ein Wähler erster Klasse aus Sckinmm, Schroda , Vreschen oder auS Preuszisch-Holland -Mohrunqen 150 mal soviel Wahlrecht hat wie ein Berliner Wähler dritter Klasse. Weiter haben 4000 Wähler erster Klasse, von denen je einer oder zwei die ganze je- weilige Abteilung bilden, 1S0 bis 20<)mal so viel Wahlrecht, wie 700 000 Wähler dritter Klasse. Die Wahlkreisgeoinetrie allein verfälscht also schon das ganze Wahlbild. Durchschnittlich sollen auf einen Abgeordneten 17 342 Urwähler entfallen. Aber in den kleinen ländlichen Wahlkreisen kommen nur 8000, 10 000 und 12 000 Wähler auf einen Abgeordneten, in den industriellen und städtischen Be- zirken dagegen 25 000, 30 000, 40 000, 50 000, 00 000, sogar 78 000,(Hört! Hört I) nänilich in R i x d o r f- S ch ö n e- Berg. In Schrimm -Schroda dagegen kommt schon auf 7800 Wähler ein Abgeordneter. Man sieht, wie kolossal an politischer Einsicht die Proletarier Rixdorfs und das Bürgertum Schönebergs binter den Einwohnern von Schrimm-Schroda zurück- stehen. Um ein Gesamtbild zu geben, habe ich berechnet, wie viel wahlberechtigte Urwähler in den Kreisen auf jeden Abgeordneten der einzelnen Parteien fallen. Hinter den Konservativen und Frei- konservativen stehen nur 2 200 000 Urwähler, das sind 36 Proz. der gesamten Urwähler. Bei proportionaler Vertretung hätten die beiden Parteien auch nur auf 30 Proz. der Abgeordneten Anspruch, das sind 150, während sie 212 oder48Proz. der Abgeordneten tatsächlich haben. Meine Berechnung zeigt, dag hinter jedem freikonservativen Abgeord- neten 13 000 Urwähler stehen, hinter jedem konservativen 15000, hinter jedem Abgeordneten des Zentrums 19000, hinter jedem nationalliberalen 20 000, hinter jedem freisinnigen 28 000 und binter jedem der sieben sozialdemokratiichen Abgeordnete» 40 000. Also abgesehen von alle» Schikanen des Dreiilassenwahlrechts selbst haben lediglich durch die Einteilung der Wahlkreise die Konservativen doppelt soviel Wahlrecht als die Freisinnigen und dreimal soviel als die Sozialdemokraten! Für jeden, der die Augen nicht absichtlich schließt, ist es also klar, daß diese Ungerechtigkeiten nur durch eine Resort» von Grund ans beseitigt werden können, nur durch das allgemeine, gleiche Wahlrecht mit proportionaler Vertretung, das zugleich ein Wahlrecht für beide Geschlechter sein muß. Leider begegnet die Einführung eines ae- rechte» Wahlsystems großen Schwierigkeiten. Die Regie- rung defindet sich in Abhängigkeit von den Junkern und vom Groß- kapital, um auch dieses einnial hier zu erivähnen. An die Stelle des Schönredners von Biilow ist ein Philosoph getreten. Aber auch dieser Philosoph denkt nicht an die Einführung des allgemeinen gleichen Wahlrechts. ES ist vielleicht interessant, anzuführen, was Herr von Bethman» Hollweg über die Einführung des allgemeinen Wahlrechts seinerzeit gesprochen hat. Er sagte: „Das R e i ch s t a g S w a h l r e ch t ist für die Staats- regieruug unannehmbar. Wen» die. Geschichte einmal das Verdikt über das letzte Zeitalter abgeben wird, wird sie rühmend hervorheben, daß ein Grundzug unseres Zeilalters der ist. die armen Schichten der Bevölkerung in etwas erhöhtem Grade an den Segnungen der Kultur und Zivilisation teil- nehmen zu lasse»: aber sie wird uns nicht de» Tadel er- sparen können, daß wir bei diesem Bestreben in einen gewissen Konflikt von Stimmungen geraten sind. Es ist etwas durchaus Ungesundes; eS ist ein Unheil, daß wir jede politische Aktion abhangig machen von den Wirkungen, die sie auf die Sozialdemokratie ausübt. Das sollten auch diejenigen be- denken, die