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in semer letzten EtatSrede ankündigte, den neuen Kurs, der mit der Erhöhung der Sätze für die städtischen Krankenhäuser begann. Lag dort vielleicht wirklich eine Zwangslage vor, so keineswegs für die Heimstätten, bei denen von einer Konkurrenz doch nicht die Rede sein kann. Eigentümlich, datz man in der Zeit des Kampfes gegen die Tuberkulose den Eintritt der Tuberkulösen in die Heim- stättcn erschwert. Wir warten andererseits immer noch auf die Errichtung des großen Tuberkulosckrankenhauses, das längst ge- plant ist. Weiter ist eigentümlich die Bemerkung der Begründung. daß die Heimstätten den Charakter vonWohltätigkeitsanstakten" hätten; das stimmt doch nicht und entspricht auch nicht dem modernen Zuge; höchstens daß man von ihnen als Einrichtungen der Wohlfahrtspflege sprechen könnte. Sie sind nahezu ebenso not- wendig wie unsere Krankenhäuser. Die Allgemeinheit muß eine Zubuße zu diesen Einrichtungen leisten, da auch ihr Interesse dabei in Frage steht, man denke nur an die Epidemiegefahren. Die Hauptleidtragenden werden unsere Krankenkassen sein, die% aller Leistungen aufgebracht haben. Die Kreise, aus denen sich die Mit- glieder in Krankenkassen zusammensetzen, werden ohnehin von der Teuerung und Arbeitslosigkeit aufs heftigste getroffen. Am letzten Ende aber wird der Stadtsäckel doch keine Erleichterung durch die neue Maßnahme erfahren. Die Vorlage ist inhuman, burcau- kratisch und fiskalisch, ja sie macht geradezu in fiskalischer Plus- macherci. Die'Selbstkosten" sollen im Laufe der letzten Jahre gestiegen sein. Die Heimstätten für Rekonvaleszenten arbeiten außerordentlich billig; im Durchschnitt der letzten fünf Jahre bc- trugen die Selbstkosten 2,44 M., aber 2,50 M. sollen hinfort be­zahlt werden! Von diesem Verhältnis scheint der Magistrat keine Ahnung zu haben. Es kann doch nicht die Absicht sein, auf Kosten der armen Leute für den Stadtsäckel einen Profit herauszuschlagen. Die Vorlage muß daher abgelehnt werden, wenn man Berlin seinen guten Ruf erhalten will. Stadtrat Marggraf: Nicht nur für die Beteiligten, sondern auch für den Stadtsäckel ist der Zeitpunkt der Einbringung der Vorlage sehr ungünstig; aber die Verhältnisse haben uns gezwungen. Die für die Selbstkosten in der Vorlage gegebenen Zahlen sind durchaus zuverlässig. Bei der Begründung der Anstalten ist aus- drücklich festgelegt, baß sie als Wohlfahrtsanstaltcn zu gelten haben. Stadtv. Deutsch (soz.-fortschr.) beantragt Ausschußberatung. Da der Kosten von den Krankenkassen zu tragen seien, müßte erwogen werden, ob der finanzielle Effekt für die Stadtkasse so er- heblich sei, daß man zu einer solchen Maßnahme greifen müsse. Die Einsetzung eines Ausschusses wird abgelehnt. In der zweiten Beratung bemerkt Stadw. Dr. Weist, daß seine Berechnungen für die letzten fünf Jahre und für die Heimstätten für Genesende auf den amtlichen Quellen beruhen. Die Begründung spricht eben nicht von Wiohlfahrtseinrichtungen, sondern von Wohltätigkeitsanstalten. Stadtv. Sachs(A. L.): Herr Dr. Wehl greift zwei Anstalten heraus; hier handelt es sich aber um das ganze Heimstätten- Wesen. Die Arbeitslöhne sind auch gestiegen.