ilr.303. 26. Iahrgevz. 1. KilM drs Jotmiiils" ßttlintt Mstlalt Mtlwoch. 29. pfimtiti 1909. Stelnberfls Schlinge. Herr AdolfSteinberg, der„Krawatte nakademie- Direktor", darf von sich sagen, dah er die O e f f e n t l i ch k e i t n i ch t s ch e u t. So erklärte er am Dienstag vor dem Amts- gericht Berlin-Mitte, wo er wieder mal i n d e r R o lle eines Klägers auftrat. Diesmal hatte er eine Witwe Chilewska bor Gericht g* schleppt, weil sie ihn beleidigt habe. Die Beklagte fertigt Krawatten an und beschäftigt auch selber Arbeiterinnen mit Krawatteir näheret. Zu zwei Personen, die sich ihr als Krawattennäherinnen und frühere Schülerinnen Steinbergs vorstellten und um Beschäftigung baten, soll sie Aeuberunge» getan haben, die Herrn St kr'änkten. Frau Ch. soll über ihn gesagt haben, er verstehe selber überhaupt keine Krawatte zu machen, er sei ein alter verschwindclter Jude, und ähnliches mehr. Vor Gericht gab die Beklagte nur im allgemeinen zu, sich scharf über St. geäußert zu haben. Sie sei aber dazu provoziert worden durch die eine der angeblich bei ihr Arbeit suchenden Personen, die in Wirklichkeit Herrn�St.s Gattin gewesen sei und selber ihn schlecht gcnrach habe. Der Vorsitzende Amtsgerichtsrat Wollner ging zunächst aus diese überraschende Mitteilung als„unverständliches Zeug" nicht ein Er machte die Beklagte von vornherein darauf aufmerksam, daß die Schimpfworte unter allen Umständen beleidigend seien und sie daher bestraft werden müsse, selbst wenn sie für ihre Beschuldigungen gegen St. den Wahrheitsbeweis führen könne. Wie wolle sie übrigens, fragte er, den Beweis erbringen, daß St.„verschwindelt" sei. Frau Ch. bot das Zeugnis früherer Schülerinnen St'S. an, die bei ihm nichts gelernt hätten. Sie sollte lieber ihre Aeußerungen zurücknehmen, riet der Vorsitzende. Der Kläger Herr Steinberg erzählte, Frau Ch. selber habe doch schon Arbeiterinnen von ihm gehabt. Jetzt behaupte sie, bei ihm werde nichts gelernt. Aber er wisse es ja, dahinter stecke nur wieder der„Vorwärts". Im Zuhörerraum sehe man zwei Mann vom„Vorwärts" und auch unter den geladenen Zeugen sei ein„Vorwärts"-Redakteur. Dabei sei dock erst vor einiger Zeit der„Vorwärts"- Redakteur Davidsohn wegen Beleidigung Stein- bergs zu 150 M. Geldstrafe verurteilt worden und obenein zu 300 M. Buße, die freilich noch nicht bezahlt worden seien. So eiferte Herr St. Seinem Rcdc fluß wehrte schließlich der Vorsitzende, aber der Schwatz über den„Vorwärts" hatte doch die beabsichtigte Wirkung. Als dem Vorsitzenden auf seine Frage an Frau Ch., ob sie„von irgend- welchen Leuten vorgeschoben" worden sei, mit einem glatten„Nein" geantwortet wurde, bemerkte er:„Na, ich wundere mich nur. daß man hierher kommt, zu so einem Fall, der für die Oeffemlichkeit gar keine Interesse hat". Herr Stcinberg. der gegen- über Gerichtsvorsitzenden ein viel besserer Menschenkenner ist, als sie cS gegenüber ihm zu sein scheinen, durste dann noch mehrfach auf den„Vorwärts" zurückkommen. Immer wieder wies er auf den zu erwartenden.Vorwärts"-Bericht hin, und auch der Herr Borsitzende wiederholte noch mehrfach seine Aeußerung des Staunens darüber, daß der„Vorwärts" dieser Sache