baß diejenigen, welche eS n&lefinen müssen, einer Knltlisgemeinschaft anzugehören, weil sie sich über die geistigen Entwickelungsstufen religiöser Ideologien emporgerungen haben, dieselbe Sicherheit, denselben Rechtsschutz seitens des Staates genießen sollen wie die «Gläubigen", fordert die Generalversammlung die Parteigenossen in Bremen , Lippe-Detmold, Lübeck , Schaumburg-Lippe , Schwarz- burg-Rudolstadt, Waldeck und Elsaß-Lothringen auf, energisch auf die Einführung gesetzlicher Bestimmungen zu dringen, welche jedem religiös Freidenlenden auch dort den Austritt aus der Kirche er- möglichen. Nach lebhafter Debatte wurden beide Resolutionen angenommen die erste mit einem Zusatz, der die sozialdemokratische Partei- presse tadelt, die angeblich der Freidenkerbewegung Schwierigkeiten bereitet.... Zum neuen Statut, das am 1. Oktober d. I. in Kraft tritt, wird u. a. beschlossen: der Organisation den Namen«Zentral- verband deutscher Freidenker" zu geben. Die Bei- träge betragen pro Woche für männliche Mitglieder 10, für weib- liche 5 Pf. Der» A t h e i st" wird obligatorisch eingeführt. Folgende Resolution sBeißwanger) fand Annahme: Dem um seine Befreiung aus wirtschaftlichen, politischen und geistigen Fesseln kämpfenden Proletariat genügt eine Trennung von Kirche und Staat und Kirche und Schule nicht, denn da es in der Kirche nicht nur eine auf geistigem Gebiete reaktionäre Macht sieht, sondern eine Hauptstütze des politischen und Wirtschaft- lichen Unterdrückungs- und Ausbeutungssystems erkennt, bekämpft es die Kirche als solche, bekämpft es dieselbe als eine aus- gesprochene Feindin des arbeitenden Volkes. Da das bürgerliche Freidenkertum meist mit der Trennungs- frage sein Programm der Kirche gegenüber erschöpft hat, müssen die proletarischen Freidenker selbständig und unabhängig von den bürgerlichen Freidenkern ihren Kampf führen, begrüßen jedoch unbeschadet dessen die bürgerliche Freidenkerbewegung und ihre Be- strebungen als eine Etappe in dem Kampfe gegen die Kirche. Zum Vorsitzenden des Verbandes wurde David- Dresden gewählt. Kassierer bleibt Beißwanger- Nürnberg. Als Ort des Ausschusses wurde Erfurt , als Ort der P r e ß- kommifsion Nürnberg festgesetzt.— Die nächste General- Versammlung(1911) findet in Gelsenkirchen statt. Hua Induftrie und Handel. Fusionen. Die Feuerberfichernngsgesellschaften haben seit langem einen Ring geschlossen, der ihnen hohe Gewinne in die Tasche bringt. Aber es entstehen immer neue Gesellschaften, die außerhalb des Ringes arbeiten. Die von dem Berliner Feuerversicherungs- verband projektierte Reformversicherungsbank will auch Outsider bleiben. Die seit 1997 bestehende Jndustrie-FeuerverficherungS-Aktien- gesellschaft steht ebenfalls außerhalb des Ringes, ferner die Mittel- deutsche Fcuerversicherungsgesellschaft in Halle. Dazu kommen noch verschiedene Neugründungen die jetzt geplant sind. Auf der anderen Seite stärkt man sich fortgesetzt durch Fusionen. So haben jüngst die Aufsichtsräte der Deutschen Feuerversicherungs- gesellschaft und der A l b i n g i a den Aktionären die Fusion vorgeschlagen. Die Albingia hat 1994 schon eine Versicherungs- gesellschaft verschluckt, es war die Transatlantische Feuerversicherungs- gesellschaft in Hamburg. _ Dentschland und England. In seinem Jahresbericht über die wirtschaftliche Lage in Deutsch - land bemerkt der englische