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Nr. 214. 26. Iahrgaug. I Knlmt ilcs Jotmirts" Knlim WksM Diellstag, 14. September 1969. SoÄaltlemokratifcher Parteitag in Leipzig . Erster VcrhandlungZtag. Montag, den 13. September 1909. Vormittagssitzung. Hinge? eröffnet die Sitzung um 9 Uhr und begrüßt unter leb- haster Zustimitiung des Parteitags die Vertreter der ausländischen Parteien. Es sind anwesend: B e e r sür die deutsche Parteivertretung in Oesterreich , Rieger für den Verband sozialdemokratischer Ab- geordneter, P ö l z e r für Niederösterreich , N e in e c und S t i v i n für die tschechische Partei, Kr ist an stir die slowenische Partei. Genossin Schönberg für den Bund(russische jüdische Sozial- demolratie). Beer: Ich danke namens der deutschen Sozialdemokratie Oester- reich? für die freundliche Einladung und entbiete Ihnen unsere herz- lichsten brüderlichen Grüße. Selbstredend liegt es uns vollkommen fern, uns in Ihre internen Angelegenheiten einzumischen, aber wir haben ein außerordentlich großes Interesse an Ihren Verhandlungen, weil Ihre Beschlüsse sehr stark auf uns zu- rückwirken. Ganz besonders interessiert uns die Frage der Jugendorganisation und die Maifeier. Ein großer Teil unserer Fortschritte ist darauf zurückzuführen, daß wir, wo es nötig ist, die Leidenschaft mit der berechnenden Nüchtern- heit verbinden, eingedenk des Wortes eines unserer größten Denker, daß zur Vollbringung großer Taten auch Leidenschaft gehört. So wünsche ich denn, daß der Parteitag in diesem Sinne seine Be- ratungen führt und getreu den internationalen Gepflogenheiten auf alle übrigen Staaten Rücksicht nimmt, wo immer Arbeiter im Dienste der Kapitalisten standen.(Lebhafter Beifall.) Ich hoffe, daß es diesem Parteitag gelingen wird, einen bedeutenden Fortschritt in der Geschichte der deutschen wie der internationalen Sozialdemokratie herbeizuführen.(Bravo I) Nemcc-Prag überbringt die herzlichsten brüderlichen Grüße der tschechischen Sozialdenrokratie Die internationale Solidarität des Proletariats ist längst keine leere Form mehr und hat bereits angefangen praktisch zu werden. Vor zwei Jahren jubelte unsere Bourgeoisie den Worten vom.Niederreiten" und Zerschmettern" zu. DaS Blatt aber hat sich gewendet. Wir haben schon schöne Erfolge erzielt und werden noch größere erzielen. Ihre Erfolge sind unsere Erfolge, Ihr Sieg ist unser Sieg. In diesem Sinne wünsche ich Ihren Verhandlungen den besten Erfolg. (Beifall.) Kristan begrüßt den Parteitag namens der südslawischen Sozialdemokraten. Wir suchen der sozialistischen Idee, die nach Norden und Westen längst siegreich vordrang. Bahn auch nach dem Süden und Osten zu machen. Wir stehen schon ganz an der Schwelle des Morgenlandes, dort, wo Asien sich mit Europa mischt. Unser Klerikalismus besitzt noch eine ganz andere Macht als das deutsche Zentrum, und die nattonalen Unterschiede erhöhen die Schwierigkeiten, mit denen die Sozialdemokratie in unseren Ländern zu kämpfen hat. Trotzdem hat sie festen Fuß gefaßt. Täglich ent- stehen bei uns neue Gewerkschaften und politische Organisationen; die chinesische Mauer um Osteuropa weist bereits eine ganze Reihe Breschen auf, und von uns aus wird der Sozialismus seinen Weg nach dem Balkan und nach Asien nehmen.