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erfordern würde. Auch liehe sich die gelverbSmähige Stellen- vertnittelmig nicht wie toter Bollost ausscheiden, weil sie noch auf lange hiimnS gar nicht zu entbehren sei. Das gesetzgeberische Vor- gehen sei darauf zu beichränken, die Bedürfnisfrage zu prüfen und neue Konzessionierungsgesuche abzulehnen. Dies dürfe jedoch nur von bestimmten Voraussetzungen abhängig gemacht werden, damit nichtMißgunst ein Gewerbe lahmlege, das trotz mancher Miß- brauche ei» keineswegs überflüssiges Glied in unserem Wirtschafts- organismuS darstellt." Das fehlte gerade noch, daß den Leuten, die von der Ausbeutung der Notlage der Arbeitslosen leben. 23 Millionen Mark aus den Taschen der Steuerzahler in den Schoß geworfen würden! So viele Gründe für die Entschädigung von Arbeitern sprechen, die durch gesetzgeberische Maßnahmen brotlos werden, wie jüngst die Tabak- arbeiier, so wenig läßt sich eine Entschädigung derarbeitslos" werdenden Stellenvermittler rechtfertigen. Und wenn nur den Ver- mittler» das Handwerk gelegt werden soll, die sich neu etablieren wollen, so würden die schon existierenden gewerbsmäßigen Stellen- Vermittler dadurch gewissermaßen ein Monopol erhalten, das ihren Gewinn noch mehr erhöhen würde. Daß die gewerbsmäßigen Stellenvennittler nicht längst schon ihre Existenzberechtigung ver- loren ha'ben, liegt nur daran, daß Reich, Staat und Gemeinden usw. ihrer Pflicht zur Errichtung von vssentlichcn Arbeitsnachweisen bis- her nur in seltensten Fällen nachgekommen sind. Daß derBerl. Lokal-Anzeiger" so warm für die gewerbs- mäßigen Stellenvermittler eintritt, ist kein Wunder. Die biirger- liche Presse profitiert von den Inseraten der Stellenvermittler. Ihre Einnahmen aus den Arbeitsmarktinseraten würden durch die Errichumg von öffentlichen Arbeitsnachweisen ganz erheb- lich eingeschränkt werden._ Die Mannesmann-Angelegenheit. Wie bürgerliche Blätter berichten, wird das Auswärtige Amt der Budgetkommission des Reichstages das auf die Mannesman»- Angelegenheit bezügliche Material, das mehrere Aktenbände stark sein soll, auszugsweise in Gestalt eines Promemoria vorlegen. Zugleich wird mitgeteilt, die internationalen Verhandlungen über die Bergwerkskonzessionen in Marokko wären soweit gediehen, daß diejenigen Unternehmer, dieohne gesetzliche Grundlage" bisher schon in Marokko gearbeitet haben, in einer dem Umfange ihrer wirklichen Leistungen entsprechenden Weise bevorrechtet und neuen Konzessionären vorangehen sollen. Die Abschätzung der Leistungen und einzelnen Ansprüche auf Bevorrechtung aber soll durch ein völlig parteiloses Schiedsgericht geschehen. Aller Wahrscheinlich- keit nach wird das Schweizer Bundesgericht angegangen werden oder fein Präsident ersucht werden, ein Schiedsgericht zu bilden. Bor dieses Schiedsgericht sollen nicht nur die Ansprüche der Gebrüder Manncsmann und der Union Marocaine, sondern auch die aller anderen Unternehmen gebracht werden. Das Programm der Demokratischen Vereinigung. Auf dem ersten Parteitage der Demokratischen Vereinigung ist der Beschluß gefaßt worden, dem nächsten Parteitage den Entwurf eines Parteiprogramms vorzulegen. Mit der Ausarbeitung dieses Entwurfs ist eine Kommission beauftragt worden, die unter Vorsitz des Herrn von Gerlach getagt und ihre Arbeiten jetzt vollendet hat. Der Programmentwurs soll in der Nummer 1 des demokratischen WochenblattesDas freie Voll" veröffentlicht und dann den einzelnen Vereinen unterbreitet werden._ Mi* Unterschlagungen beim Kaiser-Alexander-Garde- Grenadier-Regiment 'hatte sich daS Kriegsgericht der II. Eardedivision in seiner letzten Sitzung zu beschäftigen. Auf der Anklagebank saß der Feld- webet Henntiig