Nr. 146. 26. Ichrgavg. t Skilize des Jrairls" Sttlintt pMntt. Zollmwld, 26. Juni 1909. Reichstag » 870. Sitzung vom Freitag, den 25. Juni. nachmittags 2 Uhr. Sm BundeSratStifch: S h d o w. Auf der Tagesordnung steht zunächst die zweite Beratung deS Reichsstempelgesetzes. Die Kommission beantragt, die in der Vorlage durchgängig auf V, vom Hundert festgesetzten Stempelbeträge sämtlich auf vom Hundert zu erhöhen. Abg. Basserman»(not!.): Die Erbschaftssteuer ist gestern der- scharrt worden. Diese gestrige Entscheidung ist für die Berhand- lungen der nun zur Berawng kommenden Gesetze von Bedeutung; sie ist um so bedeutungsvoller angesichts der Erklärung des Reichs- kanzlers vom 30. März und vom 10. Juni, daß die Regierung an der Erbschaftssteuer festhalte, und angesichts der Erklärung des Reichsschatzsekretärs in der Kommission am 29. Mai, daß die Erbschaftssteuer auf Kinder und Ehegatten ein unentbehrlicher Teil der Finanzreform ist und daß die Finanzreform ohne diese Steuer nicht zustande kommen wird und kann.(Hört I hört! links.) Die Regierung und die Parteien, die an der Erbschaftssteuer festhalten, haben gestern eine schwere Wederlage erlitten, und das Zentrum hat dem Reichskanzler die Quittung für die Dezemberauflösung erteilt.(Widerspruch im Zentrum.) Nach wie vor stehen wir auf dem Standpunkt, daß wir bereit sind, 400 Millionen indirekte Steuern zu bewilligen, darunter 259 aus Bier und Tabak. Wir sind auch bereit, einer besonderen Heram ziehung des mobilen Kapitals zuzustimmen, und werden daher auch einen Antrag bezüglich einer Kapitalrentensteuer unterbreiten. Diese Bereitschaft ist aber natürlich bedingt durch die Einführung einer allgemeinen Besitzsteuer. Von ihr wird die Zustimmung der Fraktion zu den einzelnen Steuern abhängig gemacht. Nach Ablehnung einer allgemeinen Reichsvermögens- und einer Erbschaftssteuer ist diese Voraussetzung nicht mehr vorhanden. Daher können wir die Finanzreform nicht mehr akzeptieren und müssen sie sowie ihre einzelnen Teile ablehnen.(Bravo I bei den Nationalliberalen.) Abg. Wiemer(fts. Vp.): Die unabweisliche Voraussetzung für die Zustimmung zur Erhöhung indirekter Steuern ist für die frei« sinnige Fraktionsgemeinschast die Einführung einer allgemeinen Besitz- steuer. Im Rahmen der vorliegenden Finanzreform kommt als allein mögliche allgemeine Besitzstcuer die Erbschaftssteuer in Be- tracht. Nachdem diese gestern endgültig abgelehnt ist, sehen wir uns gezwungen, gegen die weiteren Steuervorschläge, welche Verbrauch und Verkehr betreffen, zu stimmen. Wir werden unS an den weiteren Beratungen beteiligen und bemüht sein, Verbesserungen in die Gesetzesvorschläge hineinzubringen. Bei den Abstimmungen aber werden wir gegen die Gesetzentwürfe stimmen.(Bravo I bei den Freisinnigen.) Abg. Spahn(Z.): Ich protestiere gegen den Ausdruck, daß wir gestern Rache am Reichskanzler genommen haben. Unsere Stellung nähme war von sachlichen Erwägungen geleitet.(Bravo l im Zentrum.) Abg. Raab(wirtsch. Vg.): Ich habe gestern für die ErbschastS> steuer gestimmt und befinde mich also in gleicher Lage wie die Herren Bassermann und Wiemer. Aber die von den Herren jetzt angegebenen Gründe find außerordentlich trauriger Natur.