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UUTL 26. löfjfgung. l. KcilM des Lmirts" Kerlim WksdlR ZMtag, 23. WIM. Eva der parte!« DerNeue Welt-Kalender" für 1910 (Hamburg   bei Auer u. Cie). 80 Seiten, 0,40 Mk. Zum 34. Male tritt unser Parteikalender seinen Weg SN, der ihn in Dorf und in Stadt, in Hütte und Mietskaserne führt. Er war und er ist unser guter Freund, und einem guten Freunde sagt man nicht bloß Schmeicheleien, man rückt ihn auch zurecht, wenn man sieht: hier oder da fehlt es; denn den guten Freund will man ja immer schöner, immer besser haben. Also: unser ..Neuer W e l t- K a l e n d e r" ist im Laufe der Zeit ein präch- tiger Kerl geworden, nur etwas gar zu ernst, und die Illu­strationen verderben einem noch immer ein wenig den Geschmack an dem vielen Guten, das der Kalender sonst bringt. An interessanten statistischen Darlegungen, wie sie auf Seite 16 gegeben werden, haben die Arbeiter im Lause der Zeit erfreulicher weise Geschmack gefunden, und es wäre zu wünschen, daß die ebenso anschauliche wie lehrreiche graphische Darstellung (ähnlich wie bei der Nebeneinanderstellung von Luftschiffen und hohen Bauwerken auf Seite IS) hierbei immer wieder heran- gezogen würde. Jene Darstellungen könnten vielleicht auch Artikeln zugute kommen, wie MolkenbuhrsWer schützt die nationale Arbeit?", oder Dr. MüllersKonsumvereine und So- zialdemokratie", oder Robert SchmidtsDie volkswirtschaftliche Krise und ihre Wirkung". Aus diesen Artikeln quillt eine Fülle von Aufklärung und Belehrung, neben der aber auch das Unter- Haltungsbedürfnis des Kalenderlesers zu seinem Rechte kommt. Ernst Zahn   und Clara V i e b i g sind es diesmal, deren tüchtiger Erzählerkunst sich der Leser erfreuen darf> nux� daß der Illustrator den Dichter und die Dichterin arg im Stich läßt, und daß neben jenen beiden tiefernsten Novelletten der humoristische Plauderer gar nicht vertreten ist, außer in der unbedeutenden und schablonenhaften SkizzeBlinder Eifer schadet nur". In der Mitte zwischen belehrender und erzählender Dar- stellung steht Bölsches PlaudereiDie Rückseite des Mondes", stehen auch K. Gs. russische und Frohmes deutsche   Spitzel (Erlebtes und Erlittenes"). Es liegt in der Natur der Sache, daß die Arbeiter gerade solche Reminiszenzen aus der Geschichte ihrer Partei mit besonderem Anteil lesen. Uebrigens trifft n den Don, auf den unsere ErinnerungSliteratur gestimmt sein soll, bei der Darstellung des Lebensgangs Franz Josef Ehrharts überaus glücklich. Von anderen, die Beiträge für den Kalender gesteuert haben, verdienen noch Ida Baar(Vom Gesinderecht zur modernen Dienstbotenbewegung") und Franz Diederich (Bildschmuck fürs Arbeiterheim") hervorgehoben zu werden. Das beste Gedicht hat dieses Jahr Alexander Voigt ge liefert: ein kräftiges Poem(Streik"), das auf Arbeiterfesten recht oft vorgetragen werden sollte; es wird, gut rezitiert, seine Wirkung sicherlich nicht verfehlen. Sehr angenehm fällt amNeuen Welt- Kalender 1910" auf, daß er den Ereignissen in der Welt nicht raehr gar so sehr nachhinkt wie früher. Heinrich Cunow   erzählt z. B. vom Balkan   und den Balkanwirren; die Tragödien von Messina   und von Radbod   sind in Wort und Mld verewigt, und scgar Bülow, der tote Schneemann, lacht uns noch im Sturz mit sanftem Grübchen entgegen. Von den Illustrationen sind zu nennen: de? Worpsweders Modersohn wunderklarerWinterabend", und von Hans Thoma  , dem alten-ewigjungen: der klassischeK i n d e r r e i g en", und das großzügige skulpturscharfe BildSchnitter". DerNeue Welt-Kalender 1910" ist(wir haben unsere kleinen Schmerzen nicht verhehlt) ein vorzügliches