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stadt und auch in einigen anderen Städten die Arbeit in den Offizinen nur wieder aufnehmen wollen, wenn das gesamte Personal wieder eingestellt wird, verzögert natürlich auch die Wiederaufnahme der Arbeit. Wie mir mitgeteilt wird, suchen die Prinzipale im Buch- und Zeitungsdruckgewerbe hier immer mehr Typographen aus Dentschland heranzuziehen, die natürlich, so lange das alte Personal nicht wieder eingestellt ist, als Streikbrecher zu be- trachten sind. Die Prinzipale haben versucht, das im Auslände untergebrachte Vermögen des TypographenverbandeS auf Grund ihrer Schadenersatzklage mit Beschlag belegen zu lassen; es ist ihnen aber nicht gelungen, und bis der Prozeß zur Entscheidung kommt, darüber wird wohl noch einige Zeit vergehen. Im übrigen ist auch für alle Fälle dafür gesorgt, daß den schwedischen Typographen die internationale Unterstützung ihrer Verufsgenossen zu teil wird, falls die Prinzipale versuchen sollten, die Organisation anzugreifen. Svaret" hat jetzt seine Laufbahn beendet, nachdem von morgen ab Sozialdemokraten  " wie die übrigen Parteiorgane wieder erscheinen. Das Blatt, dessen ersten zehn Nummern in einer Auflage von 150 000 herauskamen und das dann in 100 000 Exemplaren erschien, ist für die Geschichte der modernen Arveiterbewegung von ganz besonderer Bedeutung. Es diente bekanntlich als Mitteilungs- blatt des Landessckretariats, nachdem die Typographen sich dem Massenstreik angeschlossen und wie überall so auch in der sozialdemokratischen Presse die Arbeit eingestellt hatten. Der Redakteur Genosse Magnussen gibt inSvarets" letzter Nummer eine Ucbersicht über die Geschichte dieses merkwürdigen Organs der streikenden Arbeiterschaft. Er führt darin auch aus, daß der Typo- graphenstreik nicht die Wirkung gehabt hat, die man erwartete, daß aber das nicht den Typographen zur Last gelegt werden kann, die ihre Pflicht gegenüber der kämpfenden Arbeiterschaft erfüllten. Man hat auch die Frage erwogen, obSvaret" nicht als Nach- mittagsblatt weiter erscheinen sollte neben der Parteipresse, aber es war von Anfang an als Organ der allgemeinen Arbeitsein- stellung von 1009 gedacht und hat in dieser Hinsicht seine Aufgabe voll erfüllt, wenn der Kampf selbst auch für die größere Hälfte noch nicht beendet ist. « Ueber die heutige Lage in Schweden   meldet uns folgende Privatdepesche: Stockholm  , den 7. September. Der Kampf gegen den schwedischen Arbcitgebcrvcrein wird mit unverminderter Kraft fortgesetzt. Rund 165000 Arbeiter werdennach der Frontänderung im Kampfe verbleiben. Die Stim- inung unter den Kämpfenden ist wie ihre Entschlossenheit «ng eb ro che». Die Wiederaufnahme der Arbeit bei den Nnternehmcrgruppeu, mit denen eine Uebcrcinkunft getroffen wurde, ist erfolgt. Betroffen werden davon rund 100 000 Arbeiter. Wie viele davon bereits in Arbeit treten können bezw. getreten sind, konnte noch nicht festgestellt werden. Die Gemeinden und die Straßenvahngescllschaften fordern von de» zur Arbeit wiederkehrenden Arbeitern die Unterschrift persön- lichcr Verträge. Da diese Bedingungen»nannchmbar sind, ver- weigern die betreffenden Arbritergruppc» selbstverständlich die Wiederaufnahme der Arbeit. Eine Bercinbarnng konnte in diesen Fälle» nicht getroffen werden. Ssz Manifest des italienischen Komitees gegen den?sren. > Rom  , 4. September. DerAvantt" veröffentlicht das Manifest, das das Zentral- komitee gegen den Zarenbesuch an das italienische Volk richtet. Es hat folgenden Wortlaut: Mitbürger! Der Mann, den Ihr aus Solidarität mit einem bedrückten Volke