von der 0. Kompagnie. Die Anklage warf ihm vor, unter Mißbrauch seines mrlitärischenDrenst- Verhältnisses als Feldwebeldiensttuer in den Jahren 1903 und 1909 fortgesetzt Unterschlagungen verübt zu haben. Im ganzen kommen etwa 521 M. fiskalische Gelder in Betracht. Ferner wurde der An- geklagte beschuldigt, in einer ganzen Reihe von Fällen den Unter- § ebenen gegenüber seine Dienstgewalt miß- raucht zu haben. So hat er von dem Grenadier Grob in der Zeit vom Mai bis August dieses JahreS 479 Mark geliehen. Auch von einigen Einjahrig-Freiwilligen hat er sich Geldsummen in Höhe von 70,90 M. usw. ohne Berechtigung geborgt. Ohne Bor- .wissen seine? Vorgesetzten hat er auch von mehreren Untergebenen, Einjährig-Freiwilligen, einen Schreibtisch im Werte von 93 M. alö Geschenk angenommen. Die Anklage warf ihm weiter vor, durch Mißbrauch der Dienstgewalt Untergebene zur Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung, nämlich B e l ü g e n s eines Vorgesetzten auf Befragen in Dienstsachen be- stimmt zu haben. Der Angeklagte hatte mehrere Untergebene dazu zu bestimmen versucht, dem Hauptmann gegenüber anzugeben, Grob habe sein Geld wieder erhalten. Am Schluß der recht umfangreichen Anklage wurde dem H. vorgeworfen, in rechts- widriger Absicht Privat Urkunden fälschlich ange- fertigt und von ihnen zum Zwecke der Täuschung Gebrauch ge- macht zu haben. Der Angeklagte, der im großen und ganzen ge- ständig war, hatte vom März 1908 an die Kasse der 3. Kompagnie verwaltet, anfangs als Feldwebeldiensttuer, später als ctalsmäßiger Feldwebel. Der Verkehr mit Frauen brachte ihn auf die schiefe Bahn. Der Angeklagte suchte sich mit zu geringem Gehalt zu ent- schuldigen. Der Verteidiger, Rechtsanwalt Ulrich, bat um milde Be- strafung deS Angeklagten. Das Kriegsgericht erkannte auf ein Jahr drei Monate Gefängnis und sprach gleich- zeitig die Degradation sowie die Ehrenstrafe der Ver- setzung in die zweite Klasse des Soldatenstandes gegen ihn auS. Ein Menschenleben dem Paradeunfug geopfert? Aus Württemberg wird gemeldet: Im Ulanenregiment Nr. 19 diente der Schmiedegeselle Theurer, ein tüchtiger und geschickter Mann. Während das Regiment auf dem Truppenübungsplatz in M ii n- fingen war. erhielt der Vater des Theurer die telegraphische Mit- teilung, daß sein Sobn durch ein Unglück getötet worden sei. Der schwer getroffene Vater begab sich sofort zum Regiment, um zu erfahren, wie sein Sohn den Tod gefunden hat; e§ wurde ihm aber jede nähere Auskunft veriveigert und er durfte auch trotz dringender Bitte an den Gerichtsverhandlungen über daSUn- glück nicht teilnehmen. Er erhielt nur den Leichnam seines Sohnes, um ihn auf dem nächsten Kirchhof begraben zu lassen. Er.hatte ihn also von Ailingen ab auf eigene Kosten zu transportieren. Zur Beerdigung waren nur ein Unteroffizier und ein paar Mann kommandiert. Mit Mühe und Not hat man von anderer Seite er- fahre», wie sich das Unglück zugetragen hat. Danach niachte das Regiment Angriffsübnugen; bei der zweiten Attacke stiirzie das Pferd des Theurer infolge Äusgleitens auf einem Steinricgel, der Reiter wurde zu Boden getvorfen, erhob sich jedoch sofort wieder und nahm Front auf die folgenden Schwadronen. Die in Ab- ständen von zirka 30 bis 50 Scheut nackgallopierende zweite und dritte Schwadron konnten dem in höchster Lebensgefahr befindlichen Theurer durch Bildung einer Lücke ausweichen, während dies der 4. Schwadron nicht möglich war, so daß er von dieser förmlich überritten ivur de und ans der Stelle tot blieb. Jeder Mertfch mit fiiiif gesunden Sinnen muß sich hierbei fragen, warum denn die in Abständen folgenden Schwadrone» nicht sofort Holt gemacht haben, als sie sahen, daß ein Mann im Wege