ein so großes Interesse für die Oeffentlichkeit beimesse. Es ist wohl nicht nötig, Herrn AmtSgerichtSrat Wollner an dieser Stelle die gewünschte Aufklärung zu geben. Er dürste im Laufe der Verhandlung zuletzt selber erkannt haben, daß Herrn Steinbergs Geschäftsbetrieb in der Tat von sehr erheblichem Interesse für die Oeffentlichkeit ist. Rur das wollen wir hier konstatieren, daß wir, die wir„hinter Frau Ch. stehen" sollen. von ihrer Existenz erst Kenntnis er- hatten haben, als St. längst seine Klage gegen sie an- gestrengt hatte. Einer Korrektor bedarf auch die Be hauptung, daß der„Vorwärts"-Redakteur Genosse Davidsohn die Buße von 300 Mark, die St. als Zugabe für sein eigenes Portemonnaie erstritten hatte,„noch nicht bezahlt" habe. zahlt ist sie selbstverständlich längst, aber allerdings nicht an St. und zwar deshalb nicht an ihn, weil Gläubiger von ihm auf die frohe Botschaft hin, baß ihm 300 M. bar Geld winkten, dieses Geld in Höhe des mehrfachen Betrages auf Grund ausgeklagter Forderungeu im Pfändungsverfahren mit Beschlag belegten, sodaß es an s i e ausgezahlt werden mußte. Das stellte am Dienstag unser Genosse HanS Weber fest, der als Zeuge geladen war. Doch zurück zu der Klage gegen Frau Chilewska l Die vom Vorsitzenden angebahnten Vergleichsverhandlungen scheiterten, weil Frau Ch. nichts zurücknehmen wollte. Die Beklagte wiederholte, daß kleines Feuilleton. Die Wiedererweckung von Babylon. Einer der großzügigsten Köpfe unter den Ingenieuren der Gegenwart ist William Willcocks , der mit dem gewaltigen Plan der Stauwerke am unteren Nil eine Leistung vollbracht hat, die unter den öffentlichen Arbeiten aller Zeiten eine ruhmreiche Stellung zu erhalten verdient und selbst im Lande der Pyramiden als ein ebenbürtiges Weltwunder den Schöpfungen der alten Aegypter an die Seite gesetzt werden kann. Ilm nichts geringer sind die Pläne,»nit denen sich dieser Mann seit Jahren für die Wiedererweckung des alten Babylon trägt. Dieses Ziel ist dahin, zu verstehen, daß die Bewässerungs- werke, die das Gebiet von Mesopotamien im Altertum zu einem der blühendsten und mächtigsten Reiche der Erde machten, wieder hergestellt werden und dem Lande damit seine alte Fruchtbarkeit zurückgeben sollen. Jetzt scheint wirklich der Plan der Verwirklichung etwas näher gerückt zu sein, denn nach der Mitteilung von Willcocks an die Londoner Geographische Gesellschaft hat die neue türkische Regierung bereits den Auftrag gegeben, Ingenieure und Vermesiungs- beamte zur Untersuchung der Flüste und Kanäle im Delta des Euphrat und Tigris anzuwerben und Projekte für die Neubesiedelung des Landes auszuarbeiten. Nach dem Vorschlage von Willcocks sollen die überschüssigen Wasser des Euphrat in die Niederungen des alten Pison, des ersten der vier Flüsse der Genesis, geleitet werden. Für die Ausführung würde nach dem Voranschlag ein Kapital von 7 Millionen Mark und die Zeit von drei Jahren genügen. Damit könnte das Kulturland längs des Euphrat der Fläche nach verdoppelt, dem Ertrage nach verdreifacht werden. Heute scheuen sich die Bewohner, den unsicheren Versuch mit der AuSsaat zu Ivagen, weil sie nach der Erfahrung ungefähr jedes dritte