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Untersuchung der Subventionen in den verschiedenen Landern, die eine größere Handelsflotte haben, ergab folgendes Bild: Handelsflotte Subventionen PerNeg.-To. in 1000 Reg-To. in Mill. M. M, Großbritannien ... 17 378 31 1.93 Oesterreich-Ungarn.. 730 20 20,70 Frankreich ..... 1 891 53 28,00 Deutschland ..... 4 267 8 1,83 Italien ...... 1320 10 12,10 Japan ...... 1 153 28'/, 24,70 Rußland...... 972 11 11,30 Spanien ...... 710'/s 21,85 Herr Huldermann bemerkt dazu, es sei außerordentlich bezeichnend, daß in dieser Tabelle, in die nur die Länder aufgenommeu sind, die sich entweder durch eine große Handelsflotte oder durch große Sub« ventionen auszeichnen, durch eine außerordentlich geringe Ziffer der Subventionen per Tonne der Handelsflotte gerade die beiden Länder hervortreten, die anerkanntermaßen in der Schiffahrt besonders Her- vorragendes geleistet haben, nämlich Großbritannien und Deutschland . Sie haben ini letzten Jahrzehnt ihre Handelsflotten gewaltig vergrößern können, England um fast 5 Millionen Tonnen, Deutschland um über 2 Millionen Tonnen. Ihr Beispiel zeige, daß auch ohne Subventionen an" dem Weltmeer Erfolge z» erringen seien, die andere Länder trotz großer Subventionen nicht errungen haben. Die vorliegende Schrift, die vom Standpunkt der Hamburger Reeder aus und in deren kapitalistischem Interesse geschrieben ist, sucht den Nachweis zu führen, daß die Subventionspolitik zum Ruin der Seeschiffahrt beitragen werde. Die subventionierten Linien können natürlich billige Frachten übernehmen. Die Konkurrenz suche das gleiche zu erreichen. Die Subventionen müssen dann wieder erhöht werden und würden so zu einer Schraube ohne Ende werden. Es sei nicht abzusehen, toohin die Sub- ventionSpolitik führen werde, wenn man sich nicht endlich entschließe, wenigstens die freien, an gar keine bestimmten Gegenleistungen gebundenen Subventionen durch internationale Ueberein- kunft abzuschaffen, so ivie in an die Zuckerprämien abgeschafft hat. Um erstklassige Postdampferlinien nach Ost- afrika , Ostasicn und Australien zu erhalten, zahle die deutsche Regierung eine Subvention von rund 7 Millionen Mark. Ohne Subvention könnten diese Linien auch betrieben werden, wenn das Reich damit zufrieden wäre, bescheidenere Dampfer auf jenen Routen verkehren zu sehen. Zur Erklärung dieses Notschreiet und Protestes gegen die Sub VentionSpolitik wird mitgeteilt, daß die sieben größten deutschen Reedereien im Jahre 1903 auf ein Geiamt-Aktienkapital von 330 Millionen Mark ein Dividendenerträgnis von nur etwa Proz. im Durchschnitt erzielt haben, während sie daS gleiche Kapital für 1907 noch mit ö'/, Proz. und für 1900 ein Kapital von 274 Millionen Mark mit 8� Proz. verzinsen konnten. Sechs englische Frachtdampferreedereien, die über 1700 000 Brutto-Register tonnen verfügten, haben 1908 nur einen Gewiim erzielt, der für eine nötige Abschreibung nicht ausreichte. Dieses Resultat ist be greislich, wenn man erfährt, wie seit 1899/1900 die Frachtraten zurückgegangen sind. So z. V. für Getreide von La Plata nach Nordeuropa von 30 Sh. auf 7'/g Sh., für Jute von Kalkutta nach Dundee von 30 Sh. auf 12'/z Sh., für Kohlen von Cardiff nach Bombay von 27>/z auf 8 Sh. usw. Eisenbaljneinnahmen. Die Entwickelung der Eisenbahneinnahmen in den ersten elf Monaten des laufenden Jahres im Vergleich mit der Parallel« zeit 1908 zeigt die folgende Zusammenstellung: Staatliche Schlachtviehversichcrung in Preußen. Der Plan einer staatlichen Schlachtviehversichernng ist erneut