BauernbereinS gegenüber hat unser Kaiser gesagt:„Mit ernster Arbeit wird uns mehr gedient als mit Phrasen und leeren Worten." sSehr richtig I) Und demselben Verein gegenüber hat er gelobt, er werde getreu dem Vorbilde seiner Vorfahren dem Bauernstande stets sein besonderes Wohlwollen angedeihen lassen. Beneidenswertes Volk, das einen solchen Lerr- scher besitzt." Diese Rede ist allerdings stark nationalliberal gefärbt. Sie ist erzhakatistisch.„national",„monarchisch". Daß sie zollwucherisch ist, verschlägt ja den Nationalliberalen nicht das geringste, preist doch heute die„N a t i o n a l- Z t g." die nationalliberalen Verdienste um das Zustandekommen des Zollwuchertarifs als ganz besonderen Ruhmestitel der Nationalliberalen. Die Freisinnigen dürften von dem Geist des neuen Baucrubundes weniger erbaut sein, wenn auch die„National-Ztg." behauptet, daß Herr G o t h e i n mit seiner entschiedenen Gegnerschaft gegen den Zollwucher im Freisinn ziemlich isoliert stände. Die Konservativen aber ernten jetzt die Früchte ihrer Polenpolitir. Sie war ihnen willkommen, solange sie dazu diente, ihre verschuldeten Güter weit über ihren Wert hinaus an die Siedelungskommission loszuschlagen und abhängige Arbeitskräfte seßhaft zu machen. Jetzt aber verlangen die Ansiedler die restlose Austeilung der angekauften Güter unter der Bauernschaft und energische Fortsetzung der Auf- teilung des Großgrundbesitzes und obendrein große poli- tische Rechte, um sich der Bevormundung der Junker in Gemeinde- und Kreisvertretimg erwehren zu können. Kein Wunder, daß bei den letzten Ostmarkenverhandlungen im preußischen Landtag die konservativen Redner die Regierung ersuchten, die Siedelungspolitik künftig nicht zu forcieren. Es ist angesichts dieser Situation in der„Ostmark" gar nicht ausgeschlossen, daß die Nationalliberalen den Junkern in Gestalt des neuen Bauernbundes einen schmerzenden Pfahl ins Fleisch bohren können. Für die politische Entwicke- lung im allgemeinen ist freilich die Schaffung des neuen Bauernbundes völlig belanglos, denn auch das im national- liberalen Fahrwasser segelnde Landbündlertum ist ein e r z- reaktionäres Gebilde. poUtifcbc ücbcrficbt Berlin , den 6. Juli 1309. Die«eue Kompromiststeuer. DkSnStag fanden neue Verhandlungen mit den Mehr- heitsparteien statt, an denen nicht nur die Finanzminister der Einzelstaaten, sondern auch mehrere Ministerpräsidenten teil- nahmen. Die Minister berieten die Kompromißvorschläge des schwarzen Blocks über die Börsensteuern. Vor allem handelt es sich um den Ersatz der Kotie- rungssteuer und in diesem Punkte ist das Kompromiß zu- stände gekommen. Wie kurz vor Schluß des Blattes bekannt wird, haben die Parteien des schwarzen Blocks für die morgige Be- ratung des Reichsstempelgesetzes Abänderungsanträge ein- gebracht, die an Stelle/ der Kotierungssteuer eine Steuer auf die Gewinnanteilscheine und Zinsbogen setzen. Es handelt sich da um die Besteuerung der den Aktien gewöhnlich für je 1l> Jahre beigegebenen„Coupons", gegen deren Ablieferung die Zinsen oder Dividenden ausgezahlt werden. Diese Couponbogen sollen von jetzt an versteuert werden, und zwar beträgt der Steuer- satz für in- und ausländische Aktien 1 Proz. vom Nominal- wert des Aktienkapitals, bei den Zinsbogen inländischer Renten- und Schuldverschreibungen, ausländischen Staats-, Kom- munal- und