(Beifall.) Ich hoffe, daß die Zeit kommen wird, da die gleiche Freiheitssonue am nördlichen wie am südlichen Himmel leuchtet. An diesem Siege werden wir gemeinsant arbeiten.(Lebhafter Beifall.) Genossin Schöuberg(jüdischer Arbeiterbund) überbringt die herz« lichsten Grüße und Glückwünsche des jüdischen Proletariats. Vor Jahresstist wollte es scheinen, als ob das russische Proletariat et- schöpft sei von den ungeheuren Kraftanstrengungen des RevolutionS - jahres und zusammengebrochen unter den Schlägen der Reaktion. Das verflossene Jahr hat jedoch gezeigt, daß das glücklicherweise nur ein Schein war. Ueberall schießt neues Leben empor, ein tiefer Aufschwung im Fühlen und Handeln vollzieht sich. Der ökonomische Kampf steht jetzt im Vordergrund. Siegreich haben die Borstcnarbeitcr in Litauen den Achtstundentag gegen das aussperrungswütige Unternehmertum verteidigt. Den Ver­folgungen der Regierung begegnen die Gewerkschaften, indem sie ihre Ausklärungsarbeit geheim, unterirdisch führen. Auch das poli- tische Interesse wird wieder lebendig und äußert sich auch in dein Aufschwung der jüdischen Organisation des Proletariats, dem Bunde. Seit einiger Zeit erscheinen wieder zwei illegale Organe, von denen eine» in Rußland in einer Geheimdruckerei hergestellt wird und ein anderes im Auslande erscheint. Es werden wieder politische Ver­sammlungen veranstaltet und den Ortsorganisationen strömen neue Mitglieder zu. Wohl hat die jüdische Intelligenz in ihrer Masse der Partei der Arbeiterklasse den Rücken gekehrt. Sie hat damit nur ihr im Grunde bürgerliches Wesen gezeigt(Sehr wahr!) und des- halb hat das jüdische Proletariat keinen Grund, ihr nachzutrauern. Das Proletariat nimmt das Werk der Befreiung in eigene Hand und zeigt, daß es reif genug dazu ist und daß es die notwendigen Intelligenzen aus seinen eigenen Reihen hervorzubringen weiß. Der tote Punkt ist endgültig überwunden. Keine Reaktion und keine Unterdrückung vermag auf die Dauer den Aufschwung deS Pro- letariats zurückzuhalten. DaS jüdische Proletariat, das stets seine internationalen Pflichten erfüllt hat, gelobt jetzt, wo es nach vor- übergehender Ermattung wiederum in die Reihen der aktiven Kämpfer tritt, nicht zu ruhen und zu rasten, bis die beiden Festen des Absolutismus und deS Kapitalismus von seinen und seiner Klassen- genossen Bataillonen gestürmt sind. Wir schauen zuversichtlich und stohen Mutes in die Zukunft. Unser ist sie kotz alledem.(Leb- hafter Beifall.) Singer teilt einige eingegangene Begrüßungsschreiben mit und verliest das folgende Telegramm aus Schweden : Die Sozialdemokratie Schwedens , deren Mitglieder in ge- werkschaftlichet Riesenschlacht die Schärfe des heutigen Klassen- kampseS mehr als jemals erfahren, jedoch ungebeugt im Kampfe ausharren, fest entichlosfen, von der vereinten Macht der Bour- geoisie kotz alledem sich nicht niederdrücken zu lassen, sendet den deutschen Genossen herzlichste Grüße. Niemals wird die schwedische Arbeiterschaft die durch opferwillige Tat während der schweren PrüslnigSzcit bewiesene Solidarität der deutschen Klassengenossen vergessen. Wir wünschen Ihnen bestes Glück dazu, Ihre stolze Partei in Einigkeit und Kraft noch mehr zu befestigen und vorwärts zu führen zu neuen Siegen für das gesamte internationale Prole- tariat."