«IK erlaube die Abhaltung einer Versammlung auf demGrundstück, das zurzeit der Arbeiter Zander in Conradshorst be-wohnt, nicht. Ich habe Zander seinerzeit(Sommer ISM) alsI n st m a n n engagiert, da er mir erklärte, nicht Sozial-demokrat zu sein. Trotzdem verbot ich ihm mündlich undauch kontraktlick Abhaltungen irgendwelcher Ver-sammlungen, was Zander auch genau lveisz. Noch vor kurzer Zeithat Zander erklärt, ich glaube sogar vor Gericht, daß er keinSozialdemokrat sei.* Folgt Unterschrift.Der Herr Amtsvorsteher v. Batocki muß dann aber Wohlbald eingesehen haben, daß seine„Familienangelegen-heit" mit dem Arbeiter Zander nicht ausreichend sein dürfte,die durch das neue Vereinsgesetz garantierte Versammlungs-freiheit in seinem Amtsbezirke zu vernichten, und so lief denn24 Stunden später bei dem Veranstalter der Versammlungfolgendes Schreiben ein:„Im Verfolg meines gestrigen Schreibens teile Ihnen nochmit, daß ich die Abhaltung einer Versammlung in dem Gartendes Zander respektive an irgend einer anderen Stelle des Amts-bezirks Powarben verbiete, da Gefahr für die öffent-liche Ordnung und Sicherheit zu befürchten ist.'Die Gründe für das Verbot blieb der Herr Amts-Vorsteher auch in dem zweiten Schreiben schuldig, den Z 7 des„liberalen" Reichsvereinsgesetzcs hatte er im Amtsbezirke ein-fach aufgehoben. Gegen diese Maßnahme des Herrn Amts-Vorstehers ist natürlich Beschwerde eingelegt wordcn und es muß nunabgewartet werden, wie sich der Herr Landrat zu der An-gelegenheit stellen wird. Es sei hier nur noch bemerkt, daßdie Ortschaft Conradshorst abseits vom Verkehr in einsamerGegend liegt und es geradezu komisch anmutet, Ivcnnder Herr Amtsvorsteher„befürchtet", daß einige hundert Versammlungsbesuchcr die öffentliche Sicherheit in Conradshorstoder gar im ganzen Amtsbezirk Powarben gefährden könnten.Zur geplanten Wahlrcchtsvcrschlechterungin Wandsbeck.Wie wir schon vor einigen Wochen andeuteten, plant man inWandsbeck eine Verschlechterung des kommunalen Wahlrechts.Während man in Kiel die Bezirkseinteilung beliebte,um der Sozialdemokratie das Wasser abzugraben, beschreitet derWandsbecker Magistrat den umgekehrten Weg. Wandsbeckbesteht aus zwei Wahlbezirken: aus dem Stadtbezirk Marien-der 1b Stadtverordnete wählt, und aus dem Wahlbezirk Marien-thal, der drei Stadtverordnete zu wählen hat. Als der frühereGutsbezirk Marienthal eingemeindet wurde, behielt er sich dasReservatrecht vor. eigene Stadträte und Stadtverordnete wählenzu dürfen. Marienthal, ein sozialistenreines Villenviertel mitüber 600 Wähler, soll nun, so beantragt der Magistrat, zum Wühl-bezirk Wandsbeck geschlagen werden, so daß die ganze Stadteinen Wahlbezirk bildet. Mit Hilfe dieser Wähler hofft mandie sozialdemokratischen Wähler, die, trotz höchst zulässigem Wahl-zensus, im vorigen Jahre die bürgerlichen Kandidaten geschlagenhaben, erdrücken zu können. Der Magistrat hat es mit seinemedlen Vorhaben so eilig, daß er die Sache schon bis zu den No°vemberwahlen unter Dach und Fach bringen will..Schon amnächsten Freitag gelangt der Antrag zur Beratung.Noch ein seltsames Versammlnngsverbot.In Leutmansdorf im Kreise Schweidnitz sollte eine Versamm-lung unter freiem Himmel stattfinden. Der zuständige Amts-gewaltige fand für sein Verbot folgende Begründung:„Das für die Versammlung in Aussicht genomniene Grund-stück hat nur einen Zugang über die dem p. Neßler gehörigeBrücke und weiter durch einen schmalen Weg. Die erstere führtüber den Dorfbach, ist