Das bäuerliche llmlagengeiet? angenommen. München , i. Dezember. TS war eine richtige Zmigeugevnrt. Und Geburtshelfer waren zwei liberale Doktoren, Casselmann und Günther. Der dritte Doktor, Professor Quid de. hat auffallenderweise im letzten Stadium des Geburtsaktes seine ärztliche Mitwirkung versagt. Ein richtiger Wechselbalg, dieses mißgestaltete Kind aus der „Mischehe einer katholischen Mehrheit und eine? protestantischen Finanzministers" I Und liberale Doktoren mußten eZ sein, die der Mißgeburt zur Well verhalfcn. Und liberale Abgeordnete waren es, die nach gewaltsam voll- zogener Geburt de» Ministern zu dem 5kinde gratulierten. Sie haben Patenstelle übernommen. * sswei Tage noch tobte der Kampf. Sozialdemokratische Gründlichkeit stellte die Geduld der Negierung und der Mehrheitspartei auf eine harte Probe. Am Freitag füllte das Referat unseres Genossen S e g i tz die ganze Morgeiisitznng auS. I» 2'/z Stunden bot er ein interessantes Bild der Vorgänge der letzten Wochen im Steuer- ausichusse. Die verschiedenen Phasen des sehr schwierigen Kuh- Handels zwischen den bürgerlichen Parteien einerseits und ihnen und der Regierung andererseits sind dem ganzen Lande bekannt gegeben und in den stenographischen Berichten der Nach- Welt überliefert. Das war der Hauptzweck des gründlichen Referats und dieser Zweck ist erreicht. Es wird bei der Agitation vorzügliche Dienste leisten. In der FreilagnackmittagSsitzung sprach Genoffe Dr. V. Haller in mehr als dreistündiger lebhafter und wirkungsvoller Rede über das Kompromiß der bürgerlichen Parteien. Er wies an Beispiele» rechnerisch den direkt antisozialen Charakter des Kompromisses nach. Gegen die ursprüngliche Regierungsvorlage werden die wirtschaftlich Schwachen stärker belastet, die wirtschaftlich Starken dagegen entlastet. Noch einmal charakterisierte der Redner daö ganze Gcsetzeswerk in feiner Wirkimg auf die unteren Volksschichten, insbesondere auf die Ar- beiter, Privatangestellte» und kleinen Beamten. Das Einkommen- sieuergesetz sei wegen des Tarifs und das Umlagengesetz wegen der zu starken Belastung der Berufseinkommen für die Sozialdemokraten unaimehlnbar. Genosse Dr. v. Haller kam ebenfalls auf den ultramontan- liberalen Kuhhandel zu sprechen und griff die Liberalen wegen ihrer Haltung scharf an. ES sei nicht zu begreifen, wie diese Partei dem Zentrum so bereitwillig Handlangerdienste leisten könne, wo die gesamte liberale Presse und eine große Anzahl liberaler Organi- sationen ganz energisch die Ablehnung des Gesetzentwurfes ver- langten. Diese Polemik rief lange Ausführungen der Herren Dr. Quid de, Dr. C a s s e l n, a n n und Held hervor. Sachlich konnten diese Herren so wenig wie später der Finanzminister gegen die Berech- nungen unseres Genossen Dr. v. Haller etwas sagen. Sie suchten um die unangenehmen Tatsachen durch Angriffe auf unsere Partei und unsere Redner herumzukommen. Die Annahme desEnrwurfs erfolgte mit IIS gegen 3» Stimmen. Der„geeinte" Liberalismus war wie gewöhnlich gespalten. Das Gesetz geht jetzt an die Kammer der ReichSräte, aus der eS jeden« falls verschlechtert wieder an die Kammer der Abgeordneten zurück- kommen wird._ poUtifche deberlicht Berlin , de» 6. Dezember 1909 Uebers Ziel hinaus! Wir berichteten kürzlich über einen gegen den Straßburger Professor Dr. Martin Spahn gerichteten Artikel der ehrsamen „Germania ", in dem unter Berufung auf eine in der Münchcner Zeitschrift„Hochland" erschienene Kritik des Herrn Spahn junior dieser offen des„Modernismus" bezichtigt wurde. Gegen diesen Artikel legten der ebenfalls darin angeschuldigte