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Nr. 209. 26. Iahrgavg. 2. Kcilqe Ks m (tlinn WÄM. Mittwoch, 8. September 1909. Heute lttitwoch: ZahiabemZ in Lrok- Kerlin. Morgen Vonnerstag:?lugbiattverbreitung in lien Lanätagsg/ahibeÄrken. Partei-)Znge!egenkeiten. Charlottenburg . Am Mttwoch, den 8. September, findet Kaiser- Friedrich-Strafie 24 bei Schulze ein kombinierter Zahlabcnd der 6. Gruppe statt. Erkner . Heute, Mittwoch, den 8. September Wahloereins- Versammlung. Königs-Wusterhausen . Den Parteigenossen der beiden Bezirke de-? Ortes zur Kenntnisnahme, datz laut Beschluß des letzten geniein- schaftlichen Aahlabends bis auf weiteres beide Bezirke ihren Zahl- abend gemeinschaftlich im Lokal des Herrn Stechardt sSiegcskranzs abhalten._ Der Vorstand. Berliner JVaebriebtem Für die bevorstehenden Stadtverordnctcnwahlen war die Wählerliste in der zweiten Hälfte des Juli zur Ein- sichtnahme ausgelegt worden. Sie wurde diesmal von 7 5 247 Personen kontrolliert, während vor zwei Jahren nur b6 674 Personen und vor vier Jahren gar nur 21 314 Personen so borsichtig gewesen waren, sich um die Wählerlisten für die damaligen Stadtverordnetenwahlen zu kümmern. Man sieht, wie in immer weiteren Kreisen der Wählerschaft es als Pflicht erkannt wird, die Wählerliste zu prüfen, um nötigenfalls Berichtigung fordern zu können. Verhältnismäßig noch stärker hat die Zahl der Einsprüche sich erhöht. Diesmal sind 3630 Berichtigungsanträge ein- gegangen, während vor zwei Jahren nur 1663 Berichtigungen und vor vier Jahren nur 318 Berichtigungen beantragt worden waren. Wenn auch in der Regel viele dieser Anträge sich hinterher als un- begründet erweisen, so bleiben doch immer noch mehr als genug Fälle berechtigten Einspruches übrig. Immer wieder ist aufs neue die alte Erfahrung bestätigt worden, daß das gedankenlose Vertrauen auf die vermeintlicheZuverlässig- keit" der Wählerliste, das sich bei noch viel zu vielen Wählern findet, sein höchst Bedenkliches hat. Es handelt sich da nicht nur um irrtümliche Weglassung aus der Liste, durch die so mancher Wahlberechtigte um das Recht mitzuwählen gebracht wird, weil er es für überflüssig gehalten hat, beizeiten die Liste zu prüfen und nachträgliche Aufnahme zu fordern. Auch solchen Wählern, die in der Liste verzeichnet sind, kann es am Wahltage passieren, daß sie nicht zur Wahl zugelassen werden, weil die Liste erhebliche Un- genauigkeiten der Namenschreibung, der Berufsangabe usw. ent- hält, deren Berichtigung der ahnungslose Wähler nicht be- antragt hat. Den Stadtverordneten legt der Magistrat jetzt für ihre erste Sitzung nach den Ferien eine Zusammenstellung der diesjährigen Einsprüche vor, indem er sogleich eine An- gäbe darüber hinzufügt, ob der Einspruch berechtigt scheint oder nicht. Er stützt sich dabei auf die vorläufigen Erklärungen, mit denen inzwischen das Wahlbureau sich zu den Einsprüchen geäußert hat. Die Stadtverordnetenversammlung wird nun noch genauer zu prüfen haben, welche Einsprüche als berechtigt anzuerkennen sind. Eine Reihe Einsprüche, deren Berechtigung ohne weiteres klar war, sind vom Magistrat durch sofortige Berichtigung erledigt worden. Das sind die 311 Anträge auf Berichtigung des Vor- oder Zunamens, der Berufsangabe usw. Vor zwei Jahren waren nur 122 solche Anträge eingegangen, die Häufig- keit dieser Irrtümer hat sich hiernach bedeutend gesteigert. Man glaubt gar nicht, welche tollen Schreibfehler da manchmal vor- kommen. Eine Aufzählung der einzelnen Irrtümer fehlt diesmal in der Vorlage, wohl deshalb, weil der Magistrat nicht mehr be- kannt werden lassen will, wie skandalös liederlich die Wählerlisten zusammengestellt werden. Besonders den sozialdemokra- tischen Wählern kann, wenn sie mit fehlerhaften Angaben in der Liste stehen, das Schicksal einer