(Rufe: Wo denn!) Der Magistratsantrag wird angenommen. Mielczyn. Am 23. August haben die sozialdemokratischen Stadtverordneten Dr. A r o n s u." Gen. den Antrag eingereicht: ,,Tie Versammlung ersucht den Magistrat, die Fürsorge- zSglrnge, welche in der Anstalt Mielczyn untergebracht sind, sofort zurückzuziehen." ES ist Ausschußberatung beantragt. Stadtv. Dr. Bernstein sSoz.): Lediglich in dem Wunsche, unseren Mitbürgern zu dienen und ein schweres Unrecht wieder gut zu machen, stellen wir unseren Antrag. Dieses schwere Unrecht wirst seine schwarzen Schatten auf unsere ganze Verwaltung; eS gilt, einen Makel auszutilgen. Wir haben schon bei der Beratung der Vorschläge wegen Unterbringung der FüiiorgczSglinge in Mielczyn «nscre Bedenken vorgebracht; Sie haben sie nicht beachtet, und nun ist die Katastrovhe da! Ich wünschte ja, es wäre unwahr, was ich ärztlich konstatiert habe, aber es' ist wahr, und es ist nicht daran zu rütteln, auch wenn Sie eine ganze Zahl von Exporten gegen mich aufbieten würden. Was soll denn nun eigentlich geschehen? Mit den Prügelfreunden sans phraso diskutiere ich nicht; ihnen gegenüber heißt es einfach: handeln! Es herrschen auf dem Gebiete der hohen Politik die- selben Verhältnisse wie auf dem engen Gebiete der kommunalen Pädagogik; es gibt Persönlichkeiten, ivelche die soziale Be- wegung in einen: Meer von Arbeiterblut ertränken möchten, und nur der Blick auf die hinter uns stehenden Massen bringt diese Herrschaften zur Besinnung. sUnruhe.) Es ist ein Exempel statuiert worden; dieses Exempek ist sicher den Bodel- schwinghschen in die Glieder gefahren; die Bodelschwinghsche Schule ist auf's Innerste erschüttert. Ich hoffe, daß Sie unter dem Ein- druck dessen, was festgestellt ist, unserem Antrage zustimmen werden. Wir verlangen, daß sämtliche Zöglinge von Mlelczy» fortgcnommen »i»d anderweit untergebracht werden. Ihr Gerechtigkeitsgefühl wird Mißstände, welche durch die Sozialdemokratie konstatiert worden sind, nicht mit einer eleganten Handbewegung beiseite zu schieben suchen. Unsere Revisionszustände liegen im Argen. Nachdem die Misere in Rokitten festgestellt war, wurde ge« fragt, wer zu revidieren bereit sei. Kollege Bruns und ich haben sich zu jeder Revision bereit erklärt, aber freiwillig hat man uns keine Revision übertragen. Am 25. Juni wurde mir ein aus Mielczyn entlaufener Zögling borgesührt, der schwere Wundmale auf- wies und die schwersten Beschuldigungen gegen die Anstalt erhob. In der Deputationssitzung am folgenden Tage war der Refrain der dort gehaltenen Reden: daß sich ein alter Narr von einem raffinierten Fürsorgezögling habe an der Nase herumführen lassen! Ich verlangte Revision, aber es verging ein Monat und mehr. Da erschien der ,,Vorwärts"-Artirel, der wie eine Bombe einschlug, und nun wurde die Revision an- geordnet, und ich ging mit einem Magistratsrat nach Mielczyn. Dort hatte bereits ein staatlicher Vertreter revidiert. Der teilte mir mit, es sei zugegeben, daß der Pastor Breithaupt an einem Tage einem Zögling IVO Peitschenhiebe verabfolgt hatte.