Eisenbahnanleihen, ausländischer industrieller Obligo- ckionen Va Proz. Die Zinsbogen inländischer Kommunalanleihen, Grundkredit- und Hypothekenbanken oder der Eisenbahngesellschaften zahlen 2 pro M j l l e. Steuerfrei bleiben die deutschen Reichs- und Staatsanleihen, ferner gemeinnützige Aktiengesell- schaften sowie Zinsbogen, die bei der ersten Ausgabe der Wert- papiere mit diesen in Verkehr gesetzt werden. Das Gesetz hat keine rückwirkende Kraft, so daß Zinsbogen, die vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes ausgegeben sind, nicht nachbesteuert werden brauchen. Dieses Gesetz bedeutet zunächst eine andere Form der KotierungS- steuer. Statt daß die Steuer alljährlich vom Nominalkapital gezahlt wird, wird sie jetzt für 10 Jahre auf einmal erhoben. Jedoch hat der schwarze Block sich zu großen Zugeständnissen in den Steuersätzen herbeigelassen. Der Betrag, der durch die Kotierungssteuer aufgebracht werden sollte, wird durch diese neue Steuer auch nicht im entfernte st en erreicht werden. Die Kotierungssteuer war aber die einzige Steuer, die, wenn auch eine einseitige und verkehrsschädliche, so doch eine Besitz. steuer war. Das Kompromiß besteht also in nichts anderem, als daß der Schnapsblock die Steuerreform fast ausschließlich mit in- direkten Steuern macht und das Verlangen der Regierung auf Schonung des mobilen Kapitals in der Hauptsache erfüllt. Perfider und verräterischer an den Interessen des Volkes konnten Konserva- tive und Zentrum gar nicht mehr handeln. Die schlimmsten Vor- aussagungen haben sich erfüllt. In gleicher Weise hat der schwarze Block der Regierung auch darin nachgegeben, daß er den Effektenstempel, der in der Finanzkommission wesentlich erhöht worden war, zum großen Teil wieder nach den Borschlägen der ursprünglichen Regierungs- Vorlage herabgesetzt hat. Außerdem wird das Scheck- g e s e tz noch dadurch verschlechtert, daß die bereits abgelehnte Quittungssteuer neuerdings vorgeschlagen wird. So ist es denn gekommen, wie wir es vorausgesagt haben: Die Finanz- reform des schwarzen Blocks bedeutet nichts anderes als die Plünderung der BolkSmassen und fast völlige Steuerfreiheit des Besitzes. Gerstenfärbung und Zündholzsteuer. Aus dem Reichstag , 6. Juli. Ehe der Schnapsblock heute seinen Plünderungszug fortsetzte, wurde zunächst noch eine agrarische Nebcnfordcrung durchgedrückt. Es handelte sich um den„Gesetzentwurf betreffend die zollwidrige Verwendung v o n G e r st e". dessen zweite Lesung zwischen die Lesungen der Finanzgesetze eingeschaltet war. Die Vorlage der Regierung hatte Bestimmungen verlangt, die Ausnutzung der zu dem ermüßigten Zollsatz eingeführten Futtergcrste zu Brau- zwecken durch Strafbestimmuugen zu erschweren. In der Kommission war eine Bestimmung eingefügt, daß die Futter- gerste durch einen roten Farbstoff für Brauzwecke unbenutzbar gemacht werden solle. Trotzdem der Regierungsvertreter Kühn nachwies, daß eine solche Bestimmung dem russischen Handelsvertrag zuwiderläuft, hielten die Agrarier daran fest. Genosse Stolle erörterte gründlich alle Nachteile, die gerade dem Kleinbauern aus der vexatorischen Behandlung der tuttermittel erwachsen müssen. Ebenso gingen die Freisinnigen o t h e i n und C a r st e n s dagegen ins Zeug. Der Zen - trumsabgeordnete Heim vertrat demgegenüber den Stand- Punkt, daß den Bauern die Kennzeichnung der Fnttergerste nur