(Stürnüscher Beifall.) Ich habe namens der Parteileitung die Mitteilung zu machen, daß wir beschlossen haben, den Arbeitern Schwedens , die in ihrem riesenhaften Kampf mit Mut und Entschlossenheit Opfer über Opfer bringen, die brüderliche Solidarität der deutschen Partei aufs neue dadurch zu beweisen, daß wir zu den bereits für den Kampf gegebenen 20 000 Mark aufs neue 30000 Mark nach Schweden zur Unterstützung schicken.(Stürmischer Beifall.) Die Parteileitung weiß, daß sie mit diesem Beschluß den Willen und den Wunsch des Parteitages zum Ausdruck bringt.(Sehr richtig!) Und der Beifall, der meiner Mitteilung geworden ist, bestätigt mir das. Der Parteitag Kitt nun in die Tagesordnung ein. 1. Geschäftsbericht des ParteivorfiandeS. Molkenbuhr: In einigen Punkten habe ich den schriftlichen Bericht zu er- ganzen, weil verschiedene Angelegenheiten inzwischen zum Abschluß gelangt sind. Auf dem vorigen Parteitage wurden Klagen über sinanzielle Benachteiligung der Parteibuchhandlungen geführt. Der Parteivorstand hat in Verbindung mit der Leitung der Buchhandlung ein Arrangement getroffen, welches derartige Schädigungen für die Zukunft ausschließt. Bei einer Nachwahl in einem Moselbezirk, der zu dem bombensicheren Besitzstand des Zentrums gehört«, schnellten ganz plötzlich die Stimmen der Sozialdemokratie erheblich in die Höhe. Die Winzer wollten ihrer Mißstimmung über die Lösung der Weinstage durch daS Zentrum und die übrigen bürger- lichen Parteien Ausdruck geben. In den Weinbezirken finden sich neben den zahlreichen Weinbergarbeitern emch zahlreiche proletarische Existenzen unter den selbbständigen Winzern, Elemente, die durchaus für uns zu gewinnen sind. Unsere Parteigenossen in West- und Süddeutschland haben in einer Konferenz Beschlüsse über die Agitation unter den Winzern gefaßt, die hoffentlich von gutem Erfolge begleitet sein werden. Die Beschlüsse des Nürnberger Parteitages über die Einigung der Lokal- organisierten mit den Zentralverbänden sind zu einem großen Teil durchgeführt. Gegenwärtig liegt ein eingehender Bericht über die Verhandlungen in Solingen vor. Es wird sich leider da wenig machen lassen, und wir müssen das Beste von der Zeit erwarten. Von den bestehenden alten Lokal verbänden hat sich inzwischen wieder einer, der ungefähr 1500 Mit­glieder zählende Verband der Kontorboten in Hamburg einem Zentralverband(dem der Transportarbeiter) angeschlossen. So schreitet also die Einigung im Proletariat immer weiter fort. Die Jugendbewegung hat in der Form, wie sie in Nürnberg beschlossen ist, recht gut eingesetzt und auch recht gute Erfolge erzielt. Eine Reihe von Kritikern hat geglaubt, daß jetzt schon gewisse Aendernngen eintreten müssen; aber fast alle diese Kritiken sind von falschen Voraussetzungen ausgegangen. Wir sind der Meinung, daß zunächst Erfahrungen gesammelt werden müssen. die Erfahrungen eines ganzen Jahres; jetzt verfügen wir erst über die Erfahrungen eine» Sommerhalbjahres. Sicher dürfen wir niemals außer Augen lasten, die Jugend für uns zu gewinnen. ES wurde die Anregung gegeben, einzelne sozial« demokralische Schriften auch in Blindenschrift herstellen zu lassen. Wir haben dem zugestimmt. Während im Norden Europas der schwere wirtschaftliche Kampf tobte, war auch das südlichste Land Europas von den Stürmen der Revolution durchweht. In Spanien , dem Vaterlande der Inquisition , in jenem finsteren Lande, auf dessen dürrem Boden, durch Pfaffenherrschaft ausgesogen, ein armes Volk