Jahr auf eine Mißernte rechnen müssen. Wenn Noah Wasserbauingenieur gewesen wäre, meint Willcocks, so würde er eine derartige Anlage gemacht haben, statt eine Arche zu baue», und auf diese Weise würde er nicht nur sich und seine Familie, sondern sein ganzes Land vor der Sündflut gerettet haben. Zunächst wird jetzt ein großer Kanal mitten durch daS Delta beabsichtigt, der etwa l'/z Millionen Hektar des besten Landes in Meso- potamien würde bewässern können. Dieser Boden würde jährlich 1 Million Tonnen Weizen und 2 Millionen Zentner Baumwolle liefern. Selbstverständlich werden diese Pläne in Beziehung gesetzt zu dem projektierten Ausbau der Bagdad- bahn . Willcocks hat als Engländer die Meinung, daß eine Eisen- bahn nötig wäre, die von Bagdad auf dem kürzesten Wege zum Mittelmeer und dementsprechend über Damaskus an die Küste von Tyrus und Sidon führen müßte. Diese allein würde außerdem die Hauptstraße für den persischen Handel und auch für die Mekkapilger bilden. Schließlich gibt Willcocks seiner Begeisterung für den großen Plan in den Worten Ausdruck:„In seiner langen vieltausendjährigen Geschichte ist Babylonien wiederholt zusammengesunken, aber es hat sich immer wieder mit einer Tatkraft und Zähigkeit erhoben, die der Vollständigkeit und Plötzlichkeit des Verfalls ebenbürtig war. Babylonien hat niemals die Hoffnungen derer getäuscht, die Frau Steinberg selber unter der Maske einer Arbeit suchenden Krawatten näherin zu ihr gekoinmen sei und aus St. geschimpft habe.„Die eigene Frau I?" rief un- gläubig der Vorsitzende; das sei doch gar nicht möglich. Jawohl, versicherte Frau Eh.. Frau St. habe als angebliche Arbeiterin ihr sogar vorgejammert, daß sie nun schon Ii Tage umherlaufe und keine Arbeit bekommen könne, weil sie bei St. gelernt habe. Da habe dann auch sie zustimmend gesagt, daß man bei St. nichts lerne. In der Beweisaufnahme bekundete ein Frl. Hedwig Rogolz, sie sei mit S t.'s Kontorfräulein zu Frau Ch. gegangen. „Weil wir schon gehört hatten, daß Frau Eh. derartige Aeußerungen getan hatte, wollten wir sie überführen. Wir sagten, wir kämen von Steinberg und bäten um Arbeit, da sagte Frau Ch.: Stcinberg versieht sa selber keine Krawatte zu machen, das ist ja doch alles Schwindel I" Den Ausdruck„verschwindelter alter Jude" habe Frau Ch. nicht gebraucht, sie habe aber behauptet, seine Dankschreiben seien Schwindel, die schreibe er sich selber. Hierzu erklärte die Be- klagte, sie habe gesagt, Arbeit könne sie nicht geben, darauf habe das Fräulein entrüstet geklagt, daß sie so viel Honorar ausgegeben habe und nun keine Arbeit bekommen könne. Als Zeugin wurde auch Frau Gertrud Sternberg vernommen. Sie war gleichfalls bei Frau Ch. gewesen, ihrer Meinung nach an demselben Tage, aber zu anderer Stunde und zwar schon vor Frl. Rogolz. Sie habe gehört, daß Frau Ch. zu Arbeitsuchenden sich über St. beleidigend geäußert habe, das habe sie feststellen wollen. Frau Ch. habe früher Arbeiterinnen von St. genommen. Wenn eine Arbeitsstube durch Annonce Arbeiterinnen suche, melde sich St. und erbiete sich zur Beschaffung der Arbeite- rinnen. DaS habe er auch bei Frau Ch. getan, und sie sei darauf eingegangen. Damen, die