ohne Geländer und anscheinend in schlechtemZustande. Bei der zu erwartenden Ansammlung größererMenschenmengen, wobei es erfahrungsgemäß ohne Drängen nichtabgeht, könnte nicht verhütet werden, daß die Teilnehmer inden Bach stürzen, oder in dem engen Wegee r q u e t s ch t werden. Es ist deshalb Gefahr für die öffent-liche Sicherheit zu befürchten und mußte die Genehmigung ver-sagt werden.". Ueber die„anscheinend" baufällige Brücke fahren Wagen miteinem Gewicht bis zu 60 Zentnern! Der„schmale Weg", in demdie Versammlungsteilnehmer.erquetscht" werden könnten, ist dreiMeter breit!In einer Unterredung mit dem Amtsvorsteher erklärten unsereGenossen schließlich, das etwas schadhafte Brückengeländer selbstausbessern zu wollen. Als dies geschehen war. erhielten siewieder ein Schreiben des Amtsvorstchers, wonach er die Ver-sammlung nicht früher genehmige, als ihm die Tagesordnungund der Name des Referenten mitgeteilt werde I Um end-lich die erste sozialdemokratische Versammlung in dem Orte ab-halten und mit dem Abgeordneten deS Kreises, Frhrn. v. Richthofen,abrechnen zu können, erfüllten unsere Genossen auch dieses ungesetz-liche Ansinnen und erhoben erst nach stattgehabter Versammlung ihreBeschwerde._Ein Zwischenfall in Neupommern.Durch eine aus Neuguinea eingetroffene amtliche Mel-dung ist die bereits durch die Presse bekanntgewordene Nachrichtbestätigt worden, daß der Australier L i n d s a y bei einem Versuche, ander Südküste von Neupommern(Vismarckarchipel) Arbeiter anzu-werben, zusammen mit der farbigen Besatzung seines Schiffes vonEingeborenen erschlagen worden ist. Die sofortige Entsendungeiner Expedition zur näheren Feststellung des Sachverhaltsund Bestrafung der Schuldigen ist von dem Gouverneur angeordnet.frankrekh.Das Defizit.Paris, 11. September. Finanzminister Cocherh teilte demPräsidenten und dem Berichterstatter der Budgetkommissiondie Hauptzüge des Etats von 1910 mit. Die notwendigen Aus-gaben werden ausschließlich durch Steuern gedeckt werden. Da»Defizit von 199 600 000 Frank wird gedeckt durch Zu-satzsteuern auf Tabak, Erbschaft, Alkohol, Quittung s-pempel. Gruben« Automobile und Benzol.Die neue» Stenern.Paris, 11. September. Nach weiteren halbamtlichen Mit-teilungen beabsichtigt der Finanzminister, mit der Erhöhungder Tabaksteuer in der Hauptsache die teuerenProdukte zu erfassen, während die Einnahmen aus den billigenTabaksorten dadurch verdoppelt werden sollen, daß dasGewicht der Packungen vermindert wird, ihr Preis hin-gegen derselbe bleibt. DaS Erträgnis der Erbschaft S-st euer will der Minister durch höhere Besteuerung derEnkel und Urenkel, die unmittlelbar vom Urgroßvater beziehungS-weife Großvater erben, der Seitenverwandten fünften odersechsten Grades sowie der bevorzugten Erben verbessern. Ausder Alkohol st euer sollen 24 Millionen mehr als bisherdurch Erhöhung der Steuer bis zu 260 Fr. für das Hektolitererzielt werden.Griechenland.Der verbannte Kronprinz.Athen, II. September. Der König gab seine Zustimmungzur Forderung des Offiziersbundes und der Regierung, daßder Kronprinz bis zur Erledigung der parlamentarischenReformarbeit im Auslande bleibt. Die drohendeMinisterkrisis ist dadurch überwunden.MroKKo.Neue Opfer.Madrid, tt. September. Da die Entsendung weiterer Streit»kräfte nach M e l i I l a sich voraussichtlich als notwendig erweisenwird, soll eine neue Division unter dem Befehl des GeneralsAmpudia mobil gemacht werden.Hua der Partei.