Büchlein, an dem sich hoffentlich viele Tausende und Tausende von Prole- taricrfrauen,-männern und-lindern erbauen und belehren werden. _ G. D. Hus Industrie und Handel. Verteuerung der Lebenshaltung. Infolge der Veränderungen auf dem Warenmarkt zeigen im laufenden Jahre die Ausgaben für die Ernährung eine ausgesprochen ansteigende Tendenz. Seit Januar dieses Jahres bewegte sich die S t a n d a r d z i f f e r, die den wöchentlichen Nahrungsmittelaufwand für eine vierköpfige Familie in Mark an- gibt, wie folgt: Januar Februar März April Mai Juni 22.46 22,37 22,47 22,69 22,87 23,81 von April auf Mai hat die Erhöhung 28, von Mai auf Juni aber nicht weniger als 34 Pfennige betragen, und gegenüber Januar ? stellt sich die Steigerung auf 76 Pfennige wöchentlich oder auf gut ?3 Marl   monatlich. Veranlaßt ist die Steigerung hauptsächlich durch 1 die Preisbewegung auf dem Getreidemarkt. Die Mehl- und Brot' preise sind allmählich, aber doch immer unverkennbarer und allgemeiner in Mitleidenschaft gezogen worden. Gegenüber Januar, in welchem Monat der Durchschnittspreis für Brot noch 30 Pf. pro Kilogramm betrug, ist der Brotpreis bis 30. Juni all' mählich um 3 Pf. oder um 10 Proz. in die Höhe gegangen. Und zwar hat sich die Steigerung ganz besonders im Mai und Juni durchgesetzt. Denn im Durchschnitt aller berücksichtigten Plätze stellte sich der Brotpreis von Februar bis April noch auf 31 Pf. für das Kilogramm und ging im Mai auf 32, im Juni auf 33 Pf. hinauf. Die Erhöhung der Brot- und Mchlpreise hat wesentlich, freilich nicht ausschließlich zu der Steigerung des Nahrungsmittelaufwandes bei' getragen._ Konzentration. Nachfolgend bringen wir eine kleine Auswahl von Kartell- Syndikats- und Vereinigungsgründungen, Verschmelzungen und Verlängemngen von Produzentenorganisationen der verschiedensten Art. Die Zusammenstellung macht natürlich nicht Anspruch auf kleines feuilleton. Ein Selbstbekenntnis Lilienerons. Als vor etwa emem Jahr- zehnt der jetzt Heimgegangene Dichter vom«Literarischen Echo" um eine autobiographische Skizze ersucht wurde, antwortete er in einer Weise, die für seine natürliche Bescheidenheit nicht minder charak- tcristisch ist, wie für seine Lebensironie und feine enthusiastische Freundschaftsfähigkcit.«Am liebsten", schrieb er,«grübe ich mich in eine Höhle in die Heide und schrieb darüber: Lot mi tofreeden. Hier wohnt Herr Friedrich Wilhelm Schulze. Eintritt verboten! Ach. müßte daS herrlich sein l Da sähe ich nicht den Wirrwarr des Tages. Wer in Höhlen wohnt, sieht nicht mehr die Schmutzhaufen des Neides und des Scheelsucht, die endlosen Steppen der Geduld. alle die Myriaden Vexierspiegel der Heuchelei, die leeren Tonnen des Ruhmes, die regelrechten, rechtwinkligen Gärten des Philistertums, die lungernden Hunde der Ehrabschneidung, die bluttriefenden Sporen oer Herrschsucht«.... Eine Autobiographie ist wohl in den meisten Fällen ein Spiegel der Eitelkeit. Was auch foll ich von mir erzählen, dessen Leben dahingegangen ist wie das un- gezählter anderer Menschen, ohne irgend etwas besonderes. Wie sagt Marc Aurel  :«DaS menschliche Leben gibt mir oft nichts weiter, als daS Bild einer Haus- oder Feldmaus. die erschrocken hin- und herläuft." Ehrgeiz(daS ist schade) besitz' ich nicht. Nun also? Mit 35 Jahren schrieb ich mein erstes Gedicht und blieb bis heute Verseschreiber. Gottseidank wird bei mir die lästige, ja ich möchte sagen ordinäre Angewohnheit. Gedichte zu machen, mit jedem Jahre nachlassender. In meinem hundertund- fünften Jahregedenke" ich moderner Dramatiker zu werden. Da gibts a Göld und a Ahnsehn. Hoch lebe der Mammon, nieder mit der Kunst