Einzelbild herunterladen
 

tarischen Arveitervertretung zeigt sich in den Ergebnissen der parlamentarischen Arbeit, die von den der früheren Parlamente vorteilhaft abstechen. Unter den Kongreßdelegierten befinden sich 33 Parlamentsabgeordnete, 26 Friedensrichter, 2 Bürgermeister, 6 Aldermen und 18 Eenieinderäte. Aber besonders freut es uns. Delegierte von Landarbeiterorganisationen zu sehen. Manche unter uns hatten das Vergnügen, mit Josef Arch, dem ersten Landarbeiterorganisator, zu verkehren, der im Jahre 1873 die erste Landarbeitergewerkschafr schuf. Die Schwierig« keiten waren außerordentlich, dennoch hatten die Landarbeiter von Dorchester damals eine Organisation schaffen lönnen. Heute haben wir verhältnismäßig größere Bewegungsfreiheit, deren sich die Land- arbeiter bedienen müßten, eine starle gewerkschaftliche Bewegung in den Ackerbaugegendcn zu schaffen. Die gegenwärtige Parlamentstagung, die noch nicht ab- geschlossen ist, war hauptsächlich mit dem Etat beschäftigt. Der Etat muß als eine der größten Finanzreformen unserer Zeit be- trachtet werden. In ihm wird zum erstenmal der Versuch gemacht, die wachsenden Staatslasten auf die stärksten Schultern zu wälzen. Die Arbeiter sehen im Etat eine Matzregel, die große Möglichkeiten in sich birgt. Deshalb der Enthusiasmus. Die Sorge für die Veteranen der Arbeit, die Ernährung bedürftiger Kinder, die Be- Handlung der Arbeitslosen nehmen die Staatsfonds immer mehr in Anspruch; aber erst dieser Etat gibt die Gelegenheit, für die Armen einigermaßen zu sorgen, ohne die Armen ungebührlich zu belasten. Die Alternative zum Etat ist die sogenannte Politikder Ber- breiterung der Steuerbasis", d. h. der Schutzzoll eine ver­steckte und feindliche Methode, die Staatsfinanzen zu bereichern durch die Besteuerung der notwendigsten Lebensmittel. Die Drohungen der Grundherren, daß sie infolge des Etats ihre Beiträge für Wohl- tätigkeitszwecke beschneiden werden, um nur ihr Leben von Luxus und Freude fortsetzen zu können, werden wie es sich von selbst versteht von den Massen übel aufgenommen. Der Etat kann nur zur Wirkung haben, daß die Reichen weniger Lakaien halten werden. Es soll indes nicht vergessen werden, daß die wachsenden Staatsaufgaben zum Teile dem Anschwellen des Armee- und Flottenetats geschuldet sind. Im Laufe dieses Jahres wurde eine panische Stimmung erzeugt, so daß man hätte glauben können, die Invasion Englands durch unsere deutschen Freunde wäre eine fast vollendete Tatsache. Wir glauben an diese Gefahren nicht. Ein Krieg zwischen Deutschland und England ist undenkbar, und diese Ansicht wird von den Arbeiterklassen beider Länder geteilt. Trotz der Etatsberatungen, die fast die ganze Zeit des Par- laments in Anspruch nahmen, wurden zwei gewerkschaftliche Vor« lagen angenommen: die DraÄs Loards-BiU und die Labour Excbange-Bill: die erstere soll Mindestlöhne in manchen Zweigen der Heimarbelt festsetzen; die andere schafft Arbeitsnachweise. Die Frage der Arbeitslosenversicherung wird höchstwahrscheinlich die kommende Parlamentstagung beschäftigen. Die Arbeiterfraktion wird alles tun, bei der Beratung dieser Vorlage die Interessen der organisierten Arbeiter zu schützen. Schließlich weisen wir auf die Bildungsbestrebungen hin, die von dem gemeinschaftlichen Komitee von Oxforder Professoren und von Arbeiterorganisationen gefördert werden. Dieses Komitee wirkt abseits vom Ruskin-College und ist darauf gerichtet, die Arbeiter in den Provinzen durch briefliche Kurse zu unterrichten. Im Berichts- jähre wurden besonders die Zentren Rochdale