Einzelbild herunterladen
 

Ar. 282. 26. Iahrglwg. ciiM Ks ne Fmtag. 3. Dezember 1909. Cine foziaüfüiclje Schale. Paris , 30. November.(Eig. S3ev.) Die gestern abend mit einem Vortrag Faurös' eröffneteiSools ZoeiaUsts� ist nicht der erste Versuch, ein den Fragen des Sozia- lismuS und der Soziologie gewidmetes Vortragswesen mit sozia­listischer Grundtendenz zu organisieren, aber die gesicherte Mitwirkung einer großen Zahl bekannter akademischer Lehrer und sozialistischer Schriftsteller wird ihr vielleicht ein länger dauerndes Interesse ge- Winnen, als eS ihren Vorgängern beschieden war. Man würde indes fehlgehen, wenn man die von der rührigen Gruppe der kollektivistischen Studenten ms Leben gerufene Einrichtung etwa mit den Berliner BildungSanstalten der deutschen Sozialdemokratie auf eine Stufe stellen wollte. Sie ist nicht nur kein von der sozialistischen Partei für die sozialistische Partei gegründete«, seine pädagogischen Ziele in die Erziehung arbeitseifrigcr und begabter Proletarier für die ver- schiedenartigen leitenden Betätigungen in der Bewegung sehendes Institut, sondern sie will zunächst in abgeschlossenen Einzelvorträgen oder in auf wenige Lektionen bemessenen Uebersichten die aus die sozialen Probleme angewendete wissenschaftliche Betrachtungs- und Forschungsweise in ihren Resultaten vorführen, wobei ein so- zialistischer Eklektizismus, der verschiedene Richtungen" zu Worte gelangen läßt, leitend bleiben soll. Damit ist freilich auch schon ausgesprochen, daß dieEcolo Socialiste" ebensowenig wie als methodisch geleitete Uebungsanstalt als sozialistische Elementarschule wirken, ja daß sie, als solch« benutzt, die vielbeklag� Unklarheit der Masse der Parteigenossen eher noch vergrößern kann. Jaurss hat ihr denn auch in der Tat Aufgaben zugewiesen, die von solchen Bestrebungen abseits liegen. Er sieht sie, über daS ganze Land verzweigt, zu einer Stridiengesellschaft erweitert, die das fortschreitende Leben der fran- zösischen Gesellschaft wissenschaftlich beobachten und beschreiben soll. Als wichtigste Gegenstände solcher Erfahrung nannte er die Rolle , deS Staats, die Frage der Kopitalskonzentration, die Agrarfrage und die Handelspolitik. Er machte auch kein Hehl daraus, daß er von ihren Feststellungen die Unterstützung der reformistischen Auf- fassungen erwartet, so den Beweis, daß der Staat heute nicht mehr in demselben Maße wie ehedem ein Bourgeoisstaat sei. Die Not- wendigleit, von allgemeinen Formeln zu realistischen, mit der kom- plizierten Wirklichkeit rechnenden Aktionsmethode» zu kommen, wollte der Redner durch die kritische Analyse des kürzlich erschienenen Buches»Wie wir die Revolution machen werden" der Anarcho- syndikalisten P a t a u d und P o u g e t illustrieren. Es gelang ihm in der Tat ohne jede Mühe, die darin enthaltenen Ab» furditäten und Kindereien nachzuweisen, nicht ohne indes in manchem Zubörer das Bedauern wachzurufen, daß so viel Scharf- sinn und Beredsamkeit an eine unverantwortliche Sudelschrist ver- schwendet wurde, mit der identifiziert zu werden sich auch die ernsten Syndikalisten zu verwahren das Recht haben. Als dann gar Pataud JauröS zu belehren versuchte, daß die soziale Revolution mit LenkballonS und.Chemie" zum Sieg gelangen werde, erzielte er einen schallenden Heiterkeitserfolg, trotz semer pompösen Wer- kündigung einer soeben glücklich vollbrachtenSabotage". Pataud hat nämlich die Direktoren der großen Oper durch die Veranstaltung einer Arbeitsverweigerung