Zurückweisung von der Wahl blühen, alldieweil sie den zumeist aus Freisinnsmännern zusammen- gesetzten Wahlvorständen in der Regelnicht persönlich bekannt" sein werden. Auch die g 2 Wohnungsumtragungen werden wohl ohne weiteres von der Stadtverordnetenversammlung gutgeheißen werden müssen. Matzgebend ist da ein erst vor einigen Jahren glücklich wieder ausgegrabenes Ortsstatut von 1854, nach dem jeder Wähler mit derjenigen Wohnung in die Liste aufzunehmen ist, die er nach dem Ostcrumzug hatte. Diese Bestimmung ist der Arbeiter- bcvölkerung ungünstig insofern, als gerade der Arbeiter oft seine Wohnung wechseln mutz. Manche Wähler haben schon zur Zeit der Listenaufstellung nicht mehr die Wohnung, mit der sie in die Liste kommen. Das erschwert uns die Wahlagitation, zur Ge° nugtuung des Stadtfreisinns. Die größte und wichtigste Gruppe der Berichtigungsanträge sind diejenigen, die eine nachträgliche Aufnahme in die Wählerliste fordern. Diesmal sind es 3230, vor zwei Jahren waren es nur 876. Wie üblich, erklärt die Magistratsvorlage die allermeisten dieser Einsprüche für unberechtigt. Aber die Er- fahrungen der Vorjahre lehren, daß man dem die stärksten Zweifel entgegensetzen mutz. Von den Streichungsgründen, die da angeführt werden, wollen wir nur die häufigsten erörtern. Geradezu ungeheuerlich groß ist diesmal die Zahl der Wähler, die als S t e u e r r e st a n t e n aus der Liste gestrichen worden sind. Lediglich dieser Grund wird bei 1364 Personen angegeben (vor zwei Jahren nur bei 288), außerdem spricht es auch noch bei einer erheblichen Zahl anderer Wähler mit, die zugleich auch aus anderen Gründen(z. B. Unterstützung) gestrichen wurden. Diese Ziffern zeigen, wie die Arbeitslosigkeit und der Not- stand, die auf dem»verktätigen Volk lasten, die Arbeiter- klasse auch in ihren politischen Rechten beein- t r ä ch t i g t haben. Fragen muß man aber, nach welchen Grund- sätzen eigentlich entschieden wird, wer als Steuerrestant zu be- trachten sei. Sollte nicht doch mancher, der im Quartal April- Juni seine Steuern schuldig geblieben war, sie im Juli noch vor der Listenauslegung entrichtet haben? Es folgt dann eine Gruppe von 264 Personen(vor zwei Jahren nur 49), gegen die geltend gemacht wird, daß sie im letzien Jahr aus öffentlichen Mitteln unterstützt worden seien. Das kostet bekanntlich gleichfalls das Wahlrecht, so will es der Klassenstaat. Meist handelt es sich dabei nicht mal um Unter- stützungen in bar, sondern nur Um Gewährung von Kranken hauspflege, die nicht schnell genug bezahlt worden war. Aber auch das bringt dem beschäftigungslos und erwerbslos gewordenen Arbeiter die Wahlentrechtung. Noch darf das liberale Bürgertum sich dieses die Arbeiterklasse schädigenden Zustandes freuen, weil für das Gemeindewahlrecht noch keine gesetzlichen Bestimmungen getroffen sind, die den wahlentrechtcndcn Einfluß derArmen- Unterstützung" beschränken. Der Notstand des letzten Jahres hat die Schar der durch Armut Entrechteten noch bedeutend ver mehrt. Auch die Bestimmung, daß Schlafburschen nicht das Ge- meindewahlrccht haben, schädigt die Arbeiterklasse und kommt dem liberalen Bürgertum zugute. Die MagistratSvorlage gibt diesmal für 329 Personen(vor zwei Jahren für 249) lediglich das als Streichungsgrund an, daß sie Schlafburschen seien. Ob das immer stimmt, ist sehr zu bezweifeln. Mancher Arbeiter wird gewiß ohne weiteres als Schlafbursche gemeldet, obwohl er selbständig über den von ihm gemieteten Raum verfügen darf und daher als Chambregarnist gelten müßte und wahlberechtigt wäre. Wer als vermeintlicher Schlafbursche aus der Liste gestrichen wird, erfährt das erst dann, wenn er in der Liste vergeblich seinen Namen sucht. Und auch dann erfährt er noch nicht den Grund der Streichung, so daß er nicht mal weiß, was