und Swindon bearbeitet Die Essays, die die Arbeiter einschickten, waren nach Ansicht der Universitätsprofessoren von hohem Werte: manche Aufsätze waren sogar den besten Leistungen der regelmäßigen Universitätsstudenten gleich. Es wächst eine Arbeitergeneration heran, die die praktischen Erfahrungen der Fabrik- und Minenarbeit mit dem theoretischen Wissen über Sozialökonomie. Wirtschafts- geschichte, Staats- und Munizipalpolitik vereinigen wird." Das neue Hjorneftead. Da? Blut der niedergeknallten und totgeknüppelten Streiker von McKeeS Rocks ist über die kapitalistischen Mörder gekommen. Seit die Arbeiter am Dienstag, den 24. August, ihre Toten be- gruben 11 Tote und 66 Verwundete forderte die Schlacht I ist ein totaler Umschwung der Lage zugunsten der Streikenden einge- treten. Am 27. August begannen nun auch die Streikbrecher in den Streik zu treten, indem ihrer 470 Mann, die nur Nuttels Knüppel und Revolver so lange in den Werken fest- gehalten waren, die Umzäunung durchbrachen und gleich unter Führung Pittsburger Soziali st en unter freiem Himmel eine Berbrüderungs- Versammlung mit den Streikern improvisierten. Dem Auszug ber Vierhundertsiebzig folgten TagS darauf abermals weitere 150 Mann, die damit den Betrieb des.Schlachthauses' wieder gänzlich stilllegten. Statt der erwarteten Kirchhofsruhe erfüllt den Fabrikort jetzt der Jubel von Tausenden armer hungernder und mißhandelter Menschen, die seit langer Zeit wieder einmal glücklich sein können und voll jauchzender Inbrunst Lieder der alten Heimat an- stimme». AuS dem kapitalistischen Zuchthausentsprungen', be- gaben sich ganze Scharen der streikenden Streikbrecher stracks nach dem Gebäude der Bundesregierung, um hier unter grauenhaften Schilderungen ihrer Behandlung in der Fabrik deren Beamten wegen betrügerischer Vorspiegelungen, fürchterlicher Mißhandlungen und Freiheitsberaubung zu verklagen. Nach der Fahnenflucht der Streikbrecher mutz sich der Präsident der Werke, Hoffstedt, nunmehr gefallen lassen, daß er sich mitsamt seinem obersten Treiber Cohn auf Anordnung der Regierung in Washington wegen des Verbrechens derPeonage"(Sklavenhaltung) zu verantworten hat. Unter den die Untersuchung führenden Bundesbeamten, die das Arbeitsministerium nach Pittsburg entsandte, befindet sich auch ein Beamter der Einwanderungsbehörde auf Ellis Island , da die Gesell- schaff auch beschuldigt wird, sich ihr Sklavenmaterial unter Umgehung der Einwanderungsbehörde aus Europa importiert zu haben. Natürlich lassen die zynischen kapitalistischen Verbrecher eS auch nicht an Ver- suchen fehlen, die Untersuchung zu durchkreuzen.. Manche der wichtigsten Zeugen sind unauffindbar, gegen mehrere andere schweben bereits Meineidsverfahren, weil sie sich offenbar durch das Geld der Firmen zu falschen Aussagen verleiten lassen, so gegen einen Arbeiter Vogel aus New Aork, der vor den Untersuchungsbeamten Loblieder auf die Fabrik sang und sich darauf folgenden kennzeichnenden Brief vorhalten lassen mußte, den er kurz vorher anseineFraugeschrieben hatte:Ich gebe Dir hiermit eine Beschreibung der Lage, in der ich mich in McKeeS Rocks befinde... Sie nahmen uns vom Zuge und behandelten uns wie Gefangene, indem sie uns ihre Revolver zeigten. Unsere Lagerstätte befindet sich in einer elenden Hütte. Die PinkertonS gehen fortwährend mit Revolvern um uns herum und wir müssen alle ihre Befehle befolgen. Jeden Tag erfahren wir, daß Leute getötet und verwundet werden und wir getrauen unS kaum zu arbeiten oder zu schlafen... Ich bin wieder matt und krank und möchte gern