nichts verstanden, seien wohl solche gewesen, die eben erst 14 Tage gelernt hatten. St. schickte diese ja auch nicht als perfekte Arbeiterinnen, sondern als Vorarbeiterinnen. Als Arbeiterin, die bei St. gelernt habe, sei auch sie zu Frau Ch. gegangen. Frau Ch. habe ihr gesagt:„Von diesem verschwindelten alten Juden kommen Sie? Da lernen Sie nichts, der nimmt den Leuten nur das Geld ab." Sie, die Zeugin, habe sich nicht zu erkennen gegeben, sie habe horchen wollen, ob Frau Ch. noch mehr beleidigende Aeußerungen tun würde. Sie selber, Frau St. habe bemerkt, auch sie habe so und so lange bei St. gelernt und sie sei doch einigermaßen mit der Arbeit zu- frieden. Demgegenüber behauptete die Beklagte:„Frau S t. sagte, seit zwei Wochen suche sie Arbeit, man Hab« sie ausgelacht." Vorsitzender:„Haben Sie das gesagt?" Frau Steinberg:„Ja, nachdem sie so gesprochen hatte." Vorsitzender (zur Zeugin):„Aber dann haben Sie doch provoziert I" Es folgte die Vernehmung unseres Genossen Weber, der be- künden sollte, welche Erfahrungen er als„V o r w ä rtS"- R e d a k- teur über Steinberg gesammelt habe. Er schilderte, wie der„Vor- wärts"-Redaktion von Frauen und Mädchen immer wieder die Klage vorgetragen worden sei. daß sie sich durch St. geschädigt fühlten, weil sie in ArbeitSsluben keine Arbeit fänden und geradezu nochmal lernen müßten. Auf des Vorsitzenden Frage, seit wann die Animosität des„Vorwärts" gegen St. bestehe, und auf die noch der- wunderlichere andere Frage, weshalb über diese dieOeffentlichkeit nicht interessierende Verhandlung berichtet werden solle, antwortete Weber, von Animosität könne keine Rede sein, aber die„Vorwärts" Redaklion halte es allerdings für ihre Pflicht, den Be schwerden über vermeinten Schwindel nachzu gehen und womöglich Aufklärung herbeizuführen. Warum man denn da nicht, fragte der Vorsitzende, es mit einer Anzeige bei der Staatsanwaltschaft versuche. Weber:„Mir ist mal bei einer Ver- uehmung geradezu gesagt worden, der„Vorwärts" solle die ihm zu Ohren kommenden Schwindeleien zur Kenntnis der Oeffentlichkeit bringen". Vors.:„Der Erfolg ist—" Weber:«— daß wir ver urteilt werden". Vors.:,— daß wir hier solche Prozesse haben" Zu dem Vorschlag, den Staatsanwalt mobil zu machen, äußerte sich dann auch Herr Steinberg. Das sei ja "chon geschehen, erst wieder vor anderthalb bis zwei Jahren, da eien 30 Zeugen des„Vorwärts" vernommen worden, aber St. ei freigesprochen worden.(Erst wieder vor anderthalb bis zwei Jahren I? Und 30 Zeugen des„Vorwärts" I? Was kann der Herr da meinen? Red. des„Vorwärts".)„Ich empfehle Ihnen, Herr Steinberg", mahnte schließlich der Vorsitzende,„machen Sie aus der Sache keine große Geschichte". Wenn seine eigene Frau provoziert habe, so sei das doch nicht unerheblich für das Strafmatz. Und wenn Anklageerhebung gegen ihn herbeigeführt und die Beschuldigungen bewiesen würden, sei auch das von großer Bedeutung. Herr St. erklärte jetzt, um Frau Ch. sei es ihm gar nicht zu tun. Der„Vorwärts" st ecke dahinter, wieder- eine Hebung angestrebt haben. Jetzt scheint wieder die Zeit für neseS so lange im Sande versimlen gewesene Land gekommen zu ein, die eS aus ihrem Staub