„Ungeduldige, etwas heftige Geberde de» Kaisers" und seine Plötz- lichr Abreise brachten das Projekt aum Scheitern. Lonbet bedauert das. Er hätte gewünscht, eS möchte seiner Präsidentschaft beschieden gewesen sein, alle Schwierigkeiten zu lösen, alle Streitigkeiten zu mildern. Er hätte sie gern zu einer Apotheose des Friedens gestaltet. Das offiziöse Pariser Depeschcnbureau, die„Agence Havas" hat zwar schleunigst ein Dementi erlassen, aber das ist so gewunden gehalten, dast es eher als eine Bestätigung des Artikels des Herrn Brisson erscheint. Uebrigens gilt dieser Herr auch als ein ernsthafter Schriftsteller, dem man eine Irreführung des Publikums nicht zutraut. Es bleibt aljo wohl dabei, dast Herr Loubet sich so geäußert hat, wie Herr Brisson ihn sprechen läßt. Es erhebt sich daher die Frage, weshalb di. Begegnung des französischen und des deutschen Staatsoberhauptes im letzten Moment vereitelt wurde. Wenn Herr Loubet reckt hat, so läge eine der bc- kannten Plötzlichkeiten des persöitlichen Regiments i m Reich vor. die hier wieder einmal die auswärtige Politik anscheinend höchst ungünstig beeinflußt hätte. Es ist stets wohl zu beachten, daß die Geschichte vor der Zuspitzung der Marokko -Affäre spielt, die uns dicht an die Gefahr eines Weltkrieges führte. Deutschland und England. Die Scherlpresse meldet offiziös: Immer wieder tauchen Gerüchte von einem deutsch -eng- lischcn Abkommen über die Flottenrüstungen auf. So hatte kürzlich die Deutsch -Asiatische Korrespondenz diese Frage mit der sogenannten Lynchkonzession in Verbindung gebracht, und zwar insofern, als für die Erteilung jener Schiffahrtskonzession auf dem Euphrat und Tigris an England die Tatsache maßgebend gewesen sei, daß zwischen Deutschland und England eine Ver- ständigung über den Flottenbau erzielt worden sei. Wir hatten von dieser Meldung der Korrespondenz keine Notiz genommen, weil uns die Vcrquickung dieser beiden politischen Togesfragen unwahrscheinlich erschien. Wie wir erfahren, ist die aufgestellte Behauptung vollständig unbegründet. Das Bestreben, die Beziehungen zwischen Deutschland und"England zu bessern, ist allerdings vorhanden, jedoch ist bis jetzt kein Abkommen über die Flottenrüstungen abgeschlossen worden. Auch ist es unzutreffend, daß Deutschland von dem gesetzlich festgelegten Flottenplan abweichen will. Soll die Wendung, daß bis jetzt kein Abkommen über die Flottcnrüstungen getroffen worden sei, andeuten, daß die Möglichkeit dazu noch vorhanden ist? Die deutsche Regierung würde seit langen Jahren den ersten gescheiten Streich tun, wenn sie ein solches Abkommen einging. Das deutsche wie das englische Volk müssen auf das allerentschiedenste fordern, daß die Regierungen alles auf- bieten, um zu einer Verständigung zu gelangen, die einen immer unerträglicher werdenden Zustand beenden würde. Das„nichtkonfessionelle" Zentrum. Das Zentrum, dessen Größen vor wenigen Monaten selbst noch nicht wußten, ob ihre Partei eigentlich eine streng kon- fessionelle, eine nichtkonfessionelle oder eine interkonfessionelle Partei sei und deshalb unter der Führung der Bachem, Roeren, Bitter und Underberg einander eifrigst bekämpften, hält jetzt, nachdem sein heiliges Parteikonzil verkündet hat. daß es eine nichtkonfessionelle Partei ist, an dieser kuriosen Entscheidung wie an einem jahrbundertealten kirchlichen Dogma fest und �.klärt jeden. der an die Richtigkeit dieser erst ungefähr einen Monat alten weisen Konzil- entschcidung nicht zu glauben vermag, für schwachsinnig. Und wenn sich jemand einfallen läßt, gegen die heilige Zentrums- logik zu sündigen und aus der Zentrumswahlagttation den Rachivcis