zurück, kann aber nicht fort.' Sonst ergeben die Aussagen vor den Unter« suchungSbeamten aber, daß dieArbeitswilligen' in der Fabrik- gefangenschaft blutig geschunden, sogar bei einfachen Widerreden mit Totschlägern bearbeitet und in Frachtwagen eingesperrt wurden usw. Manche Zeugen weisen zur erschütternden Bekräftigung ihrer Schilde- rungen furchtbare Wunden, blutige Hemden oder dergl. vor. Leuten, die entlassen zu werden wünschten, wurde von ihren Schindern bedeutet, daß sie nur in einem Sarge die Fabrik verlassen könnten. Die Untersuchung erstreckt sich auch auf die von den Streikbrechern energisch aufrechterhaltene Behauptung, daß drei von ihnen an er- littenen Mißhandlungen gestorben und die Leichen entweder heimlich beiseite geschafft oder in den großen Schmelzöfen verbrannt worden seien I In den Werken wurden die Streikbrecher nur mit ver- dorbenen Konserven traktiert, so daß sich jetzt eine Anzahl von ihnen schwer vergiftet in Hospitalbehandlung befindet. Einmal mußte das Verhör abgebrochen werden, weil zwei Dutzend Zeugen infolge des genossenen Streikbrecherfutters zu krank waren, um überhaupt der Verhandlung folgen zu können. Kann das Wort von derKapitals- bestie', das oft genug als sozialdemokratischeHetzphrase' denunziert wurde, drastischer gerechtfertigt werden, als durch den vollendeten Beftialismus, womit das amerikanische Stahlkapital gerade seine arbeitswilligen Lieblinge behandelt? Die von der Bundesregierung begonnene Untersuchung der Zu- stände in McKees Rocks bedeutet zugleich eine verdiente Brand- markung der pennsylvanischen Staatsregierung, die sich mit ihrem Gouverneur Stuart völlig in den kalten Herrenfäusten der Trust- kapitalisten befindet und demgemäß eine behördliche Untersuchung bis zum letzten Augenblick verweigerte, ja. sich jetzt wegen Beteiligung ihrer Polizisten, Konstabler und Richter an der verbrecherischen Bru- talisterung der Arbeiter selber in die Affäre verwickelt steht. Wäre Gouverneur Stuart eineuropäischer Bureaukrat', so meinte vor kurzem das parteigenössischePhiladelphiaer Tageblatt', für den das Motto gilt:Was nicht in den Akten steht, ist nicht in der Welt", so ließe sich seine Jnaktivität erklären. Er ist aber ein amerikanischer Geschäftsmann(ein Buchhändler), von dem man schon annehmen sollte, daß er nicht erst geschoben zu werden braucht, um zu handeln. Kein Tag vergeht, der nicht neue Enthüllungen über die Schand- Wirtschaft in Mac Kees Rocks bringt. Ein Arbeiter hat dort in öffentlicher Versammlung erklärt, daß er seine Tochter und seine Frau einem Vormann(Meister) preisgeben mußte, um seinen Platz zu behalten. Mehrere Priester haben er- klärt, daß ihnen derartiges nicht neu sei und solche Fälle ihnen öfter zur Kenntnis gekommen seien. Genügt das etwa noch nicht, um die Staatsgewalt zum Einschreiten zu bringen?" Leider hat dasselbe Blatt Veranlassung, auch der amerikanischen Federation of Labor', deren Präsident G o m p e r S ist, einen Teil der Verantwortung für die Katastrophe von Mc Kee» Rocks beizumessen, denn GomperS hat die amerikanische GewerkschastS- bewegung, von deren Errungenschaften er in Europa soviel Wunderbares erzählte, so engherzig gemacht, daß man sich in seinem Hauptquartier um dieAusländer", dieHunnen", überhaupt nicht weiter kümmert, sondern sich begnügt, alljährlich im Staate Pennsylvanien , wie in den anderen StaatenKonventionen"(Konferenzen) zu veranstalten, deren Existenzberechtigung absolut unverständlich ist. Die sozialistische Partei des Landes nimmt sich der Streikenden natürlich nicht nur mit Rat, sondern