erheben und von neuem an die Seite eines alten Nebenbuhlers Aegypten setzen wird. Babylonien wird wiederum seine weiten Ländereien bewohnt und seine Wüsten er- blühen sehen gleich einer Rose." Lucrez und Darwin . Der hervorragende englische Geologe Professor Judd erzählte in einem Ende November gehaltenen Vor- trag über Geologie und EntWickelung ein hübsches Erlebnis, das an eine Begegnung mit dem berühmten Kritiker Matthew Arnold anknüpft. Dieser sagte einmal halb scherzhast zu ihm:„Ich ver- tehe gar nicht, was Ihr gelehrten Leute so viel Gerede über Darwin macht, das hat doch schon alles im alten LucretiuS gestanden". Professor Judd antwortete darauf:„Ja, Lucretius hat das erraten, was Darwin bewiesen hat". Darauf Arnold mit verstelltem Ernst: „O, aber das zeigt nur, ein wieviel größerer Mann Lucretius war, wenn er unmittelbar eine Wahrheit ahnen konnte, während Darwin ein Leben voll Arbeit dansit verbrachte, um ihrer habhaft zu werden." Prof. Judd erwähnte im Anschluß daran, daß keine Wissenschaft den Amateuren so viel zu danken habe wie die Geologie. Es sei noch in Erinnerung gebracht, daß die angezogenen Lehre» von Lucretius in dessen großem Gedicht über die Natur der Dinge enthalten sind. UebrigenS endete dieser römische Klassiker schon im Alter von 41 Jahren durch Selbstmord. Humor und Satire. Des preußischen Wähler? Gebet. Die Erzbischöfe von Canterbury und Jork haben ein offizielles Gebet für die englische Wahlperiode ausgearbeitet, das mit den Worten beginnt:„Gnädigster Gott, in Demut erflehen wir für alle Wähler von Mitgliedern des Parlaments, daß sie dessen eingedenk, daß ihr Wahlrecht von Dir ihnen anvertraut ist, treu und weise ihre Wahl aus geeignete Personen lenken..." usw. Diesem Beispiel nacheifernd, haben sich nunmehr auch die blau- chwarzen Kapläne Preußens entschlossen, ein allgemeines Wahlgebet anzuordnen. Es soll lauten: „Lieber Galt, erhalte uns das schon von Bismarck so genannte „elendeste aller Wahlsysteme", lasse eS zu hohen Jahren kommen und verweigere der Thronrede, die das Gegenteil ankündigt, Deinen Beistand. Stärke den Reichskanzler mit Deiner Gnade, daß er frei- mütig vor seinen König hintrete und ihm bekenne, niemand anderem Gehorsam zu schulden, als uns, die wir ihm gebieten, die köuig- lichen Worte zu vergessen und für ungesprochen zu erachten. Alle die Zeitungen, die sich für eine Modernisierung des Wahlrechts ein- etzen, wolle in Deiner Huld mit Druckfehlern, falschen Nachrichten. Abonnentcnschwund und Jnseratendürre schlagen. Strafe die Agitatoren, die nicht auf dem Boden der„Germania" und der„Kreuz zeitung " stehen, mit allen Strafen des Himmels. Uns aber, die wir festhalren am alten Wahlrecht, uns verleihe den Sieg, auf daß wir die blau-schwarzen Kammerspiele fortsetzen können bis ans Ende der Welt. Amen l"(„Lustige Blätter".)