akut geworden, dadurch, daß das preußische Landwirtschaftsministerium durch das Landes- ökonomiekollegium den Landwirtschaftskammern die Ergebnisse der im vorigei» Jahre amtlich vorgenommenen Feststellungen über die Ausdehnung der Schlachtviehversichernng übermittelt hat. DaS Oekononnekollegium hat die Landwirlschastskammern um eine Acußerung ersucht, nachdem kürzlich in verlin eine Konferenz der Kammern sich mit der Angelegenheit beschäftigt hat. Hierbei hat sich u. a. die Landwirtschastskammer zu Wiesbaden gegen die Ber- sicherung erklärt, die schlesische hat gefordert, daß die Versicherung im ganzen Reich oder überhaupt nicht eingeführt werden sollte, aber auch ini elfteren Falle müßten Träger der Versicherung die kleineren Kommunalverbände bleiben. Trustreklame. AuS Rew-Fork meldet das Wolff-Bureau, daß die United StateS Steel Corporation beabsichtigt, einen Betraa von mehr als zwei Millionen Dollars als Bonus an ihre Angestellten zu verteilen. 60 Proz. von den Zuwendungen werden in bar aus- gezahlt; wegen der restlichen 40 Proz. soll es den Angestellten frei- stehen, entweder Vorzugsaktien der Gesellschaft zum Kurse von 124 Proz. oder gewöhnliche Aktien zum Kurse von 90 Proz. zu nehmen._ Soziales. (Siehe auch Hauptblatt.) Zur Rechtlosigkeit der Dienstboten. Ein Dienstmädchen, das seit 1900 bei einer Herrschaft bei Brandenburg a. H. in Stellung war und sich für daS Jahr 1910 wieder bei derselben Herrschaft vermietet hatte, war gezwungen. in einem gegen ihren Dienstherrn eingeleiteten Strafverfahren wegen Unterschlagung zuungunsten desHerrn" auszusagen. Bon dieser Zeit ab taugte dad Mädchen nichts mehr. Die gröbsten Be- schimpfungen mußte es sich gefallen lasien. Sie kündigte deshalb das Dienstverhältnis. Diese Aufbäumung menschlichen Gefühls brachte den Dienst-,, Herrn" aber nur noch mehr in Harnisch . Am 80. Oktober kehrte er vom Jahrmarkt zurück und belegte das Mädchen mit den unflätigsten Schimpfnamen, so daß selbst eine anwesende Aröeiterfrau sagte:Mädel, laß Dir doch daS nicht ge- fallen! Diese Behandlung ist ja unerhört! Geh doch nach Hause!" Diesen Rat wollte das Mädchen befolgen. Sic ging nach ihrer Kammer, um sich umzukleiden. Von seiner Mutter auf das Vor- haben des Mädchens aufmerksam gemacht, drang der Dienstherr in die Kammer des Mädchens ein und suchte sie durch Prügel zum Bleiben zu nötigen. Die Mißhandlungen waren so stark, daß die Nachbarn die Schmerzensschreie auf der Straße hörten. Mit welch brutaler Gewalt derHerr" vorgegangen ist, geht aus nachstehen- dem ärztlichen Attest hervor. Es lautet: Por mir erscheint daS Dienstmädchen Marie Dichte aus Golzow und gibt an, mit der Faust geschlagen worden zu sein. Die p. D. ist sehr verweint Liderhäute stark gerötet, Augenbindehaut verschwollen. Das Gesicht im ganzen etwas auf- gedunsen. Nase wie Oberlippe etwas aufgetrieben. Nasencin- gang und Oberlippe mit trockenen Blutmassen überzogen. An der rechten Hälfte der Innenseite der Oberlippe sieht man einen etwa 1 Zentimeter langen, etwas klaffenden frischen Riß in der Schleimhaut.,, gez.: Dr. med. Rud. Janisch Lrakt. Arzt." Gestützt auf dieses Gutachten und daS Zeugnis von drei Zeugen stellte das Mädchen Strasantrag gegen den Diensthcrrn Darauf erhielt sie folgenden Bescheid von dem Amtsauwalt in Brandenburg a. H.:Auf Ihren Strafantrag vom 1. 11. 