Generalkonsul v, Schwabach u. a.:«Der Wert hat sich ohne Unterbrechung nach britisch Ost- und West- afrika, Kanada und den übrigen britischen Besitzungen in Amerika , nach Australien und Neuseeland gesteigert. ES ist ein be- merkenswerter Zug in den Handelsbeziehungen zwischen Eng- land und Deutschland , daß Deutschland auS dem Vcr- einigten Königreich und seinen Kolonien weit mehr Waren importiert, als es dahin exportiert, und daß das britische Reich an der Spitze der Länder steht, welche mit Deutschland im Ausfuhr- und Einfuhrverkehr stehen. Diese Tatsache ist das Er- gebnis einer langen geschichtlichen EntWickelung, welche zu einer Art internationaler Arbeitsteilung zwischen Deutschland und dem britischen Reiche geführt hat. Infolge ihrer mehr agrarischen Verfassung ex- Portieren die britischen Kolonien hauptsächlich Tiere und Gemüse, Rohmaterialien und ErnährungSprodnkte nach Deutschland . Anderer- seits versieht Deutschland daS britische Reich mit Fabrikaten, welche, wie beispielsweise in der Textilbranche, an sich keinen sehr hohen Wert darstellen, und deren Fabrikation im Bereinigten Königreich nicht stark entwickelt ist. Die Wichtigkeit des Deutschen Reiches als Markt für britische Güter wird wahrscheinlich im Verhältnis zum Wachstum seiner Bevölkerung und seiner Kaufkraft noch größer werden." An einer anderen Stelle wird Hervorgehoben, daß trotz der wirtschaftlichen Depression und der erhöhten Lebensmittelpreise die Beschäftigungslosigkeit in Deutschland im Jahre 1993 keineswegs in außergewöhnlichem Umfange zugenommen hat. Rachzoll für Kaffee. Aus dem Bureau der Berliner Handels- kammer wird geschrieben: In Interessentenkreisen war man nicht ganz klar darüber, wie es mit der für den 1. August angesetzten Erhebung eines Nachzolles für Kaffee gehalten werden würde. Der Satz von 20 M. pro Doppelzentner gilt unterschiedslos für rohen und gerösteten Kaffee. Diese Festsetzung, die der gerösteten Ware bei der Nachverzollung einen Vorsprung von 5 M. für den Doppelzentner gibt, ist getroffen worden im Interesse einer glatten Er- ledigung des Nachzollverfahrens. Preiskonvrntioncn in der Porzellanindnstrie. Seit einer Reihe von Jahren haben sich die deutschen Porzellanfabrikanten in ihrer Mehrheit zu einer Preiskonvention zusammengeschlossen, der es dann auch gelang, die Preise für Porzellanwaren nicht unwesentlich zu er- höhen. Deswegen kam es mit den ebenfalls vereinigten Porzellan- Händlern wiederholt zu Differenzen, bei denen die Händler in der Haupt- fache nachgeben mußten. Aber die Macht der Fabrikantenkonvention wurde durch die bedeutende Konkurrenz der böhmischen Pozellan« fabriken noch immer stark bedroht. Nicht so sehr, was den Absatz auf dem deutschen Markt anging, sondern in erster Linie durch die lebhafte Konkurrenz der böhmischen Porzellanfabrikanten gegen den amerika - nischen Abnehmer. Es ging deshalb das Bestreben der deutschen Fabrikanten darauf hinaus, auch die böhmischen Porzellanfabrikanten zu vereinigen. Das gelang, und zun, Beginn 1908 trat die Kon- vention der böhmischen Porzellanfabrikanten ins Leben. Zugleich wurde aber zwischen der deutschen und böhmischen Konvention ein VertragsverhältniS abgeschlossen, aus Grund dessen die böhmische Kon- kurrenz ausgeschaltet erschien. Der Vertrag sah vor, daß die deutschen und böhmischen Porzellanfabrikanten sich auf dem deutschen , öfter- reichisch-ungarischen, schweizer und nordamerikanischen Markte keine unlautere Konkurrenz machen sollten. Gegen Amerika machte sich dieses Vertragsverhältnis dadurch wirksam, daß die deutschen und österreichischen Fabrikanten auch für die nach Amerika gehenden Waren eine Preiserhöhung von 20 Proz. forderten und außerdem von den anwrikanischen Abnehmern die Unterzeichnung eines Reverses verlangten, auf Grund dessen die Amerikaner nur bei den Firmen, die der deutsch - österreichischen Konvention angeschlossen sind, kaufen zu wollen sich verpflichteten. T)aS war im Sommer 1908. Zu einer Zeit also, in der schon d,e Mise eingesetzt und das amerikanische Geschäft stark nachgelaiien hatte. Die Amerikaner lehnten denn auch diese Zumutung rundweg ab und die Aufträge gingen weiter zurück, so daß noch heute die nach umerila exportierenden Porzellanfabriken in Thüringen und Ooerfrauken auf dem trockenen sitzen. Jetzt ist nun vor kurzem die österreichische Konvention— nachdemvor einiger Zeit die bedeutendsten Fabriken ausgetreten waren— zusammengebrochen und hat sich aufgelöst. Die auch in der böhmischen Porzellanindustrie unheimlich wirkende Krise— es ließen dort fast alle Fabrikanten beschränkt arbeiten oder sie nahmen Entlassvngen von Arbeitern vor— und das Fortbleiben der amerikanischen Ab- nehmer scheint die böhmischen Porzellanfabrikanten schlapp gemacht zu haben. Selbstverständlich wird die deutsche Porzellanfabrikanten« konvention durch diesen Zusammenbruch der Konvention stark ge- troffen. Zwar versucht man das von seiten der deutschen Konventions- leitung zu bestreiten und man beruft sich darauf, daß zwischen der deutschen Konvention und den einzelnen böhmischen Porzellanfabrikanten Einzelverträge auf Grund der KonventionS- bedingungen bestehen. Aber diese Verträge sind dadurch hinfällig, daß ihre Erfüllung auf Grund des Z 4 des österreichischen Koalitions- gesctzes in Oesterreich nicht erzwungen werden kann, weil dergleichen Karlellverträge in Oesterreich nicht statthaft und zugleich durch das Aufhören der böhniischen Konvention die schiedsgerichtlichen Instanzen sortgefallen sind. Hierzu kommt ferner, um die Position der deutschen Konvention im allgemeinen zu schwächen, daß auch namhafte deutsche Porzellan- fabriken— so die große Aktiengesellschaft Porzellanfabrik Kahla— aus der deutschen Konvention ausgetreten sind. Russischer Zuckertrust. Die Zusammenfassung der russischen Zuckerproduktion zu einem Trust ist in Angriff genommen worden. Der Trust soll natürlich die Preise hochhalten. Sodann sollen durch ihn Lieferungsverträge für Hcizungsmaterial abgeschlossen werden, damit durch den Bezug großer Quanten Vorzugspreise zugestanden und damit die Fabrikation der einzelnen Zuckerindustrien verbilligt wird. Der Trust will auch, wie auS einer jüngst abgehaltenen be- sonderen Konferenz Kiewer Zuckerfabrikanten hervorgeht, den Finanz- minister veranlassen, daß mit dem System der Freigabe kleiner Quanten für den Export gebrochen werde. Etos der frauenbewegung. Die Frauenorganisation in Oesterreich . Schon seit zwanzig Jahren werden in Oesterreich politische Versammlungen für Frauen abgehalten. Trotzdem gelang es lange nickt, eine politische Frauenorganisation zu schaffen. Ihr traten der- schiedene Umstände in den Weg. In der Hauptsache die Bestimmung des Vereinsgesetzes, die den Frauen die