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«WSgens« und erstrevensivcrt. ihre Angehörigen im Lande für selbstverständlich halten, nicht schaffen wollten oder könnten. Man würde nach den Gründen, das heißt nach den Schuldigen suchen, und diese hätten vor der Oeffentlichkeit dann keinen leichten Stand. Gewiß. Früchte wollen reifen. Doch nun find sie gereift, und im Herbst kann man sie pflücken. Der erste Schritt war die Fraktionsgemeinschaft. Ein zweiter konnte nicht ausbleiben. Das wußten diejenigen, welche sie anregten, und gerade darum regten fie sie an. Die FraktionSgemeinschast hat mehr als zwei Jahre hindurch die Probe bestanden. Trotz des stark individualistischen Zuges, der durch die Reihen des Freisinns geht, trotz der Per- schiedenheit der Temperamente, trotz einer Preffe, die mehr auf Zersetzung als auf Zusammenhalt hinarbeitete, brach die neue Form nicht. Man ertrug einander, ließ selbst Disziplinwidrig- leiten hingehen, ohne deshalb irgend jemand zum Märtyrer zu machen. Was so unter oft sehr schwierigen Verhältnissen im Parlament gelang, sollte es nicht auch draußen im Lande ge- lingen, wo die Verhältnisse zumeist minder schwierig liegen? Vielleicht sind da und dort Rivalitäten zu über- winden, Ungebärdige mitzuübernehmen. Aber das geht in einem größeren Kreis nicht anders; das Tüchttge wird sich schließlich schon durchzusetzen wiffen." Die Einigung auf ein neues Programm, meint Dr. Pachnicke, würde keine Schwierigkeit machen, da alle Programme der drei frei- sinnigen Gruppen alt und revisionsbedürftig seien. Heikeler sei die Frage, wer den Vorsitz führen solle, da diese Frage das Persönliche, das Allzumenschliche berühre. Doch biete auch hier sich eine bequeme Lösung: die jetzigen Vorsitzenden der fteisinnigen Gruppen treten an die Spitze der Partei. .Das gleiche geschieht bei den Fraktionen des Reichstag? und des Landtags; die bisherigen Vorsitzenden teilen sich in die Leitung der Geschäfte. Bei der Konstituierung des geschäftsführenden AuS- schusses werden das erstemal vielleicht noch Wünsche der bisherigen Gruppen berücksichtigt, während sich die späteren Neu- oder Er- gänzungSwahlen nach dem Willen der Gesamtpartei richten." Ob nicht Herr Pachnicke die Schwierigkeiten doch unterschätzt: einige Herren der Freifinnigen Vereinigung, darunter vornehmlich Gothein und Potthoff, müßten doch jedenfalls vorher fliegen. Die drohende Arbeitslosigkeit im Tabakgewerbe. Der Tabakarbeitgeber-Verband der Untermaingegend beschäftigte sich in seiner am 28. d. M. in Frankfurt a. M. abgehaltenen außer- ordentlichen Mitgliederversammlung mit der Frage, wie sich der Uebergang in die neuen Verhältnisse in Bezug auf die beschäftigten Arbeiter in schonender Weise für diese vollziehen lasse. Nach längerer Aussprache wurde folgender Beschlutz gefaßt: Die Mitglieder-Bersammlung des Tabakarbeitgeberverbandes der Untermaingegend erwartet von dem infolge der Mehrbelastung deS Tabaks zweifellos eintretenden Rückgang im Verbrauche und wegen der Unmöglichkeit, neue Sorten, welche infolge der Steuer- erhöhung eingeführt werden müssen, wegen der Unsicherheit ihrer Gängigkeit auf Lager arbeiten zu lasten, demnächst bettächtliche Minderherstellung in der Zigarrenindustrie. Sie