angenehm sein könne. Nach längerer Debatte wurde durch Schlußantrag die Weitererörterung der Frage abge- schnitten, und dann fanden die einzelnen Gesetzesparagraphen Annahme. Die Sozialdemokraten hatten noch einen Antrag eingebracht: die Aufhebung der Etnfuhrscheine für Getreide an dieses Gesetz anzuhängen, was Genosse S ü d e k u m kurz begründete. Dagegen erklärten sich aber sogar die Freisinnigen, so daß nur die Sozialdemokraten dafür stimmten. Ohne Debatte wurde dann die von der Regierung vorgelegte unglückselige Elektrizitäts- und Gassteuer. die soeben in der Kommission abgelehnt war, endgültig ver- scharrt. Das gleiche Schicksal erfuhr die Anzeigen st euer, doch führte Genosse Dietz vorher noch alle Gründe auf, die für die Kulturschädlichkeit einer solchen Besteuerung sprechen. Als dann die Diskussion über die zweite Lesung des Reichs st empelgesctzes eröffnet war, beantragte namens der konservativen Partei Graf Westarp , die Vorlage von der Tagesordnung abzusetzen, da noch einige„Ab- änderungsanträge in Vorbereitung" seien. Genosse Singer widersprach diesem Ansinnen, indem er in kräftigen Worten die ganze Steuerpfuscherei des Schnapsblockes brandmarkte. Die Schärfe seiner Ausdrücke wurde ihm vom Präsidenten durch einen Ordnungsruf attestiert. Bei der Abstimmung siegte natürlich der kompakte Block. Nunniehr kam der Kommissionsentwurf betreffend die Zündholzbesteuerung an die Reihe. Jede Schachtel Streichhölzer soll mindestens 1 Pfennig Steuer tragen. Bei Wachskerzchen steigert sich die Steuer auf 5 Pfennig. Nicht weniger als 25 Millionen Mark hofft man auf diese Weise dem Publikum alljährlich abzunehmen. Genosse S ch w a r tz- Lübeck wies in eindrucksvoller Rede nach, wie diese Steuer geradezu als eine Kopfsteuer die Bevölkerung belaste und deshalb gerade die Armen unverhältnismäßig schwerer treffe als die Reichen. Die Negierung schwieg sich aus. Offenbar ist sie bereit, auch dieses Unding von Steuer zu akzeptieren, um Geld in die Finger zu bekommen. Bei der Abstimmung über diese lichtfeindliche Steuer siegte wieder der Schnapsblock. Morgen soll nach dem Willen der Mehrheit bereits um 12 Uhr die Steuerpsuscherei weiter betrieben werden. Schließung des Reichstags? Wie in parlamentarischen Kreisen verlautet, besteht die Ab- ficht, den Reichstag nicht zu vertagen, sondern zu schließen. Matzgebend dafür soll der Wunsch sein, dem neuen Reichskanzler völlig fteie Hand zu lassen. Mit dem Schluß des Reichstages würden all die bedeutenden Vorlagen, die teilweise in den Kom- Missionen bereits durchberaten sind, unter den Tisch fallen und müßten bei Beginn der neuen Session dann neuerdings eingebracht werden. Von anderer Seite wird behauptet, daß der Schnaps- block aus dem Grunde die Schließung des Reichstages wünsche, damit im kommenden Herbst das Präsidium neu gewählt werden müsse, womit dann die Möglichkeit gegeben wäre, die Vize- Präsidenten P a a s ch e und K a e m p f von ihrem Amte zu ent- fernen. Es ist also kaum anzunehmen, daß die Konservativen darauf verzichten, den ersten Präsidenten zu stellen, und das Zentrum wird sich kaum damit einverstanden erklären können, wenn ihm als der stärksten Fration zugemutet werden sollte, sich mit dem ersten Vizepräsidenten zu begnügen. Schnapsblock und Antibeamtenblock. Einen„Antibeamtenblock" nannten bekanntlich die Wortführer der Beamten in jener