wenn sie nichts einbringt. Und in meinem hundert- nndfünfunddreißigsten Lebensjahre werde ich klassischer Romancier. Was ich bisher an Prosageliefert" habe, ist Schund. Ja, bis an seinen Tod als einfacher tcutscher Lyriker(da gibt's ka Göld und ka Ahnsehn) herumzubummeln, ist recht, recht lang- weilig. Ueberhaupt steht inir jeder Laternenanstecker höher als ein Versemacher. Alle Deutschen   schreiben Verse, kein Deutscher liest sie. Warum auch I Unsere Zeit ist wahrlich nicht dazu angetan, Gedichte zu lesen. Niemals war die Dichtkunst soherunter" wie jetzt, wo- mit ich sagen will, daß niemals ein Gedicht weniger galt als heute. Ter Versifex ist nicht eine, sondern die lächerliche Person der Gegen- wart. Ich möchte wohl eine Lanze brechen für dieHandwerker" des Verses, überhaupt für die überaus große Zahl der Schriflsieller ums Geld. Sie sind als ebenso ehrenwert zu erachten, wie jeder Vollständigkeit. Berücksichtigt sind nur die allerletzten Monate. Das Deutsche   Walzdrahtsyndikat schloß einen Schutzvertrag mit der Splintdrahtfabrikanten-Vereinigung. In der Wellrohrbranche niachte sich eine deutliche und scharfe Preiserhöhung bemerkbar. Die einfache Ursache dieses Vorganges ist die Gründung eines Wellrohrverbandes. Die Preise für Kupferbleche stiegen ebenfalls. Der Kupferblech verband ordnete die Preiserhöhung an. DaS Tuben- und Spritzkorkensyndikat wird sich mit Jahresschluß auflösen. Das Syndikat hat die Preise in den letzten Jahren recht gut gehalten, es sind aber immer neue Fabriken gegründet worden, die als Außenseiter dem Syndikat bei den hohen Preisen Konkurrenz machen können. Jetzt wird man das Syndikat auflösen, in der aus gesprochenen Absicht, durch den offenen Preiskampf eine Anzahl kleinerer Fabriken zu vernichten und dann die Preise wieder hoch zu treiben. Die deutsche   Lokomotivkonvention wurde nach einigermaßen schwierigen Verhandlungen auf vorläufig drei Jahre verlängert. Der preußische Staat hat an sie, wie auch der«Vorwärts" berichtete, einen schönen und rentablen Lieferungsauftrag gegeben. Der Aus landsverband der Lokomotivkonvention ist noch nicht definitiv sicher' gestellt. Die oberschlesischen Ziegeleibesitzer gründeten kürzlich ein ober' schlesisches Ziegelsteinsyndikat. In Staßfurt   wurde ein Verkaufsverein mitteldeutscher Kalk' mergelwerke als G. m. b. H. gegründet. An den Preisen sollen es die Abnehmer auch schon gemerkt haben. Da der alte Färberring aufgelöst worden ist. sind die sächsisch thüringischen Färbereien daran gegangen, eine neue Färbcrkonvention zu bilden. Die Berliner Baumwollgrossisten haben sich ebenfalls zusammen geschlossen und einen Verein für die Interessen der Baumwollwaren Händler gegründet. Die Tapetenfabriken, die sich vor nicht langer Zeit noch erbittert mit der Tapetenindustrie-Aktiengesellschaft in den Haaren lagen, sind ebenfalls wieder einig geworden; man ist brüderlich bei der Arbeit, durch eine Preiskonvention die gegenwärtig geschlagenen Wunden wieder zu heilen. Die Kosten zahlen die Konsumenten. In der Papierindustrie hat sich ein Verband der Falzschachtel- fabrikanten gebildet; er ist ein Glied in der Organisation des Verbandes der Unternehmer im deutschen Steindruckgewerbe. Da das Deutsche   Unfall- und Haftpflichtsyndikat in absehbarer Zeit zu Ende geht, wird jetzt schon fleißig an der Erneuerung ge­arbeitet. Die? sind einige der Industrie- und Handelskonzentrationen der letzten Monate. Die Arbeiter müssen gründlich arbeiten, um da gleichen Schritt zu halten._ Kalisyndikat. Die Verhandlungen im Kalisyndikat habeg zu einer Verständigung geführt. Etos der f rauenbewegung* An die falsche