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Nr. 113.

Erscheint täglich außer Montags. Preis pränumerando: Viertel­jährlich 3,30 Mart, monatlich 1,10 mt, wöchentlich 28 Bfg frei in's Haus. Einzelne Nummer 3 Pfg. Sonntags: Nummer mit illuftr. Sonntags- Beilage Neue Welt" 10 Bfg. Poft- Abonnement: 3,30 Mt.pro Quartal. Unter reuz band: Deutschland u. Defterreich­Ungarn 2 Mt., für das übrige Ausland 3 Mt.pr.Monat. Eingetr. in der Poft- Zeitungs- Preisliste für 1898 unter Nr. 6708.

Vorwärts

10. Jahrg.

Inferttons- Gebühr beträgt für die fünfgefpaltene Petitzeile oder beren Raum 40 Bfg., für Vereins- und Berfammlungs- Anzeigen 20 fg Fnferate für die nächste Nummer müffen bis 4 Uhr Nachmittags in der Expedition abgegeben werden. Die Expedition ift an Wochens tagen bis 7.Ubr Abends, an Sonn­und Festtagen bis 9 Uhr Vor­mittags geöffnet.

Earnsprech- Anschlu Amt 1, Nr. 4186,

Berliner Bolksblatt.

Zentralorgan der sozialdemokratischen Partei Deutschlands .

Redaktion: SW. 19, Beuth- Straße 2.

An die Wähler!

Es ist Pflicht jedes Wähler 3, sich durch Einsicht in bie Wählerliste davon zu überzeugen, daß sein Name in der Liste steht. Die Wählerlisten liegen vom 18. Mai ab in den noch bekannt zu machenden Lokalen zu jedermanns Prüfung aus. Wer bis zum Wahltage, dem 15. Juni, d as 25. Lebens­jahr vollendet, also spätestens am 15. Juni 1868 geboren ist, ist wahlberechtigt, hat aber schon während der Zeit, wo die Wählerliste ausliegt, dafür zu sorgen, daß er in die Wählerliste eingetragen werde. Dies geschieht am besten in der Weise, daß man gegen Vorweis einer Legitimation in dem Lokal, wo die Wählerliste ausliegt, von dem zu diesem Zwecke dort stationirten Beamten seine Aufnahme in die Wähler­liste protokollarisch feststellen läßt. Gewählt wird in dem Be­zirke des Wahlkreises, wo man zur Zeit der Aufstellung der Wählerliste wohnt.

Damit der Sache der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit möglichst wenig Stimmen verloren gehen, ist es un= umgänglich nöthig, daß aus den Fabriken, Werkstätten und sonstigen Betrieben Vertrauensmänner der Arbeiter sich der Mühe unterziehen, für alle verhinderten Kameraden nachzusehen, ob deren Namen in die Wählerlisten eingetragen sind. Versäume niemand, diesen Anforderungen pünktlich und ge­wissenhaft nachzukommen.

Das Strohhälmchen

Dienstag, den 16. Mai 1893.

Expedition: SW. 19, Beuth- Straße 3.

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Anstand nehmen, von der Niedertracht anderer Und Fälschung" sollen wir begangen haben? Wohl ihren Vortheil zu ziehen, der, wie jede große Sensation weil wir den Brief mit allen Stileigenthümlichkeiten für eine Zeitung, auch ein petuntärer Vortheil veröffentlicht? Wir glauben allerdings, daß es diesem und ift, tann nicht scharf genug gegeißelt werden. und jenem ganz angenehm gewesen wäre, wenn wir den Wir sehen zwischen Stehler und Hehler faum irgend welchen moralischen Unterschied und möchten, ab- Brief etwas gefälscht" oder in Bismarckischer Sprache gesehen von allem anderen, darauf hinweisen, daß auch in zu sprechen redigirt" hätten. Siesem Falle die eigenthümlichen Freiheits- Pas si bête. So findlich- naiv sind wir nicht. begriffe zum Ausdruck fommen, die in der Sozial- Von den mehr oder weniger staatsmännischen Kommens demokratie leben. Bisher galt das Briefgeheimniß taren der übrigen Blätter nehmen wir heute feine Notiz. als eine der Grundfesten bürgerlicher und persönlicher Nur eines Intermezzos müssen wir noch erwähnen. Der Freiheit. Die Sozialdemokratie scheut sich nicht, Brief des Prinzen Albrecht von Preußen hat bereits ein Opfer ge­wo ihre Interessen mitspielen, darüber hinwegzugehen und fordert außer dem Opfer des Kreuz- Zeitungs"-Intellekts. die Postkontrolle der berüchtigten schwarzen Er hat auf die Hirnthätigkeit des bekannten flugmeierischen 8 U übertrumpfen. Die