(Bewegung und Pfuirufe.) Als die Jungen nun einzeln verhört wurden, warnte Pastor Breithaupt die Revisoren:Nehmen Sie sich vor dem Jungen in acht! Das ist einer der raffiniertesten Lügneri" Ich untersuchte den Betreffenden und bemerkte unter der Ferse eine eiternde Wunde, herrührend von der Fesselung! (Bewegung.) Der Junge erzählte eine lange Pasfionsgeschichte, und als der Magistratsrat meinte:Junge, wie soll man Dir denn alles glauben?" faßte ich den Jungen scharf ins Auge: Junge, sprichst Du die Wahrheit?" Und das Feuer der Wahrheit leuchtete aus seinen Augen; er sprach die Wahrheit. Legen Sie sich jeder einzeln die Frage vor;Was geschähe, wenn Dein Sohn so behandelt worden wäre?" Ich kam zurück in der Ueber- zeugung, der Augiasstall wird und muß in Kürze ausgefegt werden. Aber nach der Rück- kehr eröffnete mir der Borsitzende der Deputation den Magistrats- beschluß:Die schlechten Jungen sollen fortgcnommen werden, die guten bleiben da; an eine Aenderung sonst denkt man nicht." Da sprang ich entrüstet vom Stuhle, aber es hieß: »Wir können nichts ändern!" Als ich den Oberbürgermeister zu sprechen verlangte, hieß es: Der ist verreist, könnte Ihnen aber auch keine andere Auskunft geben." �Ja," frage ich mich,ist es denn möglich, daß eine Be- Hörde, in der so viele Männer mit feinem Ehrgefühl und strengem Rechtssinn sitzen, sich zum Träger eines solchen Systems macht? Hier handelt es sich nicht nur um die Interessen der Berliner Büraerickait." kaate ich wir weiter,hier spielt die hohe Politik, die Ostmarkenpolitik hinein! Hier haben einflußreiche, fromme Persönlichkeiten die Hände im Spiel."(Unruhe.) Das System Bodelschwingh soll geschützt werden" Das Mielczyner Institut gehört ja demEvangelischen Wer- ein zur Verbreitung des Deutschtums in den Ostmarken" mehr brauche ich nicht zu sagen. Weiter darf ich wohl hier die Frage aufwerfen:Wie steht denn die Aufsichtsbehörde zu diesem Generalskandal?" Sie ist die sublimste Blüte aller Weisheit. Sie hat seinerzeit einem Manne den Eintritt in die Schuldeputation verwehrt, weil er ein Sozialdemokrat war, aber denen, die aus der Hochschule für Prügelpädagogik hervorgegangen sind, denen vertraut sie diese Jugend weiter an es ist zum Totlachen! Es herrscht da eine höchst gefährliche Personalunion: der scheinheilige Pfaffe und der Unteroffizier! Auf diesen Anstalten lastet die ganze Schmach der- alteter militärischer Anschauungen und der engherzigsten Kon- fessionalität; alles ringt um die Palme der Unduldsamkeit. Treten Sie dieser Vereinigung von Pfaffen- und Junkertum entgegen! (Beifall b. d. Soz.) - Bürgermeister Dr. Reick«: Es ist keine leichte Aufgabe, in diesem Augenblick Rede und Antwort zu stehen. Dennoch begrüße ich die Interpellation mit Freuden. Namens des Magistrats gebe ich auch von dieser Stelle aus dem allerticfften Bedauern Ausdruck, daß in einer städtischen Anstalt solche Dinge erlebt worden sind. Der Magistrat hat ein- stimmig das Verhalten des Leiters der Anstalt verurteilt. Wir haben uns allerdings davor gehütet, das Kind mit dem Bade aus- zuschütten; wir durften unsere Entschlüsse nur nach sorgfältigster Erwägung des Vorliegenden fassen. Stadtrat Münsterberg hat die Dinge an Ort und Stelle untersucht und wird sich darüber noch auslassen. Die erste Kunde davon hat der Magistrat aus einem Artikel imVorwärts" vom 23. Juli bekommen. Die Untersuchung hat am 26. und 27. Juli stattgefunden, am 30. Juli wurde der Bericht eingereicht. In der nächsten Magistratssitzung kamen die Sachen zur Sprache, saum- selig ist also nicht verfahren worden. Richtig ist, daß die Waisen- Verwaltung die Dinge etwa? früher schon kannte: Am 25. Juni erschien ein von Mielczyn entlaufener.Zögling im Hause der Waisenverwaltung und gab im Beisein seiner Mutter eine ganze Reihe von Beschuldigungen gegen den Leiter an, besonders die in großem