Steuerzettel, wie Teil mit dem Bogen aufstellenund sagen: Durch diese hohle Gasse müssen die Wertpapiere kommen.da wollen wir sie fassen!(Heiterkeit.) Es ist merkwürdig, daß geradedie Agrarier sich darauf berufen, ein Teil des Besitzes entziehe sich derBesteuerung, deshalb müsse man diesen Weg gehen. Sie klagenüber die Steuerhinterziehungen, die die anderen machen I(Sehr gut!links.) Das istdie Taktik des Tintenfisches,der seine Umgebung verdunkelt, um selber Verfolgungen zu entgehen.(Heiterkeit.)Herr Mommsen hat bor wenigen Tagen nicht ausgesprochen,aber beinahe ausgesprochen, daßdie Einschätzung der landwirtschaftlichen Vermöge»und Einkommennicht den Grundsätzen der Gleichheit vor dem Gesetz, der Gerechtig-keit entspreche. Was er gedacht hat, will ich nicht untersuchen, aberich will es aussprechen, daß unserer Ueberzeugung nach undnach der Meinung des größeren Teils der Bevölkerung tatsächlichder Großgrundbesitz von den Steuerbehörden geschont wird,(sehrrichtig I bei den Sozialdemokraten.) Es liegt auch die Versuchungdazu außerordentlich nahe. Die für die Einschätzung berantlvort-lichen Stellen sehen doch, daß seit Jahrzehnten die Gesetz-gebung in Deutschland zugeschnitten ist auf den sogenanntenSchutz der Landwirtschaft, daß planmäßig dem GroßgrundbesitzVorteile zugewandt werden auf Kosten der übrigen Be-völkerung. Was liegt nun näher, als daß ein gewissenhafterVerwaltungsbeamter sich sagt: Ich will mit meinen Mitteln dasselbeerreichen und auch für den Schutz der Landwirtschaft sorgen?— Dasgeschieht natürlich nicht in der plumpen Form, daß die betreffendenKommissionen oder Beamten einfach die Gesetzesparagraphen beugen.Nein, das geschieht dadurch, daß man den Ertragswert der großenGüter in wohlwollender Weise, in schonender Form berechnet.(Sehrwahr! bei den Soziald.) Herr v. Rheinbaben hat gegenüber diesenversteckten Vorwürfen im Lande draußen und hier gesagt: Was wollenSie denn von uns, die Regierung kann ja gar nichts dagegen tun,das sind Selbstverwaltungsbehörden, und es ist ja bekannt, daß inPreußen gegenüber den Selbstverwaltungskörperschaften die Behördemachtlos ist.(Heiterkeit.) In deinselben Preußen, in dem die größteGemeinde nicht einmal ein Gittertor errichten oder eine Schul-turnhalle einem Arbeiterverein zur Verfügung stellen kann!(Sehrwahr! bei den Sozialdemokraten.) Eine Selbstverwaltungsbehörde,die unter dem Vorsitz des Landrats tagt, das ist keine Selbst-Verwaltungsbehörde, das ist die Republik mit dem Großherzog ander Spitze.(Heiterkeit und Sehr gut! links.)Wenn in den letzten Tagen das Wort„Kulisse" viel gebrauchtwurde und sehr viel Ausdrücke angewandt wurden, die an KomödieHumor und Satire.Reporterphantasie.ES spukt in den finnischen Schären,Unheimlich leuchtet die See.Man munkelt die dunkelsten Mären—Herr Gott I Dein Wille gcscheh'lIm Schiffsrnmpf flüstern zwei KaiserVon dem oder dem oder dem.Horcht einer, so reden sie leiserDas find' ich sehr unbequem.Und die zwei Minister des AeußernTun grab', als galt' es die WeltZu verrussen oder vcrpreutzern—Nur fehlt'S am nötigen Geld.Wer diese Begegnung verkleinert,Ist sicher kein Patriot.Die Engländer sind versteinert,Die Franzosen heulen sich tot.Und morgen verkünden die Blätter:„Der Hahn hat gekräht auf dem Mist.Entweder wird anders das WetterOder es bleibt, wie's ist,"(Edgar Steiger im»SimplicissimuS".)Notizen.— Musik chronik. In der Gura-Oper(Kroll) findetam Mittwoch die einzige Aufführung deS„Fliegenden Holländers"zu„einfachen Preisen" statt.— Der teuer st e Schauspieler Europa» scheintJoseph K a i n z zu sein. Er hat mit dem Wiener Burg- Theatereinen neuen Kontrakt bis 1921 geschlossen. Er geruht danachimmerhin noch einige Monate in Wien zuzubringen und etwafünfzigmal aufzutreten(vielleicht sogar in neuen Stücken). Imübrigen gedenkt der Künstler die Verrücktheit deS Publikums weidlichauszunützen und Gastspiele und Vortragsabende je zu 1900—3000 M.zu veranstalten. Daß Kainz mit seinen starken Talenten sich bereitsauf dem Abstieg zum karikierenden und das Drama vergewaltigendenVirtuosentum befindet, haben tvir bereits letzten Winter hier fest-gestellt. Durch vermehrte Gastspielerei wird dieser Prozeß natürlichbeschleunigt werden.— Eine neue Grönlandfahrt trat am SonntagKapitän M i k k e l s e n in Kopenhagen mit seiner Jacht„Alabama"an. Der Zweck der Expedition,� die im nächsten Winter von ihremStandquartier aus vorstoßen will, geht dahin, die AufzeichnungendeS verunglückten Grönlandforschers Mylius- Erichsen aufzufindenund selbst Forschungen im Innern Grönlands anzustellen.— Die Bevölkerung von Kuba betrug nach dem Er-geb«is der letzten Volkszählung, die vor drei Monaten stattfand,2 048 930 Menschen, von denen 69,72 Proz. Weiße und 30,28 Proz.Neger sind. 1774 zählte die Insel erst 171 620 Personen.