Teilnahme an den politischen Vereinen unterlagt. Die niedrigen Löhne der österreichischen Arbeiterinnen machen eS zudem vielen von ihnen schwer, neben der gewerkschaftlichen auch der politischen Organisation anzugehören. Aufrüttelnd wirkte jedoch aus die Frauen der große Wahlrechtskampf. Die gewaltige Demonswation am 28. November 1905 zeigte einerege Beteiligung sowohl der Arbeiterinnen als auch der Arbeiterfrauen. An den Wahlarbeiten im Jahre 1907 nahmen die Genossinnen bereits lebhaften Anteil. Es wurden allerdings schon vor dieser Zeit Frauenvereine gegründet oder Frauenseklionen an die Lokal- organisationen angeschlossen, aber sie konnten nur vereinzelt dauernde Erfolge erzielen. Erst seit der letzten Frauenkonferenz, die Ostern 1903 in Wien stattfand, und den sich dieser anschließenden Frauen- konferenzen in den einzelnen Kronländern ist eS gelungen, auch auf diesem Gebiete dauernde und zunehmende Erfolge zu erzielen. Die Frauen für die politische Organisation zu gewinnen erfordert freilich sehr mühevolle Arbeit. Die Arbeiterinnen, die schon der gewcrkschaft- lichen Organisation angehören, wollen oft nicht begreifen, daß sie auch noch der politischen beitreten müssen, während be, den Arbeiterftauen, die nicht in die Fabrik gehen, die alten kleinbürgerlichen Vorurteile gegen jede öffentliche Tätigkeit und andere Vorurteile zu überwinden sind. Diese «chwicrigkeilen werden überwunden, wenn die Genossinnen und Genossen Hand in Hand arbeiten und in ihrer agitatorischen Arbeit nicht er- lahmen. Einen Ansporn bilden die Bestrebungen der Gegner, die Arbeiterfrauen für ihre bürgerlichen Vereine zu gewinnen. Um den Arbeiterfrauen und Mädchen den Anschluß an die politische Organi- sation zu erleichtern und ihren Eifer für die polittsche Kleinarbeit anzuspornen, werden nun überall fteie politische Frauenorganisationen gegründet. Wo sich ein paar Genossinnen finden, die die Vorgänge im politischen Leben verfolgen, gründen sie eine solche Organisation. Sie arbeiten ganz selbständig, zedoch im Einvernehmen mit der be- treffenden Lokalorganisation. Als Mitgliedsbeitrag erheben sie von den nicht gewerkschaftlich organisierten Genossinnen 30 Heller pro Monat, von den auch gewerkschaftlich Organisierten nur 10 Heller. Erstere erhalten jeden Monat zweimal die.Arbeiterinnenzeitung" zu- gestellt. Der größte Wert wird darauf gelegt, daß sich eine Reihe von Genossinnen durch Vorlesungen und Diskussionen gu Agitatorinnen entwickeln. Vorgezogen werden dabei Fragen, die sich mit dem täg- lichen Leben der Arbeiterinnen berühren. Es find daS: Mutter- schafts- und Krankenversicherung, Arbeiterinnenschutz, Lebensmittel« Verteuerung usw. Erst wenn die Frauen auf diese Weise zu einer regen Anteilnahme am politischen Leben erzogen worden sind, ist es möglich, große Aktionen zur Erringung von politischen Rechten durchzuführen. Die politische Erziehung der Frau gilt als notwendig, damit sie der Arbeiterklasse in ihrem Kampfe helfen und nicht die Werkzeuge ihrer Feinde und die Gehilfen der Ausbeutung werden. Immer lebhafter setzt die klerikale Agitation unter den Arbeiterinnen ein; jede der schwarzen Zeitungen ist mit einer Frauenbeilage versehen. Daß es möglich ist, die Frauen politisch zu schulen und sie zu tüchtigen Mitkämpferinnen zu erziehen, beweisen die glänzenden Erfolge, die nun in allen Teilen Oesterreichs mit