er zur Begründung seines AufnahmeantrageS anführen soll. Dasselbe gilt von all den anderen Streichungsgründen, von den Steuerrcsten, die noch nicht bezahlt sein sollen, von der Unterstützung, die angenommen worden sein soll, und schließlich auch von dem Mangel der p r e u tz i- schen Staatszugehörigkeit, den die vom Magistrat vor- gelegte Zusammenstellung in zahlreichen Fällen als Grund an gibt. Es ist schwer, solche Behauptungen rechtzeitig durch Be. schaffung der Nachweise zu widerlegen, wenn man nicht schon bei der Listenauslegung erfahren kann, warum man nicht in die Liste aufgenommen wurde. Für eine ganze Reihe von Fällen gibt schon das Wahlbureau und der Magistrat zu, daß zuunrecht die Aufnahme unterblieben ist. Für zahlreiche weitere Fälle wird, davon sind wir überzeugt, noch die Stadtverordnetenversammlung die nötige Korrektur vorzunehmen haben. Mußte doch vor zwei Jahren durch die Stadtverordnetenversammlung nahezu die Hälfte aller Aufnahmeanträge 416 von 876 als berechtigt anerkannt werden. Darunter waren Anträge namentlich von sehr vielen, die irrtümlich alsSchlafburschen" gegolten hatten, ferner auch von vermeintlichenSteuerrestanten",Unterstützten",NichtPreußen" usw. » Die vorstehenden Darlegungen liefern für jeden Wähler den schlüssigen Beweis, wie wichtig die Einsichtnahme in die Wählerliste ist. Das sollten sich auch unsere Genossen ein- prägen angesichts der in Aussicht stehenden Landtagsersatzwahlen. Wir haben mitgeteilt und wiederholen es, daß die Wähler- listen für die Landtagswahlen in den vier zur Wahl stehenden Bezirken ausliegen am Sonntag, den 12. September d. I., von mittags 12 bis nachmittags 5 Uhr, am Montag, den 13. September d. I., und am Dienstag, den 14. September d. I., von mittags 12 bis abends 8 Uhr, also nur drei Tage in den in unserer Sonnabeudausgabe namhaft gemachten Turnhallen der Gemeindcschulen. Jeder Landtagswähler muß Einsicht in die Wählerliste nehmen und sich seines Landtagswahlrcchts versichern. Auf jede Stimme kommt es bei den Urwahlen zum Landtag an! Protegierte Sänger. In hiesigen Blättern lesen wir: Zum Märkischen Sängertag, einberufen vom Märkischen Sängerbund, hatten sich am Sonntage zahlreiche Delegierte aus allen Orten der Provinz und Vertreter der Behörden in Berlin eingefunden. Vom Kultusmini st eriu in war Geheimrat Herfurth erschienen. Der Märkische Sängerbund umfaßt gegen- wärtig 129 Vereine. Neu aufgenommen wurden sechs Vereine. Als Bundesdirigent wurde der Kantor Pohl, Nowawcs, wieder- gewählt. Das Gesangsfest im Jahre 1919 soll im Juni in Eberswalde stattfinden. Der Märkische Sängerbund wird weiter- hin die Pflege des Mückegrabes, das sich auf dem Alten Jcrusa- lemer Kirchhofe in der Bergmannstratze in Berlin befindet, über- nehmen. Den Vereinen lourde empfohlen, der Anregung des Kaisers entsprechend vor allem das volkstümliche Lied zu pflegen. In dem Jahresbericht wurde unter anderem mitgeteilt, daß der neue Reichskanzler v. Bethmann Hollweg ein Gönner und treuer Förderer des Märkischen Sängerbundes ist." Wenn der Arbeit er-Sängerbund seinen Sängertag abhält, erscheint kein Vertreter deS Kultusministeriums; auch kein Reichs- kanzler wird ihm Gönner oder Förderer sein. Das brauchen die Arbcitcrsänger auch nicht, sie verzichten auf Protektion; ihnen ge- nügt, wenn die Arbeiterschaft ihren Liedern, die wirkliche Volts- tümliche Lieder nämlich Freiheitslieder sind, Verständnis entgegenbringt und sich zu freiheitlichem Handeln begeistert. Die beste Protektorin der Arbeiterlieder ist die Arbeiterschaft selbst. Die Deputation für die Kanalisation und Güter Berlins be- schloß in ihrer Sitzung am Montag, den 6. September, das Gesuch des Vereins der Blankenburger Grundbesitzer, eine Brücke� über die Panke zu bauen, abzulehnen. Die Benutzung der