Nr. 303.
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Berliner Volksblatt.
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Redaktion: S. 68, Lindenstrasse 69.
Fernsprecher: Amt IV, Nr. 1983.
Die amtlich enthüllte
Wahlrechtsichmach.
Um das elendeste aller Wahlsysteme in seiner ganzen Niedertracht zu beleuchten, genügt es, die nackten Zahlen der Wahlergebnisse des Jahres 1908 nach den Feststellungen des Statistischen Landesamts für Preußen wiederzugeben.
Laffen wir also diese Zahlen sprechen.
An der preußischen Landtagswahl im Jahre 1908 beteiligten sich 2 525 600 Urwähler. Bei 2215 961 Urwählern konnte die Parteiangehörigkeit festgestellt werden, während bei 309 639 Urwählern, gleich 12,26 Proz. der Gesamtheit, die politische Zugehörigkeit nicht
ermittelt wurde.
Die folgende Tabelle zeigt nun, wie sich Urwähler und Abgeordnete auf die einzelnen Parteien verteilten:
Urwähler Abgeordnete
Sozialdemokraten
601 093
7
•
Zentrum
502 594
104
Konservative.
356 110
152
Nationalliberale.
320 751
65
227 304
19
98 498
28
63 140
60
22 225
8
15 154
-
9 092
443
Freifinnige Vereinigung Bund der Landwirte Antisemiten uſtv.
.
-
dem
In Summa 2215 961 Die Partei also, die bei weitem die meisten Stimmen aufbrachte, erhielt ganze 7 Abgeordnete von insgesamt 443 Abgeordneten! Bei einem gleichen und proportionalen Wahlrecht hätte sie 105 Abgeordnete erhalten müssen! Bei einem solchen einzig bernünftigen und gerechten Wahlrecht hatten die Freitonfervativen mit ihren 63 140 Stimmen nur 11 Abgeordnete erhalten dürfen; sie erhielten jedoch dank dem elendesten aller Wahlsysteme deren 60! Ebenso hätten die Nonservativen bei einem gleichen Wahlrecht statt der ihnen zu gefallenen 152 nur 62 Mandate erhalten dürfen!
Wie bei einem gleichen Wahlrecht nach dem Ergebnis der Landtagswahlen von 1908 die Vertretung der einzelnen Parteien hätte aussehen müssen und wie sie bei dem standalösen Wahlunrecht des Dreiklassenwahlsystems ausgesehen hat, zeigt folgende Tabelle:
Sozialdemokraten Zentrum
Konservative
Freikonservative.
Nationalliberale
Es erhielten Es mußten Abgeordnete Abgeordnete erhalten
7
105
104
88
152
62
60
11
65
56
Bolen, Dänen usw.
19
40
Freifinnige Boltspartei
Freisinnige Vereinigung
36
21
Bund der Landwirte und Antiſemiten.
2
Ju Summa 443
385
Anteil der 309 639 unklassifi zierten Urwähler
443
58 443
Mittwoch, den 29. Dezember 1909.
Bolkszeitung" spricht von einer faulen Statistit und bemerkt dann: Es gibt einen Ausdrud, um diese Art amt licher statistischer Mache gebührend zu fennzeichnen. Es handelt sich hier um einen Tiefstand politischer Wissenschaftstlitterung, wie er in gleich erschredender Weise bisher noch nicht zu Tage getreten ist.“
Expedition: S. 68, Lindenstrasse 69. Ferusprecher: Amt IV, Nr. 1984.
feinen Streit. Selbst wer die ethischen Momente, die für die Beseitigung dieser grausamen Strafdrohung sprechen, berfennt, sollte für die Straflosigkeit schon aus dem praktischen Gesichtspunkte eintreten, daß von 1000 Abtreibungsfällen nach sachverständiger Beurteilung kaum einer zur strafgerichtlichen Beurteilung kommt. Die sozialen Faktoren sind auch hier stärker als das barbarische Strafgeset.