Katholische Volksverein und der Katholische Frauenbund sofort Verwahrung ein; die klerikale Prcffe aber schwieg— wahrscheinlich, um sich erst beim hohen Klerus die nötige Erleuchtung zu holen. Erst jetzt wagt die„Köln . Volkszeitung" ihrer Berliner Parteikollegin zu widersprechen. Sic veröffentlicht unter dem Titel„Uebers Ziel hinaus!" einen längeren Artikel, in welchem sie zwar Herrn Martin Spahns Aufsatz für nicht den geschichtlichen Tatsachen entsprechend und einseitig erklärt, die Kritik der„Germania, , aber als über das Ziel hinausschießend bezeichnet. Sie meint: „Verdient also die mit den geschichtlichen Tatsachen nicht übereinstimmende bczw. einseitige Darstellung in dem Spahn- schen Aufsatze eine Zurückweisung, so muß andererseits die Art und Weise, in der Verfasser des Artikels in der„Germania " den Text des Spahnschen Aufsatzes behandelt, entschieden miß- billigt werden, und dies um so mehr, als er gleich zu Beginn sagt:„Wir führen den Dr. Martin Spahn mit seinen eigenen Worten an." Zunächst ist schon der aus Spahns Aufsatz herausgezogene Passus nicht wörtlich wiedergegeben, ohne daß dies irgendwie angedeutet wäre. Auch einzelne Ausdrücke sind geändert; aus dem von Spahn übernommenen Zitat die„Ucbcrmacht des Objektiven" macht der Verfasser des Artikels Uebermaß und bezweifelt im Anschluß daran Spahns Ucbermaß von Liebe zur Kirche. Noch bedenklicher ist es, daß der Verfasser des„Germania "- ariikels von dem Wortlaut der Spahnschen Ansführringen, worin dieser den vollen und ungeschwächten Einfluß der Kirche, ihrer Lehre wie ihrer Praxis, auf die Mitarbeit der Katholiken in allen Gebieten des wissenschaftlichen, literarischen und sozialen Lebens bespricht drei Sätze von wesentlicher Bedeu- tung einfach ausläßt, um aus dem übrigen seine Folge- rungen zu ziehen. Wo Spahn von der Schaffung der Voraus- setzungen für die Erkämpfung eines ebenbürtigen Anteils der Katholiken an den öffentlichen Aemtern, der Ueberwindung ihrer wirtschaftlichen und sozialen Rücksrändigkeit spricht, hebt er aus- drücklich hervor:„Alle waren allmählich siech und müde geworden, alle sollten allmählich wieder aufgerichtet und in Tätigkeit gesetzt werden, ohne daß aber der kirchliche Geist irgendwie versehrt wurde.... Deshalb nahm man eine angestrengte apologetische Aufklärungs- und Verticfungsarbeit zugleich mit der sozialen und wirtschaftlichen Erziehungsarbeit in Angriff." Alle lite- rarisch-künstlerische Tätigkeit soll darauf hinauslaufen:„dem Katholizismus als Weltanschauung seine erobernde Kraft auch auf dem Gebiete der Dichtung uno Kunst wieder zu sichern." Diese für die Gesamtauffassimg Spahns wichtigen Sätze werden in dem Gegenariikel nicht erwähnt; dagegen die von Muth übernommenen Worte, die die in jenen Sätzen bezeichneten Aufgaben und Programme umschreiben sollen(„den Boden zu bereiten und zu erweitern für eine zukunftverheißende Aussaat", — die geistige Sehkraft zu stärken, die seelischen Horizonte zu erweitern usw.) werden durch die Bemerkung:„alles das finden wir in der zweideutigen Phraseologie des Modernismus" stig- matisiert, ei» Vorgehen, dessen Bcdcnklichkeit durch die Folge- rungen, die alSdann in bezug auf Zentrum, Volksverein und Frauenbund gezogen werden, noch vermehrt wird." Danach scheint der fromme Verfasser des in der„Germania " erschienenen Artikels die Spahnschen Ausführungen einfach seinen kritischen Msichten entsprechend„korrigiert", richtiger gefälscht zu haben. Was für unsaubere Manipulationen doch die religiöse Flagge decken mutz! Die Reichstagsersatzwahl i» Eisenach . Die Reichstagsersatzwahl