vor Jahren zurückwieset, versucht noch einmal, unseren Boden durch seinen Besuch zu beflecken. Dem neuen Versuch müßt Ihr, wie vor Jahren, Euren energischen Protest entgegenstellen.denn Nikolaus II.   ist heute fluchwürdiger als gestern, weil noch mehr besudelt mit dem Blute seines Volkes. Tie konstitutionellen Allüren, die Rußland   dem Auslande gegen- über annimmt, sind nur eine Maske, durch die es bei den Kultur- ländern moralische und materielle Stütze sucht. In seiner inneren Politik herrscht aber das offizielle Rußland noch immer mit un- beschränkter Autokratie. Laßt Euch nicht irreführen: der russische Henker arbeitet ohne Siast. Die russischen Galgen sind nie leer, die Vertreter des russischen Volkes werden nach Sibirien   verschickt, und das Geld, das man dem Volke abpreßt oder aus dem Ausland zu- sammenbettelt. dient nur dazu, die verworfensten Teile der Be- völkerung gegen die mächtig wiedererstehende Kraft der Revo- lution zu bewaffnen. Nein, nicht als Vertreter einer Kulturnation und eines kon» stitutionellen Regimes kann dieser Mann den Fuß auf italienischen Boden setzen. Er ist unmittelbar verantwortlich und mitschuldig an den furchtbaren Metzeleien, unter denen Rußland   jammert, die Euch seit Jahr und Tag mit Ausdrücken der Wut und des Schmerzes von derselben Presse berichtet wurden, deren Servi- lismuS Euch heute bestimmen möchte, dem Mörder Gastfreund- schaft zu gewähren. Mitbürger! Wenn man Euch von Bündnissen mit Rußland  spricht, die an Eurer feindlichen Haltung scheitern könnten, so antwortet, daß nur die Bündnisse von Dauer sind, die die Sym- pathie des Volkes umgibt. Ehrliche Bündnisse entstehen nicht aus Diplomatenkünsten, sondern aus einem Bund der Völker: nicht zwischen Völkern und den Schlächtern eines Volkes. Nikolaus II.   ist der höchste, treueste und perverseste Ausdruck der schwarzen Bande", derechten russischen Leute", die um den Preis jeder Grausamkeit Rußland   im Joch des Despotismus er- halten möchten. Die echten Vertreter des gekrönten Mörders sind Azew, Harting, die Lockspitzel, die Söldlinge der Polizei, die unter dem Schutz des Zaren Attentate vorbereiten, um die Helden der Revolution an den Galgen zu bringen. Wenn man es wagt, Euch an den Heldenmut.cher russischen Matrosen in Messina   zu erinnern und aus ihm Verpflichtungen gegen den Zarismus abzuleiten, so antwortet, daß nie herrlichere Selbstaufopferung Gegenstand einer gemeineren Spekulation war, daß nie eine edle Handlung infamer profaniert worden ist. Denkt daran, daß die in Messina   zur Hilfe geeilten Matrosen die Brüder jener Matrosen find, die für die Freiheit Rußlands die Fahne der Revolution vom baltischen bis zum schwarzen Meere gehißt und die Tage von Kronstadt   und den Namen de? Potemtin" mit Ruhm umgeben haben, daß sie die Söhne und Brüder der Helden sind, die die russische Reaktion mit der rohesten Gewalt zu vernichten sucht. Wenn jene Matrosen die echten Untertanen ihres Zaren gewesen wären ,so hätten sie die Toten geschändet, hätten Beute gemacht in der Finsternis des Unglücks, hätten den wehrlosen Opfern Gewalt angetan: Sie hätten, kurz gesagt, die ganze erstaunliche Verbrechervirtuosität gezeigt, die die echten Untertanen des Zaren immer gegen das Volt, gegen die Arbeiterklasse, gegen die revolutionären Elemente wie bei den periodisch organisierten Judenmetzeleien entfalten. Die russischen Matrosen, die auf dem Felde der menschlichen Soli- darität Hilfe brachten und den Tod fanden, haben sicher nicht daran gedacht, daß ihr Werk und ihre Aufopferung je dazu dienen sollten, den Zarismus zu