(Siehe auch 6. Beilage.)'Das Heim des Parteitags.Aus Leipzig wird uns geschrieben: Im Volkshausez u L e i p z i g hat noch nie so reges Leben geherrscht wie in derletzten Woche. Daß mit dem Erweiterungsbau, der erstim Spätfrühling begonnen wurde, zu Ende zu kommen sei, sodaß der Parteitag der Arbeit im Heim der Leipziger Partei-und Gewerkschaftsgenossen tagen könne, glaubte kein einziger Ge-nosse mehr, der sich die Arbeiten ansah. Selbst den Funktionärenwurde es ängstlich zumute, und die Zweifel regten sich, ob dieFertigstellung des S a a l n e u b a u e S bis zum 12. Septembergelingen werde. Doch es ist gelungen! Der neue großeSaal kann die Parteitagsdelegierten aufnehmen! Den vereinigtenintensiven Anstrengungen der am Bau Schaffenden ist es zudanken. Die Leitung ließ es an Arbeitskräften nicht fehlen undjeder setzte seine besten Kräfte daran, zum Gelingen beizutragen.Allen gebührt die Anerkennung der Genossen.Der neue Saal macht einen imposanten Eindruck. Er faßtbequem einige tausend Personen. Auf den in Mittelhöhe an-gelegten Galerien, die nach innen auf viereckigen Säulen ruhen,werden allein tausend Menschen Platz haben können. Gegen-über der hübschen, aber einfachen großen Bühne weitet sich einebreite Wandelhalle, an die auf der anderen Seite der zweitekleinere Saal grenzt, der bereits bestand, aber vollständig mitumgebaut wurde, und zwar mit seiner breiten Seite. Die sonstin großen Sälen üblichen Erhöhungen außerhalb des Parketts,der sogenannten Tanzfläche, sind im Volkshaussaal nicht vorhanden, was die Wirkung des Gesamteindrucks erhöht und derAkustik zuträglicher ist. Der ganze Raum macht seinen Schöpfernalle Ehre. Die Leipziger Arbeiterschaft und mit ihr die Deutschlands kann sich freuen an dem herrlichen Bau, der nun allen Ansprächen genügen dürfte._Nochmals mein Nriasbricf.Bernstein hat am 6. September in der Generalversammlungvon Groß-Berlin gegen mich die Anklage gerichtet, ich hätte nachParis an Lafargue einen Brief geschrieben, um eine feiner Ver-sammlungen zu vereiteln.Sobald ich von dieser Anklage erfahren, schrieb ich an Lafargueund bat ihn, mir meinen Brief, dessen Wörtlaut mir nicht mehrerinnerlich war, zu senden. Heute erhalte ich von ihm folgendeAntwort:Mein lieber Kautsky!Ihren Brief habe ich nicht gefunden. Ueber seinen Inhaltund die Gelegenheit, die ihn veranlaßte, kann ich folgendes mitteilen:Freunde Bernsteins kamen zum Verwaltungskomitee dersozialistischen Partei, um mitzuteilen, daß er nächstens nachParis kommen werde. Sie verlangten, daß man eine Delegationabsende, die ihn am Bahnhof empfange und daß man eine öffentliche Versammlung organisiere zu dem Zwecke, seine Ansichtenüber den europäischen Frieden zu hören. Sie sprachen vonBernstein als einer der größten Leuchten der deutschen Partei.Bracke und ich erwiderten, daß sein Ansehen in der Sozialdemokratischen Partei keineswegs so bedeutend sei und die Liveralen sich von ihm abgewandt hätten, die ihn priesen, so lange siehofften, durch ihn die Partei zu ruinieren, die aber jetzt merkten,daß er dazu nicht fähig fei.Das Komitee verschob die Entscheidung für eine Woche. Inder Zwischenzeit schrieb ich Ihnen, um zu erfahren, wie diedeutschen Genossen es aufnehmen würden, wenn wir Bernsteinin der von seinen Freunden gewünschten Art empfingen. Sieerwiderten mir, daß die Partei sich gar nicht darumkümmere; es sei ihr gleich, was Bernstein tue und treibe, solange er nicht als Beauftragter der Partei austrete. Nur dieLiberalen, für deren