im 2. Weimarschen Wahlkreise Eise- nach-Dermbach findet am Sonnabend, den 2g. Januar, statt. Dieser frühe Termin ist voraussichtlich wegen der Ende Januar erfolgenden Eröffnung des Weimarschen Landtages gewählt. Entrüstete Monarchisten. Wilhelm n. war neulich bei dem Fürsten Henckel v. Donners- marck zu Gast; der Fürst hatte zur Unterhaltung des Kaisers die französische Schauspielerin Granier kommen lassen. Dies war wohl nötig, um nicht hinter dem Fürsten Fiirstenberg zurück- zubleiben, der, um den kaiserlichen Gast während der Novemberkrise angemessen zu unterhalten, bekanntlich ein Kabarett— aber nur aus Berlin — hatte kommen lassen. Das Amüsement war in beiden F illen groß. Wir haben ja vor ein paar Tagen an anderer Stelle von der„Conference" erzählt, worin die Schauspielerin ihren Zuhörern von der Liebe erzählte, iind die mit einem vielsagenden:„Gute Nacht! Majestät!" ge- schloffen haben sollte. DaS hat nun eine Anzahl von patriotischen Monarchisten sehr entrüstet. Sie haben einen Brief gc- schrieben, in dem auch sie die Frage stellen: WaS ist die Liebe? Aber als deutsche und monarchische Männer fällt ihre Antwort ganz anders ans, als die der leicht- sinnigen Französin. Zwar schrecken sie vor dem Aeußersten zurück und ihre Abhandlung über die Liebe schließt mit keinem„Gute Nacht, Majestät!" waS in ihrem Munde ja auch keine Verheißung, sondern eine böse Drohung wäre.... Ja, die langweiligen Herren üben wenigstens noch to viel Rücksicht, sich nicht direkt an Wilhelm II. zu wenden, sondern adressieren ihren Brief an den Gast- geber. Aber freilich, der Verdacht läßt sich nicht abweisen, daß diese Adresse nur eine— Deckadresse ist und daß die Herren zwar viel- leickt nichts von Liebe, sicher aber nichts vom Mut vor Königs- thronen wissen. Und nun lese man. was deutsche Liebe ist: „Durchlaucht! Die Lokalpresse durchläuft ein Artikel, in welcbem der Vortrag, den die Pariserin Frau Granier zu Scbloß Neudeck über„Die Liebe" hielt, wiedergegeben wird. Es wird ein Stimmungsbild eniworfen, wie in einem feudalen Schlosse zur Winterszeit inmitten eines Kreises fürstlicher Jäger die Frau mit ihrem„einladendsten" Lächeln ihre Ansicht über die Liebe vorträgt. Herr v. Donnersmarck, Sie haben den vielen Schlägen, die das monarchische Prinzip in den letzten Jahre» erhielt, einen neuen Schlag hinzugefügt, und iverden in gut deutsch fühlenden Männer- und Frauenherzen viel Widerspruch hervorrufen. Was sagt denn Ihr« Frau Gemahlin, und was sagen die Gemahlinnen Ihrer fürstlichen Gäste dazu, daß Sie mit Ihren Herren sich von der Französin die Liebe in solch häßlichen Worten vorführen lassen I Es ist doch ein Glück, daß in den breiten Schichten des deutschen Volkes eine andere Ansicht über die Liebe herrscht; wie häufig ist die innige, tiefe Liebe und Treue der deutschen Frau gelobt und besungen worden, und sie hören der Französin zu, die in schamlosester Weise einzig die Sinnlichkeit der Liebe zu preisen weiß. Wäre es nicht ratsam gewesen, daß bei solch lockeren, losen Reden e r n st d e n k e n d e Männer den Saal verlassen hätten? Also:„Der Mann hat nicht wahrhaft gelebt, so lange er nicht die Süßigkeit einer Stunde deS Triumphes bei einer französischen Frau genossen.... Und beklagenswert ist der, der nicht die Pariser Frau kennt." Wir möchten sagen: ve» klagenswert der, dem nicht seine gemütvolle deutsche Häuslichkeit über alles geht, in der er fein höchstes Glück bei seiner treu- liebenden deutschen Frau findet. ES ist doch ein großes Glück, daß die Mehrzahl der deutschen Männer und Frauen nicht ein „glückliches