- holte er dreist; aber geschäftlichen Nachteil habe er von solchen Angriffen des„Vorwärts" ja doch nicht. Weber erwiderte, in jener Beleidigungsklage gegen Davidsohn sei Steinbergs Anspruch auf Buße gerade mit der angeblichen Schädigung begründet worden. Den überschäumenden Eifer des zuletzt nervös werdenden Herrn St. mußte der Vorsitzende dämpfen:„Ein bißchen mehr juristische Kenntnisse sich anzueignen, würde ich Ihnen, Herr Steinberg, doch empfehlen, da Sie uns recht häufig beschäftigen." Der Verteidiger der Beklagten , Rechtsanwalt Siegbert L o e w y, bat, zu berücksichtigen, daß Frau Ch. auf Grund von Er- fahrungen zu der Ansicht gelaugt sei, St.'s Geschäftsgebaren sei'bc- trügerisch und daß sie durch Lockfpitzelei dazu verleitet wurde, das in derber Form zu sagen. Der Kläger Stein berg versicherte, in seiner Krawattenakademie erfülle er, was er verspreche. Bleibe Frau Ch. dabei, daß er ein Schwindler sei, so bitte er zu vertagen, damit er durch weitere Zeugen das Gegenteil beweisen könne. Er habe die Oeffentlichkeit nicht zu scheuen, man solle ihn nur bei der Staatsanwaltschaft anzeigen. Das bezeichnete dann auch der Verteidiger als wünschenswert. Daraufhin kam das Gericht zu dem Beschluß, zu vertagen, damit die angebotenen Beweise erbracht werden können; im übrigen sei das Verfahren auszusetzen bis zur Erledigung einer bei der Staatsanwaltschaft binnen Monatsfrist einzureichenden Strafanzeige gegen Stein berg wegen Betruges im Sinne der hier aufgestellten Behauptungen. Es wird hierbei besonders darauf ankommen, daß auch solche Personen sich bei dem Verteidiger(Rechtsanwalt Siegbert Loewy, Berlin , Kaiser Wilhelmstr. 18 E.) melden, die noch in letzter Zeit bei Steinberg Unterricht genommen haben und sich etwa geschädigt fühlen. Hua Induftm und Handel. Die HaushaltSkosten im Jahre 1909. Wie die Bewegung der Nahrungsmittelpreise im Jahre 190S auf den Haushalt einwirkte und die Kosten der Ernährung bc- einflußte, das ersehen wir, wenn wir für 60 Plätze Preußens auf Grund der VerpflegungSration des deutschen Marinesoldaten den wöchentlichen NahrungS mittelan f wand für eine vier- köpfige Familie in der Weise berechnen, daß unter Reduzierung von zwei Kindern auf eine Person das Dreifache der Nvrmalration des Marinesoldaten angesetzt wird. In den einzelnen Monaten des Jahres 1909 gestaltete sich der Nahrungsmittclaufwand in Mark wie folgt: Januar Februar März. April. Mai.. Juni. Standard- Gegen d. ziffer Vormonat 22,40 22,37 22,47 22,69 22,87 23,27 —0,09 +0.10 --0,12 +0,28 --0,40 Juli.. August.. September Oktober. November Standard- Ziffer . 23,07 . 23,79 . 23,74 . 23,07 . 23,49 Gegen d. Vormonat +0.40 +0,12 —0,06 —0,07 -0,18 Das wichtigste an der borstehenden Zusammenstellung ist, daß die Standardziffer im November höher st cht als zu Jahres- ansang, und zwar beträgt das Plus 1,03 M. Vergleichen wir die Januar- und Novemberpreise bei den verschiedenen Nahrungsmitteln, so finden wir, daß, von Kartoffeln ab- gesehen, die Preise sämtlicher wichtiger Nahrungsmittel in die Höhe gegangen find, denn im Durchschnitt der 60 Orte betrug der Preis für 1 Kilogramm in Mark: Rindfleisch Schweinefleisch Hammelfleisch Butter November.. 1,37 1,73 1,55 2,79 Gegen Januar+ 0,01+0,12+ 0,04+ 0,45 ©rot Wchen- Kartoffeln Erbsen fpeis-. November.. 