zu liefern, daß Wahlbureau und katholisches Pfarr- amt identisch sind, iveiß die Zcntrumsprefse das Blaue vom Himmel heruutcrzuflunkern zum Beweise dafür, daß Pfarrer und Kapläne ganz in der Erfüllung ihrer kirchlichen Ver- pflichftlngen aufgehen und sich um die Wahlagitation nicht mehr kümmern, als eine gewöhnliche Kuh um die Geometrie. Diese Beteuerung ihrer absoluten Nichtkonfessionalität hindert jedoch die ehrsamen ZentrumLblätter nicht, sich in ihren Darlegungen und ganz besonders in ihren Abonnements- einladungen als„k a t h o l i s ch" zu bezeichnen und vor jenen Blättern, die nicht vom Klerus als streng dogmengläubtg er- achtet werden, als„ n i ch t k a t h o l i s ch" zu warnen. So schmückt sich z. B. die„Augsburger Postzeitung" mit der Be- zeichuung:„Hervorragendste und reichhaltigste katholischeZeitung Süddeutschlands ": die„SchlesischeVolksztg." nennt sich„größte und bedeutendste katholische Zeitung im Osten Deutschlands ": die„Schlcsischen Nachrichten" bezeichnen sich als„billigste und verbreitetste katholische Tageszeitung Schlesiens": das „Neue Mannheimer Volksblatt" macht auf seinen Anzeigen- teil jeden aufmerksam; der„zu den Katholiken Mannheims und der badischen Pfalz sprechen will" usw. usw. Wenn führende Zentrumsblätter nicht nur kein Bedenken tragen, ihre konfessionelle Eigenschaft bemerken zullassen, sondern sie sogar als Empfehlung benutzen, dann beweisen sie offenbar, daß sie von der„nichtkonfessionellcn" Natur des Zentrums keine Ahnung haben._ Kapitalistische Korrektur der Weihnachtsbotschast. Die krieglüsternen»Hamburger Nachrichten", das Blatt der nach Ausdehnung des deutschen Kolonialbesitzes begehrlichen Hamburger Exporteure, Reeder und Börsenspekulanten, ist erbost darüber, daß zu Weihnachten so viel von den»„Frieden auf Erden" ge- sprachen wird. ES nimmt deshalb an der Weihnachtsbotschaft des LukaS-Evangeliums eine kleine seiner Auffassung entsprechende Korrektur vor und setzt statt»Frieden" das schönere Wort„Krieg". Mißgestimmt über die Friedensschwärmerei meint das rechts- nationalliberale Blatt: »Da trifft MoltkeS Wort viel eber das Richtige: daß der Krieg ein Element der göttlichen Weltordnung sei, ohne das die Menschheit in Stagnation geraten und verkommen würde. Gewiß ist der Krieg etwas Furchtbares, aber wer wollte leugnen, daß Umstände denkbar sind, wo er wahrhaft erlösend, etwa wie ein furchtbares Gewitter wirkt, das zwar große Schäden anrichtet, aber Loch die Luft reinigt und das freie Aufatmen wieder gestattet. Ein gerechter Krieg, vom Feinde aufgezwungen, hat die Kraft, ein ganzes Voll aufzufrischen, seine höchsten Mannes- tugenden aur herrlichsten Entfaltung zu bringen, die vielleicht in allzulanger Friedensperiode erschlafft waren, die Nation wieder mit neuer Kraft zu erfüllen und einer um so glänzenderen Zvkunst «ntgegenzuführen." Und nachdem das Hamburger Blatt auf diese Weise die Segnungen eines frifch-frei-fröhlichen Krieges gepriesen, verlangt eS, daß Deutschland seine auswärtige Politik ändert und den fremden Mächten kriegerischer gegenüber tritt: »Steht die Sache aber so, so müssen wir uns dem Ausland gegenüber einen anderen Ton angeivöhnen, als den jetzigen. Wir brauchen es natürlich nicht anzurempeln, aber noch weniger sollen wir ihm nachlaufen,«in seine Gunst werben. Wir müssen auch den Mut haben, schließlich einmal ein Risiko zu laufen. Was' wäre aus uns geworden, wenn Fürst Bismarck ein so zaghafter Politiker gewesen wäre, wie seine Nachfolger es leider sind." Nur immer drauf los— zum Wohl der heiligen Interessen des Großhandels und der Schiffahrt. Wenn auch eiuige Hundert- tausend Proletarier abgeschlachtet