während der Galavorstellung zu Ehren deS Königs von Portugal gezwungen, den Elektrikern schriftlich eine Lohnerhöhung zu bewilligen. Da die Umstände es ausgeschlossen erscheinen lassen, daß das bürgerliche Gericht ihre Gültigkeit aner- kennt, handelt es sich um einen gewerkschaftlichen Bluff PataudS, der um nichts höher steht als sein literarischer. Schließlich wird nicht einmal die bürgerliche Sensationspresse mehr Interesse daran haben. dieser bei allen ernsten Sozialrevolutionären diskreditierten Hans- wurstgestalt des sozialen DramaS ihre Fanfarenbläser zur Ver- fügung zu stellen. Die�ools Socialiste" wird sicher, auch wenn sie überschwäng- liche Hoffnungen nicht zu erfüllen vermögen wird, viel Nützliches leisten können. Aber sie macht den Mangel einer Arbeiter- schule, statt ihn zu beseitigen, nur nock fühlbarer. Mit einer kleines feuitteron. Eine Steuer auf Bibliothekbcnutzung plant Preußen einzu- fuhren. Niemand wird diesem Unternehmen die Kühnheit und das dringende Bedürfnis abstreiten. Das dringende Bedürsiiis, das Antikulturstreben und die Bildungsfcindlicbkeit durch eine weit- hin leuchtende Spitze zu bekrönen. Als Versnchskarnickel sollen die königlichen Bibliotbeken dienen. Zwischen dem Kultus- Ministerium und den Direktoren der Bibliotheken haben Ver- Handlungen stattgefunden, deren Resultate zwar geheim gehalten werden sollten, aber nun doch durchgesickert sind. Das ungeheuer- liche Attentat ans die Bildung bezweckt danach, von jedem ans der Bibliothek verliehenen Buch eine Gebühr zu erheben. Bücher, die nur im Lesesaal benutzt werden, sollen davon befreit sein. Die KulturfeindliÄkeit und Ungerechtigkeit dieser Ge- bühr, die allen modernen Steuerprinzipicn ins Gesicht schlägt, den Bermsten und den Reichsten mit gleichem Maße mißt, und in der ganzen Welt einzig dastehen würde, springt dermaßen in die Augen, daß man wnklich i» Preuße» leben muß, um den Gedanken an ihre Möglichkeit znznlasien. Der Ertrag der Steuer soll dazu verwandt werden, den BlbliotheksfondS zu ver- mehren. Zusammen mit diesem sauberen Plan wird ein zweiter erörtert, die Berliner königl. Bibliothek in eine Reichsaiistalt zu verwandeln und als ReichSbiblioihek auszugestalten. Die Zweckmäßigkeit einer solchen Aenderung braucht heute noch nicht besprochen zu werden. Aber wo immer die neue Steuer unser verruchtes Steuersystem der Bedrückung vervollständigen sollte im preußischen Landtage oder im blauschwarzen Reichslage sie wird uns nicht nur lächerlich machen, sondern vor allem auch der gesetzlich verbotenen Aufreizung der Bevölkerung aufs wirksamste nachhelfe». Da alles besteuert ist, warum sollte das Brot der Wissenschaft und der Kultur, da§ Buch davon ausgenommen sein. Die Entdecker der neuen Stcuerart können sich rühmen, endlich den wahren Zweck der kgl. preußischen Bibliotheken herausgefunden zu haben: eine Steucrqnelle zu sein. Venedig in Gefahr des Einsturzes! Ter Zusammenbruch des Eampanilc von San Marco am 14. Juli 1902 war eine furchtbare Warnung für die Lagunenstadt, durch die die Aufmerksamkeit auf die Fundamente Venedigs überhaupt mit erhöhtem Eifer gelenkt wurde. Befürchtungen für das Schicksal der altenKönigin an der Adria " wurden laut und man suchte nach Mitteln zur Rettung und Abhilfe. Weitschauende Betrachtungen über die Gründe des Turm- einsturzes und der sonst aufgetretenen Bauschädcn hat nun der badischc Oberbauinspektor Heinberger angestellt, über die in..Ueber Land und Meer" berichtet