immer nachdrücklicher auch mit der Tat an. Drei Tage nach der Schlacht kam, brutalen Einschüchterungen Trotz bietend, Genosse Debs mit einemGefolge berittener Staatstruppen im Automobil auf dem Schlachtfeld an, wo er vor 2000 Streikenden unter freiem Himmel redete. Der sozialistische Bannerträger des Landes warnte die Arbeiter davor, sich von ihrem berechtigtem Zorn übermannen oder provozieren zu lassen, und forderte die Hunderte von Polizei- lichen und militärischen Zuhörern, deren er sich nebenher noch er« freute, auf, ihn wegen der Brandmarkung ihrer Schande zu ver- haften. Sie wagten es nicht. Die Firma soll bereits zu erkennen gegeben haben, daß sie alle Forderungen der Streikenden zu bewilligen bereit sei; wird eS ihr bei den Enthüllungen, die die Untersuchung gebracht hat, doch auch schwer werden, nochArbeitswillige" zu finden, und außerdem hofft sie, damit die Fortführung der Untersuchung zu vermeiden, worin sich der verbrecherische Geldpöbel aber wahrscheinlich täuschen wird. Daß Mc KeeS Rocks seine auftüttelnde Wirkung tut, läßt schon folgender Satz ahnen, womit sogar ein bürgerliches Blatt PittSburgs eine Betrachtung über diese Kämpfe auSklingen läßt: Die Pressed Steel Car Comp, und das gewissenlos» AuLbeutertum im allgemeinen haben eS sich selber und ihrem Uebermut zuzu- schreiben, wenn ein gewaltiges Menetekel vor ihren besitztrunkenen Augen aufflammt."_ politifcbc üeberficbt. Berlin , den 9. September 1909. Der olle ehrliche Triolist. Ein moralischer Meuchelmordversuch' nichts Geringeres ist an Wilhelm Schack verübt worden: so kündete es der Deutsch « nationale Handlungsgehilfenverband in einem großen und groß- mäuligen Flugblatt, das er gestern auf den Straßen Berlins ver- teilen ließ. Nicht» Dümmeres läßt sich denken als dieser Wisch der Thomas, Blobel, Döring. Warwing und Konsorten, die da glauben, erwachsenen denkenden Menschen einreden zu können, nurwenn man eine schmutzige Phantasie besitzt", sei man imstande, Meister Schocks Triolen-Brieffalsch zu verstehen". Indessen die Schackianer haben schon so viel Eseleien hinter sich, daß man ihnen auch schier Unglaubliches zutrauen kann, und daher muß immerhin erwogen werden, ob sie sich nicht wirklich von dem biederen Renaissance- menschen wieder einmal haben einwickeln lassen. Nun, die gekränkte Unschuld aus Hamburg-Altona hak wehr als einen Triolenbrief auf dem Kerbholz; denn dem von uns am Dienstag veröffentlichten Schack-Schreiben ist eine mündliche Unterredung mit dem zwanzigjährigen Mädchen, und dieser Unterredung ist ein erster Triolen-Brief vorhergegangen, der folgenden Wortlaut hat: Sehr geehrtes Fräulein! Meine Frau 30 und ich 40 Jahre alt. groß, schlank, suchen eine junge Dame, die gewillt ist, sich uns beiden innig anzuschließen. Gegenseitige Neigung natürlich vor- ausgesetzt. Sollten Sie grundsätzlich dazu nicht abgeneigt sein, erbitte ich Nachricht bis Montag morgen unter T ri o I e", Hamburg . Postamt 36. Sollten Sie mich noch nicht verstanden haben, bitte frei und ossen zu fragen. Hochachtungsvoll R. M. Herr Schack, aliasTriole", aliasR. M."'