Die Milde, die der Strafgesetzgeber hier vermissen Mit gewohnter Dreiftigkeit sagt die, Post": läßt, läßt er im nächsten Abschnitte bei der Behandlung der ,, Man wird es aber wohl nicht als ein nationales Quellberbrechen in desto größerem Maße walten. Die Unglüd ansehen können, wenn nicht 27 Prozent der Strafen" für den Duellmord sind geringer Mitglieder des Abgeordnetenhaufes Sozial- als die für Bettelei und Landstreichen. Die demokraten sind. Auch würde eine solche Zusammensetzung Begründung zu den Duellvorschriften liest sich wie ein Lobesdieser Körperschaft nicht gerade als eine Verbesserung derselben anzu- hymnus auf die deutsche" Sitte des Zweikampfes. sehen sein." Den reaktionären Höhepunkt des dritten Buches bilden
Die Kreuz Beitung" ist von dem Resultat der Statistik die§§ 240, 241 des Entwurfs, die von der Nötigung und entzudt, fie findet, daß sich das preußische Wahl recht seit vielen der Bedrohung handeln. Beide Paragraphen haben Jahren nicht mehr so hübsch vom demokratischen Standoffenbar nur den Zweck, Knebelmittel gegen die aufsteigende, punkt aus präsentiert habe. Im übrigen gibt das Junkerblatt klassenbewußte Arbeiterklasse zu sein. In der Begründung großmütig zu: steht davon freilich kein Wort. Im Gegensaße zu der OffenKein vernünftiger Mensch wird das geltende preußische Wahl- heit, die sich sonst mitunter in der Begründung bei der Verrecht für eine Art von Ideal halten. Es leidet zweifellos an einer teidigung reaktionärer Attentate findet, befleißigt sie sich hier Reihe von sogenannten Schönheitsfehlern". Es ermög- einer kaum glaublichen Heuchelei. Sie weist( S. 672) das licht zahlreiche sogenannte Wahlfuriofa", tleine tomife reattionäre Verlangen nach Einführung von Strafbestim Bufälligfeiten, wie das Wahlrecht des Ministers in der dritten und seines Boten( in einem anderen Bezirke) in der zweiten mungen gegen den Boykott und zum Schuße der ArbeitsAbteilung, von denen die Agitation bisher nahezu ausschließlich willigen und des gewerblichen Arbeitsverhältnisses in das gelebt hat, obgleich sie für den Gesamtcharakter des preußischen Strafgefeßbuch zurück und verweist derartige Wünsche auf Wahlrechts ebenso unerheblich sind wie das gelegentliche Vor- den Weg der Sondergesetzgebung. Tatsächlich jedoch finden tommen von Untraut in einem Weizenfelde." diese Wünsche in den erwähnten Paragraphen ihre vollste Be friedigung. Diese sind nichts als eine ins Ungeheuerliche ers weiterte Ausdehnung des Erpressungsparagraphen, nur noch brauchbarer gestaltet als Rampfmittel gegen den Emanzipationskampf der Arbeiterklasse. Der§ 240 lautet:
"
Die Deutsche Tageszeitung" schwingt sich in der Gewißheit, daß am Dreiklaffenwahlrecht sich nichts Wesentliches ändern wird, zu der Behauptung auf:
Wer in rechtswidriger Absicht einen anderen durch Gewalt oder Drohung zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt, wird mit Gefängnis oder Haft bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bis zu dreitausend Mark bestraft. Der Versuch ist strafbar."
Gewiß hat auch diese Statistit gezeigt, daß das preußische Wahlrecht einige Mängel hat, deren Beseitigung wünschens wert ist. Aber die Statistit hat ebenso deutlich ge Lehrt, daß diese Mängel verhältnismäßig unbedeutend sind und daß fie beseitigt werden können, ohne daß an den Grundlagen des Wahlrechts irgendwie gerüttelt zu werden braucht. Die Mängel zeigen sich fast ausschließlich oder doch hauptsächlich in den Großstädten und in den Mittelpunkten der Industrie. In den länd lichen Kreisen entspricht das Dreitlassenwahlrecht im allgemeinen der Die Unterschiede vom bisherigen Nötigungsparagraphen, sozialen Struktur der Bevölkerung. Deshalb wird es in diefen der gleichfalls die Zahl 240 trägt, find folgende: Erstens die Streifen, soweit sie noch wirklich ländliches Gepräge haben, nicht angedrohten Strafen find in ihrem Höchstmaße verdreifacht als ein Unrecht empfunden, sondern als das gegebene, das bis verfünffacht. Sodann ist die Beschränkung, daß eine strafnatürliche, das innerlich begründete Wahlrecht." bare Nötigung außer im Falle der Gewalt nur bei Bedrohung Die Privilegierten von Gnaden des Dreiklassenwahlrechts bilden mit einem Verbrechen und Vergehen vorliegt, fortgefallen. also entweder begeisterte Bertreter der Dreiflaffenschmach oder in ihrem liberalen Teil- höchstens die denkbar Iaueste Opposition!