Blätter er in Ruhland und anderswoschreibe, hielten es der Mühe wert, sich mit ihm zu beschäftigen.Diesen Brief las ich der Kommission vor und fügte hinzu,Bernstein sei nach Paris gekommen, um ein wenig Reklame fürsich zu machen und sein« in Deutschland arg verblaßte Persönlich-keit ein wenig aufzufrischen.Der„Temps"(ein rechtsliberales Blatt), dessen BerlinerKorrespondent ihm sehr gewogen zu sein scheint, hatte BernsteinsKommen angekündigt und ihn gepriesen als einen der Führerdes Sozialismus, die den intransigcnten Marxismus eines Bebelund anderer bekämpften.Auch diesen Artikel las ich der Kommission vor, in Gegen-wart der Freunde Bernsteins, die von den Lobsprüchen des„D:mps" nicht sehr erbaut waren.Auf den Antrag Dubreuilhs und Lavauds wurde beschlossen,an den deutschen Parteivorstand zu schreiben und ihn um seineAnsicht zu befragen. Sobald Bernsteins Freunde davon er-fuhren, verzichteten sie freiwillig auf ihre Absichten. Sieempfingen Bernstein allein am Bahnhof und organisierten eineVersammlung, an der unsere Partei offiziell nicht teilnahm.Daher der Zorn Bernsteins.Dieser Brief bezeugt deutlich, daß eS sich nicht darum handelte.eine Versammlung Bernsteins zu vereiteln, sondern darum, ob ermit besonderen Ehren empfangen werden solle.Er bezeugt ferner, daß mein Schreiben kein„Uriasbrief" war,den ich hinter Bernstein herschickte, ihn zu verderben. Ich kümmeremich seit geraumer Zeit absolut nicht um Bernstein, spreche undschkeibe über ihn nur, wenn ich dazu genötigt werde. Das wardiesmal der Fall. Lafargues Brief enthielt außer der Aufforde-rung, eventuell für radikale Redner zu sorgen, eine Anfrage, aufdie ich antworten mußte.Will Bernstein meinem Brief schon deswegen den Charaktereines„Uriasbriefs" verleihen, weil ich darin meinen Freundenmeine Ansicht über ihn mitteile? Er muß mir schon das Recht zu-gestehen, daß ich in vertrauten Privatbriefen an meine Freundsderen Anfragen nach bestem Wissen und Gewissen beantworte.Darüber bin ich niemand Rechenschaft schuldig. Ich habe übrigensnichts geantwortet, was nicht auch schon öffentlich über Bernstemgesagt wurde. Daß man sich in unserer Partei tatsächlich sehrwenig um das kümmert, was er tut und treibt, hat er jetzt erstselbst bekundet, denn sein Wehcgeschrei über seine„Aushungerung"hat sich aufgelöst in ein Jammern darüber« daß man zu wenigNotiz von ihm nimmt.Der Passus aber, der meinem Brief den Charakter eines«Uriasbriefs" geben sollte, der Hinweis auf den„P o st e n" oderdie„Anknüpfungen", die Bernstein im Ausland suche, cnt-puppt sich als eine Bemerkung, die Lafargue über die Re.k l a m e machte« die nach seiner Anschauung Bernstein jm Auslandsuchte. i'(! i"" i» w mUnd damit, hoffe ich, ist die„Affäre" für unsere Genossen ge-nügcnd aufgehellt. Es ist wirklich zu erbärmlich, so viel Zeit undPlatz wegen einer so elenden Lappalie verschwenden zu müssen!Wenn es jedem unserer Referenten einfallen würde, so oft in einergeschlossenen Sitzung eines Verwaltungslomitees Ein-wände gegen ihn vorgebracht werden, alles das. was ihm darüber zu-getragen wird« gg tLe großq Glocke zu hangen« wjx kgMS Wit feg»mit. Visher galt es in unserer Partei als Regel, Interna, nament«lich solche persönlicher Natur, bleiben eben Interna. Es blieb Bern-stein vorbehalten, seine Person für wichtig genug zu halten, umden Klatsch über eine geschlossene Sitzung einer Brudcrpartei, inder für ihn gar nichts auf dem Spiel stand als ein Mehr oderWeniger von Aufsehen, der Oeffentlichkcit als fulminante Anklageplanmäßiger Unterdrückung zu unterbreiten.Natürlich genügt es mir, wenn sich die Genossen überzeugen,daß diese Anklage völlig unberechtigt war. Die Ethiker vom„Ber-liner Tageblatt" werde ich nicht überzeugen. Das brauche ich aberauch gar nicht.