denkwürdigen Berliner Beamtenversammlung den Block sämtlicher bürgerlichen Par- teien, die im preußischen Abgeordnetenhaus einmütig die weitergehenden sozialdemokratischen Forderungen nieder- gestimmt hatten. Durch das energische Auftreten der Beamten beunruhigt. beschloß nun am 4. Mai die Budgetkommission des Reichs- tages ebenso einmütig, den Forderungen der Beamten im Reiche weiter entgegenzukommen, als das in Preußen geschehen war. Aber diese Beamtenfreundlichkeit ist seitdem wieder bedenklich ins Wackeln geraten. Herr Erzberger hat bereits zweimal seine Bereitwilligkeit zur Preisgabe nament- lich der Unterbeamten erklärt. Und die„Kreuz- Zeitung " fordert heute gleichfalls mit aller Entschiedenheit die Preisgabe der Kommissionsbeschlüsse, d. h. der Unter- beamten. Sie schreibt: „Vor mehreren Tagen war die Rede davon, über die Vor- läge betreffend die Besoldungsaufbesserung für die Reichs- beamten sei zwischen den Fraktionen und der Regierung ein Kompromiß abgeschlossen worden. Diese günstige Nachricht er- wies sich als unzutreffend. Wie die gestrigen Beratungen in der Budgetkommission zeigten, sind vielmehr noch sehr erhebliche Differenzen zwischen den Vertretern des Reichstages und denen des Bundesrates vorhanden, Differenzen, die zum Scheitern der Vorlage führen müßten, wenn es nicht gelänge, sie auszu- gleichen. Im Interesse der Reichsbeamten, die das Recht haben, endlich die ihnen längst erteilten Zusagen betreffend die Erhöhung ihrer Bezüge erfüllt zu sehen, ist die Verabschiedung der Vor- läge in kürzester Frist dringend zu wünschen. Wir stehen des- halb nicht an, unsere Ueberzeugung dahin auszusprechen, daß diejenige Partei, die aus dem Banne der bisheri- gen Kommisfionsbeschlüsse heraustreten und sich zu einem Entgegenkommen an die wahrlich nicht ganz unberechtigten Forderungen der Regie- r u n g e n entschließen wollte, um das Scheitern der Besoldungs- Vorlage zu verhindern, sich ein hohes Verdienst gerade um die Beamtenschaft selbst erwerben würde." Und zum Schluß äußert das führende konservative Organ: „Wir können deshalb nur den dringenden Wunsch aussprechen, daß zwischen der Finanzreformmehrheit des Reichs- tags und der Regierung recht bald eine Vereinbarung erzielt werden möchte." Die„Kreuz-Zeitung " fordert also die Finanzreform- Mehrheit, den Schnapsblock, auf, sich baldigst auch zum Antibeamtenblock zusammenzufinden! Die Feinde der Erbschaftssteuer. Es ist sicher nicht ohne Interesse, an der Hand der Ab- stimmungsliste sich die Herren etwas näher anzusehen, die im Reichstage gegen die Erbanfallsteuer gestimmt haben. Ordnet man sie nach Berufen, so ergibt sich folgendes Bild: Gutsbesitzer 42, Rittergutsbesitzer 36, Geistliche 22, Richter aller Grade, vom Amts- richter angefangen bis hinauf zum OöerlandeSgerichts- Präsidenten Dr. Spahn, 20, Rechtsanwälte 16, Redakteure 12, Beamte 12, Handwerker 8, Rentiers 5, Professoren 3, Lehrer, Verbandssekretäre, Gewerkschafts- beamte. Kaufleute und Fabrikbesitzer je 2. Ferner is ein General a. D., Arzt, Bibliothekar, Bürgermeister, Mühlenbesitzer und Maler(Antisemit Bindewaldt). Betrachtet man sich das Bild nach den Titeln der Erb- schaftssteuergegner, so findet man dieses Resultat: ein Herzog, drei Fürsten, neun Grafen, sechs Freiherren und dreißig von ganz gewöhnlichem Adel. Die Mehrheit der Gegner der Erbschaftssteuer besteht somit