rehabilitieren. Und wir werden nicht Verrat üben an ihrem Heldentum und ihrem Erbarmen. Nein, gerade die Erinnerung an ihr Werk wird unsere Emp- findung schärfen für den Schrei der gequälten Menschheit aus Sibirien�   aus den Gefängnissen, aus Pen großen Städten und den kleinsten Weilern Rußlands  , für den Schrei, der die Kultur- Menschheit um Hilfe anruft. Mitbürger! Sobald man erfuhr, daß der Zar eine Reise durch Europa   unternehmen würde, haben die russischen Revo- lutionäre alle Völker aufgefordert, dem Autokraten den Weg zu versperren und ihn als Gefangenen zu erhalten der eigenen Ver- brechen und des tragischen Geschicks, das ihn erwartet. Dieser Appell verhallte nicht ungehört. Er genügte, um den Zaren ab- zuhalten, irgendwo den Fuß auf festes Land zu setzen, wo ein Kulturvolk lebt und empfindet. Die Empfangsfcstlichkeiten, die ihm die Regierungen bereiten, wie sie sie einem Pestkranken be- reiten würden, indem sie selbst über das freie Meer den Be- lagcrungszustand verhängen, bestätigen nur die Wirksamkeit des Appells der russischen Revolutionäre, denn sie sind nichts als Formalitäten trockener Diplomatie, denen die öffentliche Meinung des Volkes gänzlich fremd bleibt. Schweden  , England, Deutschland  , Frankreich  , haben schon großartige Protestkundgebungen veranstaltet: unser Volk, von dem der erste Protest ausging, wird nicht hinter den anderen zurückbleiben. Ueber Stunde und Art wird Euer Exekutiv- komitee befinden. Euch allen.Bürger Italiens  , liegt es ob, schon jetzt aus die Gemüter einzuwirken, damit die Kundgebung in ihrer Wucht und Strenge Eurer Traditionen würdig sei und der angstvollen Erwartung eines gemarterten Volkes. Es lebe das fteie Rußland   auf den �Trümmern der Auto- kratie! Es folgt nun eine Zahl von Unterschriften, unter denen wir von bürgerlichen Namen den Giuseppe Sergis hervorheben, des Professors der Anthropologie an der Universität Rom  , ferner den des Bildhauers B i o n d i. Die übrigen Unterzeichner sind Parteigenossen oder Syndikalisten. Genannt seien die Genossen G no cch i-Vi an i, Dugöni, Giovanni Lerda, S u z z a n i und die Genossin Altobell i. Sie ist das einzige Mitglied des Parteivorstandes, das unterschrieben hat. Von der Parlamentsfraktion fehlen 24 Namen, darunter B i ffo lati, Zerboglio, Treves, Cabrini, Rondant, Montemartini  . Badaloni, Pescetti, Ciccotti, Chiesa, Andrea Costa  , Enrico und Giacomo Ferri. Für das Komitee zeichnet Genosse Morgari, Zerbint, S o t t o v i a für die Anarchisten Roms, Bella für die sozia- listische Jugendorganisation, die zur Partei gehört, und P a c e für die außerhalb der Partei stehende sozialistische Jugendorganisation. politilcbe GeberlicKt. Berlin  , den 7. September 1909. Der Donaueschinger   Hilfsfonds. Verschiedentlich haben wir auf die eigenartige Verteilung des für die notleidenden Abgebrannten Donaueschingens gesammelten Hilfsfonds hingewiesen und Aufklärung über die Verwendung der Gelder verlangt. Lange hat das Hilfskomitee gezögert. Jetzt hat es aber endlich die Schlußrechnung über die Verteilung der Hilfs- gelber für die Opfer der Brandkatastrophe in Donaucschingen ver- öffentlicht. Sie bestätigt die in den letzten Tagen an dieser Stelle mehrfach ausgesprochene Vermutung, daß auch besitzende Abgebrannte von den Hilfsgeldern nahmen, was sie bekommen konnten. Die Ab- rechnung ergibt sogar, daß der mehrfache Millionär, Großindustrielle und Großagrarier, Besitzer von Gütern in drei europäischen Neichen, Fürst v. Fürstenberg, durch die Art der Verteilung die Summe von 80000 M. geschenkt erhalten hat. Da an Hilssgeldern