Kabinette noch

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schwarzen Rammern begnügten sich wenigstens damit, das ge- Rorrespondenten eines oder vielmehr des leitenden" füd­raubte Geheimniß nicht über die amtlich gesetzten Kreise deutschen Blattes ebenso verhängnißvoll gewirkt, wie auf hinausdringen zu lassen, die Sozialdemokratie schreit es die des Herrn von und ßu Hammerstein. Besagter Sieben in alle Welt hinaus. Nun involvirt aber jede Veröffent: gefcheidt telegraphirte brühheis an sein Blatt, der vom lichung eines Privatbriefes von historischen oder sonst Vorwärts" nicht genannte Adressat des Briefes sei ver­wissenschaftlichen Zwecken abgefehen- eine& älschung. muthlich Herr von Caprivi. Und das Blatt fiel bie um so größer ist, je vertrauter die Mittheilung war. Es elendiglich herein ist, als werde das Recht der freien Rede in den eigenen seines Korrespondenten, indem es das vermuthlich" weg­es verbesserte sogar die Genialität vier Wänden in Frage gestellt und der schlimmsten aller

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Spionagen, der eines fanatischen Partei- Interesses, preis- ließ, und Caprivi zum Verschwörer gegen Caprivi machte. gegeben. Dieses System zur Regel erhoben, führt zum Seine scharfsinnige Vermuthung stützt der Pfiffikus darauf, Terrorismus der Jakobiner von 1792 und zur daß der Adressat von dem Briefschreiber als eine sehr be­Vernichtung jeder politischen Freiheit. Die Verrohung schäftigte" Exzellenz bezeichnet werde, und es sei nicht be­der politisch en Moral, wie sie in dem Gebahren kannt, daß andere Exzellenzen so start beschäftigt seien, Ahlwardt's , dem seine geistige Impotenz noch als halber Au! Die vorjährige Bier, Weins und Schnapsreise der Entschuldigungsgrund dienen mag, zum Ausdruck fam, Friedrichsruher Unruhe war wohl eine Agitationsreise für findet thre Wiederholung hier durch Männer, denen

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feine Milderungsgründe zu bewilligen sind. Herrn v. Caprivi? Der nämliche Klugmeier ist erstaunt, Ihre Freiheit ist Tyrannei und ihre Deffentlichkeit daß ein solches Schreiben in die Hände des Vorwärts" Werrath. gelangen konnte. Allerdings schwaßhaften Elstern pflegen Gut gebrüllt, Löwe( nicht Levy)-Hammerstein. folche Strohhälmchen" nicht zuzufliegen- und auch keinem Stein- Siebengefcheidt.