— Welchen sittlichen Kalibers dieses edle Organ ist,bewies es erst wieder am 0. September in einem Artikel überdie russischen Revolutionäre, von denen es schrieb, siewürden„in ihrer übergroßen Mehrheit von übertriebenem Ehrgeiz,von unklaren Phantastereien und noch mehr von schmutzigerGewinnsucht und blutigen Instinkten geleitet".Ein Organ, in dem die edelsten unserer Vorkämpfer in soschamloser Weise besudelt werden, mag Bernstein als würdige Ab-lagerungsstätte seiner Produkte erscheinen. Ich kann mich durchBeschimpfungen von dieser Seite nur geehrt fühlen.K. Kautsky.Erklärung.In den„Sozialistischen Monatsheften" vom S. Septemberfindet sich inmitten einer Fülle anderer parteipolemischer Artikelauch eine Abhandlung deS Genossen Wolfgang Heine über„die Stellung der sozialdemokratischen ReichstagSfraktion zur Erb-schaftsstener". Der Artikel wendet sich zunächst gegen Aeußerungcnder Genossen Emmel, StadtHagfti und Hoch, denen ich selbstverständ-lich die Abwehr gegen Heines Angriffe auf sie überlasse. Heine zerrtaber auch mich persönlich in diese Auseinandersetzung hinein, indemer plötzlich auf der sechsten Seite seiner Ausführungen sagt, dieReden der Emmel, Hoch und Ledebour zeigten deutlich, daß„dasganze auf eine Hetze gegen eine Anzahl Kollegen, die man Revisio-nisten nennt, hinausläuft." Die Verschwörung, die Heine da wittert,existiert natürlich nur in seiner Phantasie. Den Vorwand zu seinemAnwurf gegen mich entnimmt er dem Bericht des„Vorwärts" übereinige Bemerkungen, die ich in der Generalversammlung des sechstenBerliner Reichstagswahlkreises am S. August gemacht habe.Zunächst habe ich darauf zu erwidern, daß der fragliche Be«richt die gesamte Diskussion über den Parteitag in den Wortendes Berichterstatters in wenigen Zeilen zusammenfassend wiedergibt.Ich führe das nicht etwa an, weil ich mich über„geistige Aus-hungerung" beklagen will. Ich bestreite in keiner Weise das Rechtder Redaktion, auch über wichtige Verhandlungen, wie eS die Stellungnahme eines Wahlkreises zum Parteitage zweifellos ist, je nach demzur Verfügung stehenden Raum nur einen sehr abgekürzten Berichtzu geben. Aber ich darf doch wohl beanspruchen, daß der voll«ständige Gedankengang meiner Ausführungen polemischen Erörte-rungen zu gründe gelegt wird. Selbst aus dem dürftigen Berichtgeht nun mit hinreichender Deutlichkeit hervor, daß ich erstzur Abwehr gegen Angriffe auf die Haltung der Fraktion das Wortgenommen habe. Von einem der Kritiker war die Befürchtung aus-gesprochen, daß bei der gegenwärtigen Zusammensetzung der Fraktiondie Revisionisten darin die Mehrheit hätten und der Fraktion einerevisionistische Taktik aufzwingen würden. Diese Befürchtung wiesich zurück. Es sei glücklicherweise in wichtigen Fragen nochimmer auf eine Mehrheit zu rechnen, die gegenüber denrevisionistischen Bestrebungen Front macht. Obgleich die Differenzzwischen beide» Richtungen nur wenige Stimmen beträgt.Immerhin sei es ein ungesunder Zustand, daß derRevisionismus innerhalb der Fraktion ganz erheblich stärkervertreten sei als innerhalb der Partei. Schuld daran trügen aberdiejenigen Parteigenossen, die, trotzdem sie selbst radikalen An-schauungen huldigen, dennoch