inkl. Naturalien 1 138 000 M. eingingen und rund 000 000 M. zur Verteilung an die Abgebrannten kamen, überwies man der Stadt für das zerstörte Rathaus und für sonstigen Schaden 200 000 M. Man wollte verhüten, daß in diesem und den nächsten paar Jahren die Kommunalsteuern stark erhöht werden müßten. Nun zahlt die Fürstenbergsche Staudesherrschaft in Donau  - eschingen allein durch ihre ausgedehnten Besitzungen halb Donau  - eschingen gehört Fürstenberg 40 Proz. der Kommunal steuern. Durch die 200 000 M. ersparte man dem Fürsten von Fiirstenberg die Zahlung von 80000 M. Kommunal- st e u e r n. Und dazu haben im vorigen Jahre Hunderte armer Leute ihr Scherflein beigetragen! Die Geschichte des Donaueschinger   Hilfsfonds lehrt, daß man bei ähnlichen Gelegenheiten bestimmte Garantien festlegen muß, damit nicht wieder um ihr Dasein schwer ringende Arbeiter gewissen Kapitalisten zur Vermögensvermehrung verhelfen. Ganz beiläufig bemerkt, erhielten aus dem Hilfsfonds die ver- sicherten Mobiliarbeschädigten 17 Proz. ihres Schadens, die nicht versicherten 4245 Proz. Den abgebrannten Hausbesitzern wurden die Abräumungsarbeiten mit 600 M. pro Haus und außerdem noch 23 Proz. ihres Schadens vergütet. Wohlgemerkt, dies alles außer der Entschädigung, die die Feuerversicherungen zu decke» hatten. Gar manche der Abgebrannten sind heute besser daran als vor der Brand- katastrophe, ganz abgesehen davon, daß sie in modern gebauten und neu eingerichteten Häusern wohnen. Konservatives Terzett./ In der konservativen Presse ist ein höchst amüsanter Streit um die Taktik entbrannt. Bisher polemisierten nur der frommeNeichsbote" und das Blatt der Hammerstein- Epigonen, dieKreuz-Ztg.", miteinander, und zwar deshalb. weil derReichsbote" der konservativen Parteileitung fehler­hafte Taktik, Ueberschreitung der Grenzen berechtigten Land- wirtschutzeZ, agrarische Uebertreibungen, zu große Nach- giebigkeit gegen die Forderungen des Bundes der Land- Wirte usw. vorgeworfen hatte. In ihrer Antwort auf die Vorwürfe desReichsboten" hat nun aber dieKreuz- Zeitung  " offen zugegeben, daß der Bund der Landwirte tat- sächlich manchmal zu ausschließlich die agrarischen Interessen verfochten habe, und daß daher sie, dieKreuz-Zeitung  ", oft genug genötigt gewesen sei.den agitatorischen Uebertreibungen des Bundes der Landwirte entgegenzutreten". Erbost ob dieses Zugeständnisses an die Auffassung derKreuz- Ztg." begann heute früh auch dieDeutsche Tageszeitung" sich in das schöne Flötcnkonzert zu mischen, indem sie sich zugleich gegen denReichSboten" und das Organ der Hammer- und Kalcksteine Ivandte. Agitatorische Schärfen," meinte sie in ihrer Polemi! gegen dieKreuz-Ztg.",kommen überall einmal vor; vor Ueber- treibungen aber hat sich der Bund der Land- Wirte stets gelvissenhast gehütet; und jedenfalls hat er in seiner ganzen Agitation nichts aufzuweisen, das etwa dem Wort von demRaubzuge" der neuen Steuern auch nur von weitem ähnlich sähe, das der nationalliberale Führer auf der Reichstagstribüne zu gebrauchen sich nicht gescheut hat. Daß ferner die Haltung des Bundes beim Zolltarif keine Uebertreibung bedeutete, haben wir zu oft nachgewiesen, als daß eine neue Erörterung irgend welchen Reiz für unsere Leser haben könnte. Wenn aber dieKreuz-Ztg." meint, der Bund der Landwirte habemit seiner einseitigen Bekämpfung der Reichs- steuer auf das Erbe der Ehegatten und Kinder als einer Vorzugs- weise die Landwirtschaft belastenden Steuer einen Fehler be- gangen, der sich jetzt an ihm selber rächen kann." so können wir dieser durch nichts gerechtfertigten