stand? Es iväre dringend zu wünschen, wenn die Verantwortliche Stelle gezwungen würde, sich hierüber zu äußern. Ebenso aber auch darüber, iveshalb der Verlauf des Unglücks in Eeheimakten ver­borgen blieb, sodaß nicht einmal der tief getroffene Vater darüber etwas erfahren konnte._ Oefterrncb. Die Lage in Ungarn . Budapest , 24, Dezember. Wie von authentischer Seite mitgeteilt wird, wird LukacS aus jeden Fall ein Kabinett bilden. Er wird Verhandlungen mit allen Parteien einleiten, um zu sehen, ob er im gegenwärtigen Parlament eine Majorität schaffen kann. Sollte das mchr der Fall sein, so hat LukacS vom Kaiser Vollmachten ausgestellt erhalten, d aS Parlament auf» z u l ö s e n._ Sozialistische Wahlrechtsdemonstrationen in Ungarn . Budapest , 23. Dezember. Bei Ankunft des designierten Mini st erpräsidenten Lukacs demonstrierten am Bahnhof große Scharen von Sozialisten für das allgemeine S t i m'm recht und bereiteten Lukacs eine Ovation l?). Auch vor dem Klublokal der Justhpartei fanden ähnliche Demonstrationen statt. Die Behauptung des Wolffschen Bureaus, daß die Sozialdemo- kraten dem Herrn Lukacs eine Ovation gebracht hätten, klingt etivaS absonderlich, da gleichzeitig die Meldung kommt, daß der Herr keine demokratische Wahlreform«vill. Belgien . Die unfertige SenatS-Adresie. DerPeuple " hat dem Senat einen kleinen Streich gespielt. Am selben Tage, da der Eutwurf der Adresse an den König im Senat beraten werden sollte, stand der Text schon imPeuple ". Der Berichterstatter, Senator Favercau beschwerte sich in der Sitzung bitler darüber. Der sozialistische Senator CoppieterS, Mit- glied der Adreßkommission, erklärte, den Text demPenple" gegeben zu haben. Daraus entwickelte sich eine so lärmende EiitrüstungS» szene, daß der Präsident die Sitzung aufhob, bevor die Adresse genehmigt wurde. So konnte dem Könige nur eine Adresse überreicht werden, die vom Senate gar nicht genehmigt worden war. England. Die Wahlen. Liberale Blätter beklagen lebhaft, daß hauptsächlich infolge von Keir HardieS Eigensinn" kein Abkommen getroffen werden konnte zwischen den Liberalen und der Arbeiter- Partei, deren achtundstebzig Kandidaten zwanzig liberale Mandate gefährdeten, während sechszehn weitere durch die Sozialisten ge- fährdet würden. Die Arbeiterpartei tut natürlich ihre Pflicht, wenn sie verhindert, daß die englischen Arbeiter wieder vom Liberalismus eingefangen werden. UebrigenS sind in mehreren Wahlkreisen Kandidaten zurück- gezogen worden, natürlich nicht um der schönen Augen der Liberalen willen, sondern zum Teil aus finanziellen Gründen, zum Teil auch, um den Sieg von Schutzzöllnern zu verhindern. Die ersten Wahlen werden am 15., die letzten am 23. Januar stattfinden, sodaß Mitte Februar daS Parlament zusammen- treten kann. Wahlberechtigte sind nach den Wählerlisten 7705717 vorhanden. Rußland. Spitzeloberst Knrpow. DaS schmähliche Ende des Chefs der Petersburger politischen Polizei im Spitzclquartier in der Astrachanstraße hat die Regierung in eine solche Erregung versetzt, daß selbst ihre gewohnten Ver- tuschungsversuche durch ihre Plumpheit und Ungeschicklichkeit die offiziöse Mache verraten. Ein krasses Beispiel dafür sind die Mit- teilungen, die dem Korrespondenten des«Berliner Tageblatts" von informierter Seite" gemacht worden, und die das Blatt trotz ihrer augenfälligen Widersprüche ohne Kommentare abdruckte. Oberst Karpow erscheint nach diesen Mitteilungen als Opfer einesregel- rechten Attentats" jener Fanatiker,«von denen die Regierung sich durch zwei Jahre sortdauerndes Hängen zu befreien wähnte". Der arme Oberst Karpow I Er hatte zwei Jahre lang provokatorische An- schlage angezettelt und sich dadurch solche Verdienste