(!). soll, so deutet's däS obengenannte Flugblatt versteckt an mit der Absicht schwanger gehen, die.Presse, die ihn so argverleumdet hat, zur Verant- Wartung zu ziehen! Das wäre in der Tat ein Schauspiel für Götter. Sind doch selbst Blätter wie dieDeutschs Tageszeitung" von dem brünstigen Verbandsvorsteher und Reichstagsabgeordneten weit abgerückt, dieTägliche Rundschau" nicht ohne sich einen Aus- fall auf die sozialdemokratische Presse zu leisten, die den Fall des Herrn Schack politisch ausgeschlachtet haben soll. Das ist wir brauchen nur auf unsere Notizen zur Trioleaffäre hinzu- weisen eine plumpe Unwahrheit. So dumm sind wir nicht, uns die Waffe selber WZ der Kgfld zp W.Mp, gut der wir unseren politischen Gegnern heimleuchten, tvenn sie Vorfälle aus dem Privatleben von Sozialdemokraten verallgemeinern und politisch ausschlachten: eine Methode, die durchaus im Rahmen bürgerlicher Moral liegt, von sozialistischem Denken aber so weit entfernt ist, wie Schack oder dieTägliche Rundschau" von Anstand und Ehrlichkeit. Dasanständige" Blatt. DasVerl . Tageb l." setzt seine Kampagne für Ed. Bern- stein unentwegt fort. Wir begreifen diese Sympathie und finden sie ganz in Ordnung. Nur sollte das Blatt unserer Meinung mich in seinem Eifer für den Revisionismus nicht so weit gehen, nach- träglich den Wahrheitsbeweis dafür zu erbringen, daß die Mit- arbeit an demBerk. Tagebl." unter die Dresdner Resolution falle. Was nämlich das Blatt sich seit einigen Tagen gegen Kautsch herausnimmt, gehört wirklich zu den hämischsten und gehässigsten Angriffen, die uns seit langem begegnet sind. Trotz des klaren Nachweises Kautschs, daß sein Brief an Lafargue mit einem Uriasbrief aber auch gar nichts gemein hat, wiederholt dasBerl. Tageblatt" Tag für Tag wider besseres Wissen die schofle Ver- leumdung, daß Kautsch an dem armen verfolgten Bernstein eine Schufterei begangen habe. Wir hängen diese niederträchtige Hand- lungsweise desanständigen" Organs niedriger und überlassen es neidlos derGemeinschaft der anständigen Menschen", aus der nach seiner Behauptung Genosse Kauisky ausgeschieden ist. Er müßte sich für diese Gemeinschaft auch gewißlich bestens be- danken._ Sächsischer Wahlrechtsraub im Verwaltungswege. Wir haben bereits mitgeteilt, daß auf Grund einer Ministerial- verordnung alle diejenigen sächsischen LandtagSwähler, die innerhalb der letzten 15 Jahre einmal mit einem Steuerbetrage im Rückstände geblieben find, aus den Wählerlisten gestrichen werden. Hier einige besonders krasse Fälle aus dieser Praxis: Ein Dresdener Einwohner wurde als Steuerrestant angesehen und nicht in die Wählerliste aufgenommen, weil er 10 Pf. M a h n- gebühren schuldig geblieben ist I Ein Arbeiter war im Jahre 1903 dreiviertel Jahre krank. Da er kein Einkommen hatte, fiel ihm natürlich das Steuerzahlen schwer. Die BeHürde erkannte das an und erließ ihm einen Teil der Steuern. Auch dieser Wähler ist gestrichen worden. Ein anderer Wahlberechtigter hatte im Jahre 1900 keine Steuern bezahlt, weil er nicht steuerpflichtig war, denn er hatte keine Stellung und kein Einkommen. Er erhielt in jenem Jahre keinen Steuerzettel und ist nicht gemahnt worden. Jetzt hat man ihn aus der Wählerliste entfernt. Es ist festgestellt worden, daß Wählern, die über 1600 M. Ein- kommen haben und demzufolge zwei Stimmen haben müssen, eine Stimme abgezogen worden ist, weil sie schul- Pflichtige Kinder haben! Hierzu wird uns soeben telegraphisch aus Dresden berichtet, daß einer Deputation der Dresdener WahlkomitoeS gegenüber, die im Ministerium des Innern wegen der Streichung der Steuerrestanten aus den Wahllisten vorstellig wurde, der Ministerialdirektor ganz entschieden bestritt, daß die Regierung eine derartige Verfügung erlassen habe. Es bleibt also nur übrig, daß entweder die Gemeindevorstände, Bürgermeister und Stadträte aus eigener Machtvollkommenheit die Streichung vor- genommen haben, oder daß die Amtshaupwmnnschaft nach dieser Richtung hin geheime Anweisungen erlassen hat. Jedenfalls aber kennt man