wird. Der Campanile und die wunder- vollen Architekrurdenkmäler in seiner Umgebung wurden bedroht durch die vor etwa 30 Jahren begonnene Ausbagger ung des San Marco-Kanals. die durch den heutigen Tiefgang der Handels- und Kriegsmarine erforderlich wurde. Sie erstreckt sich westlich auch auf den Giudeccakanal. Während früher die Sohle Arbeiterschule haben natürlich noch weniger die seltenen Kurse zu tun, die die Sabotage-Propheten jetzt ankündigen. Es sollen nämlich fortlaufend Unterweisungen über dieRolle ver- schiedener Industrien in der sozialen Revolution gegeben' werden. Den Reigen eröffnet Pataud selbst mit einem Vortrag über die Elektrizitätsindustrie, dann folgt die GaSindustrie usw. Die Veranstalter dieses UnfugS haben vielleicht den Mildemngsgrimd, daß sie sich selbst nicht ernst nehmen, aber immerhin könnte es im WellstädtisKen Lumpentum manchen einer solchenBildung" Be- flissenen geben, der sich mit dem Gedanken trüge, mit der Slbsol- Vierung diese Kurses seine Reife zur Lockspitzelkarriere zu erringen. «. Ter Lchrplan, der für die Monate Dezember bis Mai auf- gestellt ist, weist in Einzelvorträgen und Zyklen von 2 4 Stunden unter anderem folgende Gegenstände auf: l. Geschichte der sozialistischen Lehre und Bewegung. Historischer Materialismus und wissenschaftlicher Sozialismus. Der Aiarxis- mus als rechtswissenschasiliche Lehre. Der ökonomische Deter­minismus(d. h. die Abhängigkeit des einzelnen von den Verhält- nissen); einige Richtigstellungen. Der deutsche Revisionismus. Geschichte der Kommune. Geschichte des französischen und des englischen Sozialismus. II. Organisation der Arbeit: Arbeitsgesetzgebung. Theorie und Praxis des Gewerkschafts-, Genossenschasts- und Hilfskassenwesens und der Gemeindepolitik. III. Arbeiter- und Arbeitgeberorganisation in der Metallindustrie, dem Baugewerbe, dem Bergbau, der Gärtnerei, dem Buch- und dem NahrungKmittelgewerbe. IV. Wirt­schaftsgeschichte: Die wiffenschaftliche Methode des Wirt- schaftsswdiums. Die Agrarfrage. Die industrielle Konzen­tration. Der Lohn. Die städtischen Bodenrechte. V. A l l- gemeineSoziologie: Die wilden Völker. Die menschliche Auslese. Sozialismus und Naturwissenschast. Die soziale Kunst.- Dazu kommen einige öffentliche Vorträge: Ueber das Buch der Syndikalisten Pataud und Bouget:Wie wir die Revo- lntion machen werden"(Jaurös, am 1. Dezember gehalten); Der Antimilitarismus(Lafargue); Gesetzgebung durch das Volk(Snell); Organisation der öffent- l i ch e n D i e n st e i.V e b e r). Von bekannten Namen unter den Lehrern finden wir: Sembat, Bracke, Guesde, Lagar- delle, Dubreuilb, Thomas, Merrheim, Bonnet, Andler, Elte, Faure . Sie SemeinSe- unS Sie KehSrclea- organiiatioo. Die wichtigste Forderung, die die Demokratie in bezug auf die Stellung der Gemeinde erheben muß, ist, sie von der Lundratstyrannei unabhängig zu machen. Die Befugnisse der sogenannten Kreisinstanz müssen so beschnitten werden, daß die Selbstverwaltung der Gemeinde keinen Schaden mehr leidet. Dazu bedarf es aber einer Umgestaltung der Organisation der staatlichen Behörden, der Eliminierung der überflüssigen Instanzen und der Lereinfachung der übrig- bleibenden. Die Herren von der Jmmediatkommission zurReform" der preußischen Verwaltung marschieren hier natürlich mit gebundener Marschroute. Der Regierungsrat Kruse be- grüßt es imPreußischen Verwaltungsblatt" freudig, daß wesentliche Aenderungen an der gegenwärtigen Staffelung der Behörden der allgemeinen Landesverwaltung