Umfange verhängten Prügelstrafen. Der Vorsitzende der Waisendeputation verfügte, daß am 1. Juli ein Magistratsrat und Dr. Bernstein revidieren sollten. Aber Dr. Bernstein war seit 30. Juni beurlaubt und teilte erst am 23. Juli mit, daß er da sei. (Unruhe bei den Sozialdemokraten.) Sachlich ist es sehr zu be- dauern, daß diese 4 Wochen derart verstrichen sind. Revisionen der Anstalt hatten am 73. und 18. Mai stattgefunden, nachdem sie seit dem 15. April mit Berliner Zöglingen belegt war. Die Revisoren haben von der Anstalt Gutes zu berichten gewußt; von Prügeln findet sich in dem Bericht keine Andeutung. Die Waiscnverwaltung hatte also lediglich gute Berichte, und demgegenüber stand die Aussage eines entlaufenen Zöglings, dessen Angaben ja allerdings, wie sich nachher herausstellte, nicht auf tönernen Füßen standen, wie vielleicht vermutet werden konnte. Die Untersuchung hat nun eine übermäßige Zahl von Züchtigungen als Tatsache ergeben. Der Magistrat hat sofort Anordnungen ge- troffen, die eine Wiederholung solcher Vorkommnisse verhindern sollten. Der Magistrat bestand auf der Entfernung des Leiters; ihn zu entlassen oder ihm zu kündigen, haben w:r kein Recht. Weiter sollten alle disziplinarischen Maßnahmen genauer festgelegt werden. Fesseln, Schlagen mit einer Peitsche, Arrest- strafen in Kellern wurden untersagt, die Führung eines Straf- bucheS angeordnet. Dann sollte die Auswahl der nach Mielczyn zu sendenden Zöglinge mit größter Sorgfalt getroffen und dabei be- achtet werden, daß Mielczyn eine offene Anstalt ist. Weiter glaubte der Magistrat nicht gehen zu sollen. Die Wurzel aller Uebelstände war, daß ein ungeeigneter Mann an der Spitze stand und daß ungeeignetes Material dorthin gebracht war. Der Ma- gistrat war einstimmig der Meinung, daß Pastor Breithaupt absolut ungeeignet für diesen Posten war, ein Mann, der bereits in den ersten Tagen seiner erziehlichen Versuche zum Stock als dem einzig wirksamen Hilfsmittel greift, erklärt damit den Bankerott seiner Erziehungsmethode; ein Mann, der so wenig in unserem Geiste pädagogisch wirken kann, gehört nicht an solche Stelle. Seine Wnhl ist«ine unglückliche gewesen. Die Anstalt ist bereit, den Leiter zu wechseln; die hosfentlcch geeignete andere Persönlichleit ist bereits gefunden, und Pastor Brrithaupt wird in Kürze von der Stätte feiner bisherigen Wirksamkeit verschwinden. Die Leitung des Stifts hat es keineswegs an Entgegenkommen fehlen lassen. Für die Zeit, die der Pastor Breithaupt noch dort ist, ist ein Mißbrauch seiner Amtsgewalt nicht zu fürchten. Dafür, daß ungeeignetes Material nach Mielczyn geschickt worden ist, haben wir die betreffende verantwortliche Persönlichkeit zur Rechenschaft gezogen. Auch in dieser Beziehung ist jetzt das Nötige geschehen; der Wunsch, daß auch psychiatrisch untersucht wird, ist erfüllt worden. Im übrigen haben wir keinen Anlaß, an dem guten Willen der Leitung des Stifts zu zweifeln. Tatsächlich haben wir es doch auf diesen Gebieten mit einem recht schwierigen Material zu tun. Es handelt sich nicht um Kinder, sondern um 16° bis 20jährige junge Menschen, und die Straflistcn weisen Dieb- stahl, schweren Diebstahl, Brandstiftung, Erpressungen usw. in endloser Reihenfolge auf.