0,31 0,39 0,07 0,38 0,39 Gegen Januar+ 0,01+ 0,04— 0,01+ 0,02+ 0,01 Ganz besonders ist der Preis für Schweinefleisch und Butter in die Höhe gegangen. In anderen größeren nicht« preußischen Städten, wie z. B. m Leipzig , Chemnitz . Dresden , Stuttgart und München sind die HauShaltslosten ebenfalls gestiegen. Notizen. — Herrn Bodes Zufälle. Eine Wiener Zeitung hat in ihrer Weihnachtsausgabe eine der beliebten Rundfragen ver- anstaltet, mit denen die Zeitungen gratis Reklame machen für sich und die Zelebritäten, die sich dazu hergeben. Es wurde das Thema: „Die Rolle des Zufalls im Leben" behandelt. Herr Bode durfte dabei nicht fehlen; er schüttete sein Herz aus: Der Zufall führte mir die Wachsbüste der Flora in den Weg; war eS Zufall, daß sich infolge des Ankaufes eine Meute von Neidern und Feinden über mich und die arme Flora stürzte? Jedenfalls ist eS mein Ver- hängnis, daß ich jetzt alle meine freie Zeit(die mir so wie so schon fehlt) diesem elenden Streite opfern muß.(Es wäre freilich viel erfreulicher gewesen, wenn Herr Bode seine freie Zeit zu einer genauen Untersuchung der Büste und ihrer Herkunft verwendet hätte. und er würde auch jetzt freie Zeit gewinnen, wenn er der Wahrheit freien Lauf ließe und die Presse mit seinei, offenen Verdächtigungen und geheimen Informationen und den Artikeln— seiner Angestellten und Schüler verschonte. — Das Ballett streikt. Montagabend gegen 11 Uhr, als in der Pariser Oper das Ballett„Coppelia" beginnen sollte, er- klärten die Mitglieder des Balletts, daß sie nur dann ihre Tätigkeit aufnehmen würden, wenn einige von ihnen aufgestellte Forde- rungen angenommen würden. Der Direktor versprach, die Wünsche wohlwollend zu prüfen, worauf nach einer Viertelstunde die Vor- 'tellung fortgesetzt wurde. — Das Tagebuch eines Bäckergesellen vom Jahre 1 76 3. Dem Museum in Harburg wurde bor einiger teit, wie wir in den„Hamb . Nachr." lesen, ein äußerst interessantes ägebuch eines Harburger Bäckergesellen zum Geschenk gemacht. Man ist erstaunt über die peinliche Sauberkeit der Schrift und die Auswahl der Zitate und Sentenzen, die darin niedergelegt sind. Von dem Tagebuchschreiber geht noch in Harburg der Spruch» „Johann Christian Reußmann in Harburg hat die ganze Welt durch- reist." Und wie wahr dieses war, ersieht man aus seinen Angaben. In einer zweijährigen Wanderschaft(von 1708—1770) hat Reußmann ast ganz Europa gesehen. Nicht weniger als 405 Städte und größere Orte hat er auf seiner Reise besucht und dabei 1300 Meilen (450 Meilen zu Wasser und 850 Meilen zu Lande) zurückgelegt. Und das alles ohne Eisenbahn und Luftschiff. — D e r P l ü n d e r e r A f r i k a S. In der letzten Sitzimg der Smithfonian Institution, des Allgemeinen wissenschaftlichen Instituts in Washington , wurden Mitteilungen gemacht über die von Roosevelt auf seinem afrikanischen Jagdzuge erbeuteten Trophäen, die alle dem Institut überwiesen werden. Bis zum 10. Dezember hatte Roose- veltS Expedition nicht weniger als 0003 Felle erbeutet, von denen die Hälfte bereits in Amerika eingetroffen ist. Die eingegangene Sammlung umfaßt bis jetzt 243 Häute großer Säugetiere, 1600 Felle kleinerer Säugetiere und 1350 Vogelbälge. Auch eine Anzahl menschlicher Schädel sind eingetroffen, die längs der Straßen ge- sammelt wurden, deren sich früher der Sklavenhandel bediente.
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