richtet an alle Kollegen die dringende Bitte, dabei von Arbeiterentlassungen im gemein- samen Jntereste der Arbeitgeber und Arbeitnehmer tunlichst abzu- sehen, vielmehr zu versuchen, den seitherigen Arbeiterbestand der Bettiebe durch Verkürzung der Arbeitszeit aufrecht zu erhalten. Sie geht dabei von der Voraussetzung aus, daß die Arbeiter für diewegen Einschränkung des Betriebes' für sie eintretenden Lohnausfälle alsbald in Gemäßheit von Artikel llu des Gesetzes wegen Abänderung des Tabaksteuergesetzes entschädigt werden.' Einkommensteuererhöhung in Württemberg. DaS Defizit im württembergischen Staatshaushalt macht eine Erhöhung der Einkommensteuer sowie der Grund-, Gewerbe- und Kapitalsteuer nötig. Die Regierung hatte ursprünglich eine durch- schnittliche Erhöhung dieser Steuern um 12 Proz. beantragt. Ver- schiedene Umstände machten eS möglich, mit einer geringeren Steuererhöhung auszukommen. Namentlich trägt dazu die Ver- mehrung der Eisenbahneinnahmen durch die Erhöhung des Fahr- Preises der 4. Wagenklasse bei. Da diese Fahrpreiserhöhung Haupt- sächlich die minderbemittelten Klassen trifft, da ferner durch die Gestalt, die die Reichsfinanzreform schließlich gefunden hat, der Besitz geschont und wiederum die ärmeren Bevölkerungsschichten be- sonders schwer belastet worden sind, so beantragte die sozialdemo- kratische Fraktion am Freitage in der Finanzkommission des württembergischen Landtages, die Einkommen von 500 bis 3050 M. von der Erhöhung der Steuer freizulassen, dagegen die Steuer auf Einkommen von 3050 bis 20 000 M. um 7%. Proz. und die Steuer auf Einkommen von über 20 000 M. um 10 Proz. zu erhöhen. Dieser Antrag wurde jedoch von sämtlichen bürgerlichen Par- teien abgelehnt und eine für alle Einkommen, die kleinsten wie die größten, vollkommen gleichbleibende Erhöhung der Steuer um 5 Proz. beschlossen. Die bürgerliche Mehrheit, welche diesen Beschluß auch im Plenum durchsetzen will, bewies dadurch wieder, daß sie ebensowenig wie die Steuermehrheit des Reichstages die Anstandspflicht der Besitzenden, mehr als die ärmeren Schichten zu den Staatslasten beizutragen, anerkennt._ Konservative Reichstagskandidatur. Im Wahlkreise Landsberg -Soldin ist durch das Ableben des «Sg. Böning eine Ersatzwahl zum Reichstage notwendig geworden. Die Konservativen haben gemeinsam mit dem Bunde der Landwirte den Landtagsabgeordnetcn SmtSgerichtSrat Holtschke in Soldm als Kandidaten aufgestellt. Für die Freisinnigen kandidiert der General- sekretär Weinhausen. für die Sozialdemokratie Genosse Patzel. Bei der vorigen Wahl wurden abgegeben: für den Konservativen 13828, für den Sozialdemokraten 6477. für den Freisinnigen 6176. ES steht zu erwarten, daß auch in diesem Kreise eine wesentliche Verschubung der Stimmen eintreten wird._ Die Revolte im konservativen Lager. Herr Rogalla von Bieberstein vertritt im Reichstage den streng- konservativen Wahltreis Ortclsburg-Sensburg, wo er mit 13 027 gegen 4500 gegnerische Stimmen gewählt ist. Selbst in dieser konservativen Domäne ist der Geist des Widerspruchs rege geworden. In einer Versammlung, in der auch der Vorsitzende deS masurischen BauernbundeS. Gutsbesitzer Oltersdorf, anwesend war. sprach man sich scharf gegen