-
Nur ein Orkan der Boltsempörung vermag das schändliche Wahlunrecht hinwegzufegen!
Der Vorentwurf zum neuen
Strafgesetzbuch.
IX.*)
"
"
"
Künftighin soll auch für den Tatbestand der Nötigung jede Drohung, z. B. diejenige mit einem Boykott oder mit einer Arbeitseinstellung genügen. Der bisherige Tatbestand der Nötigung trifft"-wie die Begründung" ( S. 673 ff.) ausführt eine Reihe der für den Bedrohten in wirtschaftlicher oder sonstiger Hinsicht schwerwiegendsten Drohungen nicht, da diese sich oft nicht unter den strafrechtlichen Tatbestand eines Verbrechens oder Vergehens bringen lassen." Auch hier ist es also wieder die in der Begründung" so oft beklagte Gefeßlichkeit der sozialdemokratischen und gewerkschaftlichen Volksverführer", die den Strafgesetzgeber zu neuen Taten zwingt. Der schon hervorgehobenen Unehrlichkeit bei der Motivierung der§§ 240, 241 entspricht es, Uebertrieben wäre die Behauptung, daß die Verfasser des fampf gegriffene, sondern die Androhung von Enthüllungen daß als Musterbeispiele des§ 240 nicht aus dem KlassenUnter dem elendesten aller Wahlsysteme brachten es Entwurfs je dem Verlangen nach neuen Strafbestimmungen und von Strafanzeigen angegeben werden. Wer die Recht 1908 die Konservativen und Freikonservativen zusammen auf 212 entgegengekommen wären. Soweit nämlich ein derartiges sprechung zum Erpressungsparagraphen kennt, wird sich durch Abgeordnetenmandate, während sie es bei einem wirklich gleichen Verlangen ein wahrhaft volkstümliches ist, hat es bei den derartige Verschleierungen nicht über die wahre Natur des Wahlrecht selbst unter der Geißel der öffentlichen Ab- Vätern des Entwurfs taube Ohren gefunden. So wird das neuen Nötigungsparagraphen hinwegtäuschen lassen. Ebenso stimmung nur auf 73 Mandate gebracht haben würden! Dagegen Verlangen nach einer wirksamen Strafbestimmung wenig dadurch, daß eine rechtswidrige Absicht" des Täters würden Sozialdemokraten und Freisinnige zusammen gegen den Mißbrauch der Amtsgemalt mit einer verlangt wird. Wie das Reichsgericht schon zu ungezählten statt 43 Mandate deren 126 erhalten haben! eleganten Geste als untunlich" beiseite geschoben. Was Malen erkannt hat, daß ein rechtswidriger VermögensKonservative und Zentrum zusammen würden macht es, daß allgemein im Volfe eine derartige Bestimmung vorteil" im Sinne des Erpressungsparagraphen ein jeder nur 161 Mandate erhalten haben, während Sozialdemokraten, als sehr„ tunlich" empfunden wird? Kategorisch wird er Vermögensvorteil sei, auf den der Täter feinen rechtlich be Freisinnige und Nationalliberale 192 Mandate auf flärt:" Für eine derartige allgemeine Strafbestimmung be- gründeten Anspruch hat, so wird es auch als rechtswidrige fich vereinigt hätten! steht kein Bedürfnis."( S. 617.) Ein Blick in unsere Zeitungen Absicht jede Absicht ansehen, auf deren Verwirklichung ein Alle diese Zahlen charakterifleren das elendefte aller Wahl- lehrt fast auf jeder Seite das Gegenteil. Der Entwurf be- Rechtstitel im bürgerlichen Rechte nicht gegeben ist. Und da fysteme! Sie zeigen zugleich, daß das gleiche Wahlrecht das genügt sich jedoch nicht mit der Ablehnung der allseitig ge- unser Zivilrecht ein Recht des Arbeiters auf anständigen Lohn einzige, aber auch aber auch absolut sichere Mittel wäre, die forderten allgemeinen Strafbestimmung