nicht in Frage kommen, und insbesondere weder die Oberpräsidenten noch die Regierungen fortfallen können. Man fragt sich er- staunt, was denn die ganze Verwaltungsreform soll, wenn an der ganzen Behördenorganisation grundsätzlich nicht ge- rüttelt werden darf. Die Reaktion würde bei uns allerdings am liebsten die Regierungen aufheben und ihre Befugnisse auf Landräte und Oberpräsidenten verteilen, also aus die beiden politischen Beamten. Man wagt das aber doch noch nicht. Innerhalb der höheren Bureaukratie selbst ist vielfach eine starke Abneigung gegen die Landräte vorhanden. Die dieses Kanals nur wenig tiefer lag als die des etwa 3 Meter tiefen, die Ost- und Weststadt trennenden Canal Grande , ist jetzt diese Stömung nach Senkung von deS letzteren Sohle durch Ausba.zgerung verhängnisvoll, da sie bei dem wechselnden Aufstau und Abfluten der Lagunen vermutlich eine Pfahlrostlockerung bewirkt. Die Schädigung der Gebäudefundamente äußert sich in zahlreichen Nissen sowie in Verdrehungen der die Bogen stützenden Pfeiler der alten Bibliothek, ferner im Dogenpalast, sie zeigt sich besonders deutlich in den Nissen, die in neuester Zeit am Fondaco dei Tedeschi , am östlichen Teibe des Rialtobrückenbogens und an der Ecke des Dogenpalastes bei der Scufzerbrücke sich beobachten ließen. Alle diese Orte liegen an einem Nebenkanal, dem Hcmbergcr die Schädi- gung der Gebäudefundamente und auch den Einsturz des Campa- nile zuschreibt. Während die Republik einst für die Uferbefestigung der Insel Murano 20 Millionen Lire aufwandte, sind mit den Baggcrungcn keine schützenden Maßnahmen verbunden worden. Es wäre dringend an der Zeit, diese Nachlässigkeit möglichst wieder gutzumachen, ba der Dogenstadt eine ungeheure Gefahr droht. Die größte Talsperre Europas wird nach demPrometheus" die im Bau begriffene Edermlsperre bei Bringhausen in Waldeck werden, die dos Wasser aus einem NiederschlagSgebiet von 1430 Quadrat- kilometer in einem 202 000 000 Kubikmeter fassenden Staubecken sammeln soll. Dieses wird, wenn es ganz gefüllt ist, einen See von 1100 Hektar Fläche bilden. Die Sperrmauer wird 43,6 Meter hoch und 400 Meter lang werden; 300 000 Kubikmeter Bruchstein- Mauerwerk süid für diese Mauer erforderlich, und etwa 190 000 Kubik- meter Erd- und Felsinassen sind auszuheben und fortzuschaffen. Dem Bau, den man bis zum Jahre 1914 zu beendigen hofft, müsse» mit zusammen 140 Gehöften und 900 Einwohnern die drei Orte Bringhausen , Berich und Asel weichen, die vollständig verschwinden werden. Der Durchschlag des AndentuunelS. Die gewaltige Arbeit, die Argentinien und Chile trennende Bergkette der Anden mit einem Tunnel zu durchbrechen, ist am Sonnabend glücklich vollendet worden. In den Tiefe» der Berge stießen die beiden Kanäle des Tunnels aufeinander, und der Durchbruch wurde ohne Zwischenfall feierlich durchgeführt. Es hat der neue Scheiteltunuel, der etwa 11 000 Fuß über dem Meeresspiegel liegt, eine Gesamtlänge von fast 3000 Metern. Vier Jahre lang hat eine Armee von 1500 Arbeitern unausgesetzt mit ständigen Achtstundenschichlen an dem großen Werke gearbeitet: selbst an Sonn- und Feiertage» ruhten nickt Hacke und Meißel. Der Tunnel durchquert das Gebirgmassiv unter dem Cnmbrepaß; er beginnt bei Las Cnevas in Argentinien und endet bei CaracoleS in Cvile. Der Bau der Bahn soll jetzt mit größter Energie und Be- schleunigung ohne Zögern aufgenommen werden; bereits im kommenden März wird voraussichtlich der erste Zug verkehren