die Konservativen auS und beschloß, einen Wahl- kreisverein auf der Grundlage deS alten Blocks zu begründen. Der Deutschen Tageszeitung' ist diese Versammlung auf die Nerven ge- fallen. Sie behauptet, daß die opponierenden Konservativen gar keine Konservativen, sondern Nationalliberale waren. Ob damit die Geschichte besser wird, scheint allerdings fraglich. Landräte und Jagdverpachtung. Vor der Strafkammer in Köln stand Genosse Meerfeld von derRheinischen Zeitung" wegen Beleidigung des Landrats Dr. Kreuzberg in Schleiden . Obwohl der Inhalt des Artikels durch Zeugen bestätigt wurde, kam das Gericht doch zu einer Ver- urteilung des Redakteur» zu 150 M. Geldstrafe. Durch die Beweis- aufnähme wurde bewiesen, daß der Bürgermeister W i e r st e i n e r die Jagdenunter der Hand' verpachtete, statt sie öffentlich aus- zubieten, wie es von den Gemeindeeingesessenen gewünscht wurde. Die Gemeinden sind dadurch um 15 000 M. geschädigt worden, was in der als bitterarm bekannten E i f e l doppelt ins Gewicht fällt. Unter den von dem Bürgermeister durch jenes Verfahren be- «üvstigten Jagdpächtern befand sich auch Landrat Dr. Kreuzberg. Ms die Verpachtungausgeschrieben� wurde, hatten die Unter-der-Hand-Pächter" ihre Verträge schon in der Tasche. Mit dem Vorgänger Dr. Kreuzbcrgs, Landrat v. Schlechdendahl, hatte der Bürgermeister Konflikt be- kommen; er kündigte ihm die Jagden als zu billig. Darauf, so bekundete der Bürgermeister als Zeuge, begann der Landrat aus der Jagd herauszuschießen, was herauszu- schießen war. Wie sich weiter aus der Verhandlung ergab, wurden formelle Einsprüche gegen die Verpachtung von dem Kreis- ausschuß, dessen Vorsitzender der Landrat ist, als unberechtigt zurückgewiesen. Die ganze Sache gewinnt erst die rechte Beleuchtung, wenn man bedenkt, daß die in Betracht kommenden Eifeldörfer 300 Prozent Gemeindezuschlag zahlen müssen und die Jagdverpachtung mit zu ihren wichtigsten Einnahmequellen gehört. Reichsvereinsgesetz und Jugendweihe. Aus Halle a. S. wird uns berichtet: Bekanntlich erlaubte sich die hiesige Polizei u. a. auch einen Eingriff auf die von dem Frei- denkcrverein am 4. April veranstaltete Jugendweihe. Dieser Ein- griff hatte heute vor dem Schöffengericht, vor dem der Vorsitzende des Freidenkervereins Genosse Koch und der Redakteur desVolks- blattes' Genosse N i e b u h r wegen Vergehens gegen das liberale Vereinsgesetz angeklagt waren, noch ein Nachspiel. Sie sollten eine politische Versammlung" nicht vorschriftsmäßig angemeldet haben. Die Angeklagten bestritten mit aller Entschiedenheit, daß die Jugendweihe eine politische Tendenz verfolgt habe. Die Polizei stützte sich auf einen vorgetragenen Prolog, und der als Zeuge ge- ladene Polizeikommissar Sommer sagte vor Gericht aus, daß er beauftragt gewesen sei, eventl. mit Gewalt gegen die Veranstalter vorzugehen. Der Verteidiger unserer Genossen, Justizrat Herz- selb, machte der Polizei klar, daß ein Prolog nicht deshalb politisch sei, weil das Wort Freiheit darin vorkomme. Sei die Schul- klasse denn auch eine politische Versammlung, wenn Gedichte von Schiller und anderen über Freiheit usw. vorgetragen würden? Das Gericht sah jedoch die Veranstaltung als politisch an und verurteilte den