so ungestüm nach einem neuen Wahlrecht rufen und die sich in erster Linie als die Vertreter der modernen Entwickelung bezeichnen. Wenn die Kräfte, die in unserem Volke noch nicht erstorben sind, Kräfte, die mit unserer historischen Entwicselnng zuiannnenhängen, die sich mit Unwillen abwenden von de» Auswüchsen einer Bewegung, die schließlich alles Menschliche zu vernichten trachtet, weil ihr nichts Menschliches mehr heilig ist, weil sie keine Achtung vor den Gesetzen der Liebe und Treue zum Stamme ihres Voltes hat, vor dem gemeinsamen Herd und vor allem, was das Haus beherbergt, die nichts will als ihre Macht zu etablieren auf den Fundamenten des Hasses und TerrorismuS— nein, eS b e» stehen in unserem Volke noch Kräfte, die dieses Treibens satt sind. Und diesen Kräften wird unsere Zukunft gehören... Tie sehen, der Rede Sinn ist etwas dnnkel, man versteht nicht ohne weiteres, was der Philosoph mit seinem Kauderwelsch meint. Aber soviel geht daraus hervor, daß auch Bethmann-Hollweg ein Hort der Reaktion sein wird, und daß er sich gegen die Einführung des allgemeinen gleichen Wahlrechts mit allen Kräften sträubt. Wie anders liegen' die Dinge in Oesterreich . Dort erklärte Kaiser Franz Josef am 20. April 1000 in einer Thron- rede, die Regierung sei nicht nur verpflichtet, auf die großen Zeitströmungen zn achten, sie sei auch den Völkern verantwortlich. Durch die Wahlreform werde dem Gebote der G e r e ch t i g k'e i t entsprochen. Die österreichische Regierung konnte dies sagen, weil ja dort das allgemeine gleiche Wahlrecht eingeführt Ivurde. Nach Einführung des ällaemeinen Wahlrechts dort hieß eS in einer Thronrede vom 1. Juni 1007, die Wahlreform, die alle Staatsbürger mündig gesprochen und jedem gleichen Einfluß aus die öffentlichen Angelegenheiien eingeräumt hat, sei gegründet aus dem Vertrauen, das der Monarch in seine Völker setze. Solches Vertrauen bringt man in Oesterreich den Massen entgegen. In Preußen aber begegnet man ihnen mit feindseligem Mißtranen, in Preußen will man das Volk nicht mündig sprechen, sonder» sorgt dafür, daß die große Mehrheit in der unwürdigsten Unmündig- keit erhalten wird, daß sie nach wie vor mit geknebeltrn Händen den Junkern preisgegeben ist!(Lebhafte Zustimmung.) Ebenso feind- selig steht die große Mehrheit des Dreiklassen- wahlrechtSparlamentS den Forderungen des Volke? gegen« über. Von dem Hause der geborenen und ernannten Gesetzgeber will ich ganz abiehen, das ja selbst v. Treitschke eine„ver- dutzte und entwürdigte Versammlung" genannt worden ist. Man muß mit allen Illusionen gründlich aufräumen und feststellen, daß aus rein parlauientarischem Wege nicht nur an keine Uebertragiing des llieichötagswahlrechts ans Preußen zu denken, sondern noch nicht einmal aus eine Reform zu hoffen ist, die diesen Namen auch nur von ferne verdienen könnte Wie stehen nun die Parteien zur Wahlreform? Ich will von den Konservativen und Freikonservativen nicht erst sprechen, deren Stellung ist ja allzu bekannt. Aber auch die R a t i o» a l l i b e r a l e» und da» Zentrum sind überaus unsichere Kantonisten. Vielleicht könnte man nun meinen, auch darüber brauche nicht gesprochen zu werden. Aber ich habe doch in letzter Zeit den Eindruck erhalten, daß eS ganz gut wäre, wenn einmal darüber etwa« aussührlicher gesprochen wird. Sie werden sich erinnern, daß schon damals der„Vorwärts" auf Widerspruch gestoßen ist. als er während der letzten WahlrechtSkmnpagne statt der Wahlrechts- Politik der Bündinssehnsüchtelei und AnlehnungSbedürftigkeit die Politik des enischiedenen