09 wid«» den Mühlenbcsitzcr Edmund Hennig wegen Körperverletzung werde ich die öffentliche Klage nicht erheben, weil das nicht im öffent- lichen Interesse liegt. Es bleibt Ihnen unbenommen, Ihr Recht im Wege der Privatklage zu verfolgen." Das Mädchen und deren Angehörige waren anderer Ansicht darüber, ob die Verfolgung solcher Roheitim öffentlichen Jnter- esse" liegt. Es wurde Beschwerde gegen den Beschluß des Amts anwalts erhoben. Diese wurde aber kurz und bündig von dem Ersten Staatsanwalt beim Landgericht Potsdam zurückgewiesen. Wenn ein roher Dienstherr einen Dienstboten mit den gemeinsten Beschimpfungen belegt und obendrein den Dienstboten durch Miß- Handlungen erheblich verletzt, so liegt die Strafverfolgung demnach nicht im öffentlichen Interesse das ist die Quintessenz dieses wie vieler anderer ähnlicher Fälle. Der Weg der Privatklage für den Dienstboten die Dienste der Staatsanwaltschaft der Dienst- Herrschaft. Wenn ein Dienstbote auch nurwiderspänstig",«un gehorsam" ist oder gar den Dienst verläßt, wird auf Antrag des Dienstherrnim öffentlichen Interesse" Anklage erhoben, die Polizei überdies gegen das arme Wesen mobil gemacht. Aber wenn ein Dienstherr die Wehrlosigkeit und die nahezu an Rechtlosigkeit streifende Lage eines preußischen Dienstboten zu rohen Mißhand- lungen mißbraucht, dann liegt esim öffentlichen Interesse" keine Anklage zu erheben. Wie denkt der Justizministcr über diese im Namen ihrer Amtsgewalt ausgeübte Begünstigung von Roheiten durch die Anklagebehörde? Gedenkt er die ihm unterstellten Staatsanwaltschaften anzuweisen, in jedem Fallim öffentlichen Interesse" Anklage zu erheben, in dem das Dienstverhältnis zu Prügeleien und NötigungSversnchen wie in diesem Fall mißbraucht wird? Und wie denkt der Justizminister ferner über endliche Be- seitigung der schmachvollen Ausnahmegesetze gegen das Gesinde und ländliche Arbeiter?_ Gerichts-Zeitung. DaS LourdeS -Wunder in der Berufnugsinstanz. Wie uns ein Privattclegramm meldet, wurde die Berufung des Dr. Ernst vom Landgericht zu Metz unter Auferlegung der Kosten an Kläger zurückgewiesen. Es bleibt also dabei, daß einwand� frei und gerichtlich festgestellt ist die angeblich durch die ver> meintliche Wunderquelle von Lourdes von Lupus geheilte Frau Rouchel hat 1. nicht an LupuS, sondern an Lues ge- litten, ist 2. nach wie vor luetisch, hatte 3. in Lourdes Aenderungen der Syphiltsgeschwüre aufzuweisen, wie sie oftmals bei Luetischen ohneWunderquellen" vorkommen, ist 4. mißbraucht, um den Aberglauben an die Lourdesquelle zu nähren. Als einzigesWunder" im ganzen Prozeß ist auffallend. daß in zwei Instanzen dem Rechtsbewußtsein und Rechts- empfinden entsprechend geurteilt und nicht gar noch die Zweifler an der Wundertätigkeit der Lourdesquelle wegen Beschimpfung von Einrichtungen einer Kirche angeklagt oder wegen Schädigung des klerikalen Geldbeutels verfolgt sind.' Es kommt also doch mal vor, daß Recht und Gerechtigkeit eins sind. Freilich steht dem Dr. Ernst, der das Vorhanden- sein der Lues in seinem Attest unerwähnt ließ, noch die Revision an das Oberlandesgericht zu. Haftung des Fabrikherrn. In dem Fabrikhof einer Miengesellschaft für Gasmotoren in Köln-Ehrenfeld war eines Tages die fünfjährige Tochter des Leiters der Fabrik dadurch verunglückt, daß eine an eine Wand ge- lehnte Riemenscheibe umkippte und auf sie fiel. Die Kleine wollte über den Fabrikhof gehen, um in den Garten zu gelangen, den ihr in der Fabrik wohnender Vater mit benutzte. Infolge der Verletzungen des Kindes im Gesicht sowie an Hals und Knie er- hob der Bater als Vertreter Ansprüche gegen die betreffende Fabrik. Während daS Landgericht Köln der Verunglückten nur Schmerzensgeld in Höhe von 1000 M. zusprach, verurteilte das Obrrlandesgericht Köln die