Ge. nassen Koch zu 15 M. Geldstrafe. Genosse Niebuhr wurde freige- sprachen._ Die GehaltSregulienmg der Reichsbankbeamte« wird, wie eine hiesige Korrespondenz berichtet, erst iin Herbst erfolgen. Die Regulie' rung wird im September nach dem Muster der Reichsbesoldungs- Vorlage von einer dreiköpfigen Kommission festgesetzt werden und dem Bundesrat eine diesbezügliche Vorlage unter- breitet werden. Man kann annehmen, daß der Bundes- rat als Aufsichtsbehörde der Reichsbank den Vorschlägen ohne weitere? zustimmen wird, die in den Grundzügen bereits festgelegt sind. Die Vorlage, die dem Reichstage nicht vorgelegt wird, wird ebenfalls rückwirkende Kraft vom 1. April 1003 erhalten; die Mit- glieder des Direktoriums werden nicht unter die Vorlage gestellt. Die Nachzahlungen könnten somit Ende Oktober erfolgen, sie um- fassen den Zeitraum von IVs Jahren. Lehrermangel. Im preußischen Osten herrscht nach wie vor chronischer Lehrer- mangel. DasAmtliche Schulblatt' für die Provinz Posen schreibt ftir den Regierungsbezirk Posen zehn katholische und zwei evange- lische Lehrerstellen aus. Infolge der unwürdigen Behandlung der Lehrer durch die Regierung sind diese vorsichtig geworden und selbst die Ostmarkenzulage zieht nicht mehr. Schweiz . Die Reaktion im Strafrecht. Zürich , 29. Juli. (Eigener Bericht.) Unsere schweizerische Parteipresse führt gegenwärtig unter dem Titel:Republi- kanische Majestätsbeleidigung' einen Feldzug gegen den soeben veröffentlichten Vorentwurf für ein schweizerisches Straf. recht, der eine Verschärfung der bestehenden Bestimmungen zum Schutze der Vertreter und Abzeichen fremder Staaten enthält. Die neuen Bestimmungen lauten: ,1. Wer ein befreundetes Volk, sein Oberhaupt, seine Regierung, seine Gesandten durch Wort oder Tat beschimpft, wird auf Antrag der Regierung dieses Volkes mit Ge- fängnis oder mit Buße bestraft. 2. Wer öffentliche Zeichen eines befreundeten Staates, namentlich seine Wappen oder seine Fahne böswillig wegnimmt oder beschädigt oder beschimpfende Handlungen daran verübt, wird auf Abtrag der Regierung dieses Staates mit Gefängnis oder mit Buße bestraft." Unsere Parteipresse erblickt darin eine auf Wunsch des Auslandes konstruierte Beschränkung der Frei. heit der Meinungsäußerung in der Schweiz und sie wendet sich namentlich auch gegen den Schutz toter Gegenstände durch AuS- nahmebestimmungen, da auch für sie die gewöhnlichen Strafbestim- mungen über Sachbeschädigung gelten sollen. Auch ein Teil der linksstehenden bürgerlichen Presse bekämpft daS unwürdige Bauch- rutschen vor dem monarchischen Ausland. KulZlancl. Durnowo et« früherer Lockspitzel! Wie ein Mitarbeiter desGolos Moskwy" mitteilt, ge- denkt Burzew. in kurzer Zeit Enthüllungen über die Ver- gangenheit eines Mitgliedes des Reichsrates zu veröffentlichen. Dieses Mitglied, dessen Vergangenheit der des Harting sehr ähnlich ist, ist nach der Mitteilung dieses Blattes der frühere Mini ft er deS Innern Durnowo. Die Dreieinigkeit der Henker. Die Regierung des Zaren findet bei ihrer Blutarbeit nicht nur das volle Verständnis und die Sympathien der besitzenden Klassen, sie genießt auch die tätigste Mithilfe derselben. Die dritte Duma mit ihrer aus Junkern, Pfaffen und Kapitalisten