vornehmlich aus Junkern. Gegen den Arbeitszwang in Preußen. Wie bereits telegraphisch gemeldet, haben die Sozial- demokraten im österreichischen Abgeordneten- haus über die Behandlung der österreichischen Arbeiter in Preußen eine Interpellation eingebracht. Dem jetzt vor- liegenden Wortlaut entnehmen wir folgende Stellen: Die Gefertigten haben schon wiederholt di-e Intervention der österreichischen Regierung zum Schutze der österreichischen Arbeiter im Deutschen Reiche, insbesondere in Preußen, der- langt und daraus hingewiesen, daß die Verordnung der prenßi- schen Regierung, durch welche den österreichischen Arbeitern die Pflicht auferlegt wurde, gegen Erlag einer Steuer von 2 Mark sich eine A u s w e i s k a r t e zu verschaffen, und die Praxis der preußischen Verwaltungsbehörden, die jeden österreichischen Arbeiter ausweisen, der nach ihrer Ansiaft kontraktbrüchig wird, dem Handelsvertrag zwischen Oesterreich-Ungarn und dem Deutschen Reiche Widerspricht. Die schweizerische Gesandtschaft in Berlin hat mehrere in Berlin wohnende Schweizer Bürger angewiesen, sich dem Legitimationszwang nicht zu unterwerfen und daZ Weitere abzuwarten. In den letzten Tagen ist dieselbe Angelegenheit von dem Abgeordneten Turati in der italienischen Kammer zur Sprache gebracht worden. De « italienische Minister des Aeutzern, Herr T i t t o n i, teilte mit, daß die italienische Regierung bc- reits ihrem Botschafter in Berlin den Auftrag gegeben hat, Ver- Wahrung gegen diese Verordnung einzulegen. Tittoni er- klärte, seiner Meinung nach sei die Forderung einer Steuer von 2 M. und die Vollziehung der Ausweisung, die den kontraktbrüchigen Arbeitern angedroht ist. Vertrags- widrig. Die Regierungen des Deutschen Reiches hätten kein Recht, gegen ausländische Arbeiter Maßregeln anzu- wenden, die die inländischen Arbeiter nicht treffen. Die italic- nische Regierung plane, die Angelegenheit, falls sie durch die Verhandlungen mit den Regierungen des Deutschen Reiches nicht geordnet werden könne, einem Schiedsgericht vorzulegen. Die österreichischen Arbeiter sind durch die vertragswidrige Veroldnung der preußischen Regierung in demselben Matze gc- troffen wie die reichsitalienischen. Die Gefertigten verlangen daher, daß die österreichische Regierung nicht minder energisch als die italienische die Interessen der österreichischen Staats- bürger, die im Deutschen Reiche Arbeit suchen, vertrete. Aus diesen Gründen stellen die Gefertigten tie Frage: Ist die Regierung bereit, dem Abgeordnetenhause mitzuteilen, welche Maßregeln sie zum Schutze der österreichischen Arbeiter in Preußen bisher getroffen hat und was sie zu tun gedenkt, um die preußische Regierung zur Einhaltung des Handelsvertrages zu veranlassen? So bringt die Gefügigkeit der preußischen Regierung auch gegen die rechtswidrigsten Wünsche der Agraxier Deutsch - land im Auslande nur Schande und Schaden. Ein Massenmißhandlungsprozeß beschäftigte am Montag das Oberkriegsgericht des GardekorpS . Unter der Anklage der fortgesetzten Mißhandlung seiner Unter- gebenen hatte sich der Sergeant Riehmke von der 2. Kompagnie deS Kaiser Franz-Garde-Grenadier-RegimentS zu verantworten. Die Anklage nahm mindestens ISS Fälle von Mißhand- lungen, begangen im Dienste und teilweise unter Mißbrauch der Waffe, an. Monate hindurch hat der Angeklagte seine Untergebenen zum Teil in der rohsten