(Große Unruhe bei den Sozialdcmo- kraten.) Begreiflich ist cS, daß, wenn man solches Material in die Hände bekommt, man mit ganz milden Mitteln nicht arbeiten kann. Die Instruktion für die Anstalt muß immerhin auch Schläge in beschränkter Anzahl als ultima ratio vorsehen, cmf die nicht ver- zichtet werden kann. Gefehlt worden ist hier, zum Teil infolge mangelhafter Aufsicht; aber wir hoffen, viel dazu getan zu haben, die Mißstände zu beseitigen. Die Zurückziehung aller Zöglinge wäre ein bedauerlicher Schritt. Die Anstalt Mielczyn ist eine offene Anstalt, wo sich die Zöglinge in Freiheit bewegen; wird sie evakuiert, so müßte dieses Erziehungsmittel ganz aufgegeben werden, und dazu würde ich nicht die Hand bieten. Zur Errichtung einer neuen Anstalt zu schreiten, dazu sind die Verhältnisse nicht angetan. Eine große Anzahl der Zöglinge sagt aus, daß sie weder geschlagen worden seien, noch gesehen hätten, daß andere geschlagen wurden.(Ge- lächter bei den Soz;) Die meisten haben ausgesagt, sie fänden es viel besser als:n Lichtenberg . Lehnen Sie den Antrag ab und versuchen Sie mit dem Magistrat, ob nicht mit dem Geschehenen die notwendige Besserung erzielt werden kann. Stadtv. Cassel: Unter meinen Freunden hat nur eine Stimme der Miß- stimmung und Empörung über die Vorgänge in Mielczyn ge- herrscht. Daran kann auch der Umstand nicht irre machen, daß die dtdser Anstalt überwiesenen Personen zum größten Teil Be- strafte sind. Deshalb dürfen sie nicht ein Gegenstand der Miß- Handlung und Brutalität sein, sondern der Gesetzgeber will sie nach Möglichkeit wieder zu nützlichen Mitgliedern der Gesellschaft er- ziehen. Wenn diese Aufgabe auch sicherlich eine schwere ist, so muß man sich doch mit Abscheu davon abwenden, wenn jemand es wagt, diese seiner Fürsorge Anvertrauten zum Gegenstande von Prügelstrafen zu machen. Empörend ist nicht bloß die Ueber- treibung der Prügelstrafe und die Fesselung, sondern die Tatsache, daß unbedeutende Ausschreitungen ebenfalls mit schweren Prügel- strafen bedacht worden sind, wozu selbst einem Verbrecher gegenüber kein Anlaß war. ES muß also alles geschehen, solchen Mißständen in Zukunft vorzubeugen. Der Magistrat hat sich viel Mühe gegeben, Besserung zu er- zielen, aber die Frage besteht, ob seitens der Verwaltung allcS geschehen ist, um solche Borkommnisse zu vermeiden, und ich muß bekennen, daß ich dicker Ucberzeugung nicht bin..(Hört, ljör.U). MS man den Vertrag machte, hätte man sich vielleicht doch über- zeugen sollen, wie es um die Angemessenheit der leitenden Person- lichkcit stand, zumal da der Vertrag uns kein Recht auf Eni- fernung des Leiters gab. Ich höre auch, daß die Instruktion von Berlin aus zu s p ä t in die Hände des Anstaltsleiters gelangt sein soll; der Punkt bedarf noch der Aufklärung. Es war über- Haupt geboten, die Revision schnell vorzunehmen. Warum hat die Waisendeputation kein anderes Mitglied herangezogen, wenn Dr. Bernstein beurlaubt lvar?(Sehr richtig!) Eine Sicherheit dafür, daß der Anstaltsleiter auch wirklich entfernt wird, hat uns der Bürgermeister nicht geben können. Alle diese Punkte werden in einem Ausschuß am besten geprüft werden können, besonders die Frage, ob wir nicht berechtigt sind, de» Vertrag als sofort aufgelöst anzusehen, weil keine angemessene Leitung der Ansialt vorhanden war und ist. Deshalb bitte ich um Annahme des An- träges auf Ausschußberatung.