lebt, auch da fängt der Kapitalismus an, sich zu entwickeln und die Gegensätze zwischen Proletariat und Bourgeoisie treten immer schärfer zutage. Mit demselben Blutdurst, wie seinerzeit die Ketzer verfolgt wurden, werden die modernen Ketzer verfolgt, die ihre Zweifel in Taten umgesetzt haben. Soweit eS in unserer Macht stand, haben wir den Genossen auch dort eine finanzielle Hilfe zu teil werden lassen. Parteigenossen, Sie haben die Pflicht der Kritik an unserer Tätigkeit als Parteivorstand, damit wir wisten, ob der Parteivorstand im Einklang mit den Massen handelt. Denn der Vorstand ist ja nichts anderes als ausführendes Organ der Partei. Im Mittel« Punkt des politischen Lebens stand in einer Reihe von Staaten der Kampf um daS Wahlrecht, in der Reichspolitik das persönliche Regiment, die Finanzreform. Der Parteivorstand hat, sobald diese Fragen im Mittelpunkt standen, Material als Unterlage für die Redner herausgegeben. Mit der Annahme der Finanzreform hat der Parteivorstand diese Frage keineswegs als abgeschlossen betrachtet, sondern wir haben bereits einen Parteigenossen beauftragt,«in Handbuch über die Finanzreform herauszugebe». Die Sünden der Schnapsblockparteien sollen als dauernde Waffen benutzt werden, das Volk aufzuklären. Im Laufe des Jahres sind uns sehr wenig abfällige Urteile über unsere Tätigkeit zu Gesicht gekommen. Meines Wissen» eigentlich nur zwei: eine Resolution von Berlin I und eine Kritik in einer Zeitung von Nordwcstdeutschland, die darüber klagen, daß der Parteivorstand im Kampfe zu la» gewesen sei. In dem Artikel wurde gesagt, man habe mit dem Urteil so lange gewartet, bis der Kampf zum Abschluß gekommen sei. Ich halte cS geradezu für ein Verbrechen, wenn ein Genosse weiß, daß in irgend einer Weise bessere Erfolge zu erringen sind, dann hat er die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, eS uns mitzuteilen.(Zustimmung.) ES ist ganz sicher, daß der Parteivorstand alle Anregungen in Erwägung zieht. Nun ist aber das Merkwürdige dabei, daß sowohl in der Neso- lution als im Artikel gar nicht zum Ausdruck kommt, was eigentlich hätte geschehen sollen. Man hätte es doch wenigstens nachher sagen können, aber bis heute ist eS noch Geheimnis. Wir wissen nur in dem einen Falle, es hätte mehr geschehen können, schärfere Mittel hätten zur Anwendung kommen können: aber welcher Art. wird nicht angedeutet. Vielleicht werden ja Klagen kommen, daß der Partei- vorstand nicht die Redncrzahl zur Verfügung gestellt habe, d,e vcr- langt sei. Das ist freilich eine alte Erbsünde deS ParteivorstandcS. (Sehr gut I) Aber das liegt nicht am bösen Willen der Parteileitung, sondern daran, daß der ÄgitationSeifer größer ist als die verfüg- baren agitatorischen Kräfte. Die Genossen müssen s e l b st agitieren. Die Redegewandtheit ist nicht angeboren, aber die Uebung macht viel. In der Schulung junger Kräfte wird jetzt erheblich mehr getan, als je vorher. Die Genossen sollten von ihrer Redegewandtheit Gebrauch machen selbst auf die Gefahr hin, daß mal ein kleiner Schnitzer unterläuft. Jeder hat zu Anfang Schnitzer gemacht.(Heiterkeit.) Die Parteischule kann jährlich 20 bis 30 junge Leute ausbilden, aber sie kann nur den Genossen, die schon gewisse Vorkenntniste haben, den letzten Schliff geben. Die Bedürfnisse der Partei an Rednern kann die Parteischule nicht decken. Wir haben 3300 Ortsvereine und eigent- lich müßte jeder davon einen Mann haben, der für unsere Grund- sätze öffentlich eintreten kann(Sehr richtig I), genau wie jede religiöse Gemeinde einen Pfarrer hat.