Klassenkampfes für geboten und für einzig erfolgverbeißend erilärt hat. Auch jetzt angesichts des bevor- stehenden Wahlrechtskampfes begegnen wir i» den„Sozialistischen Monatsheften" denselben Bedenken. Da vertritt Genosse Bernstein die Anssasstrng, daß ein Erfolg aus dem Gebiete der Wahlreform nur ourch eine„wohlüberlegte Verbindung anßerparlanientarischer mit parlamentarischer Svategie" zu erreichen sei. Im all- gemeinen läßt sich gegen diesen Satz nicht? einwenden, aber urn ko mehr im besondere». Von der parlamentarischen Strategie verspricht sich Bernstein denn doch allzn viel. Er kennzeichnet ja ganz richtig das perfide Gaukelspiel, das Rationolliberale und Zentrum im Abgeordnetenhauie getrieben haben und weiter betreiben werden, wenn nicht andere Maßregeln ergriffen werden. Die Nationalliberalen stimmen dort gegen die angeblich vom Zentrum vertretene Forderung deS gleichen Wahlrechts, dagegen fordern sie die N e u e i n t e i l u n g der Wahlkreise. Das Zkiitru», aber stellt sich entrüflet über die Ablehnung deS gleichen Wahlrechts und lehnt seinerseits die N e u e i n t e i l u n g der Wahlkreise ab. Durch dieses lieb- liche Spiel und Gegenspiel werden die Wähler um dos gleiche Wahlrecht und un, die Neueinteilung der Wahlkreise geprellt! Bernstein sagt min, diese» perfide Manöver müsse die Sozialdemokratie durch geschickte parlamentarische Strategie ver- eitel». So lange die Neneinteilung der Wahlkreise mit der Forderung des gleichen Wahlrechts verkoppelt werde, könne das Zentrum auf Absolution bei seinen Wählern rechnen. Ganz anders aber, wenn beim Zentrum die Entscheidung darüber liege, ob eine in beiden Punkten demokratische Wahlreform durchgesetzt werden soll. Gewiß, das wäre sehr hübsch, und es ist anzunehmen, daß das Zentrum eine solche Doppelsünde kaum auf sich nehmen würde. Aber wie denkt sich Bernstein das Mittel, durch das eine solche dem Zentrum ungünstige Situation herbeigeführt werden könnte? Er sagt wörtlich:„Dieser Fall träte ein in dem Moment, Ivo die Nationalliberalen ihren Antrag auf Plural- ivahlrecht aufgeben und den Antrag ihrer freisinnigen Vetler» auf Einführung des ReichStagswahlrechtes unter st ützen. Wenn die Freisinnigen es ernst meine», müssen sie ihren ganzen Einfluß auf die Nationalliberalcn aufbieten, von der Pluraiwahl- idee Abschied zu nehmen." Diese Auffassung Bernsteins erscheint mir ein wenig naiv, aber immerhin ist er noch ein arger Skeptiker gegenüber dem Genossen Maurenbrecher, den der heiße Wunsch, das Bürgertum für die Wahlrechtsreform zu engagieren, Hoffnungen zu Tatsachen werden läßt. Er schreibt:„Die Parole Reich?- tagswahlrcchl für Preußen vereinigt oder m ü ß t e vereinigen die Freisinnigen und das Zentrum und dazu wohl auch einen Teil der Nationalliberalenl Es wäre z» wünschen, daß Mnurenbrecher, aber auch Bernstein sich ein wenig vertrauter machen möchten mit den politischen Ltealitäten, bevor sie sich auf das Gebiet der Strategie begeben. Es ist gewiß auch wichtig, das Wesen eines Kreisblattes zu studieren, aber das Studium der politischen Parteien wäre wohl viel wichtiger I Ich möchte darauf aufmerksam machen, waS der Sprecher der Nationalliberalen, Abg. Friedberg, am 26. Januar 1000 bei der letzten Wahlrechtsdebatte namens der gesamten Fraktion ausgeführt hat. Er sagte: Was ihren Antrag betreffe, so besage der erste Absatz, daß das P l u r a l w a h l r e ch t zu erstreben sei.