(Lebhafte Zustimmung rechts.) In vaterländischen Kreisen wird man diese Stellung mcht begreifen.(Stürmische Heiterkeit links.) Wr werden gegen die Besteuerung des Umsatzes stimmen, weil wir unS nicht von dem Bedenken freimachen können, daß diese Steuer in hohem Maße Landwirtschaft und Gewerbe belastet.(Bravo I bei der Wirt- schastlichen Vereinigung.) Abg. Dr. David(Soz.): Meine Freunde haben nicht nötig, eine Erklärung abzugeben wie die Nationalliberalen und Freisinnigen. Unsere Stellung zu den indiekten Steuern war von vornherein klar. Ich habe mich nur zum Wort gemeldet, um anzufragen, ob die Regierung keine Er- klärung abzugeben hat I?(Schallende Heiterkeit. Staatssekretär Sydow blickt auf und setzt den Kneifer aus, nimmt ihn dann aber wieder ab und versenkt sich von neuem in seine Akten...) Damit schließt die Diskussion. Die Abstimmung über den Umsatzstempel bei Grundstücksübertragimgen ist eine kleines feuilleton. Aus dem Lande der Menschenrechte. Aus New Jork wird uns geschrieben: Die hundertjährige Wiederkehr de» Todestages Thomas Pehnes, des Helden zweier Revolutionskriege, der als der geistige Vater der amerikanischen Unabhängigkeit be zeichnet wird, ist in Amerika klang« und sanglos vorüber gegangen. Die englisch schreibenden bürgerlichen Blätter haben, mit ganz vereinzelten Ausnahmen, von dem Gedenktage kaum mit einem Buchstaben Notiz genommen, und die Feier in New Rochelle — wo das alte Peynesche Bauernhaus dieser Tage, in ein Peyne-Museum umgewandelt, dem Publikum geöffnet wurde— scheint sich mehr auf die gelehrten Kreise der Peyne-Philologie beschränkt zu haben. Sonst ehrte nur die Arbeiterpresse das Andenken des Verkünders der„Menschenrechte", der vielleicht der begeistertste und erleuchtetste Kämpfer des auffteigenden revolutionären Bürgertums war. Das bürgerliche Amerika hat Thomas Peyne vergessen. In diesem Lande herrscht der ZelotismuS der polittsierenden„Reverendö" (Geistlichen); der Atheismus schließt von der„Gesellschaft" aus, kein außerhalb der Kirche, und sei eS nur der Gesundbeter-Kirche, stehender Bürger wird Beamter, und in den bürgerlichen Sonntagsblättern fehlt neben dem gräßlichsten und blödsinnigsten Sensationsschund wohl eine ordentliche politische Information, aber nicht die spaltenlange Predigt irgend eines Gottesmannes. Diese?.freie" Land ehrt Peyne, indem es ihn totschweigt und— vor dem Menschenrecht einer harmlosen Frau, einer sozialen Schwärmerin zittert, die sich für eine Anarchistin hält: Emma G o I d m a n n. Um sie um jeden Preis am Reden zu verhindern, werden Scharen Von knüppelschwingenden Polizisten aufgeboten, Saal- besitzer werden, um sie zum Bruch der Mietskontrakte mit Emma Goldmann zu bestimmen, mit Verhaftung ihrer ganzen Familie bedroht, und die Redefreiheit existiert einfach nicht mehr! Die„Nation" scheint von einem wahnsinnigen Angstfieber vor dieser Frau ergriffen, die gegenwärtig unbedingt die gefürchtetsie Person des Landes ist. Diese Goldmannhetze ist aber nur die würdige Fortsetzung der schwach- vollen Gorkihetze und inzwischen fahren die Schulkinder fort, die Menschenrechte der Unabhängigkeitserklärung auswendig zu lernen und bei dem regelmäßigen Fahnenkultus die vorgeschriebene Formel herzusagen von der großen Republik.mit Freiheit und Gerechtigkeit für jeden.. Wie vermeidet man den Schreibkrampf? Mit dieser Frage beschäftigt sich ein französischer Arzt in einem interessanten Aufsatz, den er in der„Nature" veröffentlicht. Es scheint, daß der Schreib- krampf immer häufiger wird. Die Untersuchungen über die Ent- stehung dieser Krankheit haben gezeigt, daß bei der physischen Ueber- müdung und Ueberanstrengung'der HandmuSkeln auch der psychische Zustand des Schreibenden eine wesentliche Rolle spielt. Die Hast, die rasch dahingleitenden Gedanken schriftlich festzuhalten. treibt den Schreibenden dazu, die Bewegungen der Hand immer mehr zu beschleunigen und damit verändert er die Bedin- gungen, unter denen die Muskeln beim Schreiben ihren Dienst namentliche. Er wird nach dem Antrag der Kommission mit 171 gegen 151 Stimmen bei einer Stimmenthaltung angenommen. Die übrigen Bestimmungen des Gesetzentwurfs werden debatte- los nach den Anträgen der Kommission angenommen. Es folgt die zweite Beratung des WechselstempelgesetzrS. Die Regierung fordert eine Erhöhung der Stempel für alle Wechsel mit einer Laufzeit von läuger als drei Monaten; die Kom Mission beantragt die Erhöhung nur für die Wechsel mit einer Lauf zeit von mehr als sechs Monaten. Reichsschatzsekretär Sydow: Nach dem Antrage der Kommission ist der finanzielle Effekt des Gesetzes in Frage gestellt; ich bitte da her um Wiederherstellung der Regierungsvorlage. Abg. Kaempf(freis. Vp.): Die Erhöhung deS Wechselstempels bekämpfen wir nicht nur aus den allgemeinen, in der Erklärung von Wiemer angegebenen Gründen, sondern auch aus Volkswirt schaftlichen Gründen als eine Besteuerung des Kredits. Abg. Graf v. Mielzynski(Pole) und Abg. Dr. Weber(natl.) wenden sich gleichfalls gegen die Erhöhung der Wechselstempel- abgäbe. Abg. Frhr. v. Gamp(Rp.) befürwortet die Fassung der Kom Mission. Abg. Singer(Soz): Diese Steuer ist nicht als Besitzsteuer anzusehen, sondern als Verkehrs st euer in allerhöchstem Grade. Deshalb werden wir gegen sie stimmen. Ich benutze die Gelegenheit, um zu erklären, daß wir auch gegen die übrigen vorliegenden Steuern stimmen werden. Damit schließt die Diskussion. Die Kommissionsfassung wird angenommen. ES folgt die Fortsetzung der zweiten Beratung der Finanzgesetze. Die Beratung beginnt mit Artikel IV: Kaffee- und Tee- zoll. Für rohen Kaffee soll der Zoll auf SO M., für gebrannten und gerösteten auf 80 M. pro Doppelzentner erhöht werden; der Teezoll soll von 25 M. auf 100 M. für den Doppelzentner erhöht werden. Außerdem soll aller beim Inkrafttreten des Gesetzes im freien Wer- kehr befindlicher Kaffee und Tee mit 20 resp. 76 M. nachverzollt werden. Abg. Dr. Pachnicke(fts. Vg.): In der Kommission hat man an den Ersatz des Kaffees durch Surrogate in keiner Weise gedacht. Der Konsum dieser Surrogate wird bei Erhöhung des Kaffeepreises erheblich zunehmen. Ebensowenig hat man daraus Rücksicht ge- nommen, daß der Alkoholkonsum durch erhöhten Kaffeekonsum stark zurückgegangen ist. Dieser Entwickelung wirkt die Verteuerung des Kaffees entgegen.(Sehr wahr I links.) Wie flüchtig die Kommission gearbeitet hat, erhellt aus dem letzten Abschnitt des Gesetzes, wo es heißt, die Vorschriften des Absatz 4 finden auf die Nachverzollung von Tee entsprechende Anwendung. Und dabei existiert gar kein Absatz 41(Große Heiterkeit links.) Abg. Dr. Rösicke(k.): Ich fteue mich, daß der Vorredner nichts weiter an dem Gesetz auszusetzen findet als den von ihm gerügten Druckfehler: Abs. 4 statt Abs. 3. Abg. Molkenbuhr(Soz.): Daß derartige Druckfehler bei der Arbeitsweise der Kom- Mission unvermeidlich sind, liegt klar auf der Hand. Man muß nur bedenken, um was es den Herren zu tun war; sie wollten schleunigst eine Reihe von Gesetzen zustande bringen, die den Effekt haben, die Armen auf das schwerste zu belasten und die Reichen fteizulassen. Da greifen sie schnell nach jedem beliebigen Arttkel. Natürlich kann da bei jedem einzelnen Gesetz der Beweis erbracht werden, mit wie seltener Sachunkenntnis ge« arbeitet ist. Daß man mit diesen Gesetzen die Armen ausplündert, ge- schieht zu dem Zweck, bei den Reichen den Familiensinn zu erhalten, der bei ihnen ja davon abhängig ist, daß sie keine Steuern zahlen. (Sehr richtig! links.) Wenn Steuern zu zahlen sind, geht der Familien- sinn in die Brüche. Ich bin mit diesen Familien nicht näher bekannt, aber die Herren, die gestern gesprochen haben, haben ja behauptet, daß der Familiensinn in engster Beziehung zu dem Manko im Geld- beute! steht, und da wird es wohl wahr sein.(Sehr richtig I bei den Sozialdemokraten.) An 10 000 M. darf auch nicht ein Prozent fehlen, sonst geht der Fannliensinn zum Teufel. Diese Herren hätten wohl auch an den Familiensinn der Familien denken können, in denen viel Kaffee getrunken wird. Aber ihr Familiensinn kommt ja nur da vor, wo mehr als 10 000 M. Erbschaft zu haben ist! Bei versehen. Jeder Mensch bringt je nach seiner Handschrift eine be- stimmte Muskelgruppe der Hand in eine bestimmte Tätigkeitsform; die Art, die Feder zu halten, die Handschrift, die Form des Arbeits- tisches, die Haltung des Unterarmes, all das ist von wesentlichem Einfluß darauf, welche Handknöchel und Armmuskel angestrengt werden. Um nun daS Schreiben weniger anstrengend zu machen. kommt alles darauf an, die Arbett unter den verschiedenen Muskeln so viel als möglich zu verteilen und zu wechseln, damit jeder Anstrengung auch eine Ruhepause folgt. Daß dies nicht geschieht, das ist die Ursache des Schreibkrampfes. Und daraus erklärt sich auch, daß alle Mittel gegen den Schreibkrampf, Massage, Elektrizität usw., nie dauernde Abhilfe schaffen.„Wenig, langsam, rund, groß, steil," das sind die fünf Worte, die jeder im Auge haben soll, den sein Beruf dazu zwingt, täglich längere Zeit zu schreiben. Wen unter dem Schreibkrampf zu leiden hat, soll wenig schreiben, d. h. nach einer Weile eine kleine Pause machen, um den Muskeln Erholung zu gönnen. Das rasche Schreiben wird oft zum Anlaß des Krampfes, weil die hastigen Bewegungen ge- waltsame Muskelkontraktionen herbeiführen. Mit dem Worte„rund" ist gemeint, daß man scharfe Ecken in der Schrift so viel als möglich vermeiden soll. In allen eckigen Schriften zeigen die Schriftzeichen eine viel genauere und