bestehen- den Majorität spiegelt im kleinen die Verhältnisse im Lande wider, wo sich die Regierung der weitgehendsten Unterstützung der ge» nannten Elemente im Kampfe gegen die arbeitenden Klassen er- freut. Freilich bestehen zwischen diesen Bundesgenossen der konter- revolutionären Regierung tiefgehende Widersprüche, die in den wichtigsten Fragen der inneren und äußeren Politik offen zum Durchbruch gelangen. Aber in einem sind sie vollkommen einig in dem erbitterten, erbarmungslosen Kampfe gegen das städtische und ländliche Proletariat und gegen die letzten Ueberreste der freiheitlichen Errungenschaften der letzten Jahre. Ein anschauliches Bild dieses gemeinsamen Kampfes der Lock- spitzelregierung. der Kapitalisten und der Pfaffen gegen das ar- beitende Volk, ein Bild, das in seiner grellen Deutlichkeit als Symbol des heutigen Rußlands dienen kann, bietet folgende Kor- respondenz aus Litauen in der letzten Nummer desGolos Sozialdemokrat«". Am 4. Mai schloß die Polizei den Lederarbeiterverband. Die Vorstandsmitglieder und andere Lederarbeiter wurden verhaftet. Diese Repressalien geschahen auf Drängen der Kapitalisten, um den Widerstand der Arbeiter gegen die Aussperrung zu brechen. In der Ochrana (politische Schutzpolizei) stellte man den Arbeitern das direkte Ultimatum: Entweder ihr werdet aus der Stadt aus- gewiesen oder ihr kehrt zu den Bedingungen, die die Fabrikanten vorlegen, zur Arbeit zurück. Diese Repressalien haben ihr Ziel er- reicht und die Arbeiter mußten nach einer fünfmonatigen Aussperrung den Widerstand aufgeben. 300 Personen blieben ohne Arbeit. Die Stimmung in den Massen ist gedrückt. Die Kapitalisten gehen unter energischer Hilfe seitens der Polizei scharf gegen die Arbeiter vor. Nachdem alle laufenden Prozesse liquidiert sind, geht hie Schu&aÄriluttg gegxn vollkommen Mige Leute vo� die vor Jahren zu dieser oder jener politischen Partei gehört hatten, und sperrt sie ins Gefängnis. Zu gleicher Zeit ist sie bestrebt, neue Prozesse zu fabrizieren. In Belostock z. B. bieten die Gendarmen und die Polizei jedem Verhafteten 30 bis 100 Rubel a n, wenn er in ihren Dienst treten würde. DieserDienst" besteht darin, daß der neue Agent der Regierung in eine sozialistische Pattei oder in eine Gewerkschaft eintreten muß; je nach der Wich- tigkeit der Organisation oder der Gewerkschaft wechselt die Höhe des Gehalts. Man kann annehmen, daß gegenwärtig die Mehrzahl der Schutzpolizeiabteilungen in Litauen eine Vertretung aller Par- teien und Gewerkschaften um sich organisiert hat und nötigenfalls eine umfassende provokatorische Arbeit entfalten kann. Gegen- wärtig suchen die Provokateure mit Vorliebe, sich den Anarchisten- Expropriateuren anzuschließen. Die letzte Expropriation in Kowno , die gegen den Kassierer der Fabrik von Schmidt gerichtet war, ist daS Werk der Schutzpolizei . Der Polizeimeister Toliwo- Dobrowoljski erwartete im Verlauf eines halben Tages den Ueber- fall: Die Pferde standen die ganze Zeit bereit und beim ersten Signal sprengte er als erster zum Attentatsort. Es steht fest, daß der Polizeimeister selbst diesen Ueberfall organisiert hat."