Beklagte zur Zahlung von 300 M. für die ausgehaltenen physischen Schmerzen, und kam weiterhin zu der Feststellung, daß die Beklagte außerdem verpflichtet sei, der Verletzten allen aus dem Unfall erwachsenden Bcrmögensschaden und weiteren Nichtvermögensschaden zu ersetzen. Dieses Urteil des Oberlandesgerichts Köln wurde vom 7. Zivilsenat des Reichsgerichts anläßlich der Revision der Be» klagten bestätigt. Der erkennende Senat legt hierzu dar, daß der Jabrikhof nicht nur dem Verkehr der in der Fabrik be- schäftigten Personen diente, sondern auch dem Verkehr der In- fassen des Wohnhauses, das mit dem Fabrikgebäude ein einheit- lichcs Ganzes bildete. Die Beklagte hätte deshalb damit rechnen müssen, daß sich ein Kind in spielhafter Weise mit der Riemen- scheide zu schaffen machen werde und daß dabei die Scheibe leicht umfallen könne. Es hätte deshalb, ohne die im Verkehr erforder- liche Sorgfalt zu verletzen, die Scheibe nicht in der Art und Weise aufgestellt werden können, wie es geschehen sei. Wenn auch die Beklagte einwende, daß Arbeiter eines Ticfbauunternehmers, der an einem Teil des Hofes Ausschachtungen bornehmen ließ, die Scheibe von dem früheren Standorte fortgenommen und an der Unfallstelle aufgestellt haben, so könne sie sich damit nicht entlasten. ES habe der Beklagten die Verpflichtung für eine anderweitige Unterbringung der Riemenscheibe obgelegen. Dieselben Grundsätze, wie sie das Reichsgericht hier darlegt, treffen auf die Haftung jedes Hausbesitzers zu. Wie Strafanträge gegen Streikende zuftanbekommen. Die Näherin Kowall hatte sich am Dienstag vor dem Schöffen- gericht Rixdorf wegen Vergehen gegen§ 153 der Gewerbeordnung und Beleidigung zu verantworten. Die Angeklagte wies darauf hin. daß die Anklage wegen Verletzung des ß 153 der Gewerbcord- nung schon deshalb zu Unrecht erfolgt sei, weil der Streik mit der Erlangung günstigerer Lohn- und Arbeitsbedingungen nichts zu tun gehabt habe. Die Streikenden hätten lediglich die Wieder- anstellung eines zu Unrecht von der Firma Mafchtera u. Striem, Koltbuser Damm 70/71, entlassenen Meisters durchsetzen wollen. Die Arbeitswillige bekundete, daß hinter ihr ein paar beleidigende Worte gerufen seien, die offenbar von der Angeklagten, die sie an der Stimme erkannt habe ausgegangen feien, und daß die Be° klagte außerdem zu ihr gesagt habe:Wir streiken für«ine ge- rechte Sache, wer Charakter und Ehrgefühl hat, schließt sich uns an." Der Amtsanwalt beantragte daraufhin eine Strafe von 10 Tagen Gefängnis. In den Worten, wer Charakter und Ehr- gefühl habe, liege eine Beleidigung, denn die Angeklagte habe da- mit diese Eigenschaften der Zeugin absprechen wollen. Auch die Voraussetzungen des§ 153 lägen vor. Die Beklagte habe selbst er- klärt, daß die Arbeiter für eine gerechte Sache streiken. Eine ge- rechte Sache aber sei es nicht, wenn die Wiedereinstellung eines vom Unternehmer entlassenen Arbeiters erzwungen werden sollet Der Verteidiger, Rechtsanwalt Hcinemann, betonte, daß es selbst- verständlich sei, daß der§ 153 auszuscheiden habe, da die gesetz- lichen Tatbestandsmerkmale, die eben nicht vorliegen, nicht fingiert werden dürfen. Aus die Frage des Verteidigers an die Zeugin, ob fie den Strafantrag wegen Beleidigung nicht zurücknehmen wollte, erklärte die Zeugin, das tue sie gern; sie set ganz wie die Angeklagte Arbeiterin und habe den Strafantrag nur durch den Unternehmer Striem dazu gezwungen gestellt. Der Verteidiger beantragte daraufhin die Freisprechung von der Anklage wegen Vergehens gegen§ 153 der Gewerbeordnung und die