größere Aehnlichkeit als in den anderen: das heißt daß die Muskelbewegung stets die gleiche bleibt. Groß schreiben soll man deshalb, weil die Muskeln um so mehr ausruhen, je größer die Buchstaben sind. Ueber die Vorzüge der Steilschrift ist in letzter Zeit viel gesprochen worden. Bei ihr liegt die Hand etwas einwärts gebeugt, während sie sich bei der Schrägschrift nach außen abbiegt; zahlreiche Versuche haben gezeigt, daß die Einwärts- stellung der Hand ungleich weniger anstrengend ist als die andere Haltung. Theater. Reinhardt in München . Was„Hamlet " erst ahnen ließ, haben nun die beiden folgenden Aufführungen:„Sommer- nachtStraum" und noch mehr„Faust I" vollauf bestätigt. Nämlich daß Reinhardt, dem Regisseur und seinen Darstellern der schmale kurze Bühnenstreifen des Münchener Kiinstlertheaters zu klein und eng ist„Hart im Räume stoßen sich" die Reinhardtschen Ge- danken. Die leichten Füße, die Tanzrhythmen, die die liebesselige und faunstolle Reinhardtsche„Nachdichtung"(wie einzelne Berliner Kritiker übertreiben) des„Sommernachtsttaums" in Berlin be- schwingen sollen, sie kamen in München ebensowenig zur Geltung wie die für ganz andere Dimensionen berechneten Welserschen Dekorationen. Genial wie immer war die E y s o l d t als Puck, ein ungenhafter fescher Kobold, der alles Feenhafte der Puck- Tradition abgestreift hatte. P f i tz n e r war recht überflüssig am unsichtbaren Dirigentenpult. Aber die Berliner und die Münchener Pfitzner- Clique hatten auch dieses Gastspiel durchgesetzt.— Ziemlich allgemein hat„Faust" enttäuscht. Einzelne Glanzleistungen wie M o r s s i S laust(der als Denker besser war wie als Genußmensch)� Wegeners Mephisto, Else Heims als Gretchen, Arnold als Wagner; aber dem Ganzen fehlte der innere Zusammenhalt und Zusammenklang. Eine Probe ist auch entschieden zu wenig für„Faust" in un- gewohntem Rahmen. E i I e r S Dekorationen find mit allen Fehlern 9999 M. ist er schon nicht mehr vorhanden. Sie sollten doch bedenken, daß in den meisten Familien der Kaffee fast das einzige Genußmittel ist und daß gerade der Kaffee dazu dient, den Farvmen- sinn zu heben. Wenn z. B. auf dem Lande ein altes Mütterchen ihre Kinder und Enkel zu sich lädt zu einer Tasse Kaffee, so tragen solche Zusammenkünfte, so wenig Sie das auch begreifen mögen, dazu bei, den Familiensinn zu pflegen. Sie aber sagen da: Solch ein altes Mütterchen muß Steuern zahlen I Schon jetzt zahlt sie ja eine hohe Steuer. Rechnen wir ihren Kaffeeverbrauch auf durchschnittlich ein halbes Pfund pro Woche, so wird sie jetzt schon mit 7,80 M. zur Steuer herangezogen. Wie würden Sie schreien, wenn Sie einen solchen Prozentsatz Steuer zahlen sollten wie eine solche arme Frau? Jetzt aber soll diese alte Frau noch 2,60 M. mehr bezahlen. Der kann man das ja ruhig abnehmen, bei ihr ist ja kein Familiensinn zu zerstören wie bei den reichen Leuten I Diesen Kaffeezoll kann man direkt bezeichnen als eine Steuer zur Pflege des Fainilicir- sinnS.