Um die Komik dieses Noth- und Wuthschreis in ihrer

hat allerhand Unheil angerichtet. Die Kreuz Zeitung ", die inzwischen den Adressaten" in ihrer Nähe entdeckt hat, ganzen überwältigenden Größe zu ermessen, muß man sich fiste" von Friedrichsruhe seit einigen Wochen unheimlich Bemerkt sei hier noch, daß es in der alten Raketen­quittirt den Schlag, den wir ihr durch Veröffentlichung des ins Gedächtniß zurückrufen, daß die Partei des Herrn von fiste" von Friedrichsruhe seit einigen Wochen unheimlich Brinzenbriefs versetzten, mit folgender Notiz, in der ohn, und ßu Hammerstein in den 50er Jahren die Privat- ftill gewesen ist. Wenn dieser redseligste aller Krakehler mächtiger Grimm den letzten Rest von Verstand unterdrückt, Korrespondenz des damaligen Prinzen von Preußen( später einmal den Mund hält und keinen Krakehl macht, kann und das Opfer des Intellekts" mit einer Gründlichkeit König und Kaiser Wilhelm I.) überwachen, und Schrift- man mit Sicherheit darauf rechnen, daß er irgendwo auf verbotenen Jagdgründen herumstreift. vollbracht hat, die unser mitleidiges Staunen erregt: stücke beiseite schaffen ließ. Und die sittliche Entrüstung der Kreuz- Zeitung " über das Es unterliegt keinem Zweifel, daß die Intrigue, die vom Vorwärts" veröffentlichten Briefe des Prinzen Albrecht Schwarze Postkabinet! Ei, ei. Niemand thut sprichwört- durch den Brief des Prinzen Albrecht von Preußen enthüllt mögen wir nicht unterdrücken. Gilt es schon im privaten lich tugendhafter als das Betschwester gewordene Mädchen worden ist, von dem Erkanzler in eigener Person eingefädelt Leben mit Recht für unanständig, einen gefundenen für Alle. Man könnte fast vermuthen, diese grausame und geleitet ward. Wir sagen" ward", denn die Trauben Brief zu lesen, geschweige denn zu veröffentlichen, so ver- Selbstgeißelung sei von der Hand des Ex- Eisernen voll- find, inzwischen sauer geworden. dient es eine noch ganz andere strenge Beurtheilung, Und zum Schlusse noch ein Wort an die Kreuz­wenn gestohlene, oder mindestens veruntreute zogen, der in diesem Punkt eine größere Virtuosität ents Briefe veröffentlicht und zu politischen Zwecken gemi ß- wickelt, als die dickfelligsten Flagellanten( Geißler) des Beitung". Ihr Geheule ist uns die lieblichste Musik. Es braucht werden. Jener Blankenburger Brief vom Mittelalters. stärkt uns nur in unserem heiteren Bewußtsein, durch die Ver­

Berlin, 13. Mai. Noch einige Bemerkungen zu dem

9. Mai tann nur durch einen schnö den Ver Was den Mißbrauch von Privatbriefen" betrifft, so öffentlichung dieses Prinzenbriefes, ebenso wie vergangenes trauensbruch in die Hände der Redaktion möge Herr von und ßu Hammerstein sich an den General- Jahr durch die Veröffentlichung des Prinzen Erlasses, dem des Vorwärts" gelangt sein. Wir wollen zu Ehren der Männer, die an der Spitze des Blattes stehen, Postmeister von Stephan wenden, der in den letzten Vaterlande und dem Volke einen Dienst geleistet zu haben. annehmen, daß sie den Vertrauensbruch nicht ver- Postdebatten des Reichstags einen ihm zufällig in die anlaßt haben. Aber die politische Demoralis Hände gefallenen" Privatbrief eines Postassistenten als sation, die aus der Thatsache spricht, daß fie teinen Waffe gegen den Postassistenten- Verband amtlich benutzte.

Feuilleton.

Nadbrud verboten.)

Vom Stamm gerissen.

Von Elise Schweichel.

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ihren Gängen zur Stunde als Schutz und Duenna dienen mußte. Unverdrossen war Tussy in Schnee und Regen neben der Schwester einhergetrabt, wenn auch manchmal einige heimliche Thränen vergießend. Ihre Liebe und Hingebung und die Mutter beteten diese an.