Einstellung des Verfahrens wegen Beleidigung. Der An- trag des Amtsanwalts, die Kosten des Verfahrens wogen Beleidi- gung der Zeugin zur Last zu legen, sei unbegründet, da, wenn ein von Amts wegen zu verfolgendes Delikt, wie§ 153 der Gewerbe- ordnung. und ein nur auf Antrag verfolgbares, wie Beleidigung. in derselben Handlung liegen, von ersterem aber Freisprechung, bei letzterem Einstellung erfolge, die gesamten Kosten der Staatskasse zur Last fielen. Das Gericht erkannte demgemäß, daß die An- geklagte von der Anklage aus§ 153 der Gewerbeordnung freizu- sprechen sei, da der Streik nicht die Erlangung günstigerer Lohn- und Arbeitsbedingungen zum Gegenstande gehabt habe. Das Ver- fahren wegen Beleidigung sei infolge Zurücknahme des Straf­antrages einzustellen. Die gesamten Kosten des Verfahrens wurden der Staatskasse zur Last gelegt. Ein Fabrikbirektor als Pascha. Wie aus Freiburg mitgeteilt wird, wurde bor der dortigen Strafkammer in zweitägiger Verhandlung gegen einen 49 Jahre alten Fabrikbirektor Emanucl Marx aus Sulzbach wegen einer Reihe Sittlichkeitsdelikte verhandelt. Es waren über 40 Zeugen und 2 Professoren der Universität als Sachverständige geladen. Der Angeklagte wurde beschuldigt, sich vor 2 Jahren verschiedentlich gegen eine damals 14 Jahre alte Fabrikarbeiterin vergangen zu haben. Bei seiner Vernehmung be- hauptete er, daß dies nur leeres Gerede sei, ein Gendarm habe gegen ihn die betreffende Anzeige erstattet, nachdem er ihm die Wohnung gekündigt hatte. Der Vorsitzende teilte dagegen mit, daß die ganze Angelegenheit ins Rollen gekommen sei infolge eines anonymen Briefes, der an die Staatsanwaltschaft gerichtet war. Als das Verfahren eingeleitet wurde, schloß sich der Vater des ver­führten Mädchens dem Verfahren an. In der weiteren Beweisauf- nähme bekundeten mehrere jugendliche Fabrikarbeiterinnen, daß der Angeklagte sich an ihnen vergangen habe. Ein Mädchen be- hauptet, fie habe sich seinem Willen fügen müssen, weil der An- geklagte drohte, er werde sonst ihren Bater aus der Fabrik entlassen. Ueber den Leumund dieses Mädchens wurden eine ganze Reihe von Zeugen gehört, die alle bestätigten, daß die Familie sich des besten Ansehens erfreue, und daß eS sich um ordentliche und rechtliche Leute handelte. Der Gendarm, auf dessen Anzeige der Angeklagte das Verfahren zurückführt, bekundet, daß er bei dem Angeklagten eine freie Wohnung innehatte, wofür er verschiedene Arbeiten übernahm. Dieser Umstand habe ihn natürlich nicht hindern können, seine Amtspflicht zu erfüllen. Das Gericht kam zu der vollen Ueberzeugung von der Schuld des Angeklagten und ver- urteilte ihn gestern zu acht�Monatcn Gefängnis, auf die die Unter- suchungshaft eingerechnet wurde. Eine eigenartigeUrkundenfälschung" führte den Bergmann Albert Tiener aus Clausthal vor die Göttinger Strafkammer. Kurz vor Pfingsten fand sich in der GrubeKaiser Wilhelm ll." eine sogenannte Gcdingstufe versetzt. Es ist das ein an die Stollenwand angenageltes Merkzeichen, von welchem aus die Länge des ausgehauenen Ganges gemessen und der Akkordlohn berechnet wird. Und zwar war das Zeichen um 1 2 Meter zurückverlegt, so daß sich für die Arbeiter ein Gewinn ergeben mußte. Zur Kenntnis des Obersteigers kam die Fälschung durch den heute Angeklagten. Natürlich lenkte sich der Verdacht zunächst auf die Arbeiterkolonne, welche den Nutzen haben konnte. Schließlich kam es aber an den Tag, daß Diener, der in«NeV anderen Kameradschaft arbeitete, selbst das Zeichen versetzt hatte, um dem Vorhauer der verdächtigten Kolonne, mit dem