erworben, daß er, der noch vor einigen Jahren ein unbedeutender Gendarmerie- offizier war, dem Chef der Petersburger politischen Polizei und in- timen Freund Asews, General Geraffimow, im Anite folgte. Er trat in nahe Bcziehunden zu Asew, entfaltete eine rührige Tätigkeit und begründete unter anderem daS Spitzel- quartier in der Asirachanstraße. wo er am Tage vor der Bombenexplosion, in Begleitung seines Dieners, der sich auch als Geheiinpolizist einpuppte, als«Onkel" des Wohnungs- inhabers Woskreffensk» zog. Aber nun ist er alles nach der Darstellung von«infornnerter Seite"-- ein Opfer seiner Pflicht- treue geworden, denn sein Agent WoSkresienski erwies sich als ver- kappter Revolutionär, der nicht nur seinen Herrn und Gebieter in die Luft sprengte, sondern auch dafür Sorge trug, daß der Polizei eine iviasse Dokumente über eine weit- verzweigte revolutionäre Organisation, die be« schlössen hatte. Oberst Karpow zu töten, in dem Spitzelquartier fand! Oberst Karpow ist das Opfer seines provokatorischen Treibens geworden. Es wäre auch nicht der erste Fall, wo ein russischer Polizei- gewaltiger sich nicht bloß durch seine Agenten, sondern auch persönlich mit der Fabrikation von Bomben abgab. Wie daSVerl . Tagebl." selbst zur Zeit der Harting-Affäre feststellte, haben Exzellenz Harting und Asew, unter Heranziehung einiger Mitglieder der russischen Kolonie in Berlin Bomben fabriziert, um die Russen in ganz Europa zu kompromittieren und ihrer ZufluchlS- stätte zu berauben. Selbst wenn eS sich noch herausstellen sollte, daß Woslresiensli den Obrrst Karpow mit Absicht getötet hat, so würde das nichts an der Tatsache ändern, daß wir ein neues krasses Beispiel der schändlichen Provokationswirtschaft in Rußland vor uns haben. Pariser Meldungen bürgerlicher Blätter behaupten, daß Burzeff erkläre, der Attentäter, der eigentlich Petroff heiße, sei nur deshalb in die Dienste der Polizei getreten, um feine Kameraden an ihr zu rächen. Diese Meldungen stehen in auffallendem Gegensatz zu Meldungen, die dieselben Blätter TagS vorher über BurzessS Aeuße- rungen zur Sache brachten, so daß man diese neue Version mit Vor- ficht ausnehmen muß. Aus Petersburg kommen allerlei widersprechende Nachrichten, Eine behauptet, daß WoSkresienski den Karpow. der ihm die Ge- liebte verführte, aus Eifersucht ermordet habe. Er selbst erklärt, daß die Explosion auf einen Unglück- l i ch e n Zufall zurückzuführen sei I Es verlautet zuverlässig, der Mörder KarpowS fei in Poltawa während der Jubiläumsfeier der Poltawascblacht als Polizeiagent tätig gewesen. Zahl- reiche Verhaftungen seien dort auf seine Veranlassung erfolgt. Die Kommission der R e i ch S d u m a hat natürlich mit 18 gegen 6 Stimmen die Interpellation der Kadetten aus Anlaß der Ermordung deS Obersten Karpow abgelehnt. Die reaktionäre Mehr- heit hat die Interpellation als völlig unbegründet befunden. Selbswerstänolich I_ Vom Feldzug gegen Finnland . Petersburg, 24. Dezember. Die Konferenz der russisch- finnländtichen V e r st ä n d i g u n g S k o ni m i s s i o n ist gestern geschlossen worden, ohne zu einem Resultat ge- kommen z u sein. Es wurde den f i n n l ä n d i s ch e» Deputierten nicht eiM mal erlaubt, ihre eigene Meinung dem Pryt»tolt beizufügen, sondern eS wurde ihnen eröffnet, daß daSt letzte Sitzlingsprotokoll ihnen nach Helsingfors zur Unterschrift zugehen würde, bei welcher Gelegeuheit sie ihre Meinung beifügen kZnnten. Ohne sich Bei den finnländischen Deputierten für ihre Mitarbeit zu bedanlen, ging die Kommission auseinander. Sneckenland. Bexierfpiel. Der Kriegsmini st er, gegen besten Rücktritt der Militär­bund vor einigen Tagen lebhaft protestiert hatte, ist nun vom selben Militärbuud