(Heiterkeit.) Wenn alle Ortsvereine hierauf bedacht sind, dann wird die Schar unserer Redner bald nach Zebntauscnden zählen. Die politische Lage war im verflossenen Jahre für unsere Agitation so günstig, wie seit langem nicht. Die Gegner haben sich alle erdenkliche Mühe ge- geben, einmal ihr wahres Gesicht zu zeigen, so daß eS abschreckend auf die Kreise ihrer Mitläufer wirken mußte. Die letzten Nach- Wahlen haben gezeigt, wie die Verhältnisse auf die Massen ein- gewirkt haben. Gewiß haben auch einige Hemmungen, hauptsächlich die wirtschaftliche KrisiS, den Ausbau unserer Organisation ver- langsamt. Zahlreiche Arbeiter mußten zum Wanderstab greisen. Schiffahrt und Schiffbau lagen jahrelang still, das Banhandwerk lag in vielen Gegenden danieder. Unwillkürlich fragt man sich. ja, wo sind die Arbeiter hingekommen? Die Berichte der Asyle sür Obdachlose zeigen zun, Teil, wie gewaltig das Heer der Land« straßen gestiegen ist. Wenn trotzdem unsere Organisationen in demselben Tempo wuchsen wie vorher, so zeigt das einmal die werbende Kraft deS Sozialismus und zun, anderen die Gnnst der politischen Situation.(Sehr richtig!) 1903 zählten wir 381000 organisierte Mitglieder, 1907 530 000 und 1908 587 000 und in diesem Jahre 333 000. Wir sind damit die mächtig st e politische Organisation Deutschlands , ja der ganzen Welt geworden.(Lebhaftes Bravo l) Wir haben mit unseren 633 000 Mitgliedern die 325 000 Mitglieder des katholi­schen Volksvereins überflügelt. Leider verfügt ja noch immer die mächtigste Partei des Schnapsblocks über einen erheblichen Teil von Arbeiteranhängen,. Aber das Zentrum hat iu der letzten Zeit so gesündigt, daß, wenn seine Taten zur Kenntnis aller Arbeiter kommen, auch der letzte Arbeiter'aus den Reihen dieser volksfeindlichen Partei verschwinden müßte. (Sehr wahr.) Es hat gegen die Erbschaftssteuer gestimmt, um die Arenberg und Ballestrem vor Steuern zu schützen, während es die Taste Kaffee der armen Frau mit SO Proz. ihres Wertes be- steuert.(Hört l hört Ij ES besteuert Schnaps und Bier, besteuert tündhölzer und Beleuchtungskörper und lehnt es ab, den durch diese teuer arbeitslos werdenden Arbeitern eine Entschädigung zu geben. ES beloilligt eine Tabaksteuer, wodurch die Kleinbetriebe vernichtet werden, und beschränkt die Entschädigungssumme für brotlos werdende Tabakarbeiter. Es war auch zu einer Parsümsteuer und zu einer Mehlverteuerung bereit. Wenn alleS das in der Agitation richtig ausgenutzt wird, müssen wir auS Zentrumskreisen eine erhebliche Zahl von Anhängern gewinnen.(Sehr wahr!) Die Krise, die bisher lähmend auf den Ausbau unserer Or- ganisationen eingewirkt hat, scheint ein wenig im Nach- lassen begriffen zu sein. Selbst im Juli hat die Zahl der ZwangSmitglioder in den Krankenkassen eine erhebliche Steigerung aufgewiesen. Die Roheisenproduktion in den ersten acht Monaten dieses JahreS weist eine erhebliche Steigerung gegenüber den Vor, fahren auf. Den Aufschwung müssen die Genossen zur Stärkung der Organisation benutzen. Mit einer kräftigen Hausagitation muß eingesetzt werden. Man darf nicht warten, bis der Wahlkampf in sichtbarer Nähe ist.