Fußgänger- Wege soll wie seither den Anliegern gestattet bleiben. Die Jagd und Fischerei am Gorinsee ist für 5999 M. verpachtet, die Aus- schreibung daher zurückgezogen worden. Das Gesuch, die Er- richtung einer Volksbibliothck in Gütcrgotz zu unterstützen, wird genehmigt. Der Kirchengcmeinde Blankenfelde eine Unterstützung, über den Patronatsbeitrag, zur Reparatur der Kirche zu gewähren, wird abgelehnt. Die Erwerbung einer Waldparzelle im Gebiet der nördlichen Rieselgüter, findet unter gewissen Voraussetzungen die Zustimmung der Deputation. Ein Kaufangebot im Bezirk der Administration Osdorf bei Teltow wurde glatt abgelehnt, da der geforderte Preis jede weitere Verhandlung als aussichtslos er- scheinen läßt. Ueber die verstorbene alte Genossin Stiigemann, der wir bereits gestern in Kürze gedacht hatten, schreibt uns noch eine be- kannte Genossin: Nun ist auch die letzte jener Genossinnen von uns gegangen, die bereits am Ausgang der 6ver Jahre innerhalb der Arbeiterbewegung für den Anschluß und die Aufklärung der Frauen eintraten. Aus ihrer ländlichen Heimat im Oderbruch kam sie in frühen Jahren nach Berlin , wo sie bald an der Seite ihres Mannes in die Scharen Lassallcs eintrat. Sie gründete, nachdem sie zum ersten- mal in einer Volksversammlung mit den Männern diskutiert hatte, vereint mit den Frauen K a n t i u s und S ch a ck o w, den ersten Arbeiterinncnverein. Die Polizei machte diesem bald den Garaus, weilsich seine Mitglieder mit Politik" beschäftigt haben sollten. Haussuchungen beim Vorstand und Gefängnisstrafen waren die Folgen. Genossin Stägemann hat nach Verbüßung derselben mit um so größerem Eifer unter den Proletariern agitiert und mitgearbeitet, so manchem Ausgewiesenen hat sie Unterkommen und Schutz gewährt, viele der Gehetzten durften sich an ihrem Tische sättigen. Als dann anfangs der 89er Jahre eine neue Bewegung unter den Proletarierinnen sich Bahn brach, war sie es wiederum, die überall anfeuernd und ermutigend wirkte. Ihre Ansprachen und Aufrufe zur Organisation, schlicht und einfach, fanden immer Verständnis und Widerhall in den Herzen und Köpfen der Frauen und der Männer des Proletariats. Sie gehörte dem Vorstand des zweiten Arbeiterinnenvereins wiederum bis zu seiner Schließung an und wurde gleich den anderen Vorstandsmitgliedern mit 199 M. Geldbuße bestraft. Derselbe nichtige Vorwand, die angebliche Be- schäftigung mit Politik, hatte der Polizei für die Schließung als Vorwand gedient. Mutter Stägemann blieb mit ganzer Seele bei dem kämpfenden Proletariat und als die Todcskrankheit sie schon erfaßt hatte, war ihr Interesse, ihre Sorge immer noch darauf gerichtet, daß der Kampf für Freiheit und Recht auch fortschreite, daß auch die Frauen, die Arbeiterinnen, stets lebhaften Anteil nehmen möchten. Das ist ihr Vermächtnis an das Proletariat, nie werden wir unsere treue Vorkänipferin vergessen. Einen Triumph Orville Wrights stellte der Flug dar, den der kühne Aeronaut am DicuStagnachmittag unternahm. Die 5969 999 Zuschauer, die sich wiederum eingefunden hatten und bereits um 4 Uhr daS mächtige Flugterrain in schwarzem Ring umschlossen hielten, mußten zwar lange warten, wurden dann aber auch über Erwarten reich für ihr Harren belohnt. Infolge de? starken böigen Südwests flog der Aviater erst 3 Minuten nach a/tG Uhr auf. Und in der ersten Viertelstunde seines Fluges hatte er, wie das Auf- und Niederwogen seines AeroplanS bewies, auch noch tüchtig mit dem Winde zu kämpfen, wenn auch die Flug- Maschine unbekümmert ihre Kreise zog. Dann aber gewann der Flug zusehends an Stetigkeit und Eleganz. Mit geradezu wundervoller Grazie zog jetzt Orville Wright in bald größeren, bald kleineren Rundflügen, bald von West nach Ost, bald von Ost nach West übers Feld. Die Maschine gehorchte ihm wie ein Auto- mobil