sich im Königreich Sachsen vortrefflich auf russische Manieren aus: Man fingertadministrativ", was man auf andere Weise nicht machen kann oder will. Bon der deutschen Justiz. Im Wahlkreise Klausthal-Zellerfeld griff am 2. Jmü vorigen Jahres in einer Wählerversammlung der Senator T e g t- meyer aus Klausthal den nationalliberalen Führer Ober- bergrat Ehrin g heftig an und sprach zuletzt von Wahl- beeinflussungen der Nationalliberalen. Der Versammlung wohnten auch drei Bergrefereudare bei, die ihrem Borgesetztcu Ehring sofort Bericht erstatteten. Es wurde ein Protokoll aufgesetzt, in dem u. a. behauptet wurde: Senator Tcgt- meyer hätte folgende Worte gebraucht:Ein Mensch, der so handelt wie der Oberbergrat Ehring, der mit den Sozialdemokraten liebäugelt und gegen die Gesetze und die Ordnung des Staates verstößt, ist schlimmer wie ein Verbrecher und gehört ins Zuchthaus." Wegen dieser Aeußerung wurde gegen Tegtmeher An- klage wegen öffentlicher Beleidigung erhoben. T. b e- stritt in der Prozeßverhandlung, die am 8. September beim Landgericht G ö t t i n g e n stattfand, derartige Worte gebraucht zu haben. Er habe nur ganz allgemein gesagt: Staats- beamte, die dergleichen tun. feien Staats- Verbrecher und gehören ins Zuchthaus. Die als Zeugen geladenen Bergreferendare hielten ihre Behauptung, daß Ehrmg-Z Name dabei genannt worden sei, aufrecht. Alle übrigen Zeugen behaupteten das Gegenteil. Der Staatsanwalt hielt die Be- leidigung für erwiesen und beantragte eine Strafe von 200 M. Das Gericht erkannte aber auf Freisprechung. Es nahm als er- wiefenan, daß die in der Anklage behauptete Aeußerung getan sei, billigte-ber dem Angeklagten den Schutz des§ 193 zu. Wenn also jemand von einem Beamten sagt, er liebäugele mit den Sozialdemokraten und sei deshalb schlimmer wie ein Verbrecher und gehöre ins Zuchthaus, so ist er doch der Beleidigung nicht schuldig, weil er das in Wahrung berechtigter Interessen sagt. Die berechtigten Jnter- essen sind nämlich deshalb stets in solchem Falle vorhanden, weil nach der Ansicht der Göttinger Strafrichter jeder Staatsbürger ein berechtigtes Interesse wahrt, der Staatsbeamte, die seiner An- ficht nach mit der Sozialdemokratie liebäugeln, aufs gröblichste beschimpft. Staatsbeamte, die mit der Sozialdemokratie lieb- äugeln, sind offenbar nach Ansicht der Göttinger Richter nichts Besseres wert! Das Urteil zeigt wieder einmal, daß nicht bloß die Sozial- demokratie, sondern auch jeder, der mit ihr in einem Falle zu- sammen wirkt, für so manche deutsche Richter einfach als vogel- frei.gelten! Uebrigens ist wahrscheinlich, daß auf die Bildung des Urteils, das die Richter von Göttingen fällten, eine Aussage besonders eingewirkt hat. Sie wurde von dem Gewerkschaftssekretär H u f l e r aus Goslar abgegeben und lautete, daß damals bei der Wahl aus der nationalliberalen Parteikasse an sozialdemo- kratische Wahlmänner 50 M. Reisekosten gezahlt worden seien, damit sie an der Abstimmung teilnehmen sollten, und daß dies Geld im voraus habe bezahlt werden müssen, weil die Betreffenden sonst die Reise nicht antreten wollten. Daß damals sozialdemo- kratische Stimmen für den nationalliberalen Kandidaten Srinzig abgegeben worden sind, ist auch im Hannoverschen..Volkswillen" geradelt worden. Wir müssen dazu sagen, daß jene sozialdemokratischen Wahl- männer, die das Geld der Nationalliberalen angenommen haben, sich einer schlimmen Verletzung ihrer Parteipflicht schuldig machten. Daß sie dabei wider den Willen der Partei- i n st a n z e n handelten, geht aus der Mißbilligung ihrer Ab-