(Sehr richtig!) Wir haben ein gewaltiges Gebiet der Agitation. Wohl haben wir SV* Millionen Stimmen, aber es gibt annähernd 13 Millionen männliche Arbeiter oder Angestellte. Sicher sind darunter 3l4 Millionen Wähler, die für uns in Betracht kommen. Für die gewerkschaftliche Organisation bleiben trotz deS Vereinsgesetzes immerhin reichlich 10 Millionen OrganisationSfähige übrig. Ein' weites Gebiet ist namentlich die Organisation der Frauen. Es gibt 8,2 Millionen arbeitende Frauen, da könnten 3Mj Millionen gelvonnen werden. Die Ergebnisse der Gewerbe» und Bcrusszählungen zeigen, daß die Mehrheit des Volkes aus Leuten besteht, welche aus der Verwirklichung des Sozialismus ge­winnen können. Es gibt viermal mehr Arbeiter und Angestellte als Selbständige und unter den Selbständigen sind zudem noch zahlreiche proletarische Existenzen. Selbst bei ungünstiger Schätzung stehen gegenüber 10 Millionen 21 Millionen, die Jnter- esse an der Durchführung der sozialdemokratischen Grundsätze haben. Ein Teil der Arbeiter aus den selbständigen Berufen, ein Teil der Idealisten auS den freien Berufen schließt sich uns immer noch an. Die Hoffnung der Gegner richtet sich auf die Zersplitterung der Partei. Gewisse Gegensätze werden in ber Partei immer bestehen und werden immer stärker werden, je älter die Partei wird, eS sei denn, daß jedes geistige Leben aufhören würde. DaS geistige Leben entwickelt sich zu immer höherem idealen Streben, aber ein Teil der Partei kann niemals mitkommen. Das sind die Neuge- wonnencn, die mit den Schlacken der bürgerlichen Erziehung in die Partei treten. Wenn mancher von uns alten Genosten sich heute sehen würde, wie er vor 30, 40 Jahren ausgesehen hat, würde er sich selbst nicht wieder erkennen und sagen: mit einem solchen Spießbürger verkehre ich nicht.(Große Heiter» Kit.) Man hat vielfach von sogenannten Mitläufern geredet. Als solche bezeichne ich die, die aus Ekel vor den anderen Parteien zu uns kommen, die wir aber verlieren, wenn die Gegner sich bessern. Als richtige Parteigenossen können wir aber nur die anerkennen, welche unsere Grundsätze an erkennen und zu verwirklichen trachten. Die industrielle Bevölkerung beträgt jetzt 56,13 Proz., die landwirtschaftliche nur noch 28,25 Proz. Seit 1882 ist die Zahl der Industriearbeiter um 4 900 000 gestwgen, die Zahl der industriellen Betriebe aber um 183 000 gesunken. DaS zeigt, daß unsere Voraussetzung, daß der AkkulmulationS- Prozeß des Kapitalismus immer weiter schreitet, richtig i st. Nun sehen wir die eigentümliche Erscheinung, daß zwar im Wirtschaftsleben daS industrielle und Handelskapital die wirkliche Großmacht wird, aber doch die agrarische Tendenz die herrschende ist. Man hat vielfach einzelne Parteien dafür verantwortlich gemacht, deren Führer unfähige Leute oder elende Feiglinge seien. Aber daran liegtes nicht. Die agrarische Herrschaft kommt von der Tendenz der Gesetzgebung, die Arbeiter zu entrechten. (Sehr richtig.) Das sehen wir in Sachsen , in Preußen und in vielen anderen Einzclstaaten. Und woran liegt dos? In der Landwirtschaft haben wir 2% Millionen, in der Industrie und im Gewerbe nur 1 977 000 Selbständige. Unter den Selbständigen sind also die Agrarier in der Mehrheit, und haben die Herrschaft an sich gerissen. Dazu sind sie ganz vorzüglich organisiert im Bunde der Landwirte und zwingen einen Teil