schöne Mädchen. Man war bezaubert von der Einfachheit, Ueber der niedrigen, sanft gemölbten Stirn war das reiche, Natürlichkeit und wahren Herzensgüte eines Wesens, das glänzendschwarze Haar, ganz im Gegensatz zu der herrschenden so viel Grund gehabt hätte, stolz und selbstbewußt zu sein. Mode, wie mit einem Lineal gescheitelt, und, die Stirn Und dieses herrliche Geschöpf, der Stolz seiner Mutter, ganz freilaffend, im Nacken schlicht aufgesteckt. Wegen war dieser jetzt entrissen. Ihre Klagen waren nur zu be- dieses spiegelglatten, ins bläuliche spielenden Haares rechtigt. Balesta war es gewesen, die ihr stets gegen den hatten ihre Mitschülerinnen ihr den Beinamen Krähen­Bater beigestanden, sie vor gänzlicher Verbitterung bewahrt, töpfchen" gegeben. Gelernt hatte die Kleine fast eben und vermocht hatte, den unbefümmerten, lässigen Gatten, der so viel, wie ihre Schwester, mit der sie die Privatstunden trozdem die volle hausherrliche und väterliche Autorität in zusammen hatte nehmen müssen, weil diese für zwei ver­Mit Genehmigung der Verfasserin abgedruckt.*) Anspruch nahm, mit Geduld zu ertragen. Die Liebe zu ihm hältnißmäßig billiger waren, und weil sie Valeska auf Wenn sie durch das Zimmer schritt, so war es, als ob war schon lange in ihrem Herzen erstorben; allmälig, ganz den bürgerlich schlichten Raum ein Hauch von Eleganz durch allmälig, nachdem die Achtung dahin war, erlosch auch das wehte, so wie sie dem unscheinbarsten Kleide, welches sie letzte zuckende Flämmchen ihrer Liebe; denn es ist falsch, trug, Chic und Anstand verlieh. Den schmalen fleinen wenn man behauptet, daß das Weib ohne Achtung zu lieben Kopf mit dem edelgeschnittenen Profil trug frei und leicht vermag. Frau Stern konnte sich jetzt kaum noch vorstellen, für Valeska gingen bis zur völligen Selbstentäußerung. Sie ein schlanker Hals. Dichtes, dunkles Haar umkräuselte die daß sie für den Wann jemals wärmere Gefühle gehegt, nicht weiche Wölbung der Stirn, die kleinen, rosigen Ohrmuscheln begreifen, daß sie um seinen Besitz alle äußeren Vortheile und den stolzen Nacken. Das tiefblaue Auge leuchtete in die Schanze geschlagen hatte. Es ging ihr, wie tausenden wunderbar unter seinem Schleier dunkler Wimpern; tief ihrer Schwestern. Wie viele warme, schöne Liebe wird auf wie ein Alpsee, groß und feurig wie ein Temant, war dieses diese Art im Frauenherzen getödtet! Auge das erste, was jedem bei der Begegnung mit Valeska. Frau Stern war jetzt eine verhärmte, verkümmerte Ge- der sein Ladenkostüm im Winter bildete, mit Hilfe seiner auffiel. So reich geschmückt an Körper und Geist, hatte sie stalt, und doch zeigte das blaffe, längliche Gesicht, von Tochter entledigt hatte, setzte er sich in eine Ecke des alt­nicht verfehlt, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, und leicht ergrautem, fastanienbraunem Haar umrahmt, noch modisch steifen Sophas zurecht, rieb sich die frost­Männer und Frauen aller Kreise, die Geist und Schön- Spuren einstiger Schönheit. Die sanften braunen geschwollenen Hände und schaute Frau und Tochter ab­heit zu schätzen wußten, suchten ihren Umgang. Mit Augen, die weiche Stirn, die feine Nase hatten selbst noch wechselnd mit spähenden Blicken über seine Brille an. Als den Frauen, obgleich sie sie meist übersah, hielt sie gute etwas Jugendliches bewahrt; der Mund allein, dieser indessen beide Frauen, ohne auf ihn zu achten, die jüngere Freundschaft, mit den Männern, jungen wie alten, dis- Verräther so des wahren Alters wie der Seelenschmerzen zum Buch, die ältere zu einer Handarbeit griffen, fuhr er putirte sie in Scherz und Erust, gestattete aber keinem seines Besizers, ließ ahnen, wie viel schweres Leid diese ungeduldig auf: von ihnen die geringste Annäherung. Die allgemeine Frau durchgemacht hatte. Na, könnt Ihr denn nicht reden? Sollen denn die Achtung, die sie genoß, wurde dadurch nicht verringert, daß Ihre jüngere Tochter war von der Natur weniger Leichenbittermienen so fortdauern? Ich habe sie jetzt fatt. man die mißliche Lage ihrer Eltern fannte und wußte, daß retch als Valesta veranlagt. Zwar stand sie noch in den Die Geschichte ging nicht länger aus dem Hause umste Valeska ihnen durch Verwerthung ihrer Talente zu Hilfe Entwickelungsjahren, so daß man nicht wußte, was noch sie also basta! Und nun Kopf in die Höhe hier ist fam. Gerade in den Häusern, in denen sie unterrichtete, werden konnte. Das kluge, runde Gefichtchen mit den nuß ein Brief von ihr." herrschte ein wahrer Enthusiasmus für das hochgebildete, braunen Augen sah vorzeitig ernst und gesetzt in die Welt. Das Wort wirkte wie ein Zauber. Die trüben Augen

Kehren wir nun in das Haus am Wasser und in die Stube, welche Herr Stern eben betreten, zurüd.

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Nachdem dieser brummend sich seines defekten Pelzes,

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