(Im Ein- klang mit dieser Mitteilung steht der jüngste Prozeß gegen den Agenten der Wilnaer Schutzpolizei, Hildebrand, der im Auftrage des Polizeikommissars Krischnowski eine Bombe fabrizierte, um fie beim Arbeiter Jan Robaschewski in Kowno einzuschmuggeln.) Die Geheimpolizei und die Gendarmen" heißt es weiter in demselben Briefearbeiten nicht nur Hand in Hand mit den Kapitalisten, sondern auch mit der katholischen Geistlich» keit. In Kowno hat der Pfarrer Olschewski vermittelst der Ge- sellschaft des heiligen Jesus Hunderte von Spionen auf den Fabriken und in der Stadt organisiert. Me Verhaftungen in den Fabriken werden auf die Initiative dieses Geistlichen oder selbst auf seinen Befehl vorgenommen. Denn er ist eine Macht, und sein Wort genügt, um aus dem Gefängnis befreit zu Werden.* Hmcnha. Der Zolltarif. New Jork , 30. Juli. Der Tarifentwurf ist endgültig fertig» g e st e l l t, nachdem Präsident Taft nur geringe Aenderungen durchgesetzt hat. Die Dinglcyrate bleibt für Handschuhe, indessen werden Strümpfe gegen die Dingleybill um 20 Proz. auf billigere Waren erhöht. Der Stahltrust erlangt 15 Cents pro Tonne Zoll. Eisenerz und Häute sind frei. Die Schuh- und Lederwaren- zölle sind ziemlich ermäßigt. Die Annahme des Tarifentwurfs binnen 10 Tagen wird für sicher gehalten. Soziales. Die Perücke als Streitobjekt. Einem Schlosser L. war durch einen Unfall in der Fabrik Säure über Hinterkopf und Nacken gelaufen, was eine Verätzung der be- troffenen Körperteile zur Folge hatte. Der Hinterkopf wurde der Behaarung vollständig beraubt, so daß der Schlosser, abgesehen von der dadurch hervorgerufenen inneren Erkrankung, auch äußerlich ent- stellt war. Er beantragte deshalb bei der Berufsgcnosselischaft, ihm eine Perücke zu beschaffen, damit die verätzte Kopfhaut bedeckt würde. Die Berufsgenossenschaft Wies L. jedoch mit der Begründung ab. daß eine Perücke weder zu den zur Erleichterung der Unfall- ölgen erforderlichen Hilfsmitteln noch zur Sicherung des Erfolges des Heilverfahrens gehört. Zur Verschönerung deS äußeren Menschen sei aber die Kasse der Berufsgenossenschaft nicht da. Gegen diesen Entscheid legte L. Berufung beim Schieds- Gericht für Arbeiterversicherung ein und fügte Gutachten des Pro- 'essors Dr. Köllicker-Leipzig und Kreisarzt Dr. Wachs-Wittenberg bei. Beide Gutachter hielten die Beschaffung einer Perücke ftir empfehlens» wert, und zwar nicht au« Schönheit« rücksichten, sondern zum Schutze der Kopfnarbe gegen Druck und WittcrungSeinflüsse. Auf Grund dieser Gutachten verurteilte daS Schiedsgericht die Berufsgenossenschaft, dem Kläger eine Perücke zu liefern. Und wegen solcher Lappalien läßt sich die Berufsgenossenschaft erst verklagen I Gehälter für Beamte der Berufsgenossenschaft. Der Genossenschaftsvorstand der norddeutschen Holz-BerufS- genossenschaft sendet unS unter Bezugnahme auf den unter der oben gewählten Ueberschrift in Nr. 163 unserer Zeitung eine Berichtigung, die dahin geht:Unwahr ist, daß der Gesuchstcller bereits 10 Jahre bei einer anderen Berufsgenossenschaft tätig war. Nach seiner eigenen Angabe ist er erst 19 Jahre alt und seit 4 Jahren in einem Annoncen- bureau beschäftigt; die berufsgenossenschaftliche Verwaltung ist ihm gänzlich fremd". DaS der Bmchttgung beigelegte Bewerbungsschreiben bestätigt diese Angaben. Demnach ist die eine