zur Abdankung gezwungen worven. Er stürzte über Beförderungen. Um seine Stellung zu befestigen, hatte sich der Minister den Militärbund zu verpflichten gesucht, mdem er zahlreiche Beförderungen von Offizieren vornahm. Er erzielte aber das Gegenteil des gewünschten Erfolges. Die Mehrheit deS Bundes sah in diesem Verfahren eine Beleidigung, da der Militärbund dadurch dem Verdachte ausgesetzt wurde, eigennützig zu sein. Die Un- zufriedenen begaben sich in die Staat« druckerei, zerrissen dort die bereilS gedruckten Befördcrungsdekrete und verlangten vom leitenden Ausschüsse de» Bundes die Absetzung des KriegsministerS, der daraus- hin seine Entlassung gab, Der Ministerprästdent Macromachalls übernimmt vorläufig daS Portefeuille des Kriegsministers. Hiid der Partei. Bend und die Parlamentsfraktion. Rom . 21. Dezember. iE ig. Ver.) Der Fall Ferri ist, wie schon telegraphisch berichtet wurde, in eine akut« Phase getreten. Gestern abend hielt die Partei- fraktion eine Sitzung ab, um zu diesem Falle Stellung zu nehmen, und natürlich war Genosse Ferri hierzu eingeladen worden. Ferri antwortete mit einem Brief, in dem er erklarte, er werde am 26. d. M'. seinen Wählern in dem Wahlkreiskongreß von Gonzaga Rede stehen; nach seiner Rückkehr gedächte er nicht an den FraktianSsitzungen teilzunehmen, würde aber getvisse Tatsachen zur Sprache bringen, die in den politischen und journalistischen Kreisen Roms notorisch wären. Hier spielt ferri aus seine Anschuldigungen an. die mehreren sozialistischen bgeordneten eine ausgesprochene Vorliebe für Giolittt und sein Kabinett zum Vorwurf machten. Die Fraktion unterzog FerriS Haltung einer langen und ein» gehenden Diskussion und nahm dann einstimmig di« folgende Tagesordnung an: «Die sozialistische Parlamentsfraktion konstatiert, daß in ihr die verschiedensten Ansichten über den Eintritt eines Sozia­listen in ein Mnistcrium vertreten sind, und daß diese Ansichten, wo sie die Möglichkeit dieses Eintritts in Ausführung eines Parteibeschlusses anerkennen, niemals von der Zugehörigkeit zur Fraktion ausgeschlossen haben. Die Parteifraktion erachtet aber, daß der Fall Ferri nicht unter diese Erwägungen fällt, da die jüngste Haltung FerriS rein persönlich ist und keinerlei Mitver- antwortlichkeit der Fraktion einschließt. Sie beschließt daher, seinen Austritt aus der Fraktion, den er in verschiedenen Jnter- Views zum Ausdruck gebracht und in seinem hentigen Brief be­stätigt hat, zur Kenntnis zu nehmen und hebt hervor, daß Ferri sich geweigert hat, den angeblichen Grund seines Austritts aus der Fraktion, nämlich die Giolitti-Freundlichkeit einiger sozia- listischen Abgeordneten, durch deutlich« Anschuldigungen zu be- legen und die Fraktion in Stand zu setzen, sie zu prüfen und zu bewerten. Die Fraktion erklärt schließlich, sich jeden Urteils über die politische Haltung Enrico Ferris und jeder moralischen Wertung seines Vorgehen» in der Frage Bettolo zu enthalten." DieseFrage B e t t o l o", von der im letzten Satz die Rede ist, ist den Lesevi schon zum Teil bekannt. Bettolo, der heutige Marineminister, ist derselbe, gegen den sich im Jahre 1903 die berühmten Angriff« desAvanti" richteten, die ihn der Mißwirt- sckmft und persönlicher Jnteressenpolitik in der Marinevcrwaltung beschuldigten. Damals verklagte der Admiral Bettolo Ferri wegen Beleidigung. Der Prozeß ergab viel Be- lastendes gegen Bettolo, trotzdem wurde aber Ferri, der die Verantwortung für alle Veröffentlichungen auf sich genommen hatte, zu 14 Monaten Gefängnis verurteilt. Daß Ferri, der die damalige Kampagne nicht allein führte, persönlich von Bcttolos dunkler Ehrenhaftigkeit überzeugt war. zeigte sich in der Parlamentssitzung vom 21. Mai 