„Das haben wir i m m e r vertreten, daß nämlich eine gewisse Abstufung des Wahlrechts festgehalten werden soll, und daß wir der Uebertragung des ReichStagSwahlrechts aus Preußen durchaus abgeneigt sind. Ferner stehen wir nach wie vor auf dem Standpunkt, daß, wenn das Reich das demokratische Wahlrecht besitzt, es nötig ist, in den Einzelstaaten ein Gegengewicht zu schaffen." So sprach der Abgeordnete Dr. Friedberg, und das war die einmütige Ansicht der Nationalliberalen. Und da erwartet Bernstein vom Einfluß der Freisinnigen die Bekehrung der National- liberalen zum NeichStagswahlrccht für Preußen, wofür dann die Nationalliberalcn die Neneinteilung der Wahlkreise durch daS Zentrum erhalten sollten. Ich besürchte, daß selbst um diesen Preis die Nationalliberalen nicht für chas Reichstags- Wahlrecht zu haben wären. Dabei ist zu beachten, daß Dr. Fried- berg nicht einmal für die Gesamtheit der Nationalliberalen daS geheime Wahlrecht fordern konnte I Die Nationalliberolen werden uns also nicht den Gefallen tun, für das ReichstagSwahlrecht einzutreten, um den Widerstand des Zentrums gegen die Neueinteilung der Wahlkreise zu brechen. Damit aber erledigt sich die Strategie des Genossen Bernstein vollständig. Da« einzige Mittel um einen Druck aus das Zentruni auszuüben, ist die Aufklärung seiner Wähler über die perfide Haltung deS Zentrums. Diese Aufklärung müßte in die breitesten Zentrums- wählerkreise, speziell in die Kreise der ch r i st l i ch e n Arbeiter, hineingetragen werden. Und Bernstein irrt, wenn er glaubt, die Entlarvung der Zentrumstaktik wäre dieser Partzei nicht höchst unaiigeuehm. Daß dem so ist, zeigt daS Perhalten der fünf aus Arbeiterkreisen hervorgegangenen gentrumsabgeordneten, die es nicht wagten, gegen die Neuemteilung der Wahllreise sich zu erklären, sondern dafür stimmten. Selbswerständlick hat unsere Fraktion erklärt, daß diese Stellungnahme der fünf Zentrums- abgeordneten keineswegs ausreicht, um ihr Gewissen zu saldieren, sonder», daß sie einen Sturmlauf gegen ihre Fraktion be- ginnen und sie zwingen müßten, s ü r die Neneinteilung der Wahl- kreise en»zutrete». Der Hinweis auf diese Tatsache wird sicherlich sehr viele Zentrumswähler stutzig mache». Maurenbrecher meint, den bürgerlichen Parteien Wahlrechtsheu chelei vorzuwerfen, sei sehr mißlich. Er halte es für eine sehr„ungeschickte" Agitation, auf alle Kundgebungen nur damit zu antworten, daß man den ehrlichen Glauben der Gegner bezweifle. Damit werde man über unsere eigenen Reihen hinaus keinen Eindruck mache». Wenn man es so ungeswickt anfängt, wie Maurenbrecher es darstellt, allerdings. Aber wir bezweifeln nicht bloß den ehrlichen Glauben der Gegner, sondern erbringen auch den Beweis für die Unehrlichkeit ihrer Kampfesweise. Um nur einige Beispiele anzuführen: Ist es kein Beweis für die Heuchelei deS Zentrums in dieser Frage, daß in der preußischen Zentrumssraktion 14 Wahlrechlsgegner mit Namen aufgeführt werden können und ausgeführt worden sind, ohne daß das Zentrum etwas Stichhaltiges darauf zu antworten vermochte, wenn mästen- hast Zitate einflußreicher Zentrumspolitiker und Zentrumsblätter bei- gebracht werden können, die nicht für das allgemeine, gleiche, direkte und geheime Wahlrecht, sondern für ein ständisches Wahlrecht eintreten, wenn daS Zentrum gegen die Neueinteilung der Wahlkreise stimmt, diese erste Boraussetz nng eines wirklich gleichen Wahl- recht«, wen» daS Zentrum mit den Konservativen, den er- bittertsten Wahlrechtsfeinden, im Wahlkampfe gemeinsame Sache niacht, sich überhaupt gar nicht regt, wenn eS gilt, durch eine Volksbewegung das Dreiklassenwahl- recht zu Fall z» bringen.