in unserem Artikel aufgestellte Behauptung, daß dem Mann ein Anfangsgehalt von 70 M. angeboten war, nicht zutreffend, wohl aber alle übrigen. Und diese sind für daS von uns gekennzeichnete System niedriger Besoldung der Berufsgenossenschaftsbeamten und der hohen des Direktors das wesentliche. DaS zeigt ein Blick auf sonstige Gehälter, die von der Berufsgenossenschaft Beamten m i t Vorbildung gezahlt werden. So wurde ein Beamter, der 4 Jahre bei einer Berufögenossenschast tätig war, dann seine zweijährige Militärdienstzeit absolviert hatte, im Alter von 24 Jahren mit 60 Mark Gehalt angestellt. Ein anderer, der längere Zeit im Verwaltungsdienst gearbeitet hatte. ivurde nach beendeter Militärdienstzeit rmt 70 oder 75 M. Gehalt angestellt. Das Gehalt deS Direktors der BerufSgenofseoschaft be- tragt 15840 Mark nebst freier Wohnung. Und die Wohnung ist außerordentlich geräumig und entspricht allen hygienischen Forde- rungen, während man daS von den ArbeitSräumen der Angestellten nicht gerade behaupten kann. So müssen die Angestellten z. B. das Trinkwasser aus dem mehr als 40 Personen zur Verfügung stehenden Abortraum entnehmen. Da« Berner System der Arbeitslosenversicherung. Die Versicherungskasse der Stadt Bern gegen Arbeitslosigkeit veröffentlicht soeben ihren Bericht für das Geschäftsjahr vom 1. April 1908 bis 31. März 1909, nach dem sich in den drei UnterstützungS- monaten Dezember, Januar und Februar 320 arbeitslose Mitglieder, 60 Proz. der gesamten 520 Mitglieder, zur Unterstützung angeineldet haben. Allein 131 Haiidlanger. Erdarbeiter und Tagelöhner waren unter den Arbeitslosen, ferner 02 Steinhauer, Maurer und Zementierer, 53 Gipserund Maler, 20Dachdecker,13Zimmereruftv.Diegrobe Mehrzahl der Arbeitslosen gehörte also den Baugewerbcn an, au? denen sich in der Hauptsache auch die Mitglieder der VersicherungSkasse rekru- tieren. Dem Alter nach waren 100 Arbeitslose über 50 Jahre und 214 unter 50 bis herab unter 20(10) Jahre alt. An Arbeitslosen- Unterstützung wurden 16 468,05 Fr. verausgabt. Die Rechnung schließt mit 26 455.65 Fr. Einnahmen und Ausgaben und setzen sich erstere in der Hauptsache aus 4041,80 Fr. Mitgliederbeiträgen und dem städtischen Beitrag von 12 000 Fr. zusammen. Das Ver- mögen der Kaffe ist von 44 800 auf 46 763 Fr. gestiegen. Ausnahmsweise war wegen der Ungunst der Verhältnisse die UnterstützunaSperiode bis Mitte März verlängert worden, aber ohne Ueberschrcitung der Unterstützungsdauer für das einzelne Mitglied. Die Kasse will das tägliche UnterstützungSgeld für ge- lernte verheiratete Versicherte auf 3 Frank und für ungelernte Ver- heiratete auf 2,50 Frank erhöhen, während der gelernte Lcdige 2 Frank und der ungelernte 1.50 Frank erhalten soll. Die Monats- beitrüge werden demgemäß auf 1,50 Frank für gelernte und 1 Frank für ungelernte Versicherte erhöht. Ferner will die Kasse ihre Unter- stützungstätigkeit auf daS ganze Jahr ausdehnen, um so weitere Kreise von Bernssarbeiteri, als Mitglieder zu gewinnen. waS aber angesichts der steten Fortschritte der gewerkschasrlichen Orgalinatloiicn kaum erreicht werden dürfte. Zu empfehlen wäre dre staduiche Subveiitionieruiig der gewerkschaftlichen Arbeftslosenverstchcrung nach dem Genter System.