gegen den Amts- und anständige Arbeitsbedingungen nicht anerkennt, wird fonserbatib tleritale Mehrheit zu brechen! mißbrauch, sondern er geht so weit, die Abschaffung des fich seine auf Erringung solcher gerichtete Absicht" für den ießigen§ 339 vorzuschlagen, wonach Beamte, die bürgerlichen Richter stets als eine rechtswidrige" charakteridurch Mißbrauch ihrer Amtsgewalt jemanden zu einer Hand- fieren. Die Rechtsprechung zum Erpressungsparagraphen lung, Duldung oder Unterlassung widerrechtlich nötigen, mit zeigt auch, daß die Unternehmer von einer solchen Judikatur Gefängnis bestraft werden. Selbst dieser geringfügige für sich nichts zu fürchten haben. Um so mehr, als ihnen jetzt Schutz gegen Beamtenwillkür geht dem Entwurfe zu weit. durch die Bestimmung über die besonders leichten Fälle" ein Die Auslaffungen der bürgerlichen Preffe bieten bis jetzt angeblich ist er durch die vorgeschlagenen Bestimmungen neues Mittel, einer ernsthaften Bestrafung zu entschlüpfen, nur eine höchst dürftige Ausbeute. Der Freifinn hat über die nötigung entbehrlich geworden. Es soll also dafür geboten ist. Ueber das Verhältnis des Nötigungsparagraphen nicht viel zu sagen, der Nationalliberalismus hüllt sich gesorgt werden, daß der Mißbrauch der Amts zum Erpressungsparagraphen wird noch gelegentlich der Er. erst recht in diplomatisches Echweigen, und das Zentrum gar gewalt fünftighin noch weniger riskant ist örterung des lettgenannten Paragraphen zu sprechen sein. tut so, als ob es sich statt um die Wahlreform in Preußen um eine als bisher. um um eine Wahlrechtsänderung auf dem Mars oder Sirius handelte! Das dritte Buch des besonderen Teils handelt von den seiner Gefährlichkeit gegen Was will jedoch der Nötigungsparagraph trotz aller Wenn also die sozialdemokratische Aktion die bürger- Berbrechen und Bergehen gegen die Person." brohungsparagraphen(§ 241) besagen!§ 241 den vorgeschlagenen Belichen Parteien, die angeblich gleichfalls für das allgemeine Gleich im ersten Abschnitte dieses Buches wird der kulturell lautet: und gleiche Wahlrecht eintreten, nicht auf die Beine bringt, wird die vorgeschrittene Teil der Nation durch die Beibehaltung Klassenbewußte Arbeiterschaft auch in dem Wahlrechtskampf 1910 völlig isoliert sein!
Versagt also der Liberalismus im Wahlrechtskampf, so trägt er ganz allein die Schuld daran, wenn auch fernerhin Junker und Pfaffen in Preußen das Heft in Händen behalten!
gegeben:
Von den Preßäußerungen seien die folgenden wieder Das Berliner Tageblatt" bezeichnet das törichte Gerede, wonach man ohne diese Staliftit nicht an eine Aenderung bes Wahlrechts hätte gehen können, ale um bug. Die Berliner !
der Todesstrafe und der Strafbarkeit der Ab. im Entwurf ist bereits gesprochen. Ueber die Beseitigung treibung brüskiert. Ueber die Regelung der Todesstrafe der Abtreibungsstrafe gibt es bei einsichtigen Beurteilern
"
Wer durch gefährliche Drohung einen anderen in seinem Frieden stört, wird mit Gefängnis oder Haft bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bis zu eintausend Mark bestraft."
Wie man sieht, ist hier der objektive Tatbestand nichts, der böse Dolus alles! Aus der bisherigen Bedrohung mit
*), Bergl. Nr. 265, 270, 272, 280, 282, 287, 291, 299 des Vorw.". l einem Verbrechen" ist der Kautschukbegriff der gefährlichen
"