Adresse. Die unerhörte Teuerung aller notwendigen Lebensmittel, die nach den Zollkämpfen des Winters von 1902 mit Hochdruck ein- setzte und in letzter Zeit noch künstlich verschärft wurde durch die Bäcker, Schloffen usw., die schwer ihr Geld verdienen für sich und ihre Kinder. Wenn ihnen von den Familienblättern, die als Bilderbücher nicht ohne Verdienst sind, Bestellung zugeht, ihnen eine Illustration zugesandt wird, damit sie dazu ein Gedicht, eine Skizze, eine Erzählung, eine Schilderung liefern: warum nicht, wenn sie dazu das Zeug haben. Ich beneide diese Schriftsteller. Mir fehlt jedes Talent dazu. Und das ist mein steter Aerger. Von uns lebenden(zurzeit bekannten) Künstlern des Verses wird keiner auf die Nachwelt kommen. Nur ein einziger: Richard Dehme!. Das ist meine felsenfeste Ueberzeugung." Humor und Satire. FalliöreS auf der Ministersuche. FalliöreS(allein):«ES läßt sich nicht mehr abstreiten. ES ist eine Krisis. Ich, der ich so ruhig war, bin plötzlich in die schönste Unruhe hineingeraten. Sie werden mir sagen:Aber weshalb denn so viel Getue? Weshalb lassen Sie denn nicht sofort den Mann kommen, der Ihnen zur Bildung eines Kabinetts am geeignetsten erscheint?" Sie haben ja recht, aber es ist nicht parlamentarisch. Man muß die parlamentarischen Bräuche unter allen Umständen respektieren. Ich muß da, sehen Sie, zuerst meine früheren Minister rufen lasten und sie bitten, ihre Portefeuilles zu behalten. Sie werden das ablehnen, ich weiß es ganz genau, aber eS ist nun mal obligatorisch..."(Die Minister erscheinen).«ES ist also be- schlossene Sache, meine Herren, Sie wollen mich durchaus verlassen? Und wenn ich Sie recht herzlich bäte zu bleiben?"Es wäre verlorene Mühe, aber Sie würden unhöflich sein, wenn Sie es nicht täten."«Ich tue cS also."Und wir lehnen es also ab." Wir sind jetzt nun wohl fünfzig Minuten beisammen. Die Zeitungen werden zufrieden sein, das Parlament auch, Ihre Demission ist angenommen."(Die Minister gehen ab durch die Mitte.) FalliercS: «Jetzt muß ich den Scnatspräsidenten rufen lassen. Ich habe ihm absolut nichts zu sagen...(Zu Herrn Dubost, welcher ins Zimmer tritt): «Sie haben mir wohl nichts zu sagen?" Dubost:Genau so wenig, wie Sie mir." Fallisres:Na. dann setzen Sie sich und rauchen Sie mit mir ein Pfeifchen. Ich will inzwischen die Zeitung lesen, und in vierzig Minuten können Sie nach Hause gehen. Vierzig Minuten für den Senat ist, wie ich glaube, mehr als genug.(Dubost geht ab.) FalliöreS:Jetzt der Kammerpräsident, das ist bei uns so Sitte..."(Zu Herrn Brisson, der ins Zimmer tritt):«Ich habe Ihnen absolut nichts zu sagen und Sie auch nichts zu fragen. Briston: «Ich könnte Ihnen auch absolut nichts antworten." FallisreS: «Bei Ihnen zu Hause alles wohl?" Brisson:»Danke für gütige Nachfrage.. Fallisres:«Ich plaudere mit Ihnen nun schon fünfzig Minuten, zehn Minuten länger als mit Herrn Dubost." Brisson:«Die Kammer wird das zu würdigen wissen. Jetzt gehe ich aber." FalliöreS(allein):«So, noch etwa zehn Personen zu empfangen, und dann kann ich mir endlich den Ministerpräsidenten, den ich im Auge habe, wählen..."