(Lebhafte Znstinimuiig.) Dies alles beweist jedenfalls, daß wir das Zentrum— und dasselbe gilt ja für die Frei- sinnigen— nicht„verdächligen", sondern vollgüitigesBeweis- Material über ihre zweiselhafte Stellung zum allgemeinen Wahlrecht beibringen. Gewiß wolle» wir, nni mit dem Genossen Bernstein zu reden,„keine Kraft unbenutzt" lassen, und so werden wir nnS selbstverständlich im Parlament und draußen im Lande auch der Kundgebung der Intellektuellen, der Professoren, Justizräte usw. be« dienen, die durch das„Berliner Tageblatt" veröffentlicht worden ist. Man soll aber auch die Bedeutung dieser Kundgebung nicht überschätzen, als ob es wunder welch kolossalen Eindruck auf die Wähler machen würde, wenn man ihnen die Aeußerung eines Justizrats oder Professors bringt. Viel größeren Eindruck wird es machen, wenn man ihnen mit ver- nünftigen Gründen darlegt, daß sie berechtigt sind, das allgemeine, gleiche und direkte Wahlrecht zu verlangen, daß sie und ihre ganzen sozialen, materiellen und intellektuellen Jntercsien mit dieser Forderung verkettet sind, als wenn man ihnen eine Leporello- liste von Professoren bringt. Es ist auch noch die Frage, wofür sich eigentlich diese Professoren im„Berliner Tageblatt" erklärt haben. Keineswegs für das allgemeine, gleiche, direkte und geheime Wahlrecht, sonder» für eine Wahlrechtsänderung überhaupt. Daß diese Professoren, ivenn man sie auf Herz und Niereu prüft, sehr bald gestehen würden, daß sie, w e n i g st e u s zum Teil, nicht für das allgemeine Wahlrecht sind, beweist die Erklärung des Professor Biermer in Gießen , der auch unter dem Aufruf stand: „Zum mindeste» müßten unsere liberalen Doktrinäre wissen, daß je freier das Wahlrecht umgestaltet wird, desto größer die Einbuße der Liberalen sein wird." Biermer empfiehlt deshalb eine vorsichtige Mäßigung in der Reform. Mit solchen Unterschrifteir kann man wahrhastig keinen Staat machen. Sie beweisen nicht, daß große Kreise unserer Intellektuellen mit wirklichem Mu ch d r u ck für eine d e m o- kratische Reform unseres Wahlrechts einzutreten gewillt sind. Die„National-Zeitung" bezeichnet denn auch den Gedanken eines Zusammengehens aller WahlrechlSfreunde als eine Utopie und die „Magdeburgische Zeitung", auch ein hervorraaendeö nationalliberales Blatt, wettert gegen den Gedanken eines Großblocks für da» Reich oder für Preußen. Den Großblock für das Reich nennt sie ein törichtes, höchst verwerfliches Wahngebilde. daS für sie völlig undiskutabel fei. In den letzten Tagen erst hat der nationalliberale Abg. Schmieding eine Reihe von Artikeln in der„National-Zeitung" veröffentlicht, in denen er sich al» Feind des allgemeinen und gleichen Wahlrechts bekennt, und worin er dafür eintritt, daß etwa jenes Dreiklassenwahl- recht, wie es für die Kommunen besteht, auf Preußen übertragen iverde. Er sagt: In Wirklichkeit gibt eS hier und wird es immer geben wie auch anderswo drei in der Natur begründete Gesellschaftsklassen. Von solchen Nationalliberalen können wir nicht erwarten, daß sie ernstlich für das Reichstagswahlrecht für Preußen eintreten werden. Wir dürfen uns also bei der Berechnung dessen, was wir bei einem Znsammengehen mit bürgerlichen Parteien ausrichteil können, auf lolche Faktoren nicht verlassen. Sogar ein freisinniges Blatt wie die„Weser-Ieitung" hat sich heftig gegen die Forderung des freisinnigen Einigungsprogramms geivender, das für die Einzelstaaten das ReichStagswahlrecht verlangt. Sie sagt, das hieße die Hansastädte der Sozialdemokratie ausliefern, und erklärt emphatisch:„Das kann die neue freisinnige Volts- Partei nicht wollen". Der bekannte freikonservative Scharf- inacher Freiherr von Zedlitz zog im Landtag deshalb auch mit Recht die Ehrlichkeit der freisinnigen Wahlrechtsfreunde mit beißendem Hohn in Frage, indem er erklärte:„An die Ehrlichkeit Ihrer Forderungen an das allgemeine, gleiche und geheime Wahlrecht werden wir nicht eher glauben, bis sie sich selbst entschließen, dieses Wahlrecht da ein- zuführen, wo sie selbst die Macht haben, in den Kommunen."