Weise mißhandelt. Fast sämtliche Leute der Korporalschaft hatten unter dem Vorgehen des Sergeanten zu leiden. Einer der Grenadiere. Schwedeshagen. wollte die Mißhandlungen nicht mehr länger ertragen und i n d c n Tod gehen. Er wurde eine» TageS fahnenflüchtig und wollte sich erhängen, um auf diese Weise den Ausschreitungen seines Vor- gesetzten zu entgehen. Er wurde aber wieder ergriffen rnii wegen Fahnenflucht abgeurteilt. Erst durch diese Affäre kamen die Miß- Handlungen anS Tageslicht. Keiner der Geschlagenrn hatte es gc- wagt, sich zu beschweren. Sie alle glaubten, daß eS ihnen dann nur noch schlimmer ergehen werde und so schwiegen sie sämtlich. Tagtäglich sich lug Riehmke! Er traktierte die Leute mit Ohrfeigen, Faustschlägen, mit Fußtritten, Säbel- hieben usw. Das, wog ihm zunächst lag, benutzte er zur Aus- sührung seiner Mißhandlungen. Die Feststellung der einzelnen Fälle war gar nicht mehr möglich. Es mutzten Mindestfälle angc- nommen werden. Am meisten hatten die Grenadiere Schwedcs- Hagen und Meier zu leiden. Bei dem letzteren nahm die Anklage mindestens 50— 60 Fälle an. Schwedeshagen wurde etwa 16 Wochen hindurch wöchentlich drei- bis viermal mißhandelt. Er erhielt Schläge ins Gesicht mit dem Pantoffel, Stöße vor die Brust usw. Von besonderer Roheit zeugt ein Fall, der den Grenadier D e i ck e betrifft. Riehmke befahl dem Deicke, sich auf dem Schemel niederzulegen. Als sich Deicke sträubte, legte Riehmke ihn über den Schemel und schlug ihn mit dem Seitengewehr. Ein anderes Mal versetzte er dem Deicke, der infolge Ueberanstrengung im Dienst mit den Knien gezittert hatte, einen Faustschlag ins Ge- ficht, daß das Blut aus der Nase floß. Einer der Zeugen bc- kündete, daß der Angeklagte kaltblütig zugeschlagen habe. Dagegen sagten einige als Entlastungszeugen vernommene Unteroffiziere aus, daß der Angeklagte sehr nervös gewesen sei. Der frühere Unteroffizier Steinte hatte öfter Gelegenheit, die Mißhandlungen des Sergeanten zu beobachten. In einem Falle sah er, wie sich ein Grenadier vor Schmerz krümmte. Steinke vermochte die Mißhandlungen nicht mehr mit anzusehen und verließ das Zimmer. Die Angabe des Angeklagten, daß der Feldwebel ihn zum Schleifen der Leute aufgefordert habe, sei un» richtig. Dep Feldwebel habe gesagt, die Mannschafte» sollten etwas schärfer herangenommen werden, weil die Korporal- schaft zu schlapp sei. Vergeblich hatte der Zeuge den Angeklagten ermahnt, die Mißhandlungen zu unterlassen. Auch der als Zeuge vernommene Feldwebel bekundete, daß er immer wieder die Unter- offiziere ermahnt habe, die Leute nicht zu schlagen. Er habe den Angeklagten wohl angehalten, wieder Zucht und Ordnung in sein: verlotterte Korporalschaft zu bringen, aber niemals habe er ihr» gesagt, die Untergebene» zu schleifen oder gar zu schlagen. Wäh- rend der Vernehmung der Grenadiere kamen noch weitere Miß- Handlungsfälle ans Tageslicht. Fast alle Grenadiere bekundete» übereinstimmend, daß sie aus Furcht vor weiteren Mißhandlungen keine Anzeige erstatteten. Als einer der Soldaten eines TageS nach einer Mihhaydlung einem Gefreiten gegenüber äußerte, er Werve es jetzt zur Meldung bringen, erfuhr dies der Angeklagte. Er suchte den Grenadier auf und schlug ihm ins Gesicht. In den meisten Fällen hat der Angeklagte ohne jeden Grund auf die Leute los-
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