werden und ihre Brut betteln gehen muß— das niacht nichts, das Großkapital gewinnt. Das Ende vom Lied. Die im Laufe der Untersuchung in der Werstaffäre auf Antrag des ReichsmarineaniteS bezw. der Werftverwaltung vorgenommene Beschlagnahme deS Vermögens des beschuldigten Kaufmanns Frankeilthal in Höhe von 660 000 M. ist. wie aus Kiel gemeldet wird, aufgehoben worden. Bekanntlich erklärte noch in der Ver- Handlung vor dem Schwurgericht der Vertreter der Werft, Inten- danturasscssor Frerichs, daß der Zivilprozeß auf Zahlung von Eni- schädigung seitens der Angeklagten an den Fiskus unbeeinflußt von dem Ergebnis des Strafprozesses weitergeführt werden solle. Dies hat sich nicht bestätigt, denn die Zivilklage ist zurückgezogen ivorden, was nach den Ausführungen des Staatssekretärs v. Tirpitz im Reichstage auch zu erwarten war. Dem Fiskus sind allerdings recht er- hebliche Kosten erwachsen, da das Honorar an die Anwälte sowie die Gerichtskosten gezahlt werden mußten. Im Strafprozeß liegt die Sache ja anders, da die Kosten der öffentlichen Klage nach Fre«- sprechung der Angeklagten einfach niedergeschlagen werden. Sie ge- langten demnach auch nicht zur Berechnung, �doch sind während der Verhandlung Summen von 100 000 M. an die Zeugen und Sach- verständigen zur Auszahlung gelangt, und der gleiche Betrag wohl auch im Laufe der Untersuchung. Konflikt im Lager der Polen . Aus Beuthen , O.- Schl., wird berichtet, daß die polnischen ReichstagSabgeordnetcn Dr. Seyda und Korfanty wegen ihrer demo- kratischen Agitation und ihres feindseligen Verhaltens gegen den Abgeordneten NapieralSki in Differenzen mit der polnischen Reichstags- sraltion geraten seien. Das polnische Zentralkomitee werde, wie versichert wird, sich einer Wiederaufstellung der beiden Genannten bei der nächsten ReichStagSwahl widersetzen. Alts den bayerischen Milttärdebatten. München , 22. Dezember. In einer fast siebenstündigen Dauersitzung erledigte das Hau« noch vor den Weihnachtsferien den Militäretat. Die Kammer der Abgeordneten stand dabei fast ständig auf dem Tiefniveau eines niederbayerischen Dorfparlaments. Eine end- und inhaltlose Rederei I Stumpfsinnig verläßt der Zuhörer nach stundenlanger geistiger Mißhandlung den Sitzungssaal. lieber das Kantinen wesen wurden eine Reihe von Bc- schwerden vorgebracht. Der Kriegsminister erklärte, daß der Kantinenbetrieb nach seiner wirtschaftlichen Seite privat- betrieb ist. Nicht der FiskuS, sondern der Regimentskommandeur trage das finanzielle Risiko. Daß aus diesem Betriebe große Kapitalien— bei einem Regiment 22 000 M.— herausgewirtschaftet und angesammelt werden, könne er nicht billigen. Wichtigere Dinge schnitt der sozialdemokratische Sprecher an. Genosse v. B o l l m a r beschwert sich über den Ausschluß der Oeffentlichkeit bei den Militärgerichten, über die Art deö Verfahrens und über die manchmal unwürdige Behandlung der Rechtsanwälte. Er erzählt folgendes Stückchen aus der Praxis der Militärjustiz: Vor dem Münchcner Militärgericht erledigte sich ein Offizier seiner Vertcidigerpflicht mit dem einen Satze:„Ich bedaure, daß ich die Verteidigung dieses Menschen übernehmen muß, und t ch habe weiter nichts zu sagen." Als Unikum ist zu verzeichnen, daß auch Damen vor das militärische Ehrengericht geladen und vereidigt wurden. Von Wert und Interesse für die Oeffentlichkeit waren außerdem die Erklärungen des Kriegsministers über die Preise bei den F l e i s ch l i e f e r u n g e n für die Armee. Die mitgeteilte Statistik ergibt, baß da? Militär pro Kilo zahlt: für Ochsenfleisch 89 bis 149 Pf., für Kuhfleisch 60 bis 140 Pf.. für Kalbfleisch 100 bis 132 Pf., für