(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Aber das ist nach den christlichen Begriffen des Zentrums etivas ganz Natürliches. (Sehr gut! bei den Sozialdemokraten.) Nun sagt man, auch jetzt schwanke der Kaffeepreis. Gewiß, in den Jahren 95 und 96 stieg er, aber zugleich fiel der Kaffeekonsum sehr erheblich, und als 1397 der Kaffeepreis wieder zurückging, ging der Konsum sofort wieder in die Höhe. Ferner verweist man auf den höheren Kaffeezoll in anderen Ländern. Man hätte uns nur auch die Verbrauchsziffern angeben sollen. In Amerika existiert keine Kaffeesteuer, und dort ist der Kaffeeverbrauch am höchsten. Auch Belgien und die Niederlande haben bei niedrigem Kaffeezoll einen hohen Kaffeeverbrauch, Italien dagegen mit einem hohen Kaffeezoll hat nur einen Verbrauch von Va Kilogramm pro Kopf, also nur den 6. Teil des Verbrauches von Deutschland . Und Rußland mit seinem noch höheren Zoll hat sogar nur einen Verbrauch von V« Kilogramm pro Kopf. Gerade der Arbeiter wird durch diese Steuer getroffen. Der Feuer- arbeiter z. B. hat kein anderes Getränk als den Kaffee, er muß bei seiner schweren Arbeit Kaffee trinken. Herr Pachnicke sprach sich für die Zollfreiheit des Kaffees aus, weil der Kaffee ein Mittel ist, den Alkoholgenutz zu vermindern. Wenn die Herren rechts ein Mittel wüßten, den Alkoholverbrauch zu st e i g e r n, so würden sie das gewiß anwenden.(Lebhafte Zu- stimmung links.) Wenn Sie die Liebesgabe aus der Welt schafften, würde ja der ganze Familiensinn der Agrarier und des Zentrums zum Teufel gehen. Dieser Familiensinn kann nur durch Schnaps aufrecht erhalten werden(Lebhafte Zustimmung links), weil die Agrarier dadurch hohe Einnahmen haben. Deshalb ist es verständlich, daß sie dem Fortschreiten des Kaffeegenusses entgegentreten.(Sehr wahr! bei den Sozialdemo- kraten.) Von den Einnahmen des Kaffeezolles fließt ja auch ein erheblicher Bruchteil als Liebesgabe in die Taschen der Agrarier. Der Zoll wird ja nicht immer in barem Gelde bezahlt, sondern auch mit Einfuhrscheinen. In den letzten vier Jahren und vier Monaten sind 19 Millionen an Kaffeezoll mit Einfuhrscheinen bezahlt, und da muß man einen recht hohen Kaffeezoll haben, denn sonst könnte es ja kommen, daß solche Einfuhrscheine nicht verwendbar sind und die Liebesgabe dadurch in Gefahr kommt. Zu begreifen ist auch, daß Sie den afrikanischen Kaffee etwas weniger treffen wollen, denn diesen trinken ja nicht die Armen, sondern die reichen Leute, weil er etwas teurer ist. Run wird gesagt, wir wollen mit dem Kaffeezoll Brasilien wessen, das uns mcht so behandelt wie die Vereinigten Staaten . Möglicherweise werden einige brasilianische Kaffeehändler geschädigt, aber weit größer ist die Schädigung unseres eigenen Volkes.(Lebhaste Zu- stimmung bei den Sozialdemokraten.) Für den Teezoll kommt Eng- land in Frage, denn der größte Teil des in Deutschland verbrauchten TeeS kommt aus Großbritannien . Aber hier gilt dasselbe wie bei dem Kaffeezoll. Ich glaube ja nicht, daß Sie Gründen zugänglich sind.(Sehr wahr! links.) Aber ich habe meine Ausführungen ge- macht, um vor dem Lande festzustellen, welche Art von Christlichkeit bei der Mehrheit dieses Hauses ist.(Lebhaftes Bravo! bei den Sozialdemokraten.) Abg. Dr. Spahn(Z.) bestreitet, daß eine Erhöhung des Kaffee« zollS zur Erhöhung des KaffeepreiseS führen werde. Abg. Frhr. o. Gamp-Maffauen(Rp.) bestreitet, daß die Kommission flüchtig gearbeitet habe; die Frage deS Kaffeezolls sei nach allen Seiten erwogen worden.