(Beifall.) Stadtv. Rosenow(Neue Linke ): Ich bedaure, daß der sozialdemokratische Redner eS so hin- stellte, als ob nur die Sozialdemokraten sich energisch gegen die Prügelpädagogik wenden. Wir alle wollen das Uebel ausmerzen. Zu bedenken ist. daß bei diesen Fürsorgezöglingen es sich oft auch um geistig Minderwertige handelt, die man auf keinen Fall schlagen darf. Der Leiter der preußischen Strafanstalten, Geheim- rat Krahne , hat die Prügelstrafe in solchen Fällen aufs heftigste verurteilt. Selbst in preußischen Zuchthäusern wird nur bel tät- lichem Angriff gegen die Leiter geprügelt. Ob die Waisenver- waltung voll ihre Pflicht getan hat, will uns doch sehr zweifelhaft erscheinen. Warum mußte unter allen Umständen gewartet werden, bis Dr. Bernstein von seinem Urlaub zurück war? Was der Bürgermeister vorbrachte, reicht nicht aus, uns zu veranlassen, den Antrag Arons abzulehnen. Wir beantragen ebenfalls Ausschuß- beratung, um die Mittel zu gründlicher Remcdur gründlich zu er- örtern. Bürgermeister Dr. Reicks: Auch ich begrüße den Antrag auf Ausschußberatung mit Ereuden. Der Magistrat hat. so rasch es ging, sich und die effentlichkeit mit der Sache und seinen Beschlüssen befaßt. Herr Dr. Bernstein war in dieser Sache besonders kompetent und durfte nicht einfach beiseite geschoben werden; er hätte sich übrigens nur eine Tür weiter zu bemühen brauchen, dann hätte er statt des ab- wesenden Oberbürgermeisters mich, den Vertreter, angetroffen. Das Schlimmste ist, daß die Prügelstrv.se wiederholt angewendet wurde,um den Willen zu brechen".(Hört, hört!) Stadtrat Dr. Münsterbcrg: Die Stadt Berlin hat nach dem FürsorgeerziehungSgesetz zirka 3500 solcher Zöglinge, darunter 2500 männliche, zu übernehmen gehabt, sie wurde mit diesem Material geradezu plötzlich über- schlvemmt und hatte die größte Mühe, sie zweckentsprechend unter- zubringen. Was Mielczyn betrifft, so läßt sich der Entschluß, die Berliner Zöglinge zum Teil dort zu belassen, rechtfertigen. Pro- tokollarisch liegen zahlreiche Aussagen von Zöglingen vor, die von den Mißhandlungen nichts wissen und auch nichts zu wissen brauchten, weil sie sich auf dem Felde befanden, als die Mißhand- lungen geschahen; dieselben Jungen haben mir in Gesprächen be- stätigt, daß sie dort viel lieber seien als in der geschlossenen Anstalt Lichtenberg . Pastor Breithaupt ist im Umgange ein angenehmer Mensch! Nach den neuen Anordnungen und Instruktionen und nach seinen Erfahrungen am eigenen Leibe(Heiterkeit) ist es ausge- schlössen, daß sich für den Rest seiner Wirksamkeit solche Exzesse wiederholen. Die Anstellung eines Psychiaters bei der Leitung ist nahezu perfekt. Die Fürsorgerziehungsgesetzgebung ist nicht sowohl selbst ein Fehler gewesen.als vielmehr ihre überhastete Jnkraft- setzung. Die Anstalt in Mielczyn wird mit der Ostmarlenpolitik in Verbindung gebracht. Wir können das Prinzip, die jungen Menschen:n der Landwirifchast zu erziehen und zu bessern, an sich nur gutheißen.(Rufe bei den Sozialdemokraten: Polen ! Agrarier!) Die Frage der Errichtung einer eigenen Anstalt wird uns aber ebenso ganz intensiv beschäftigen müssen.(Zu- stimmung.) Wir werden an die ganze Erziehungspolitik die bessernde Hand anzulegen haben.(Beifall.) Stadtv. Dove(A. L.): Für die Behauptung, daß hier Rücksichten auf hochgestellte Per- sonen oder aus gewisse kirchliche Kreise im Spiele sind, ist kein Beweis erbracht. Auch kann hier nicht von einem Zusammenbruch des Systems Bodelschwingh die Rede sein. Herr v. Bodelschwingh hat doch sehr Verdienstliches geleistet.