durch irgend welches Zureden sich be-wegen lassen, revisionistisch gerichteten Genossen ReichStagSkandidaturenzu übertragen. Sei die Mehrheit der Genossen eines Wahlkreisesselber revisionistisch gerichtet, so sei es auch durchaus gerecht-fertigt, daß sie einen Revisionisten als Reichstagskandidatennominieren. Bekennen sich aber die Genossen eines Wahlkreises inihrer Mehrheit zu den Anschauungen, die auf den Parteitagen fort»gesetzt mit überwältigender Mehrheit den Sieg über die revisio«nistischen Bestrebungen behauptet haben, dann müßte eS auch ebenso selbstverständlich sein, daß sie die Kandidatur zum Reichstageinem Genossen übertragen, bei dem sie sich darauf verlassenkönnen, daß er innerhalb der Reichstagsfraktion ihre eigenen An-schauungen zur Geltung bringt. Sonst könnte eS eines schönenTageS dahin komme», daß sich eine revisionistische Fraktionsmehrheitherausbildet, die mit der überwiegenden Mehrheit des Parteigenossenim Reich in Widerspruch und Konflikt gerät. Einer solche» Gefahrmüsse vorgebeugt werden, so lange es noch Zeit sei.DaS ist eS, was ich am S. August dargelegt habe. Ich weißnicht, ob auch nach dieser Aufklärung Genosse Heine noch geneigtsein wird, seine Anschuldigungen zu wiederholen. Eigentlich sollteich meinen, daß die Forderung, die ich betreffs der Reichstags-kandidaturen geltend gemacht habe, von jedem Manne geteilt tverdenmüßte, der Wert auf die eigentliche Uebcrzeugung legt. Doch magHeine sich dazu stellen, ivie er tvill, ich halte es jedenfalls fürdringend notwendig, daß die Parteigenossen überall die Gefahr recht-zeitig inS Auge fassen, die der Partei aus der Herausbildung einerrevisionistischen Mehrheit innerhalb der ReichstagSfraktion erwachsenkann.-Einen Fingerzeig dafür, was uns bei einer solchen Entwickekungbevorstehen werde, gibt ja die erwähnte Nummer der„SozialistischenMonatshefte", in der Genosse Heine sich mit einer Anzahl andererRevisionisten zu einem Vorstoß zusammengefunden hat, der in dergesamten bürgerlichen Presse freudigen Widerhall erweckt hat undvom„Berliner Tageblatt" triumphierend mit den Worten begrüßtwird:„DaS ganze Heft liest sich wie eine große Anklage gegendie sozialdemokratische Parteileitung, gegen den„Vorwärts"und gegen den Obcrinquisitor der Partei, Karl KautSIy."Ich war nicht wenig überrascht, unmittelbar nachdem ich diese„große Anklage" zu Gesicht bekommen hatte, im„Vorlvärts" eineErklärung des Genosse» Heine zu lesen, die nach einigen polemischenBemerkungen gegen einen anderen Parteigenossen warnt, man solle„die günstige Lage, in der die Partei sich gegenwärtig befindet,nicht durch einen Parteitag voll von Ketzerriecherei und Gezänk ver-derben".Eigentlich sollte ein jeder Parteigenosse sich genieren, dasalberne Märchen von der Ketzerriecherei, das zum eisernen Bestandder bürgerlichen Presse im Kampf gegen die Sozialdemokratie gehört,und das sogar schon durch den Mund Bülow» gegangen ist,einerseits wiederzukäuen. Doch über den Geschmack läßt sich nichtweiten. Ein starkes Stück ist es aber doch, daß einer der Mit-arbeiter an jener„großen Anklage" die unvermeidliche Abwehr da-gegen im voraus mls„Ketzerriecherei und Gezänk" zu diskreditierenucht. Ein solcher demagogischer Appell an die Sentimentalität ver-ehlt ja bei unerfahrenen Leuten nie eine gewisse Wirkung. Er magdeshalb in revisionistischen Kreisen als ein besonders schlauesManöver geschätzt werden, aber mannhaft ist er gerade nicht.Berlin, den 11. September 1909.C. Ledebour.