einem getvandten Chauffeur. Jetzt flog er auch unmittelbar an den langen Ketten der enthusiasmierten Zuschauer vorüber, bald auf der Rixdorfer Seite, bald unmittelbar an der Tempelhofcr Chaussee, bald auf der Süd-, bald auf der Nordgrenze des Flug- terrainS. Jedesmal, wenn er an der Tempelhofer Chaussee vorbei- ratterte, machten etliche Hunde einen heftigen Angriff auf den selt- samen Riesenvogel. Einmal veranstaltete er an der Ringbahn einen Wettflug mit einem von Tempelhof nach Rixdorf fahrenden Zuge, den er aber im Handumdrehen weit überholte. Und als sich die Schatten des Abends auf die Landschaft legten, stieg der weiße Riesengeier immer höher in die Lüfte, um sich in der Höhe von 59 Metern wie spielend in der Runde zir tummeln. Unvergleichlich sah es aus, wenn das Fahrzeug wir beobachteten die Flüge von der oberen Etage eines Hauses der Schtvicbuser Straße aus mit einem 12fachen GoerzglaS hoch über den Baumwipfeln der Hasenheide wie ein Schwan majestätisch dahinzog, sich mit seinen weißen Segelflächen scharf gegen das Wolkengrau deS abendlichen Himmels abzeichnend. Deutlich sahen wir den Lenker dieses Wunderfahrzeuges in sicherer Ruhe neben seinem Motor sitzen und mit gelassenen Armbewegungen durch die kühlklare Luft steuern. Wer diesem Fluge beilvohnte, für den wurde es zur frohen Ueberzeugung. daß dieEroberung der Luft" keine Illusion niehr, sondern eine glorreiche Tatsache ist. Nach einem Flug von 52 Minuten landete Orville Wright sanft in der Mitte des Feldes. Er muß mindestens 69 Kilometer zurück- gelegt haben._ Die Erpresseraffäre des Journalisten Dahsel ist dein Herausgeber derWahrheit", dem ReichstagSabgeordnetcn Wilhelm Bruhn , immer noch sehr unangenehm. Der Prozeh gegen 2>ahsel rückt immer näher, und die Gewißheit, daß festgestellt wird, daß Dahsel zu seinen Erprcsscrpraktiken als Mitarbeiter die BruhuscheWahrheit" benutzt hat, bereitet Herrn Bruhn sichtliches Unbehagen. Auf eine vor Wochen über die Dahselschen Beziehungen zurStaatSbürgerzeitung" und dann zur BruhnfchenWahrheit" gemachte, in zahlreichen Blättern abgedruckte Korrespondenz ist Bruhn besonders schlecht zu sprechen. Und er kündigt großmäulig an, den Verfasser der ZeitungSkorrcspondenz, als welchen er einen Herrn Schweder bezeichnet, zu verklagen. Hierzu wird uns ge- schrieben: Der Herausgeber derWahrheit", Reichstagsabgcordnetcr Bruhn, entrüstet sich über einen von dem Berichterstatter Schwedcr über die Erpresserangelegenheit Dahsel veröffentlichten Bericht, da in diesem Beleidigungen enthalten seien. Bruhn will Schtveder und alle Zeitungen, die den Schwcderschen Bericht aufgenommen haben, wegen Beleidigung verklagen. Ich kann im Augenblick nicht beurteilen, ob und inwieweit Bruhn recht hat, jedenfalls ist dieser Konflikt zwischen den zwei ehemaligen antisemitischen Freunden sehr interessant. Der feinfühlende Herr Bruhn. der Herrn Schwcder. damals Famulus des Herrn Dahsel, sehr begünstigte. hatte nichts einzuwenden, als in den 1899cr Jahren wenn ich mich nicht täusche, unter dem Vorsitz Bruhns zwei Bericht- erstatter, die Herren Wohlberg und Krause-Görner, auf aus- drückliche Veranlassung Schweders, aus einer Anti- semitenversammlung hinausgeprügelt wurden. Der damalige Kandidat der Theologie Wohlberg, der, soweit mir erinnerlich, für denLokal-Anzeigcr" schrieb, wurde nicht nur in furchtbarster Weise verprügelt, es wurden ihm auch die Sachen vom Leibe ge- rissen. Schweder befürchtete nämlich, die genannten Journalisten könnten ihm Konkurrenz machen. Es ist eine Ironie des Schicksals, daß Herr Bruhn die Rüpelei, durch die sich am Ende des vorigen Jahrhunderts die Antisemiten in jeder Beziehung auszeichneten und die er in erster Reihe hat großziehen helfen, nun von einem feiner Zöglinge am eigenen Leibe zu spüren bekommt."