den fteien poli- tischen Frauenorganisationen erzielt werden. Auch die gewerkschaftlich organisierten Arbeiterinnen müssen die Notwendigkeit der doppelten Organisatton einsehen. WaS nützt es, wenn durch die Kämpfe der Gewerkschaften Lohnerhöhungen erzielt, diese Erfolge aber von der Lebensmittelverteuerung wieder vernichtet werden? Stets droht dazu dem notwendigsten Recht, dem Koalitionsrecht, Gefahr, denn die Arbeiterfeinde find immer am Werk; sie möchten den Arbeitern dieses Recht durch neue Gesetze rauben. Wie die arbeitenden Männer sich heute überall gewerk- schaftlich und politisch organisieren, weil die eine Bewegung unsere rechte, die andere unsere linke Hand ist im Befreiungskampfe vom Joch des Kapitalismus, so müssen es auch die Frauen tun. Jede Frau, die den ernsten Willen hat, wird auch trotz aller Hindemisse den Weg zur Organisatton finden. Gerichte-Zeitung. - t„Ich danke, meine Herren!" Diese Worte mußte gestern der Chauffeur Gustav Keske mit einer Haftstrafe von 24 Stunden büßen. Vor der 9. Strafkammer des Landgerichts I hatte sich K. wegen zu schnellen FahrenS zu verantworten. Gegen ihn war ein Strafmandat erlassen worden, weil er in zu schnellem Tempo durch den Tiergarten gefahren sei. Auf seinen hiergegen eingelegten Widerspruch ermäßigte das Schöffengericht die Geldstrafe. Nunmehr legte aber die Amts- anwaltschaft Berufung ein, so daß sich K. vor der Strafkammer zu verantworten hatte. Die Strafkammer hielt eine Erhöhung aus 33 M. Geldstrafe für angebracht. Nachdem der Vorsitzende, Land» gerichtSdirektor Neuenheld, daS Urteil verkündet hatte, machte der Angeklagte dem Gerichtshof eine tiefe Verbeugung und sagte in höhnischem Tone:«Ich danke, meine Herren I" DaS Gericht er- blickte in diesem Venehmen des Angeklagten eine grobe Ungebühr vor Gericht und nahm ihn in eine sofort zu vollstreckende Ordnungsstrafe von 24 Stunden Haft. Die Verhängung der Haftstrafe legt von einer überaus ner. vöfen Empfindlichkeit der Richter Zeugnis ab und ist nicht gerade geeignet, den Mangel an Vertrauen zum gelehrten Richtertum zu beseitigen. Die gegen Chauffeure verhängten Strafen wegen vermeintlichen Zuschnellfahrens beruhen fast durchweg auf den außer. ordentlich Mfichercn Unterlage von.Schätzungen der G.cfchwindig- keik dllrch MM. Es Idffn JRff Re'chl bsrkÄig? Berdfrf, dÄß durchweg an den Fahrzeugen Geschwindigkeitsmesser angebracht werden und daß ohne das Vorhandensein solcher bei dem Mangel völlig einwandfreier Beweismittel Anklagen unterbleiben. Doppelt ungerecht ist es, Herren, die bei Vergnügungsfahrten wie der Prinz-Heinrich-Fahrt ein lebengefährdcndes Tempo einschlagen, außer Anklage zu lassen, Chauffeure aber, die ihres LebenSunter- Halts wegen ihren schweren Beruf ausüben, mit Strafbefehlen zu belasten, sobald sie einmal im Verdacht stehen, zu schnell gefahren zu sein. Hinzu kommt die außerordentliche Höhe der Strafen, mit denen wegen solcher Uebertretungen Chauffeure belegt werden. Wenn der Richter beachten würde, daß die von ihm aus- geworfene Strafe mit Kosten bei weitem ein Wochcngehalt eines Chauffeurs überschreitet, so würde er es menschlich' begreiflich finden, wenn ein Chauffeur, der sich ungerecht behandelt fühlt, seiner Erregung über die gegen ihn geübte„Gerechtigkeit" Aus- druck verleiht. Bei der Neigung zu so überaus hohen Strafen gegen Chauffeure ist der unter diesen oft