er in Feindschaft lebte, einen Streich zu spielen! Da. eine Gedingstufc als beweiserhebliche Privaturkunde anzusehen ist, wurde Diener wegen Urkundenfälschung zu drei Monaten Gefängnis verurteilt. Unzüchtige Scherzpostkarten. Die unlogische Begrenzung des Rechtsmittels der Revision auf Verletzung vonRechtsnormen" im Gegensatz zutatsächlichen Feststellungen", bringt es mit sich, daß daS Reichsgericht in ganz gleichliegenden Strafsachen bald so bald so entscheidet. Vor kurzer Zeit bestätigte, wie wir am 27. November mitteilten, der 3. Straf- enat ein Bremer Urteil, durch welches ein Händler nach 8 184, 1 verurteilt worden war. weil er eine Postkarte feilgehalten hat. welche aus vier nackten Frauenkörpern zusammengesetzt, den Kopf eines Lebemannes zeigt. Am 19. August hat nun dieselbe Straf- kammer des Landgerichts Bremen , allerdings unter anderer Be- etzung, den Buchbindermeister W., der wegen derselben Postkarte angeklagt war, freigesprochen. Im Urteile war klar und schlüssig der Nachweis erbracht, daß von einer Verletzung des Scham- und Sittlichkeitsgefühls des normalen Menschen keine Rede sein könne eine zutreffende Auffassung, der auch wir bei Besprechung des erwähnten Reichsgerichtsurteils Raum gaben. Die Revision des Staatsanwalts gegen dieses Urteil wurde am Mittwoch von dem- 'elben Senate verworfen. In der Begründung wurde betont, daß derartige sich widersprechende Urteile nach Lage der Gesetzgebung nicht zu vermeiden sind. Der Sittlichkeit ist sicherlich mehr mit der Freisprechung als mit der Verurteilung gedient, die lediglich unsittliche UnsittlichkeitS» chnüfffer zu befriedigen geeignet ist. Hus der Frauenbewegung. Die proletarische Frauenbewegung in Holland . In dem kürzlich erschienenenArbeiter-Jahrbüchlein für 1910", herausgegeben von der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei in Niederland , gibt die Genossin Pothuis-Smit eine Uebersicht über die Entwicklung der proletarischen Frauenbewegung dieses Bundes. Die ersten sozialistischen Frauenvereine wurden im Jahre 1880 gegründet; der erste in Amsterdam , der zweite in Rotterdam , dann einer in Haag und einigen anderen Städten. Der damals be- tehende Sozialdemokratische Bund gewährte den Frauenvereinen das Recht, sich ihm anzuschließen, und im Jahre 1887 erschien zum ersten Mal auf dem Parteilongreß eine weibliche Delegierte. Aber die hingen Organisationen gingen bald zugrunde. Als auch der alte Sozialdemokratische Bund mehr und mehr in Verfall geraten war und 1894 die Sozialdemokratische Arbeiterpartei gegründet wurde, da war zunächst wenig Neigung zu einer besonderen Frauenpropaganda vorhanden. Die Partei forderte selbstverständ« lich in ihrem Programm Gleichberechtigung der Frau aus allen Gebieten, aber man wollte die E'inheittichkeit der Bewegung nicht durch eine besondere Frauenbewegungschwächen" und einen Femi- nimismuS" großziehen. Aber mit dem WachSww der Partei und der Gewerkschaften änderten sich die Ansichten. DaS Zentralorgan Het Volk" führte bei seiner Gründung(1899) eine besonder: Rubrik für die Frauen ein, in der vor allem auch Aufklärung über die Frauenbewegung im Ausland gegeben wurde.(Allerdings hat die Redaktion diese Rubrik im Jahre 1900 wieder fallen gelassen, in der Meinung, daß ein besserer Ausbau der«Gemischten Neuig» leiten" mehr weibliche Leser heranziehen werde.) Inzwischen hatte sich jedoch immer mehr die Ueberzeugung Bahn gebrochen, daß eine besondere Frauenpropaganda notwendig sei. weil man mit der all- gemeinen Parteiagitation nicht recht an die Frauen herankommen