(Sehr richtig!) Leichtgläubiger als Frhr. v. Zedlitz brauchen doch auch wir Sozialdemokralen nicht zu sein.(Sehr richtig!) AuS alledem geht hervor, daß von einem Zusammengehen mit bürgerlichen Parteien für daS allgemeine, gleiche, direkte und geheime Wahlrecht gar keine Rede sein kann. Dieser Illusion müssen wir und ein für allemal radikal entschlagen. Gewiß wird unsere kleine Fraktion im Preußischen Landtag auch mit eifrigem Benuiheii der parlamentarischen Strategie obzuliegen versuchen, so viel oder so wenig Talent sie dafür hat, aber wir dürfen niemals glauben, daß wir dadurch besonders viel auszurichteu vermögen. Die Partei wird sich vielmehr einzig ans die Agitation draußen im Lande unter den Massen selbst verlassen dürfen. Es gilt eine Volksbewegung größten Stil? auf den Plan zu rufen, sonst werden die Entrechteten kläglich geäfft und betrogen werden.(LebH. Beifall.) Und was noch schlimmer ist, wir s e l b st würden uns die Schuld daran zuzuschreiben haben, daß das Volk so betrogen wird. Selbst die Freisinnigen haben ja immer wieder der Regierung zu verstehen gegeben, daß sie zwar das allgemeine gleiche Wahlrecht fordern, aber nicht unbedingt an ihm festhalte», sondern auch mit einer Abschlagszahlung zufrieden sein werden. Die Herren erklären: Wir können nicht erwarten, daß nun mit einem Male dies elendeste aller Wahlsysteme durch das Reichstags- Wahlrecht ersetzt werde. Ich möchte wissen, warum wir daS nicht erwarten, warum wir das nicht fordern können I Etwa deshalb, weil wir jetzt schon mehr als 60 Jahre lang das elendeste aller Wahlsysteme besitzen. Ich meine, das wäre gewiß ein Grund, daß jetzt endlich einmal gründlich damit aufgeräumt würde. Diese freisinnige Taktik, von vornherein zu erklären, daß man mit einer Abschlagszahlung zufrieden iein werde, mutz als Taktik des WahlrechtsverratS mit aller Schärfe gebrandmarkt werden.(Lebhafte Zustimmung.) Jede Teilreform würde nur eine Fundameiitiernng, eine Verankerung des Wahlunrechts sein, unter dem die Arbeiterklasse leidet. Gewiß ist jeder Mnndatszuwachs der Partei und auch der preußischen Fraktion hoch willkommen. Die Kritik wird dann noch gründlicher gSiibt, daS Maß der positiven Arbeit, das eine so kleine Oppositionspartei leisten kann, noch gewissenhafter geleistet werden. Aber jede? Wahlrecht, das der Bolksmehrheit nicht auch die parlamentarische Mehrheit sichert, ist schließlich nur ei» Scheinwahlrecht, hinler dem sich der freche Trotz der Besitzenden, Privilegierten, verbirgt, die da sagen: Laß schwatzen, laß kritisieren, wir machen schließlich doch was wir wollen. (Lebhafte Zustimmung.) Bollends aber wird das winzige Teil- reförmqen, das die Regierung offenbar dem preußischen Landtage offerieren wird, erst recht nicht als akzeptable Abschlagszahlung an- gesehen werden können. Zudem liegt die Gefahr nahe, daß sich in einer angeblichen Reform sogar unter Umstände» eine Ver- schlechterung des Wahlrechts, ein Schlag gegen die Arbeiterklasse selb st verbergen kann, zum Beispiel lvenn eine Aenderung der Klasseneinteilung vorgenommen werde» würde. Man hat ja anSgiebig den Aberwitz gegeißelt, der darin