können. Der Tunnelbau lag in den Händen eines großen englischen Unter- nehmens und wurde von englischen Ingenieuren durchgeführt; auch der Bahnbau wird von britischen Unternehmern ausgeführt. Die ganze Länge der Bahn von der argentinischen bk» zur chilenischen Küste wird 1430 Kilometer beiragen; die Fahrzeit für Verteilung aller Regierungsbefugnisse auf die politischen Beamten wäre auch zu plump. Das Ziel ist immer in Preußen: Verbindung technischer Behörden mit politischen Beamten. Aber man kann dies Ziel nicht so direkt anstreben. Das erregt Aufsehen und Mißtrauen. Man will also die Regierungen und Oberpräsidenten bestehen lassen. Jede wirklich demokratische Vcrwaltungsreform würde allerdings» die preußischen Oberpräsidien sofort beseitigen. Sind diese Oberpräsidien doch die stärkste Stütze des Junkerrcgiments. Nur ein Sechstel der preußischen Oberpräsi- denken ist bürgerlich. Alle, auch die bürgerlichen, sind Vertrauensmänner des regierenden Landadels. Der Fern- stehende hat keine Ahnung davon, wie abhängig sich ein preußischer Oberpräsident von dem Landadel seiner Provinz fühlt. Es ist vorgekommen, daß ein Oberpräsident einer preußischen Provinz an einem patriotischen Festtag seine Dienstwohnung nicht zu beflaggen wagte, weil der fron» dierende Landadel der Provinz nicht flaggte und der Ober- Präsident durch sein Flaggen dem Adel unsympathisch zu werden fürchtete! Der Oberpräsident hat die Weisung, dem Adel, wenn es sich nicht gerade um den polnischen handelt, in jeder Weise entgegenzukommen. Er muß zunächst den söge- nannten alten Familien gesellschaftlich den Hof machen, sie in jeder Weise ehren. Er vermittelt zwischen ihnen und den Spitzen der Behörden, nimmt ihre Wünsche in bezug auf Be- setzung der Landratsposten entgegen, versorgt nicht anders unterzubringende Söhne alter Familien mit angesehenen anderen Verwaltungsposten, trägt den Interessen des Groß- grundbesitzes in der von ihm beaufsichtigten Provinzial- Verwaltung möglichst Rechnung. Kurz, das Oberpräsidium ist der Fels der Junkerherrschaft, in der Verwaltungsmaschinc der Apparat, der die alten Privilegien rettet. Dazu geht der Oberpräsident mit den Landräten meist Hand in Hand, weil diese dieselben Aufgaben haben. Jeder Provinziallandtag ist durch Landräteverunreinigt", wie der ReichstagSabgeord- nete R i ck e r t zu sagen pflegte. Die stärkste Stütze der Reaktion in der Provinzialverwalwng ist also der Ober- Präsident. Was die technische Bearbeitung der Verwaltungsange- legenheiten angeht, so gestehen die Regierungsorgane, wie z. B. der Regierungspräsident Kruse imPreußischen Ver- waltungsblatt" vom 31. Juli, selbst ein, daß es dem Ober- Präsidenten an technischen Beratern völlig fehlt und daß di«; Provinzen heutzutage keinen geschlossenen wirtschaftlichen Charakter mehr tragen und keine Gebilde von räumlich ab- gegrenzter Eigenart sind. Selbst wenn also unsere höheren Verwaltungsbehörden außer der Bodenmclioration eine Art Kulturpolitik verfolgen möchten sie tun das natürlich nicht selbst dann wäre eine Provinzialzentralinstanz völlig überflüssig. Die Dänen und die Norweger, die ihr Land sehr viel besser verwalten wie die Preußen, haben überhaupt zwischen Ministerium und Gemeindevorsteher nur den Amt- mann. Bei diesen hochentwickelten Völkern haben die Beamten allerdings auch keine politische Tätigkeit aus- zuüben. Ist es aber nicht völlig überflüssig und schädlich, daß wir mit Tausenden von Talern Beamte besolden, die bei Wahlen