Hammel- fleisch 80 bis 140 Pf., für Schweinefleisch 120 bis 146 Pf. Dabei ist nach den Angaben der Militär- Verwaltung durch schärfste Kontrolle gesorgt, daß nur beste Ware ge« liefert wird. Man vergleiche diese Preise mit denen, die von den Privatkonsumenten bezahlt werden müssen! Zur Erklärung der großen Preisdifferenz bei einer und derselben Fleischsorte gibt ein KrieaSrat seiner Ansicht dahin Ausdruck, daß»die Fleisch- lieferanten bei der Aufstellung dieser oder jener niedrigen Preise vielleicht aus idealem Interesse für die Armee gehandelt haben". Wenn ein Abgeordneter mit Humor darauf bemerkte, daß ein solcher Metzger' verdiene, in Marmor anSgehanen zu werden, so hat er ganz recht. Gleich neben dem„idealen" Metzger aber müßte auSgehauen auch der„naive" Kriegsrat stehen. Die Frage der Krankenpflege in den Militärlazaretten bot dem Zentrum Anlaß, wieder einmal in einem geradezu widerlichen Konfessionalismus zu machen. Die Regierung schlug als Pflegerinnen Schwestern vom„Roten Kreuz" vor. Das Zentrum wollte die „Barmherzigen Schwestern". Und nun wurde stundenlang in Kultur- kämpf gemacht, sodaß Genosse V. V o l l m a r mit Recht von einer „konfessionellen Besoffenheit" und„konfessionellen Drehkrankheit" reden konnte; umsomehr, als in einem Zentrumsblatt schon katholische und protestantische Garnisonen und Festungen verlangt wurden. Aus dieser Debatte klang nicht daS Wort deS WeihnochtSengelS: „Friede auf Erden"!_ Wer herrscht im Hansabund? Der GesamtauSschuß des HansabundeS für Gewerbe, Handel und Industrie, der neben dem Präsidium und Direktorium kraft Delegation der Beteiligten mitzuwirken hat an den Arbeiten deS Bundes, ist nunmehr gebildet. Er zählt mit deni Recht der Zuwahl zurzeit 4öS in Gewerbe, Handel und Industrie tätige Persönlichkeiten. Interessant ist es zu wissen, welche Schicht in diesem sogenannten „Parlament des werktätigen Bürgertums" die Oberhand hat. Auö den Kreisen der Industrie zählen wir 189 Vertreter, der Handel stellt 124 Herren, von denen ö5 dem Detailhandel angehören. Diese in Verbindung mit 75 Vertretern von Handwerk und Kleingewerbe bilden die Gesamtverttetung des Mittelstandes. Die 41 Angestellten- Vertreter find von den Angestelltenverbänden und sonstigen Bereinigungen entsandt worden._ Der Direktor des Hansavnndes. Der Mann, der bereit ist, als Direktor an die Spitze deS Hansabundes zu treten, ist nach langem Suchen gefunden worden. Wie dem„Berliner Tageblatt" mitgeteill wird, ist der Oberbürgermeister Alfred Knobloch in Blomberg der Erkorene. Als besondere Vorzüge werden an ihm gerühmt rednerische Begabung. ferner der Umstand, daß er dem Fürsten Bülow geholfen hat, die polnische Enteignungsborlage durchzudrücken. In wirtschaftlichen Fragen steht er angeblich auf dem Boden des Frei- s i n n s. in politischer Hinsicht ist er f r e i k o n s e r v a t i v. Vielleicht steht er auch noch in religiösen Dingen auf dem Stand- punlt des Zentrums, dann könnte man ihn in der Tat als ein Universalgenie bezeichnen. UebrigenS: was muß der Hansa- bund seinem Direktor Gehalt zahlen, wenn dieser sich entschließt, seine Stelle als Oberbürgermeister aufzugeben? Kommnnalwahlen in Württemberg . In Bieselsberg siegle der sozialdemokratische Wahlvorschlag. Beide Gemeiuderatsmandate. die zur Wahl standen, wurden mit Parteimitgliedern besetzt. In Jebenhausen, in LangenBurg (der Residenz des Fürsten Hohenlohe) und in Echterdingen wurde je ein Sozialdemokrat gewählt. Die Gcmeindewahlen in der Pfalz . Die Wahlen sind jetzt beendet: sie bedeuten einen mächtigen Erfolg der Sozialdemokratie. Die Zahl der sozialdemolratischen Gemeinderäte ist von 106 im Jahre 