Vergessen bei den„�mourouses" suchen muß". Wir Wilden find doch bessere Menschen." Bessere Menschen vielleicht, aber sicher schlechtere Musikanten, wird Wilhelm II. denken. Und Wilhelm II. liebt gute Musik. Freilich auch hier nach seinem eigenen Geschmack.... Aber die Herren mögen sich beruhigen. Wozu die Heuchelei. wozu der versteckte Appell an die Kaiserin? Wilhelm II. hat noch genug Zeit für die Regierungsgeschäfte übrig behalten und hat — trotz der Conference— sein Tagewerk pünktlich erledigt. Beweis dessen: sein Interesse für die Abstimmung der Beamten in Kattowitz . Also die Sorge um den Staat berechtigt die Herren nicht, sich ein- zumischen, und private Schnüffelei darf sich Wilhelm II. wohl ver- bitten— von den deutschnationalen Heuchlern sowohl wie von den klerikalen Pharisäern. Denn auch die brave„Germania " ist entrüstet. Sie bekennt, die Mitteilungen zuerst für eine Satire gehalten zu haben, da es ihr„undenkbar schien, ein französisches Frauen- zimmer könne die Frechheit haben, vor dem deutschen Kaiser so frivole Dinge vorzutragen, und ein d e u t s ch e r F ü r st seinen kaiserlichen Gast mit solchen unterhalten könne". Aber, aber l So gern wir der„Germania " auf allen anderen Ge- bieten ihre Unwissenheit glauben wollen, gerade ans diesem wird sie sich das Richtige schon gedacht haben. Die Herren sind doch in diesen und noch ganz anderen Dingen gewiegte Fachmänner. Deshalb war es auch gar nicht nötig, daß Fürst Donners- marck— man weiß nicht, ob zur Beruhigung der entrüsteten Pharisäer oder der angerufenen„Frau Gemahlinnen' ein leibhastiges Dementi losließ, das also lautet: „Madame Granier hat den Monolog CankSroncs sur I'ammu- von Andre Beaunier im Neudecker Schloß vorgetragen, den sie früher gleichfalls vor Ihren Majestäten dem König und der Königin von England vorgetragen hat. Der Wortlaut de« Monologs ist jederzeit aus dem' Original festzustellen und ist selbstredend hier zuvor geprüft worden. Die Mitteilinigen des„Gil Blas" über diesen Vortrag sind von Anfang bis zu Ende erfunden." Das Dementi ist ja sicher interessant. Zwar die Berufting aus König Eduard können wir nicht als vollgültigen Beweis anerkennen. König Eduard liebte einst— sehr gute Musik. Aber um so über- zeugender wirkt die Bersichernng der vorhergegangenen genauen Prüfung. Denn sicherlich war sich Fürst DonnerSmarck der Schwere der Perantlvvrtnng beimißt, die mit der sexuellen Aufklärung selbst erivachsener Monarchen verknüpft ist. Wilhelm II , freilich wird es vielleicht ungern hören, daß er, ohne es zu wissen, ein Opfer der Theaterzensur geworden. Daß man für Reden, die er selbst hält, vorherige Zensur verlangt, weiß er und er hat sich ja seit einiger Zeit der traurigen Notwendigkeit anscheinend gefügt. Aber daß auch, wenn er sich unterhalten will, die böse Zensur sich einmischt, braucht er sich wirklich nicht gefallen zu lassen! Eine agrarische Gröste. Im Herzogtum Braunschweig regieren unbeschränkt die Agrarier. deren Wünschen sich die Regierung nach jeder Richtung hin fügt. Einer dieser Mächtigen ist der Landwirt Schliephake, Landtags- abgeordneter und Abgeordneter der LandeSsynode. Vertrauens« mann des Bundes der Landwirte usw. Dieser„Notleidende" betreibt die Biehzucht im große». Fast alle Geschäftsleute, besonder» die Viehhändler und Fleischenneister, die von Schliephake Vieh kauften, machten nun die eigenartige Beobachtung, daß das Vieh auf anderen Wagen fast immer erheblich leichter war. als auf der eigenen Wage des Herrn Schliephake. auf der den Händlern das Vieh zu- gewogen wurde. So haben Stücke Rindvieh nach einem einstündigen Marsche von Uehrde , wo Schliephake wohnt, nach Schoppen« st e d t um 80 bis 100 Pfund abgenommen. Schweine hatten um 30 bis 40 Pfand weniger Gewicht als Schliephake berechnete, und bei dem Verkauf von Hammeln, der gleich in großer Zahl(über 100) erfolgte, fehlten an jedem Tiere etwa 5 Pfund Gewicht. Die Viehhändler waren über das GelvichtSergebniS nach dem Schlachten der Tiere immer sehr erstaunt, alle Geschäftsleute aber brachten dem angesehenen Verkäufer unbedingtes Vertrauen entgegen. Erst im März dieses Jahres nannte ein Viehhändler Herrn Schliephake in einem Briefe einen Betrüger. Wenn er(Schliephake sich nicht mit ihm, dem Viehhändler, auseinandersetze, werde gegen ihn Anzeige erstattet. Herr Landtagsabgeordneter Schliephake quittierte anderen Tages— mit einem Händedruck und mit der Zahlung von 604 M., wobei er sagte, er tue dies mir mit Rücksicht auf seine kranke Frau. Einem Fleischermeister, dem Schweine um 30 bis 40 Pfund zu hoch berechnet worden waren, zahlte Schliephake 30 M. zurück. Die Gerüchte von den Betrügereien des Agrariers drangen aber doch zu den Behörden und so wurde Anklage wegen Betrugs erhoben. Am letzten Donnerstag und Freitag wurde vor der Straf- kammer zu Brau»schweig gegen Schliephake verhandelt. Eine ganze Anzahl Zeugen sagten höchst ungünstig über Schliephake ans. Das Gericht verurteilte den Angeklagten wegen Betruges und BerrugSversucheS zu sechs Monaten Ge- f ä» g n i s und 3000 Mark Geldstrafe. ES betonte in der UrteilSbegründnng, daß Schliephake lediglich au? gemeiner Habgier gehandelt habe, obgleich er ein schwer reicher Mann sei. Sein Mandat als Abgeordneter der LandeSsvnode hat der Per- urteilte niedergelegt, als die Untersuchung gegen ihn im Gange war. Landtagsabgeordneter ist er heute noch. Konservativer Parteitag. Am Sonnabend, den 11. Dezember, findet in Berlin im Kaiser« saale des WeinhauseS„Rheingold" der Delegiertentag der konservativen Partei statt. Auf der Tagesordnung stehen: Referate über die Haltung der konservativen Fraktion in der Frage der Reichsfinanzreform, erstattet von den RcichstagSabgeordneten Dietrich und Graf Westarp, ein Vor- trag des Oberbürgermeisters Dr. Veuiler-DreSden_ über„Politische Parteien und wirtschaftliche Vereinigungen", ein Referat des ReichslagSabgeordneten Grafen v. Schwerin-Löwitz über die„Wirt- schaftlichen Ausgaben der konservativen Partei" und ein solches des ReichslagSabgeordneten Mallewitz über.Mittelstand und politische Parteien"._ Ein Jubiläum des Brrfaffnngselends. Heute am Montag, feiert das honette Bürgertum Hamburgs sein Verfassungsfest. Am 6. Dezember sind 50 Jahre verflossen, seit Hamburg eine auS„Wahlen" hervorgehende Volksvertretung— „Bürgerschaft" genannt— besitzt. Schon vor mehr als 200 Jahren setzte in Hamburg eine deniokratische Bewegung ein, die an Stelle der Patrizierherrschaft die Anteilnahme deS Volkes an der Regelung seiner Geschicke verlangte. In diesem Kampf wie auch bei den ihm später folgenden Versuchen, eine Anteilnahme der unteren Volks- schichten am Regiment zu erzwingen, behielten jedoch stets die Patrizier die Oberhand. Erst am S. Dezember 1859 kam die Spottgeburt einer„Volks- Vertretung", die Bürgerschaft, zustande, zusammengesetzt aus Per« tretern der Grundeigentümer, der Notabeln und„allgemeinen" Wähler. Letztere mußten für den Erwerb des Bürgerrechts zehn blanke Taler opfern. So regierte der mit monarchischen Befugnissen ausgerüstete Senat, dessen 18 Mitglieder auf Lebenszeit gewählt wurden, bis zum Jahre 1832 drauflos, bis die furchtbare Caolera-' epidemie dieses Jahres die verrotteten Zustände dieses Verwaltungi« systcmS vor den Augen der erschreckten Kulturwell ausdeckte. In der Angst versprach die in ihrer wirtschaftlichen Existenz bc- drohte Gesellschaft eine«Reform des Staatswesens an Haupt und Gliedern". Kaum war der unheimliche asiatische Gast aus Ham burgs Mauern verschwunden, als man jedoch auch schon in den alten Schlendrian zurückvcrfiel und sich den Teufel um die in schlotternder Angst gemachte Verheißung kümmerte. Die Verfassung?- reform von 1896 behielt den Grundeigentümer« und Notabelnwahl- körper bei, denen 80 Abgeordnetensitze zustehen, während das„all« gemeine" Wahlrecht an einen Zensus von 1200 M. geknüpft wurde, und zwar mußten die Hamburger Staatsangehörigen dieses Ein- kommen fünf Jahre hintereinander versteuert haben, um in den Besitz de? Wahlrechts zu gelangen. Als es unter diesem Wahlsystem den Sozialdemokraten gelungen war(1904), zwölf Abgeordnete— von 160— zu wählen, trat im Soinmer 1905 eine aus Mitgliedern der drei alten Bürgerschafts- fraktionen bestehende WahlrechtSverschwörergesellschast zusammen, um in„vertraulichen" Zusamnienkllnften ein Wahlrecht auszuhecken, das der Arbeiterschaft„entsprechend ihrer wirtschaftlichen Bedeutung für das Staatswesen", die ihr.gebührende" Vertretung im Staats- Parlament verleihe. Der Plan der WahlrechlSräubcr erhielt am Abend deS 17. Januar 1906 seine parlamentarische Sanktion. Unter Beibehaltung der 80 Privilegierten(Grundeigentümer und Notable) und Vorbehaltung von 8 Abgeordneten für das Landgebiet, wurden die verbleibenden 72 Sitze unter die allgemeinen Wähler in der Weise verteilt, daß 43 Abgeordnete auf die erste Klasse mit einem Ein- kommen von über 2500 Mark und 24 Abgeordnete aus die.Armenecke" von 1200 bis 2500 Mark Einkominen fielen— gemilden durch den Proporz, damit diese 24 Sitze nicht nach dem Majoritätsprinzip sämtlich von der Sozialdemokratie eingeheimst werden können. Die eine Stadlhälfte hat bereits unter diesem elenden Wahlsystem gewählt, im Januar 1910 wählt die andere Stadthälste. Die Sozialdeinokratie, die bei den letzten Reichstags- tvahlcn zwei Drittel aller abgegebenen stimmen auf ihre Kandidaten vereinigt hat und seit 1890 sämtliche drei ReichstagSmandate Hamburgs rnne hat. wird also mit einem Wahlrecht abgespeist, das ihr unter den allergünstigsteir Umständen(eS müssen dann noch einige Ginndeigcirlümcr- und ersiktassige Mandate erobert werden) 24 bis 25 Sitze zuweist! Eine frechere Verhöhnung der MehrwertSerzenger ist nicht denkbar. Daher hat die sozialdemokratische BürgerschaflSsraklion eS selbstverständlich abgelehnt, an der Festsitzung von Senat und „Volksvertretung" am Montag teilzunehiuen. Vielmehr hat die sozialdemokratische Parteileitung Hamburgs am Abend des Ver- fassungStagcs" 16 große VollSversamiiilimgen einberufen, die gegen daS zur Unterdrückung der Arbeiterklasse ausgeklügelte Wahlsystem deS Hamburger Klassenstaates protestierten. Wahlrechtsdemonstrationen in Hessen . Zu gewaltigen Kundgebungen für das gleiche, direkte LandtagSivahlrecht ohne Kautelen gestalteten sich die Ber- sanimlungen, die am Sonntag im Wahlkreise O f f e n b a ch- Dieb u r g und in Mainz stattfanden. Im elfteren Wahlkreise tagten starkbcsuchte Versammlungen zu O s f e n b a ch. Neu-Isenburg , Sprendlingen und Langen . Die Versammlung in O f f c n b a ch war von mehreren tausend Personen besucht. An sie knüpfte sich eine imposante Stratzendemon st ratio n. Die De- monstranten zogen unter Hochrufen auf das freie Wahlrecht vor das Kreisamt und die Wohnung
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