(Puck im»Gil Blas".) schamlosen Getreideausfuhrpraktikcn der agrarischen Schnapphähne« hat den Hausfrauen und Müttern in den besitzlosen Volksschichten ihr ohnehin schweres Leben noch schwerer gemacht. Wo man nicht an der Ormntität der Lebensmittel knappsen konnte, da mutzte an der Qualität gespart werden, um doch alle Familicnglieder satt zu machen. Man lebte eben noch schlechter als sonst, schränkte den Fleischkonsum auf das äußerste ein, kaufte nur die billigsten groben Gemüse und griff zu Surrogaten, wo man konnte. Die Folge davon ist bei der armen Bevölkerung dauernde Unterernährung, die sich nicht nur an den Erwachsenen durch allmähliche Verminde- rnng der Arbeitskraft, sondern auch an der jungen Generation» die blaß und schwächlich heranwächst, bitter rächt. Allgemeine De- kadenz muß schließlich die Konsequenz der ggrarischen Auswuche« rung der Massen sein. In dieser Zeit der schweren Not geht ein in derZeitschrift für ärztliche Fortbildung" erschienener Artikel überMängel der deutschen Küche" kritiklos durch verschiedene Zeitungen, in dem der bekannte Berliner Hygicnikcr und Physiologe Prof. Rübner mit dem ganzen Gewicht seiner Autorität die deutschen Hausfrauen für die mangelhafte und unrationelle Ernäh- rungsweise in den Familien verantwortlich macht. Die Kunst der Spcisenherstellung, meint Rubner, sei in vielen Küchen auf eine sehr niedrige Stufe heruntergekommen. Er tadelt, daß Suppen, Gemüse, Mehl- und Reisspeisen sowie Obst nicht ge- nügend auf dem täglichen Tisch erscheinen, um für die physiologisch so notwendige Abwechselung in der Kost zu sorgen; sei doch die Ab- wechselung der einzelnen Speisen eine Versicherung gegen fehler- hafte Ernährung. Wo ist die frühere gut bürgerliche Küche ge­blieben, wo man auch einen aparten Bissen bekam? Die Kochkunst ist den mittleren Ständen abhanden gekommen. Am schlimm- ste n aber steht die Sache bei den niederen Ständen. Da ist die Erau Fabrikarbeiterin, sie hat zu Haus nichts gelernt, sie weiß in üche und Haushalt nicht Bescheid, sie kann nicht auS- kommen. Sie weiß nicht, was sie kaufen soll, was preiswert und nährend ist usw. Kurz: das alte Klagelied von der unwirt- schaftlichen Arbeiterfrau. Im Verlaufe seines Artikels gibt Pro- fcssor Rubner dann eine Reihe von Winken über die richtige Zu- sammenstcllung der Kost unter Hinweis darauf, daß ein ver- nünftigcs und zweckmäßiges Essen für unser Leben und seinem gesunden Verlauf von außerordentlicher Wichtigkeit ist. Diese' letztere Ansicht dürfte nirgendwo bestritten werden, und jeder wahre Freund des Volkes, den der sichtliche physische Niedergang der schlecht genährten Männer, Frauen und Kinder in den mittleren und unteren Schichten mit Trauer erfüllt, wird den heißen Wunsch hegen, daß sie alle diesen ärztlichen Vorschriften nachleben könnten. Wie ist das aber möglich bei einem Volke, in dem nach Ausweis der Einkommensteuerstatistik nahezu 61 Proz. der Steuerzahler ein Einkommen von weniger als 900 Mark, 40 Proz. ein solches von 9003000 M. haben? Der durchschnittliche Jahres- verdienst der Industriearbeiter beträgt pro Jahr etwas über 900 Mark, der der Landarbeiter etwas über 400 M. Das große Heer der Heimarbeiter und-Arbeiterinnen vermag bei angestrengtestem Fleiße kaum mehr als 400, 600, 600 M. im Jahre au verdienen. Imgoldenen" Mainz   hatten nach den Jahresberichten der Ge- werbcaufsichtsbeamten im Jahre 1906 weniger als 1,26 M. täg­lichen Arbeitsverdienst 1677 Arbeiter und 2134 Arbeiterinnen. Andererseits ist wissenschaftlich festgestellt, daß in normalen Zeiten das zur Erhaltung der Arbeitskraft unerläßliche tägliche Quantum an Nahrungsstoffen(112 Gramm'Eiweiß, 76 Gramm Fett, 484 Gramm Kohlenhydrate) in großen Städten pro Kopf einschließlich der Zubcrcitungkosten einen Aufwand von 70 bis 76 Pf. erfordert. Für eine aus 2 Ertvachscncn und 3 Kindern bestehende Familie würden sich die jährlichen) Ausgaben für Er- nährung demnach auf rund 770 M. belaufen. Da nun der Ar- beiter, der kleine Beamte usw. nicht mehr als 66 Proz. also wenig mehr als die Hälfte seines Gesamteinkommens für die Beköstigung ausgeben darf, so müßte die Mindesthöhe seines Ein- kommens