ventilierte Gedanke „passiver Resistenz" durch langsame Beförderung insbesondere von Polizeibcamten, Staatsanwälten und Richtern verständlich. Ein jugendlicher Kutscher, der durch Fahrlässigkeit eine ganze Familie in tiefeS Unglück ge- stürzt hat, mußte sich gestern in der Person des erst Ibjährigen Kutschers Erich Schwanz vor der 2. Ferienstrafkammer des Land- gerichts II unter der Anklage der fahrlässigen Tötung verant- Worten. Der Angeklagte ist in dem Geschäft seines Vaters be. schäftigt, der einen Petroleumhandel betreibt. Am 19. April dieses Jahres fuhr der junge Mensch mit einem mit Petroleumkannen beladenen Kastenwagen durch Rixdorf. Er bog im scharfen Trabe um die Straßenecken, anstatt, wie es die Polizeiverordnung vor- schreibt, in einem großen Bogen langsam um die Ecke zu fahren. Als der Angeklagte vor der Schillerpromenade in die Ackerstraße einbog, achtete er nicht darauf, daß hier daS 2?1jährige Söhnchen des Kaufmanns Hille in der Nähe des Rinnsteins saß und spielte. Gerade in dem Augenblick, als die Mutter des Kleinen vom Balkon herunter ihr Kind auf die drohende Gefahr aufmerksam machte. wurde der kleine H. von den Pferden erfaßt und übersahren. Das verunglückte Kind wurde sofort in das Krankenhaus geschafft, wo es bald nach der Einlieferung verstarb. Die von dem Gerichtsarzt Dr. Marx vorgenommene Obduktion ergab als Todesursache eine Zerreißung beider Lungen und der Leber. — Die Strafkammer hielt eine grobe Fahrlässigkeit des Angeklagten, der bei seiner Jugend keinesfalls die erforderliche Umsicht habe, um ein Fuhr- werk in dem Riesenverkehr der Großstadt zu lenken, für festgestellt und erkannte dem Antrage des Staatsanwalts gemäß aus eine Woche Gefängnis. In diesem Falle Ware eS wohl angebracht gewesen, den Vater, der einem so jungen Mann daS Gefährt anvertraut hatte, mit zur Verantwortung zu ziehen. Gilt die Polizeistunde für geschlossene Gesellschaften. In jedem der beiden VereinSzimmer des Berliner Schankwirts Mutschenz tagte am 12. Juni 1908 ein Verein. Verschiedene Mit- glicder beider Vereine trafen nach Eintritt der Polizeistunde un allgemeinen Schankraum zusammen und unterhielten sich dort, da sie mit einander bekannt waren. Der Schankraum war seit Eintritt der Polizeishmde nach der Straße zu verschlossen und für andere Leute gesperrt. Trotzdem wurde M. auf Anzeige eines Schutzmannes wegen Uebertretunfl der Polizei- stunde zu einer Geldstrafe verurteil;. Das Landgericht ging zwar davon ans, daß die beiden Vereine, jeder für sich, geschlossene Gesell- schaften seien, auf die an sich die Polizeistunde nicht anwendbar wäre. Die Miiglieder der Vereine, die im Schankraum zusammenkamen, seien jedoch durch diese Zusammenkunst zu Schank- gästen geworden, die an die Polizeistunde gebunden waren.— Auf die gegen das Urteil von R.-A. Dr. K. Liebknecht ein- gelegte Revision hob das Kammergericht dieser Tage die landgerichtliche Entscheidung auf und sprach den angeklagten Wirt frei. Begründend wurde ausgeführt: Der Vorderrichter habe den Begriff der Polizeistunde verkannt. Er stelle fest, daß das Lokal der Oeffentlichkeit nicht mehr zugänglich gewesen sei, daß von außen keine Person mehr habe hineinkommen können und daß im Lokal sich nur Mitglieder zweier Vereme befunden hätten. Aber dann sage das Landgericht, indem die Mitglieder verschiedener Vereine sich im Schankraum