(Zuruf von Adolf Hoff- mann: Und Breithaupt ist sein Schüler!) Das weiß ich nicht. Auf die Aussagen der Zöglinge zugunsten des Pastors Breithaupt ist nicht viel zu geben. Der Ausschuß wird zu prüfen haben, ob die Verwaltung durchweg ihre Schuldigkeit getan hat; auch die Anstalt in Lichtenberg sollte man sich einmal genauer ansehen! Stadtv. Singer(Soz.): Der Verlauf der Debatte bietet uns alle Veranlassung, zu- frieden zu sein. Der Vertreter unseres Antrages wie auch der Vorwärts" haben einen vollen Erfolg für sich zu verzeichnen, denn alle Behauptungen sind erwiesen worden. Tie Mitteilungen dcSVorwärts�, soweit sie hier nicht erhärtet wurden, Werdens durch mich in vollem Umfange anfrecht erhalten; die Redaktion würde erfreut sein, wenn der Pastor Breithaupt das Blatt ver- klagen wollte, namentlich auch wegen der Behauptung, daß eine der dort üblichen Strafen die Fußbastonade ist, ein Vorgang, so scheußlich, daß darüber nur eine Stimme des Abscheus herrschen dürfte. Wenn der Magistrat als solcher sofort seine Stellung der Oefsentlichkeit gegenüber so eingenommen hätte, wie heute der Bürgermeister sie darlegte, wäre der Bevölkerung eine große Menge Erbitterung und Empörung erspart geblieben. Der Magistrat hätte sofort selbst an die Oeffentlichke:t treten müssen. So aber würden wir ja noch heute nichts Beglaubigtes über die Dinge hören, wenn nicht unser Antrag vorläge. Hat doch in der Waisendeputation seit jenen Vorgängen noch nicht rimj einzige Sitzung stattgefunden!(Hört! hört!) Wenn so ver- fahren wird, weil Urlaub und anderes dazwischen tritt, dann kann sich die ganze Waisenhausverwaltung begraben lassen.(Heiterkeit und Zustimmung.) Aus welchen Personen rekrutiert sich denn nun dieLeitung" deS Stiftes? Wer sind sie? Welchen Kreisen gehören sie an? Das muß man doch wissen, wenn man dem schönen Optimismus des Bürgermeisters folgen soll. Wir wissen nur, dah die Anstalt gegründet ist von demEvangelischen Verein zur Förderung des Deutschtums in den Ostmarken". Wie weit ist ein solcher Verein geeignet für die Zwecke der Fürsorgeerziehung? Die Gründung der Anstalt hat den rein chauvinistisch-politischen Zweck, die Ost- marlen zu germanisieren, und in dieser Beziehung schließt sich die Anstalt würdig der Germanisierungspolitik des preußischen Staates an. das heißt: sie b r u t a l i s i e r t! Dann hat sie noch den Zweck, der Landwirtschaft billige Arbeitskräfte zuzuführen. Die Erfolge" dieser Anstalt nehmen uns jedes Recht, darauf zu ver- trauen, daß die Leitung Garantie geben kann gegen, die Wieder- holung solcher Exzesse. In den Zeitungen ist behauptet, dem Pastor Breithaupt hätten monatelang die Akten unserer Fürsorgezöglinge gefehlt.(Hört! hört!) Da» charakterisiert sich als einen der größten Fehler, als eine große Unterlassungssünde, deren sich unsere Waisenver- waltung schuldig gemacht hat. Herr Breithaupt rühmt sich selbst, ein Schüler Bodelschwinghs zu sein; cS kann sich hier also sehr wohl um einen Ausfluß dcs Systems Bodelschwingh handeln.(Zuruf: Es gibt auch mißratene Schüler!) Der Urlaub deS Kollegen Bernstein hätte keinen Grund bilden dürfen für einen Aufschub, es liegt der Fall aber so, daß der Kollege zwar auf der Liste der Beurlaubten stand, aber dcm Boxsitzenden der Deputation erklärt hatte, er stehe zur Ver-