(Zuruf links: Aber wie?) Der Tee sei kein Getränk des kleinen Mannes.(Lachen links. Zuruf bei den Sozialdemokraten: Dem Schnaps darf keine Konkurrenz gemacht werden!) und Vorzügen die gleichen vom Vorjahre geblieben. Auffällig find die üblen Striche(Tanz beim Osterspaziergang, Szene: Wald und Höhle, Walpurgisnacht). nr. Humor and Satire. Di« Wahlschlacht aus dem Dach«. Eine lustige Wahlgeschichte, die sich in Amsterdam zugetragen haben soll, schildert die„Franks. Ztg." nach einem Amsterdamer Handelsblatt. Der Schauplatz ist ein Haus am Frederik Hendrik- Platz, handelnde Personen: der Bewohner des dritten Stockes sowie der Eigentümer des Hauses. Der dritte Stock liegt direkt unter dem Dach, sein Bewohner, der ein Anhänger des sozialistischen Kandidaten Vlieaen ist, klebt ein großes Manifest vor sein Fenster, in dem sein Kandidat aufs wärmste empfohlen wird. Der Hauseigentümer, dessen Kandidat der antirevolutionäre Herr de Vries ist, sucht nun ebenfalls nach einem Mittel, um den Namen seines •avoriten anzubringen, und er befestigt ein großes Schild auf dem )ach, unmittelbar über der Wohnung des Sozialisten. Dieser rast wütend die Treppe herunter zum Hauseigentümer; und eS entspinnt sich folgendes Gespräch: Der Herr vom dritten Stock:„Mynhcer! Ich habe die Wohnung gemietet, und Sie haben kein Iota darin zu sagen, und wenn Sie hundertmal der Hausbesitzer sind I" Der Hausbesitzer:„Mynheer l Sie haben die Wohnung von innen gemietet und nicht von außen, und wenn mir's einfällt, be« klebe ich das ganze Dach von oben bis unten mit Orangepapier l" (Orange ist die Farbe der Oranier. als deren einzige Verehrer die Antirevolutionäre sich ausgeben.) Der Herr vom dritten Stock geht nach HauS, nimmt seinen Topf mit Kleister, steigt auf daS Dach, und kurz darauf ver- schwindet der Name„de VrieS" und der von„Vliegen" erscheint. Em paar Stunden später kommt der Hauseigentümer auf das Dach, und nun predigt das Dach wieder, daß die Menschheit Herrn de Vries wählen müsse oder sich unglücklich mache. Es entsteht ein heftiger Streit zwischen dem Herrn vom dritten Stock und dem Hausbesitzer. Beide laufen zum Advokaten, um zu wissen, wer das Recht auf das Dach habe. Es scheint, daß der HausbeiiNer im Vorteil ist. Kurz, der Name de VrieS bleibt. Aber nun erscheint plötzlich zwischen den Fenstern deS dritten Stockes ein Riesenplakat, worauf zwei deutende Hände gemalt sind. Die eine weist nach dem Namen des Dachkandidaten de Vries, und unter der Hand steht riesengroß geschrieben:„So wählen die Hausagrarier I" Die andere Hand zeigt nach dem sozialistischen Manifest am Fenster vom dritten Stock. und die gewalttge Schrift unter der Hand sagt:„Und so wählen die Bewohner unseres Bezirkes!"_ � Notizen. — In der Marwitz- Oper wurde am Donnerstag A. Adams komische Oper„KönigfüreinenTag", die im vorigen Jahre hier zuerst wieder ausgegraben war, zum ersten Male aufgeführt. Das liebenswürdige Werk, dessen Wiedererstehung dank« bar zu begrüßen ist, fand freundlichen Beifall.
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