Behauptung nur wieder ent- gegenhalten, daß es besser um das Verständnis des Volkes für das große nationale Werk der Finanzreform stehen würde, wenn die konservative Partei dasselbe wie der Bund der Landwirte in-der Aufklärung über die Bedeutung der Erbschaftssteuer geleistet hätte... Endlich meint dieKreuz-Zeitung  " noch, von einer Aenderung der konservativen Parteipolitik in agrarischen Angelegenheiten sei nicht die Rede.Geändert hat sich höchstens die Haltung des Bundes der Landwirte, der unter dem erziehenden Einflüsse der konservativen Elemente in Form und In- halt seiner Agitation gemäßigter worden ist." DieKreuz- Zeitung  " müßte wirtlich wissen, daß von einer Aende- rung des Inhalts der Bundesagitation absolut nicht die Rede sein kann; über den anderen Teil ihres letzten Satzes gehen wir wohl am besten mit nachsichtig-ver- st e h e n d e ni L ä ch e l n hinweg." Darauf hätte nun wieder dieKreuz-Ztg." das Wort. Leider scheinen wir jedoch um den Genuß kommen zu sollen. daß in dieser Weise das Terzett fortgesetzt Ivird, denn in ihrer letzten Abendnummer druckt dieKreuz-Zeitung  " einfach die Erwiderung desReichsboten" ab und fügt lakonisch hinzu: Zu Bemerkungen gibt uns diese Erwiderung desReichs- boten" keine Veranlassung; sie schien uns aber doch interessant genug, sie unseren Lesern vollinhaltlich mitzuteilen." Und zu- gleich bringt dieDeutsche Tagesztg." ein mit der bekannten Kognakmarke(Chefredakteur Dr. Georg Oertel) unterzeichnetes Letztes Wort", in dem das Blatt ankündigt, daß es ein Weiterspinnen der Auseinandersetzungen nicht für an- gebracht hält, da dabeiverzweifelt wenig Greif- bares" herauskäme und überdies die Konservativen aller Richtungen so viele gemeinsame Gegner Hütten, daß es nicht- nötig sei, daß sie selbst gegen einander loszögen. Allem Anscheine nach hat die konservative Parteileitung im EinVerstand mit dem Vorstand des Bundes der Landwirte Ruhe geboten. Schade darum, die Melodie fing gerade an. recht interessant zu werden._ Von derloyalen" Ausführung des Vereinsgesetzes. In der Auslegung des VereiusgesetzeS hat die Polizei- direltion in Braunschweig   wohl jetzt den Vogel abgeschossen. Sie bedachte den Vorsitzenden des Transport- arbeiter-VerbandeS in Braun schweig, den Genossen B ä r s ch, mit zwei Strafmandaten über je 15 M., weil er eine öffentliche politische Versammlung ein- berufen und geleitet, aber nicht angemeldet haben sollte. Die Polizei hatte dabei absolut keine Ahnung, was in der Versammlung gesprochen worden war. Ganz auf gut Glück hin hat sie sich einige Genossen zur Vernehmung geladen, von denen sie annahm, daß sie die Versammlung besucht hätten. Alle Ver- nommenen haben bestritten, daß politische Dinge besprochen worden sind. Trotzdem erließ die Polizeidirektion Strasinandate. Am Montag, 6. September, kam der Fall vor dem Schöffen- gericht in Braun schlveig zum AuStrag. Auch nicht den gering st en Nachweis vermochte die Polizei für ihre An- schuldiguug zu erbringen! Aber der Vertreter der Staatsanwaltschaft, ein junger strebsamer Herr, kam ihr zu Hilfe. Er verlangte Be- strafung des Genossen Barsch, auch wenn die Polizei nichts über die Versammlung wisse. Die Versammlung sei eine öffentliche politische gewesen, weil sich 1. aus dem Wortlaut der Einladung auf d i e sozialdemokratische Tendenz der Versa nrmlnng schließen lasse, weil 2. der Referent Redakteur des sozialdemokratischenVotkSfreund"(Genosse Wagner) sei. und loeil 3. der Angeklagte Vorsitzender der Verwaltungsstelle eines Verbandes sei, der unter sozialdemokratischer Leitung stehe. Dabei lautete das Thema