liegt, daß ein Bordellwirt in der ersten Klasse, ein Generalsuper- intendant in der zweiten Klasse wählt, ein Faktum, wie es sich tat- sächlich, ich glaube in Königsberg , ereignet hat. Und man hat auf Grund dieser und ähnlicher Fälle gefordert, daß die Drittelung über den ganzen Wahlbezirk vorgenommen tverden müsse. Das hat auch früher schon die„Vossische Zeitung" gefordert. Es ist aber zu bedenken, daß eine solche Drittelung über den gesamten Wahlbezirk zwar einige Bourgeois aus der dritten Abteilung heraushebe», dafür aber um so mehrArbeiter, Handwerker und kleine Geschäftsleute aus der zweiten in die dritte Klasse hinabstotzen würde. Die großen Wahl- erfolge in Berlin sind nur dadurch möglich geworden, daß 1400 Urwähler der e r st e n Klasse und 22 000 von insgesamt 40 000 Urwählern der zweiten Klasse sozialdemokratisch gewählt haben. Würde man also durch eine sogenannte „ausgleichende Gerechtigkeit" dafür sorgen. daß'alle Vesser S i t n i e r t e n in die erste und zweite Klasse kommen, die Arbeiter aber in die dritte, so könnte leicht der Prozentsatz der sozialdemo- kratiichen Wähler in der zweiten Klasse auf weniger als 50 Proz. herabgedrückt werden, und dann wäre dem Proletariat künftig jeder Wahlerfolg unmöglich gemacht. Denselben Effekt würde man er- zielen, wenn man, wie ein christlichsoziales Blatt vorgeschlagen hat, den Zutritt zur zweiten Abteilung durch einen bestimmten Zensus von etwa 2400 M. Einkommen begrenzen wollte. DaS würde dem Mittelstand, namentlich dem kleinen Mittelstand gar nichts nutzen, die große Masse des Volkes«der würde vollständig rechtlos gemacht werden. Denn es wurde dann stets die Majorität der zweiten und ersten Klasse gegen die dritte Klasse stimmen. Es ist inter» essant, daß die Statistik diesem Vorwurf schon im voraus zu be- gegnen sucht. Dadurch, daß sie anführt, daß nur in 17 Proz. der Fälle die erste und zweite Klasse sich gegen die dritte Klaffe zu- sammenaeschlossen hätte. Das ist aber fauler Zauber. In den meisten Wahlkreisen sind die Wähler dritter Klasse nur schwach an der Wahl beteiligt gewesen. Wo aber ein stärkerer Prozentsatz der Arbeiterschaft zur Wahl gegangen ist, wie in Berlin , schloffen sich zu 40 Proz. die erste und zweite Klasse gegen die dritte Klasse zusammen. Sobald erst einmal die K l a ssen« s ch e i d u ii g in den drei Abteilungen konsequent durch- geführt wäre, würde sich bald überall der Fall ergeben, daß die erste und zweite Klasse nnt ihrem eiiien Fünftel der Wähler die vier Fünftel der dritten Klasse niedcrstlimiie» würde. DaS hat auch die Denkschrift der sächsischen Regierung zugegeben, als noch in Sachsen nach dem preußischen System gewählt wurde. Deshalb ist jede Schein konzeffion an den Mittel st and als Vollendung der brutalsten Entrechtung der großen Masse des Volkes anzusehen, der Arbeiterklasse, und ebenso als Entrechtung des notleidenden Teile? der kleinen Selbständigen zu brandmarken. (Lebhafte Zustimniung.) Die Sozialdemokraten, wie überhaupt jeder wirkliche Wahlrcchtsfreuiid, müssen daher alles aufbieten, um die Verewigung dieser Entrechtung zu verhindern. Dazu ist nötig, daß die Wahlrechtsreform nicht von der Gnade deS GekdsackParlamentS abhängt, sondern ein Wnhlrecktöfinrm muß im Lande entfesselt werden.(Leb- hafteS Sehr richtig!) Das ist nicht nur dringend notwendig, sondern auch möglich! Haben wir denn nicht bisher schon eine allgemeine Massenbewegung für das Wahlrecht entfesselt? Diese darf aber nur da? Vorspiel sein für den bevorstehenden
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