zusammentaten, sei der Begriff des Vereins und der geschlossenen Gesellschaft aufgehoben worden und die betreffenden Vereinsmitglicder müßten als Schankgäste betrachtet werden. Das sei rechtsirrig. Eni- scheidend sei, daß das Lokal abgeschloffen war, so daß irgendwelches Publikum nicht hineinkommen konnte. Die Tatsache, daß sich einzelne Vereine oder einzelne Mitglieder dieser Vereine zusammen taten und noch im Schanlraum verweilten, sei unerheblich. Dadurch werde der Begriff der geschlossenen Gesellschaft nicht aufgehoben. Es fei auch gleichgültig, ob sich eine geschlossene Gesellschaft im Lokal be- fand oder ob eS deren zwei waren. Der Schankraum sei als Vereins- lokal durch die beiden Vereine benutzt worden. Die Polizeistunde habe hier nicht beachtet werden brauchen. Vermischtes. Cholerafall in Deutschland . Wie aus Königsberg gemeldet wird, ist dort ein Cholerafall vorgekommen. Die„Volksztg." berichtet darüber: Ein junger Amerikaner, der mit seiner Gattin aus Sibirien nach Deutschland reiste, traf am 21. Juli in Königsberg ein und erkrantte unter choleraverdächtigen Erscheinungen. Der Arzt benachrichtigte sofort die Behörde, die eingehende Untersuchungen anstellt«. Noch am selben Abend starb der Amerikaner. Er wurde, um der Gefahr der Ver- breitung der Seuche zu begegnen, auf dem hiesigen Kirchhof sofort beerdigt, ohne daß die gesetzliche Liegefrist von drei Tagen inne- gehalten wurde. Die Behörde, die ihre Anordnungen mit großer Heimlichkeit traf, um die Bevölkerung nicht zu beunruhigen, hält auch den Namen des Verstorbenen geheim. Inzwischen ist es ge- lungen, den Wagen, den der Reisende von Eydtkuhnen her benutzte, zu ermitteln. Er wurde mit den Bahnbeamten, die den Wagen be- dient haben, aus dem Verkehr gezogen und desinfiziert. Die Beamten und die Gattin des Amerikaners sind vorläufig in Isolier- baracken untergebracht worden. Ihr Befinden gibt zu keinerlei Be- sorgnis Anlaß. Die medizinischen Sachverständigen waren sick bis- her noch nicht einig darüber, ob wirklich Cholera vorliege. Heute ist durch die amtlichen Untersuchungen einwandSfrei festgestellt worden, daß der Amerikaner an Cholera asiatica gestorben ist. Die Polizei erlätzt heute an die Bevölkerung die Aufforderung, die sanitären Vorschriften genau zu befolgen, um die Verbreitung der Seuche zu verhüten.— Dazu wird weiter bemerkt:„Im Kultus- Ministerium, Abteilung für Medizinalwesen, ist bis jetzt, wie wir auf Anfrage erfahren, nur ein kurze? Telegramm von dem Regie- rungspräsidenten eingelaufen, daS besagt, daß in Königsberg ein Durchreisender von Petersburg nach Dresden an Cholera erkrankt und gestorben ist. Der nähere Bericht steht noch auS. Die ört- lichen Behörden haben bereits alle Schutzmaßnahmen getroffen. Sobald der ausführliche Bericht hier angelangt ist. wird das Ministerium zu kontrollieren haben, ob alles getan wurde, was eine Weiterverbreitung der gefährlichen Krankheit verhüten kann." Opfer des Berufs. Bamberg , 23. Juli. Bei den SchluhkorrektionSarbeiten auf der Mainstrecke Schweinfurt-Würzburg find gestern nachmittag drei verheiratete Arbeiter ertrunken. Seit kurzer Zeit sind bei den Ar» betten viele Unglücksfälle zu verzeichnen. Eisenbahnunfall. Nürnberg , 23. Juli. Amtliche Meldung. In der Nacht vom 22. zum LZ. Juli ist in der Station Vorra an der Pegnitz der
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