wohlgemerkt in normalen Zeiten! sich auf ungefähr 1400 M. belaufen. Wie wenige sind aber in dieser relativ gün- stigen Lage? Man kann rechnen, daß drei Viertel unserer Bcvöl- kcrung gar nicht die Möglichkeit haben, sich das von der Wissen- schaft geforderte physiologische Kostmaß zu gönnen, geschweige denn für die wie Rubner sagt physiologisch s o notwendige Abwechselung in der Kost zu sorgen. Gewiß würde unser armes Volk statt der ewigen Kartoffeln und Hülsenfrüchte, swtt des zähen Abfall- oder Hottehühfleisches in Talgtunke, statt der billigen und schlechten Wurst weit lieber kräftige Suppen, saftige Braten, zarte Gemüse, gediegene Mehlspeisen, erfrischende Früchte und Salate verzehren. Heute sind diese von Rubner geforderten Bestandteile einer rationellen Ernährung sogar für weite Kreise des Mittelstandes kaum erschwingliche Delikatesten geworden. Notizen. Detlev v. Liliencron   wird am Sonntag w feinem Wohnort Alt-Rahlstedt   bei Hamburg   bestattet werden. Richard Dehme! hält die Gedächtnisrede. Aus dem Nachlasse dürften noch Novellen und ein Gedichtband veröffentlicht werden. DaS Neue Schauspielhaus ist vom 1. Scp- tember 1909 ab von Direktor Halm, dem bisherigen Leiter, auf zehn Jahre gepachtet. Alle Verträge bleiben aufrecht erhalten und das Theater wird in der bisherigen Weise weitergeführt. Eine neue Schiller-AuSgabe. Zur 160. Wieder» kehr von Schillers Geburtstag im November d. I., bereitet der Leipziger   Klassikerverlag Max Hesse eine neue historisch-kritische Ausgabe vonSchillers sämtlichen Werken" vor, die unter Mit- Wirkung namhafter Literarhistoriker herausgegeben wird. Die neue Ausgabe soll vollständiger als alle in den letzten Jahren erschienenen großen Schiller-Ausgaben sein und wird ein dreifaches General- register aufweisen. Asew, Harting n. Co. Unter diesem Titel wird im August ein Buch gleichzeitig in französischer, englischer, deutscher Sprache usw. erscheinen, das, größtenterls auf dem Oriainalmaterial der russischen Oppositionsparteien aufgebaut, zum ersten Male in kurzen Umrissen eine Gesamtübersicht über die gegenwärtige Tätig- keit der russischen Geheimpolizei im Kampfe mit ihren Gegnern gibt. Man erfährt hier, wie die Organe der Geheimpolizei vollständig un- abhängig von den anderen russischen Verwaltungsorganen arbeiten und daß sie selbst den Ministern gegenüber in schrankenloser Willkür ihre Macht zur Geltung bringen. Man erhält hier auch das vollständige aktenmäßige Material, daß die Ermordung Plehwes und des Groß- fürsten Sergius mit Misten und Willen, ja auf Veranlassung dieser gefährlichen Repräsentanten russischen Bcamtenwms stattgestmden hat. Ein besonders interestanter Abschnitt des Buches ist das Protokoll über die Sitzung des Schiedsgerichts der russischen RcvolutionSpartei, in dem Burzew den Lockspitzel Asew in seiner doppelzüngigen Eigenschaft enthüllte. Die Verfasser des Buches sind Jean Longnet, Redakteur der Humanitö", und Charles Silber. Burzew selbst hat ein Vorwort zum Buche geschrieben und Jean JauröS eine Einleitung bei­gesteuert. DaS Völkergemisch New UorkS. Nach den jüngsten Schätzungen der Behörden hat New Dork jetzt 4 600 000 Einwohner, also eine Million mehr als bei der letzten vor vier Jahren vor- genommenen Zählung. Davon sind 1800 000 Deutsche   oder Kinder von solchen, so daß New Uork nach Berlin   die größte deutsche   Stadt ist. 1 200 000 Einwohner sind Jrländer, an Juden zählt die Stadt 760 000, an Italienern   460 000 Seelen. Dann folgt eine Reihe anderer Nationen. Neben diesen Zahlen muß aber doch bemerkt werden nieint dieRundschau für Geogr. u. Stat." daß eS in New Aork auch Amerikaner gibt.