1904 auf 291 im Jahre 1909, die Zahl der Gemeinden mit sozialdemokratischen Vertretungen von 38 aus 66 angewachsen. In vier Gemeinden, Oppau, gl Hein- gönheim, Lambrecht und Buben Hausen, haben wir jetzt die absolute Mehrheit. In Lambrecht und Oppau stellte unsere Partei den Bürgermeister, in 11 Gemeinden gehört der erste Adjunkt und in 8 Gemeinden der zweite Adjunkt der sozialdemokrati- scheu Partei an. In den Geineinden uiit über 4000 Einwohnern, für die die Proporzwahl eingeführt ist, gingen unsere Parteigenossen — gemäß dem Beschluß des diesjährigen pfälzischen Gautages selbständig vor; hier sind es die Städte Frankenthal mit 10, Grünstadt mit 8, Lambsheim mit 9, M u t t e r st a d t mit 8, S ch i f f e r st a d tj mit 6, Kaiserslautern mit 13 und Pirmasens mit 11 Sozialdemokraten, deren Wahlresultate allgemein überrascht und die gehegten Erwartungeil übertroffen haben. In den Gemeinden unter 4000 Einwohnern, in denen die einfache Majoritätswahl entscheidet, ist den örtlichen Partei- konstellationen Rechnung getragen worden, insofern verschiedentlich mit anderen Parteien Kompromisse abgeschlossen und damit ein freiwilliges Proporzwahlsystem geschaffen wurde. Liberale und Zentrum habe» in verschiedenen Orten starkeWahlschlappener- halten, ebenso ist es den Bündlern ergangen, die in einigen Orten vollständig aus dem Gemeindeparlamente hinausgedrängt wurden. Unsere Gegner— besonders das Zentrum— arbeiteten mit den schofelsten Mitteln der Lüge und Verleumdung; unsere Kandidaten wurden persönlich beschimpft. Nach ReichsverbandSmanier und München - Gladbacher Art wurden die ungeheuerlichsten Schauermärchen über die kommunalpolitischen Ziele der Sozialdemokratie verbreitet, um die Wähler gruselig zu machen; wo das nicht half, wurden Bier, Wein und Knackwürste bezahlt, um die Stimmen der Arbeiter zu fangen. Dort, wo unsere Partei einen nennenswerten Einfluß hat, zogen derartige BestechungSmittel nicht; hier ist das gute Beispiel, das unsere Parteigenossen gaben, nicht ohne Einwirkung auch auf andere geblieben. Diese Tatsache wird selbst von den Gegnern anerkannt. Einen TerrortSmuS schlimmster Art üben die Bündler in einigen Orten— u. a. in Rheingönheim — aus. Aus Aerger über ihren Reinfall verkaufen sie den Sozialdemokraten keine Milch, Kartoffeln usw. Um eine praktische, erfolgreiche Tätigkeit der sozialdemokratischen Vertreter in den Gemeinden zu ermöglichen, hat der Gau- vorstand der Pfalz für den 2. und 9. Januar vier Gemeinde- vertreterkonfcrenzen anberaumt, in denen über die Auf- gaben und die praktische Betätigung in den Gemeinden gesprochen wird; weiter sind k o m m u n a l p o l i t i s ch e K u r s e für die Ge- meindevertreter geplant, in denen die praktische Nutzanwendung der Forderungen unseres Kommunalprogramms durchberaten werden Aus einem schwarzen Winkel. Der vom sozialdemokratischen Agitationskomitee für die obere Rheinprovinz herausgegebene„Volkskalender", der alljährlich im Dezember an die Landbevölkerung verteilt wird, versetzt die klerikale Presse jedesmal in sinnlose Wut. Oft schon haben die auf dem Lande verbreiteten Zentrumsblätter direkt und indirekt zur körper» lichen Mißhandlung der sozialdemokratischen Sendboten aufgefordert. Das geschieht auch jetzt wieder in der auf klerikalem Boden stehenden „Wipperfürther Zeitung". Das Blatt hatte dieser Tage zunächst ein„Rätsel" veröffentlicht, daß wie folgt lautet: „Familienväter, ratet mal, was am besten mit dem am vorigen Sonntag von der sozialdemokratischen Partei hier und in den Nachbarorten verteilten„Rheinischen BolkSkalender", wodurch Elire Angehörigen geistig vergiftet werden, geschehen