der Arbeiter sowie die Gewerbetreibenden auf dem Lande zur Gefolgschaft. So kommt es, daß das Industrieland Deutschland unter ber Herrschaft der Agrarier steht und daß eine Befreiung nur durch daS Proletariat möglichist. Die Agrarier zwingen auch einen Teil der Arbeiter durch Terrorismus, ihre Interessen zu unter- stützen, unter den 4 Vi Millionen Stimmen des Schnapsblocks sind viele Arbeiterstimmen. Die,e müssen wir den Agrariern entreißen. Die Agrarier sind die größten Feinde der Landorbei- t e r, denen sie das Koalitionsrecht vorenthalten, deren Freizügig- Kit sie beschränken, die sie bei ber Krankenversicherung zurücksetzen, denen sie selbst die kleinen Renten nehmen möchten. Der Hansa- bund wird nicht eine Großmacht werden wie der Bund der Land- Wirte. Der Kampf gegen die Agrarier kann wirksam nur durch das Proletariat geführt werden. Die Arbeiter sind in erster Linie die Leidtragenden der AuSplünderungS-- Politik der Agrarier. Für uns kommt eS darank an, zu organisieren und zu agitieren, beim nächsten Parteitag müssen wir sagen können: wir haben wieder Hunderttausende gewonnen. Wenn eS dann wieder zu einem allgemeinen Kampfe kommt, dann werden unsere Gegner einsehen, daß sie mit ihrer eigenen Politik die gegenwärtige Gesellschaft am meisten in Gefahr gebracht haben. Wir aber haben die frohe Hoff- nung und den Glauben, daß wir allmählich daS ganze Proletariat hinter unsere Fahnen scharen und dann den endgültigen Sieg unserer Grundsätze erringen werden.(Stürmischer Beifall.) Den Kassenbericht erstattet Gerisch: Der diesjährige Kassenabschluß hat unseren Genossen eine an- genehme und den Gegnern eine unangenehme Enttäuschung be- reitet. Der giftige Neid über den günstigen Stand unserer Partei. finanzen kam in den bürgerlichen Blättern ganz unverhohlen zum Ausdruck. Gewiß werde» auch manche Finanzminister geseufzt haben, die bekanntlich nur noch mit Defizits gearbeitet haben. Glücklicherweise war der Reichstag bereit« geschlossen, als unser Abschluß an die Oeffentlichkcit kam, sonst wären die Stenersucher deS Schnapsblockes auf den Gedanken gekommen, ihn noch extra zu besteuern.(Heiterkeit und Ruf:..Mal den Teufel nicht an die Wand!") Wir dürfen aber nicht bei aller Erfreulichkeit deS Ab- schlusses vergessen, daß wir nach wie vor auf die Ueberschüsse aus unseren großen Parteigeschäften angewiesen sind. Bleiben sie aus, dann ist sofort die Unterbilanz da. Da ist dringend Besserung nötig. Gewiß sind gegenwärtig schon die Beiträge von Hamburg und Berlin größer als noch vor einigen Jahren die Beiträge aus dem ganzen Reiche. Gewiß ist auch die Zahl der Orqanisationen gestiegen, die regelmäßig ihre Beiträge an den Partcworirand ab- führen. Aber leugnen läßt sich leider nicht, daß n o ch immer eine Menge Organisationen sich Verstöße gegen WortlautundSinnunsererStatutenzuschulden kommen lassen. Ich will die Sünder hier nicht aufzählen, zu- mal alle diese moralischen Rippenstöße bisher nichts gefruchtet haben. Die Sache muß anders angefaßt werden. Mit der Ver- bcsserung unserer Organisation haben wir spielend Erfolge erzielt, die wir mit allen Appellen nicht erreicht haben, und wenn die neuen Organisationsverbcsserungen. die die Kommission dem Parteitage vorlegen wird, zur Annahme gelangen werden, werden wir wieder einen guten Schritt vorwärts mschen in der Richtung der fingn,