des Referenten: Warum tut allen Arbeitern die gewerkschaft- liche Organisation dringend not?", und in der Ver- sammlungSeinladung war nicht ein Wort enthalten, was auch nur den geringsten Verdacht hätte erwecken können, daß die Ver- sammlung eine politische sei; eS sei denn, daß der Vertreter der Staatsanwaltschaft die allerdings nicht verwunderliche Anschauung vertreten will, daß es sozialdemokratisch sei, wenn den Arbeitern gesagt wird, daß sie 12, 13 Stunden und länger arbeiten müssen bei einem Wochenlohn von 18, 20 bis 24 M. und daß eine Familie davon nicht ernährt werden kann. Das Gericht sprach den An- geklagten selbstverständlich frei. Ein zweiter Fall spielt wieder in Schlesien  . Letzten Sonntag sollte in Wolfsdorf, Kreis Goldberg  -Haynau  . eine öffentliche politische Versmnmlung unter freiem Himmel statt- finden, in der über die neuen Steuern gesprochen werden sollte. Auf vorschriftsmäßige Anmeldung erhielt der Einberufer folgenden Bescheid: WolfSdorf, den 1. September 1009. Die Genehmigung wird aus folgenden Gründen verweigert: Das Grundstück ist zur Abhaltung von Versammlungen zu klein und ist daher anzunehmen, daß der öffentliche Verkehr auf dcr Dorfstraße behindert wird, zumal da sich an diesem Tage größere Truppenmassen im Dorfe befinden. Der Amtsvorstcher Scheller." DaS Grundstück ist aber nicht zu klein, eS ist zirka 2500 Quadratmeter groß und bietet Raum für 5000 Per- s o ii e n. ES liegt von der Dorfstraße reichlich 20 Meter entfernt, kann von dieser nicht gesehen werden und hat außerdem keinen direkten Zugang von der Dorfstraße auS, sondern dieser geht durch ein Gehöft. Die nicht genehmigte Versammlung sollte die erste politische sein, die überhaupt in WolfSdorf abgehalten wird. Der AmtSvorstehcr, der nicht über die neuen Steuern sprechen lassen wollte, ist Pächter zweier der königlichen Ritterakadcmie Liegnitz   gehörenden Rittergüter und ist als solcher Besitzer etiler Schnapsbrennerei und Empfänger von Schnapsliebesgaben._ Der verbesserte Deknmeron. Noch nie ist ein Politiker und OrganisationSsührer von einem vernichtenderen Schlage getroffen worden» als Herr Schock, Reichstagsabgeordneter und Vorsitzeuder des Deutschnationalen HandlungSgehilfenverbandeS. Schack ist nach seiner Triolen-Affäre nicht nur als Abgeordneter und Leiter eines Verbandes eine total unmögliche Figur geworden, er ist fortan auch für jede Gesellschaft unmöglich. I» einem EntschuldigungSbrief an das auserkorene Opfer der Schackschen Familienperversität wagt Schack davon zu reden, daß die Familie Schackfür den praktischen Sinn der meisten Menschen etwas zu romantisch veranlagt" sei. In der Tat, für die Schack-Romantik ist die heutige Zeit zu praktisch", zu prosaisch. Sie findet höchstens in BocaccioS kichernden Novellen eine Art Seitenstück. Dort erwischt ein gehörnter Ehemann nämlich nächtens im Bette seiner Frau einen schönen Jüngling, für den er alsbald in heißer Liebe entbrennt. AIS   der Jüngling am Morgen entlassen wird, weiß er selbst nicht, ob er eigentlich der Geliebte der Frau oder ihres ManneS ist. Just so. nur im Geschlechtlichen umgekehrt, ist'S auch bei Herrn Schack. Eine tolle Dekamcron-Schnurre, über die man zur Zeit der heidnisch- welschen Renaissance lachte, die aber unser christlich-germauisches Zeitalter bitter ernst nimmt. Und Herr Schack war ja selbst einer der christlich-gcrinanischcn Tugendwächter. der die d e u t s ch e S i t t e, die Ehe als unantastbare Sakramente pries. In einem der vom Deutschnationalen Verbände herausgegebenen Hefte eiferte der heim- liche Renaissance-Mensch Schack: