Borlvand ber rtpublikanische» Disziplin eskamotieren lassen. EZist aber zu bezweifeln, dafc die radikalen Besitzstandpolitiker einsolches Mag von Ethik besitzen, wie ihnen JanröS noch immerzumutet.Wenigstens deutet auf ein solches Defizit die Tischgenossenschafthin. die sie sich für Montag erbeten haben. Die Einladung derparlamentarischen Gruppe für die Wiedereinsührung derListenwahl soll den Wählern den Willen zur Aufhebung derBezirkswahl vorschwindeln. Tatsächlich wäre die Listenwahl ohneProporz noch schlechter als das bestehende System. Und bei ihrkämen vielleicht nicht einmal die Reaktionäre zu Schaden, sicher aberdie Sozialisten, die in den wcitgezogenen Wahlkreisen einfachder Gnade der radikalen Komitees ausgeliefert und auf Wahl-kompromisse mit ihnen angewiesen wären.— Neben diesem Schwindelsteht aber eine Drohung. Breton hat als Gast HerrnMaScuraud gewonnen, den Präsidenten deS sogenannten„Re-publikanischen Komitees für Handel und Industrie", das auS seinerreichgefüllten Kasse den Wahlfonds der linksrcpublikanischen Kandi-baten speist. Es ist ein Wink mit dem Zaunpfahl. Den künftigenKandidaten wird kundgetan, dah sie ztvischen dem Proporz unddem Portemonnaie des Herrn MaScuraud die Wahl haben.politische debersicdt.Berlin, den 21. Dezember 1909.Ein Eosin-Dementi.Der Regierung wird die Schmähung, die in den letztenTagen der schöne Eosin-Farbstofs hat erdulden müssen, zu arg.Sie nimmt sich deshalb der agrarischen Gesinnungsfarbcwohlwollend an und erläßt in der„Nordd. Allg. Ztg." folgende Beschönigung:„Seit einigen Tagen laufen durch die Presse Mitteilungen,nach denen die Färbung der zum Zollsätze von 1,30 M. abgelassenenGerste niit Eosin Uebelstände im Gefolge gehabt haben soll.Namentlich wird behauptet, daß die Verwendung der gefärbtenGerste zu Futterzwecken die Gesundheit des Viehs schädige.Selbstverständlich werden alle diese Angaben sorgfältig geprüftund es sind unverzüglich eingehende Erörterungen unter denbeteiligten Stellen eingeleitet. Es wird kein Mittel unversuchtgelassen, zu einer vollen Klärung zu kommen. Um so mehr er-scheint es gerechtfertigt, ernstlich davor zu warnen, daß durch dieBehandlung der Frage ohne Not Mitztrauen erregt und namentlichdie Viehzüchter im ganzen Reiche beunruhigt werden. Ein Beweisdafür, daß die Verwendung der mit Eosin gefärbten Gerste schädlichwirke, ist bisher nicht erbracht. Dagegen kann schon jetzt als fest-gestellt gelten, dasj die erhobenen Beschwerden mindestens starkübertrieben sind....Die Wirkung des EosinS auf den Tierkörper ist bei der aus-gedehnten Verwendung, die niedrig verzollte Gerste gerade bei derViehfütterung findet, vor Einführung des FärbungSverfayrenSbesonders eingehend, geprüft worden. Im Auftrage des PreußischenLandwirtschaftsministerillmö wurden von dem Kaiser-Wilhelms«Institut in Bromberg auf dem BcrfuchSgnte Mochelnmehr als 3 Monate hindurch Versuche mit 30 nach Rasse, Alterund Gewicht gleichartigen Schweinen angestellt, die in drei Reihenvon je 10 Stück eingestellt waren. Alle Versuchstiere bekamengleichmäßig ein Grmidfutter von Flcischmehl und Kartoffeln,daneben aberReihe I«ngefärbte Gerste,Reihe II Gerste, von der 5 Picöz., später 10 Proz. der Körnermit Eosin gefärbt wurden,Reihe III- Gerste, die mit Eosin vollständig durchgefärbt war.Die Ergebnisse deS Versuches' zeigten keinerlei schädlicheWirkungen deS EosinS. Im Gegenteil stellte sich die Gewichts-zunähme für das Stück und den Tag durchschnittlichin Reihe I auf 0,542 Kilogramm.. H, 0,371„.. HI ff 0,570Nach Abiaus der angegebenen Zeit erfolgte die Schlachtungund eö wurden an den Versuchstieren an marktfähigein Schlacht-gewicht ermitteltin Reihe I...... 82,1 Proz.„„ H...... 83,1„..„IH...... 82,5„Die von Sachverständigen ausgeführte Untersuchung ergabferner, daß das Eosin auf die Beschaffenheit des Fleisches unddes Fettes keinen Einfluß ausgeübt hatte."Verschiedene Tierärzte sind anderer Ansicht über dieSchädlichkeit der Eosinfärbung, als die„Nordd. Allg. Ztg.".Auch die vonr Abgeordneten Carstens im Reichstag gezeigtenTeile eines schleSwig-holstcinschen Schweins widersprechen denDarlegungen des Regierungsblattes— aber vielleicht sinddie schleswig-holsteinschen Schweine von zarterer Konstitutionals die Mochclncr. Vielleicht war sogar das im Reichstagvorgezeigte Schwein kein richtiges Landschwein, sondern einstädtisches Individuum. Dann wäre allerdings fem ein-faltigeres Verhalten gegen die Eosinfarbe erklärlich.Die Perle von Jauuschau.Herr v. Oldenburg scheint sich darauf kapriziert zu haben, denmodernen Ehonan zu spielen, der royalistischer ist als sein König. Be-sonders scheint er sich für die Rolle des bramarbasierenden Royalisten-führerS Laroche- Jaquelin qualifiziert zu halten— ein etwas sonder-barer Geschmack, denn bekanntlich ließ dieser royalistische Aufschneiderdie ihm vertrauenden Bendöer Bauern bei Savenay schmählich imStich, um seine wertvolle Person dein heiligen royalistischenFrankreich zu erhalten. Allerdings so unternehmend wie seingroßes Vorbild sieht Herr v. Oldenburg nicht aus; er istallzu behäbig geworden und scheint seinem Aeußern nachrecht bedeutenden Wert auf eine gute Küche zu legen; aber in einerBeziehung übertrifft er entschieden sein Vorbild: in der Groß-mäuligkeit. Seit einiger Zeit reist die Perle von Januschau un-ermudlich umher und hält saftige Reden. Am Sonnabend redete erwieder in Danzig. Er bezeichnete wieder in seinem schönen Jargondie Liberalen als„koddrig" und konfus und verhöhnte den Ber-such,„an dem Wahlrecht zu maddern". Dann erzähltekr nach der„Krenz-Ztg." folgende schöne Geschichte:„Ick, entsinne mich eines politischen Gespräches zwischen einemunserer Vnndesfürsten und einem seiner drastischen Redensartenwegen sehr bekannten und geschätzten, leider verstorbenen Kavullerie-generals, welches Ende der 70er Jahre in einem Potsdamer Offizier-kastno stattfand und seinerzeit viel kolportiert wurde: Der Bundes-fürst— damals noch nicht auf dem Thron— bekannte sich alsRegierungsform offen für die denkbar freieste Konstitution underhielt darauf von dem General als Antwort:„Na, könig-liche Hoheit, dann lassen Sie sich man Schuppen-ketten an Ihrer Krone anbringen!" Daß dieseRedensart nicht nur einen Witz, sondern furchtbar traurige Wahrheitin sich birgt, davon haben wir uns alle nickt nur durch dieRovenrberereianiffe des Reichstages überzeugen können.— Nun ist<8 ja dem Fürsten Pulow geglückt, den König selbst in der Thronredesagen zu lasten,.er wünsche die Wahlrechtsänderung", und damithat der Fürst das politische Herz eines jeden kon-servativen Mannes zum Konflikt gebracht: Aufder einen Seite heißt cS:„Gehorchen", auf der anderen Seiteaber steht überzeugungstreu die Parole:„Schütze und er-halte die Prärogative der Krone!" Redner ist derMeinung, man dürfe durch Stillschweigen nicht den Anschein er-wecken, als sei diese Frage für die Partei keine Prinzigienfrage,'im Gegenteil:„Wir müssen dem neuen Ratgeber des Königslaut und deutlich entgegenrufcn, daß die konservative Partei inPreußen nicht gewillt i st, das Tor zu öffnen, durchwelches die rote Lava des sozialdemokratischenKraterS hin durchfließen kau n."Wenn gar nichts mehr hilft, will Herr v. Oldenburg nachMecklenburg auswandern und, falls dort bis dahin auch schon diebeiden Großherzöge in antiroyalistischer Verblendung eine grausame„Revolution von oben" gemacht haben sollten, zu den Hotten-totten.Einberufung des preußische» Landtages.Durch eine im„Preußischen Staatsanzeiger" publiziertekaiserliche Verordnung werden die beiden Häuser des Land-tages auf den 11. Januar 1910 einberufen.„Ein Schittzzoll-Jilbiläunt"so überschreibt die„Deutsche Tageszeitung" einen Artikel, in welchemHerr Oertel wieder beweist, welchen Unsinn das Agrarierblatt seinenLesern bieten darf. EL wird angeknüpft an einen Brief, den deralte Kaiser Wilhelm am 22. Juli 1370 an Bismarck geschrieben hat.Wilhelm I. schrieb damals an Bismarck, daß er sich mit Delbrückund Camphausen über die Eisenindustrie unterhalten hat und dabeigesagt habe:„Ich erwiderte, woher eS denn aber komme, daß einEisen-Fabrikations-Uuternehmen nach dem anderen seine Oese» auZ-blase, seine Arbeiter entlasse, die herumlungerten, und daß diejenigen,welche noch fortarbeiteten, dies nur mit Schaden täten, also nichtsverdienten, bis auch sie die Arbeiten wieder einstellen müssen."Dieser Satz hat eine historische Bedeutung, er ist 1870 von Bis-marck bei Begründung der Eisenzölle gebraucht und später vonStumm bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit wiederholtworden. Später ging der Satz in den stehenden Redeschatz des Herrnv. Kardorff über und in neuerer Zeit wird er von Dr. Bcumerhergesagt.Die Ursachen für das Schließen der Eisenwerke lagen nicht aufdem Gebiete der Zollpolitik, sondern waren technischer Art. ImAnfang der siebziger Jahre war es der Kampf zwischen dem Holz-kohlen« und dem Steinkohleneisen, wobei die Steinkohle Siegerblieb. Der Kampf wurde aber auch mit diesem Siege nicht ab-geschlossen, denn nun begann der Kampf des Flußeisens gegen dasSchweißeisen. Bessemer hatte zwar schon 1356 seine gewaltige Er-findling eingeführt, aber die Länder mit phosphorhaltigen Erzenblieben im Nachteil. Da wurde denn Ende der siebziger Jahre derdeutschen Eisenindustrie die Hilfe von England gebracht. Thomashatte durch das basische Verfahren die Möglichkeit geschaffen, ausstark phosphorhaltigen Erzen nicht nur gutes Eisen herzustellen.sondern die Eisenindustrie gewann noch das wertvolle Nebenprooukt,die Thomasschlacke.Trotz des 1879 eingeführten Eisenzolles wurden weitere Werkegeschaffen. 1833 hatten«vir in Deutschland noch 883 Schweißeisen-werke, in denen 57 407 Arbeiter 2 130 800 Tonnen Roheisenverarbeiteten. Die Zahl dieser Werke war 1007 auf 119 zusammen-geschmolzen. In den Schweißeisenwerken winden 1007 nur noch13 881 Arbeiter beschäftigt, die 831 400 Tonnen Roheisen ver-arbeiten. Das Verschwinden dieser Werke wurde auch durch denEisenzoll nicht gehindert, weil der Hauptfeind, der übermächtigeKonkurrent, nicht im Auslände, sondern im Jnlande saß. DerFeind der alten Werke waren die Flußeisenwerke. Wahrscheinlichhatten deren Besitzer Stumm, Krupp und Kardorff. der Gründervon Lanrahütte, dem alten Wilhelin den Satz über die traurige Lageder Eisenindustrie eingeflüstert. Die Zahl der Flußeisenwerke stiegvon 73 im Jahre 1863 auf 222 im Jahre 1007 und die Arbeiter-zahl von 20 033 auf 183 706 Kopse, die Produktton stieg aber von1429 000 Tonnen auf 14 205400 Tonnen verarbeitetes Roheisen.Die Kalamität, die in den siebziger Jahren für die Holzkohlen«eisenwerke und die Schweißeisenwerke bestand, wurde durch denEisenzoll nicht beseitigt. Sie wird wohl fortbestehen bis auch dieletzten 119 Werke verschwunden sind.Roch drolliger wirken aber die eigenen Ausführungen des Agrarier-blattcs, in denen behauptet wird, daß durch den Freihandel soschlimme Zustände geschaffen sind, daß die Auswanderung auf 220 000gestiegen fei. Diese Zahl wurde erst im Jahre 1881, also zweiJahre nach Einführung des Schutzzolles, erreicht. Die letzten Jahrein der Freihandelspcriode zeigten folgende AuSwandererziffern:1876: 29 644, 1877: 22 898 und 1378: 25 627. 1379 kam derUebergang zum Schutzzoll und nun stieg die Auswandererziffer auf35 888, im folgenden Jahre auf 117 097 und dann 1831 auf 220 902.In dem dann folgenden Jahrzehnt wanderten noch 1 24 l 610 Per-sonen aus Deutschland aus. So niedrige AuSwandererziffern wiein den letzten Jahren der Freihandelsperiode wurden erst wiedererreicht in der Periode nach 1894, also als die von den Vündlernso gehaßten Eaprivischen Handelsverträge wirkten.Die„Bollkraft des platten Landes".Die„Konservative Korrespondenz" beschäftigt sich nach der„Deutschen Tageszeitung" mit einem Artikel des Oberst a. D. Gädtkeüber BolkSgesundheit und Wehrkraft. Sie konstatiert mit Befnediginig,daß selbst Herr Gädtke es bedenklich findet, daß„die Volksgesundheitdurch die fortdauernde Vermehrung der städtischen auf Kosten derländlichen Bevölkerung leidet" und fährt dann fort:„Der militärische Berichterstatter des„Berliner Tageblatt"rechtfertigt also in gewisser Weise die Haltung der konservativenPartei, die die Gesetzgebung in solchen Bahnen gehalten wissenwill, daß das platte Land in seiner Vollkraft erhalten bleibt."Es ist ein starke? Stück, zu behaupten, die konservative Parteitrete dafür ein,„daß das platte Land in seiner Volks-kraft erhalten bleibt". Gerade die konservative Partei hatdie Lebenshaltung von Millionen Landarbeitern und Kleinbauerndurch Zölle und indirekte Steuern herabgedriickt. Sie ist mitschuldigdaran, daß ein großer Teil auch der ländlichen arbeitenden Be-vvlkerung an chronischer Unterernährung leidet. Nicht die„VollkraftdeS platten Landes", sondern die schrankenlose Ausbeutung und Ver-stlavung der Landarbeiter ist es. was die konservative Partei erhaltenwissen will._Hessen und die Schiffnhrtsavgaben.Wie der„Darmstädter Zeitung" mitgeteilt wird, war dieHeffische Regierung von vornherein der Ansicht, daß der demBundesrat vorgelegte Entwurf eines Gesetzes über die Er«Hebung von Schiffahrtsabgabcn nicht annehmbar sei.Die von Preußen in Aussicht gestellte, unlängst veröffentlichteDenkschrift hat die gegen den Entwurf bestehenden Bedenkennicht beseittgt, wohl aber sind sie durch die später veröffent-lichte sächsisch-badische Denkschrift verstärkt worden. Bei derSachlage hat die hessische Regierung sich dahin schlüssig ge«macht, den Anträgen Preußens aus Erlaß eines Gesetzes be-treffend die Erhebung von Schiffahrtsabgaben die Zu«stimmung zu versagen.Eine mißlungene Staatsaktion.Die getvaltige Straße ndemon st ration, die unsereBreslauer Genossen während des Katholikentages ver-anstalteten, soll auf alle Fälle polizeiwidrig gewesen fein. Dasich aber sonst keine gesetzliche Handhabe bot, um nachträglichgegen die„Täter" einzuschreiten, hatten sich jetzt, nach etwa vierMonaten, sieben Genossen vor dem Schöffengerichtzu verantworten, die einen öffentlichen Aufzug ver-anstaltet haben sollten. Es waren solche, die zu Fuß mit Kränzennach dem Grabe Ferdinand Lassalles gepilgert und von der Polizeiaufgeschrieben worden waren, weil größere Scharen von Arbeiternihnen Gefolgschaft geleistet hatten. Der Staatsamvalt beantragteGeldstrafen von 23 und 50 M. Das Gericht kam aber zur Frei«s p r e ch u n g aller Angeklagten. Es wurde festgestellt, was aller-dings auch so schon alle Welt wußte, daß große Straßen-demonstrationen geplant waren und stattgefunden haben. Es seiaber nicht erwiesen, daß die Angeklagien die Veranstalter oderLeiter gewesen sind._Ein unverständliches Urteilfällte das Schöffengericht Margonin(Provinz Posens gegeneinen Gewerkschaftsbeamten, der sich gegen die unrechtmäßigelleberwachung von Gewerkschaftsversammlungen gewehrt hatte.Der Gauleiter des Hafenarbeiterverbandes, Genosie Schikorr-Danzig, sprach im August und September dieses Jahres in zahl-reichen Versammlungen in N e tz d a in m bei Weißenhöhc,in denen die Flößer des Netze- und Warthedistriktes Stellung zueinem Lohntarif nahmen, da der alte abgelaufen war. Dieersten Versammlungen verliefen ohne Störung, später aber er-.schienen Gendarmen, obwohl ihnen bedeutet wurde, daß es sich uirrein gewerkschaftliche Angelegenheiten handelte. Schikorrsoll nun in den Versammlungen die Gendarmen beleidigt und sickaußerdem der Nötigung schuldig gemacht haben. Die Nötigungwurde darin gesehen, daß Schikorr zu den Beamten gesagt hattc,er würde sich über sie beschweren. Und beleidigt soller die Beamten haben durch die Worte: Tie Gtndarmen könntenauch wo anders sein, wo, wisse er nicht, vielleicht bei Muttern.Ter Anklagevertreter und der Vorsitzende waren beide derMeinung, Scksitorr habe zum Ausdruck bringen wollen, daß die Bc-amten zu Hause den geschlechtlichen Verkehr mit ihren Frauenpflegen sollten, anstatt in der Versammlung zu sitzen. Das geheauch aus den bestimmten Erklärungen der beiden Gendarmen her-vor und daher hätte das Gericht auch nicht die vonSchikorr beantragten sechs Zeugen geladen!Außerdem handele es sich um eine schwere Beleidigung, da sie ineiner politischen Versammlung gefallen sei.TaS Gericht verurteilte— dieser Auffassung entsprechend—Schikorr zu drei Monaten Gefängnis und 200 Mk.G c l d st r a f e.Schikorr hat sich beim Oberpräsidentcn über die Polizei-liche lleberwachung der Versammlungen beschwert. Bisheute ist die Beschwerde nicht beantwortetworden. Gegen das völlig unbegreifliche Urteil des Schöffen-gerichts wird selbstverständlich Berufung eingelegt.Zur badischcn Brausteuer.In dem soeben erschienenen Band der„Statistischen Mitteilungen"für daS Großherzogtum Baden sind Feststellungen enthalten, welchefür die gegenwärtigen parlamentarischen Verhandlungen der ZweitenKammer über die' Brausteuererlcdigung beachtenSivert er-scheinen. Es ergibt sich, daß die Biersteuer unter den badischcnVerbrauchssteuern die ertragreichste ist: letzter Jahrzehnt-durchschnitt der Einnahme 8'/z Millionen Mark bei insgcsamrll'/V Millionen an» allen badischcn Verbrauchssteuern. Darunterhatte die UebcrgangSabgabe für eingeführtes Bier im letztenJahre nur einen Anteil von rund 880 000 M. Bei einer vorjährigenI st e i n n a h m e der Steuerverlvaltung von 8 399 566 M.(etwa860 000 M. weniger als im Jahre 1907) berechnet sich die rler-teilung auf den Kopf der mittleren Bcvölkenmz mit 4,02 M. fürdas Jahr 1908.Den oben erwähnten Rückgang des BiersteuererträgnisieS be-gründet das Statistische Amt mit„den derzeitigen unbefriedigenden wirtschaftlichen Berbältnissen, aus der in-folge des R ü ck g a n g S des Verbrauchs notwendig gewordenenEinschränkung der einheimischen Biererzeugung und der Ver-Minderung der Biereinfuhr aus den Nachbarländern". Letztere llr-fache verminderte Sie badischen UcbergangSabgaben um60421 M. Als Reineinnahme aus der Bterstcuer verblieben derStaatskasse Anno 1908 noch 7 455685 M.Die historische EntWickelung der badischen Braunbierbrausnienwird durch folgeude Statistik veranschaulicht:Die durchschnittliche Jahrcserzeugung stieg von 4444 Hektoliter(1900) ans 6624 Hektoliter(1908); verglichen mit 1880 entfällt aberheute auf eine Brauerei der siebenfache Durchschnittsausstoß desJahres 1880.Ueber die fortwährende Verminderung der Zahl derBrauereien im badischcn Lande wird amtlich gesagt, daß sieeine Folge ist„der sich vollziehenden K o n z e n t r a t i o n im Brau-gewcrbe, sowie der starken Verdrängung und Aufsaugung vonMittel- und Kleiiibrauereien durch die Großbrauereieninsbesondere durch die kapitalkräftigen Aktiengesellschaften."Oeffentliche Abstimmung.In welchem Maße die Beamten durch die öffentliche Abstimmungbei Wahlen gezwm,gen iverden, gegen ihre Ueberzeugung zu stimmen,hat sich deutlich bei der letzten Stadtverordnetenwahl in der Kur»und Regieruiigsstadt Wiesbaden gezeigt. Von 2144 auf diebürgerliche Liste entfallenen Stimmen waren nickt weniger als 995von Beamten abgegeben. Darunter waren 462 Staats- und Gc-meindebeantte, 199 Postbeamte, 185 Eisenbahnbeamte und 149 Polizei-beamte. Es kamen ferner hinzu L83 Angehörige sogenannterfreier Berufe: Aerzte usw., 226 Privatters, 99 Rentiers,39 Händler. Zu diesen 995 Beamten und 647 bürgerlicheWäblcr kommen 502 Arbeiter. Tie Zahl der Arbeiterstinnncn istfür die bürgerliche Liste mir reichlich halb so hoch, wie die der Be-amten. wahrend die sozialdemokratischen Wähler fast nur den»Arbeiterstande angehören. Daß sämtliche Beamte, auf die zur AuS-übuug ihres Wahlrechts mehr oder weniger nachdrücklich und un-zweideutig eingewirkt zu werden pflegt, bei der geheimen Wahlnicht kür die bürgerliche Liste gestimmt hätten, wissen die Anhängerder öffentlichen Stimmabgabe sehr wohl. Aber gerade deshalb solldie öffentliche Stimmabgabe aufrecht erhalten werden.Das Zentrum als Rufer im Streit.Der Mittler zwischen Papst und Zentrum, der Abgeordnetev. H e r t l i n g, hat im katholischen Kasino in München einen Bor-trag gehalten über Weltanschauung und Politik. Der Zentrums-diplomat befürwortete ein Zusammengehen aller staats-erhaltenden Parteien gegen die Sozialdemokratie. Allem An-schein nach rechnet Freiherr v. Hertling auch die vom Zentrum soglühend gehaßten Liberalen zu den staatSerhaltenden Parteien. Dannwäre seine Rede der Ruf nach einer geschlossenen Phalanx de*Bürgertum« gegen die Sozialdemokratte.Bielleicht will das Zentrum beweisen, daß es die Aufgabe lösenkann, um die sich Bülow mit feinem ReichSverband vergeblich bemüht hat.