1903, in der Ferri dem Ex- minister zurief:Sie sind ein Schuft und ein Verschlinger von Millionen." Ueber diese Dinge sind Jahre hingegangen. Als nun. während der jüngsten Krise, von der Möglichkeit de» Eintritts des AdmiralS Bettolo die Rede war, sagte Ferri in verschiedenen Jnter- views, daß er nie an Bettolos persönlicher Ehrenhaftigkeit ge- zweifelt hätte. Er hätte damals die Verantwortung für die Ver» öffentlichungen anderer Genoffen auf sich genommen, wäre aber persönlich durchaus nicht feindlich gegen Bettolo gesinnt. Einem Kabinett Sonnino-Bettolo würde er seine Unterstützung nicht ver- weigern. Diese Haltung FerriS erscheint denen, die ihn persönlich kennen, nicht so unverständlich, wie wohl den meisten anderen. Ferri tut sich ungeheuer viel auf seine Objektivität zugute. Er hat hier wohl hauptsächlich denGerechtigkeitsakrobaten" posiert, wie er seiner- zeit, als ihn die bitterste persönliche Feindschaft von Turati trennte, sich anbot, für die Kandidatur TuratiS in Mailand zu spreche». Wir jjlauben nicht, daß für FerriS veränderte Stellung Bettolo gegenüber der Umstand ausschlaggebend war, daß dieser sich wieder der Regierung näherte. Uns scheint vielmehr, daß Ferri eine Gelegenheit suchte, um der öffentlichen Meinung Stoff zu geben, sich über seineUeberlcgenheit" und seine Objektivität zu wundern. ES dürfte wenig Menschen geben, deren Handlungen so sehr von dem Urteil der anderen beeinflußt werden, wie dies bei Ferri der Fall ist. Vieles, was der Ausfluß eines impulsiven Temperaments zu sein scheint, ist Resultat kühler Berechnung des zu erwartenden Eindrucks. Freilich hat sich Ferri in diesen Berechnungen oft ge- täuscht, wie die Hochflut der Lächerlichkeit bewies, bie ihn fort, zuspülen drohte, als er in einer ParlamentSsttzung, von der ihn die Geschäftsordnung ausgeschlossen hatte, eine Glasscheibe zerbrach und seinen mächtigen Kopf durch die Lücke schob, um ein:Nieder mit der Eamorra" in den Saal zu brüllen. Auch diesmal dürfte sich Ferri in der Wirkung seiner Haltung verrechnet haben. Aus seine Enthüllungen über den angeblichenGiolittiSmnS" einiger Genoffen der Fraktion darf man gespannt sein. Sicher hat sich Ferri sehr geschädigt, indem er sich weigerte, der Parteifraktion Rede und Antwort zu stehen und vorzog, sich vor seinen Wählern zu verantworten, was seinen eigenen Prinzipien über Partei- diSziplin zuwiderläuft. Bei der Sitzung, die über den Fall Ferri entschied, waren die folgenden Abgeordneten zugegen, die auch die Tagesordnung unter- zeichneten: Badaloni, Berenini, Beltrami, Bonomi, Bocconi , Bru- nelli, Bissolati, Cabrini, Casalini, Canepa, Chiesa, G. Ferri, Giulietti, Maneini, Montemartini , Marangoni, Morgan, Musatti, Merlani, Nofri, Pescetti , Quaglino, Rondani, Samoggia, Trapa- nese, Treves und Zerboglio. Zum preußischen Parteitag. Bom Wahlkreise E s s e n wurde der Genosse Weyer», vom Wahlkreise Bochum wurden Genosse Runge und Genossin Nemitz delegiert. poUaeMck»»«» Oertcbtticbes ufo. Kurzer Prozeß. Wegen formaler Beleidigung zweier organisierter Buchdrucker, die bei einem Streik der Buchdruckerei-HilfSarbeiter den streikbrechenden Hilfsarbeitern Vorschub geleistet hatten, wurde Genosse Sommer vom Stettiner«Volksboten" zu 30 Mark Geldstrafe verurteilt. Besonders bemerkenswert ist der Prozeß wegen deS Verfahrens, das das Schöffengericht beliebte. Es zog sich nämlich, nachdem der Beklagte einen Antrag auf Beweis- erhebung gestellt hatte, zurück und kam mit dem Beschluß, den An- trag abzulehnen, wieder. Aber auch das Urteil hatten die Richter bei dieser Gelegenheit gleich fertig- gemacht. Entgegen den klaren Aesiimmungen des Gesetzes war also dem Beklagten nicht da» letzte Wort gegeben worden.