kann!" Darunter stand in auf dem Kopfe stehenden Lettern: Antwort: In den Ofen werfen und verbrennen! In der Nummer daraus brachte das nämliche Blatt einen anderen Artikel über die Kalenderverbreitung, worin den„Bolksbeglückern" und„sauberen Helden" versichert wurde,„daß sie in der Gemeinde keinen einzigen Anhänger bekommen werden, sie könnten sich höchstens bei Wiederholung gleicher Affären eine Tracht Prügel holen." Mit den„gleichen Affären" meint das Blatt offenbar die Ver- breitung sozialdemokratischer Flugblätter zu der bevorstehenden Reichs» tagöersatzwahl im Kreise Mülheim 'Wipperfürth -GummerSbach . Auch in anderen Teilen des genannten Wahlkreises hat der Kampf mit „geistigen Waffen" bereits in einer Weise eingesetzt, die große Neri» kale Leistungen verspricht._ Ernst v. Mendelssohn. DaS Mitglied des preußischen HerrenhanseS Wirkl. Geb. Rat Ernst v. Mendelssohn-Barthotdy, der ftühere Chef des Bankhauses Mendelssohn u. Co., ist in der Freitaguacht in Dresden an einem Herzschlag gestorben._ Militärische Ehrbegriffe. Unter der Anklage deS groben Unfugs, der Körperverletzung und anderer Vergehen hatte sich vor der ersten Division in München der als Schreiber bei der Inspektion der Unterofsizierschule beschäftigte Vizefeldwebel Lorenz Held zu verantworten. Schon im Oktober vorigen Jahres verhandelte dasselbe Gericht gegen den Angeklagten wegen eines der gegenwärtigen Anklage sehr ähnlichen Falles. Die damalige Verhandlung ergab, daß der Angeklagte mit der Köchin Marie Zoller ein Verhältnis unterhalten hatte, aus dem zwei Kinder hervorgegangen waren. Der Zoller hatte er wiederholt die Ehe versprochen, dieses Versprechen aber nicht gehalten, vielmehr miß» handelte er sie wiederholt aufs gröblichste, spie ihr in» Gesicht, schleifte sie an den Haaren und bearbeitete sie deS öfteren mit Fäusten und Füßen. Um sich diesen brutalen Mißhandlungen für immer zu entziehen, schied die Zoller freiwillig aus dem Leben, indem sie sich im August v. I. in Gegenwart ihres vierjährigen Kindes erschoß. Aus hinterlassenen Briefen der Zoller ging hervor, daß der Angeklagte sich nicht nur der angedeuteten Mißhandlungen, sondern auch eines Mordversuches an der Verstorbenen und ihrem Kinde schuldig gemacht hatte. Obwohl daS Kriegsgericht die zur Anklage stehenden Mißhandlungen in der ersten Verhandlung für erwiesen erachtete, erkannte eS dennoch auf Freisprechung, weil kein formeller Strafantrag der Zover vorlag. Außer mit der Zoller unterhielt der Angeklagte auch mit der Kaufmannsfrau Roßberg ein intimes Verhältnis, das er nach dem Tode der Zoller fortsetzte, nachdem die Roßberg inzwischen von ihrem Manne geschieden war. Doch bald wurde ihm auch dieses Verhältnis lästig und er versuchte eS daher zu lösen. Die Roßberg, der er ebenfalls die Ehe versprochen hatte, lieh sich aber nicht so ohne weiteres abspeisen und eS kam daher in der Folge zu wüsten Austritten zwischen den beiden, in deren Verlauf die Roßberg mehrfach in brutalster Weise von dem Angellagten mißhandelt wurde. Am Abend des 19. Juni d. I. verlangte der Angeklagte auf dem Jsartorplatze von der Roßberg ihren WohnungStürschlüssel, der ihm jedoch von dieser mit dem Bemerken verweigert wurde, daß sie einem so schlechten Kerl ihren Schlüssel nicht gebe. Hierüber in Wut geraten, versetzte ihr der Angeklagte mehrere Schläge ins Ge« ficht, so daß die Roßberg aus Mund und Nase blutete. Am 16. August ivollte die Stoßberg einen Straßenbahnloagen besteigen, auf dem sich � der Angeklagte bereits befand. Als.sie sich bereits mit einem Fuße aus dem Trittbrett befand, versetzte ihr der An«
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