die Parole im' Sinne der Konservativen ausgeben, große Fonds zur Subventionierung von Regierungszeitungen ver- walten, jede demokratische Regung dadurch aus der Verwal- tung ausmerzen, daß sie die Spitzen aller Behörden mit dem Landadel und init dem Militär in gesellschaftliche Fühlung bringen, kurz, Beamte, nur dazu zu bezahlen, daß sie mehr oder weniger freiwillig fortgesetzt als staatliche Kom- missare für de» regierenden Landadel tätig sind? Was an positiver juristischer und verwaltungsrechtlicher Arbeit auf den Oberpräsidien geleistet wird, könnte ebensogut oder stellenweise besser auf den Regierungen geschehen. Als die ganze Strecke soll 29 Stunden dauern, während der Schiffs« verkehr durch die Magelhaensstraße zehn Tage erforderte. Auf den bereits fertiggestellten Bahnstrecken, an denen mit Unterbrechungen seit 80 Jahren gebaut wird, kann man heute schon in 83 Stunden von Buenos Aires nach Valparaiso fahren. Die Verbindung zwischen den beiden jetzt durch den Tunnel verbundenen Bahnen stellt einst- weilen die Post her, die über den 3842 Meter hohen Cnmbrepaß fährt. Theater. Neues Schauspielhaus:»Ihr letzter Brief", Lust« spiel von Viktorien Sardou. Die Sardouscken Komödien aus den sechziger Jahren verdanken ihren Ruf nicht dem Gehalt an humoristisch-ironischer Charakteristik, sondern ausschließlich der ver- bluffend erfinderischen Behendigkeit, mit der der Autor puppen- ähnliche Figuren an den Schnüren irgend welcher dünn gewebten Intrigen durcheinander tanzen läßt. Ein spielerischer und zugleich subtiler Scharssinn, dem indeffen auf eine Handvoll innerer Un- Möglichkeiten in den Voraussetzungen nicht ankomrm, sckürzt und löst mit immer neuen Tricks die Knoten. So lveiiig diese Rechen« kunststücke mit Kunst zu tun haben, erscheinen sie neben dem, was heutzutage für den laufenden Lustspielbedarf ge- liefert wird, noch immer als Produkte eines respektablen Könnens, das eS hier und da zu eigenartig amüsanten Effekten bringt. In dem von der Direktion des neuen Schauspielhauses ge- wählten Drama dreht sich die Intrige darum, den letzten kompromittierenden Liebesbrief, den eine Frau vor ihrer Heirat schrieb, seinem Besitzer abzulisten. Es dauert etwas sehr lange, bis die Geschichte, in der die kluge Freundin der �kompromittierten den Spürsinn eines Sherlock Holmes entwickelt, recht in Gang kommt, dafür fällt dann aber der weibliche Feldzug und namentlich am Schluß die allgemeine Hetzjagd nach dem schon halb verbrannten Korpus delikti um so vergnüglicher ans. Die flotte Aufführung, bei der die Herren Kaiser-Titz und Romberg und Frl. Waldegg dankbare Rollen zu repräsentieren batten. gewann an Farbe durch die hübschen altmodischen Zeitkostüme. ckt. Notizen. Musikchronik. Einen Bach-Händel-Abend ver« anstaltet die Neue freie Volksbühne am Sonntag abend in der Hoch- schule für Musik. Der Bronzelöwe von Gaul, der bisher im zweiten Geschoß des Nationalmuscums stand, ist jetzt in den das Museum umgebenden Anlagen aufgestellt worden. Er hat durch diese Exmittierung ebenso an Wirkung gewonnen, wie die Bronzewerke, die bereits früher ins Freie gebracht winden. Michelangelos Vorarbeiten zu den Figuren der vier Tageszeiten auf den M e d i c e e r g r ä b e r n in Florenz will der deutsche Kunsthistoriker Bombe in den Gipsfiguren entdeckt haben, die in der Glyptothek von Perugia aufbewahrt werden. Sie sollen größer und individueller durchgeführt sein als die angeblich nach ihnen gearbeiteten Marmorausführungen.