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eefonn bem Freiherrn von Zedlitz und der Rechten inZ- gesamt Vorwürfe machte, so hätte man zu mindestens von ihm erwarten sollen, daß er ein freisinniges Mindest- Programm aufgestellt hätte. Aber davor scheute sich Herr Wiemer auch diesmal! Auf die Einzelheiten der Wahlrcchtssrage ging der freisinnige Redner gar nicht erst ein, um sich nicht die Finger zu verbrennen und seine zu allen Kompromissen geneigte Partei nicht allzu sehr fe st zulegen! Von der Ankündigung eines freisinnigen Appells an die Massen war in WiemerS Rede vollends nicht die Rede. Aus der Rede des Herrn v. Zedlitz, die sich in finanz- politische Einzelheiten verlor, traten nur die Schlußsätze hervor, in denen er davon sprach, daß sich seine Partei in Wahlrechts- fragen auch durch den sozialdemokratischen Appell an die politisch urteilsunfähigen Schichten der breiten Volksmasse nicht be- einträchtigen lassen werde. Der freikonservative Führer gab sich dcbei wohl einer Täuschung über die Wirkung der reaktiv- n>»-en BolksverdummungSbestrebungen hin. Denn so rührig die reaktionären Elemente auch an der Arbeit sind» die Massen in politischer Unmündigkeit zu erhalten. so wenig verschlägt doch auf die Dauer diese reaktionäre Erziehungsmethode. Zu einer Kritik des ganzen preußischen AntikultursystemS holte der sozialdemokratische Fraktionsredner. der Genosse Hirsch, aus. Während die Redner der bürgerlichen Parteien, die ja sämtlich Fleisch vom Fleische des volksfeindlichen, kulturwidrigen preußischen Systems der Stabilisierung der junkerlichen und kapitalistischen Vergewaltigung des Volkes sind, am Sonnabend und auch am Montag dies System entweder summarisch verteidigten oder aber nur kleine Einzelausstellungen vorzubringen hatten, unternahm es der sozialdemokratische Redner in anderthalbstündiger Rede, in großen Umrissen ein Bild der Aufgaben eines wahrhaft modernen und sozialen Staatsgebildes zu zeichnen und diesem Bilde das Zerr- bild gegenüberzustellen, das uns aus allen Zügen des offiziellen Preußen entgegengrinst. Wenn der preußische Ministerpräsident, der Major v. Bethmann Hollweg . sich bei Eröffnung des Landtages statt mit einer politischen Einführungsrede mit einigen familiär sein sollenden, dabei kümmcr- lich ausgeklügelten und stilistisch geradezu Mitleid erregenden Be- grüßungsworten an die Rechte des Hauses begnügt hatte, und der eigentliche preußische Redeminister, Herr v. Rheinbaben, ein übriges getan zu haben glaubte, wenn er das HauS nochmals weitläufig mit den Zahlen regalierte, die längst durch die offiziöse Presse mitgeteilt worden waren, so war es unserem Fraktionsredner vorbehalten, diese trockenen Zahlenreihen erst in d a S rechte Licht zu setzen. Genosse Hirsch wies eingehend nach, daß das preußische Finanzelend im Grunde nichts ist, als die Folge der reaktionären Schutzzoll- und Lebensmittelverteuerungspolitik im Reiche. Die S00 Millionen Mark Mehrausgabe, die Preußen für die Aufbesserung der Beamtengehälter zahlen muß, wurden notwendig infolge der agrarischen VolkSaus Wucherung! Und diese 200 Millionen kommen nicht etwa den Beamten selbst in Gestalt einer verbesserten Lebenshaltung zugute, sondern fließen wiederum in die Taschen der Brot- und Fleischwucherer und ihrer ebenso staats- erhaltenden Kumpaue l Scharf und klar präzisierte Genosse Hirsch die Stellung der Sozialdemokratie zur Frage der Aufbringung der Mittel für die StaatSaufgaben. Energisch wies er das Ansinnen zurück, auS den S taatSbetrieben, in erster Linie also den StaatSeisenbahnen und fiskalischen Bergwerken, den Mehrbedarf herauszuwirtschaften. Sei doch die Lage der Masse der U n t e r b e a m t e n trotz der viel- gepriesenen Besoldungsrcform noch eine durchaus unbefrie- d i g e n d e. Erst recht aber bedürsten die Löhne der Staats- arbeiter im Eisenbahn - und Bergbetrieb einer durch- greifenden Aufbesserung! Denn wenn schon die Löhn/ der Kommunalarbeiter hinter den Löhnen der Privatindustrie zurück- ständen, so gelte das erst recht von den Löhnen der Arbeiter in den Staatsbetrieben! Wenn man sparen wolle, möge inan d a sparen, wo eS möglich und sogar seh r a n g ebra ch t sei: bei den höheren Beamten! Dort könne mancher hochdotierte Posten überhaupt gestrichen werden, ohne daß das Volk davon auch nur den geringsten Nachteil hätte. Gestrichen werden könnten die vielen Hunderttausende für die Gesandtschaften an deutschen Höfen, die Abfindungssummen an ehemalige Fürsten und Notabilitäten und vieles andere mehr. Was aber die Sparsamkeit nicht einbringe, könne eingebracht werden durch stärkere Heranziehung der Besitzenden in Stadt und Land zu den direkten Steuern, zur Vermögens- und Einkommensteuer! Man möge doch eine Kommission zur Untersuchung der von Delbrück und anderen gebrandmarkten Fälle einsetze», überhaupt ausreichende Vor- kehrungen für die Steuerveranlagung treffen, damit künftig nicht mehr 60 Proz. der direkten Steuern von den Besitzenden hinter- zogen werden könnten! Alsdann entrollte Genosse Hirsch das Sündenregister der ein- zelnen Etats. Wohin auch das Licht der sozialdemokratischen Kritik siel, überall beleuchtete es die beschämendste soziale Rück- ständi gleit. In langer Reihe folgten sich die einzelnen Anklage- punkte: das Daniederliegen de« VolkSschuluntcrrichtS. die schwach. vollen Unterlassungssünden auf dem Gebiete deS Gesundheitswesens, die namentlich im ostelbischen Junkerparadies die ungeheure Kinder- sterblichkeit enthüllt, die Schändlichkeit der in das Ministerium des Innern, des Polizeimini st eriumS reffortierenden Zu- stände usw. usw. Den Schluß der Rede des Genossen Hirsch bildete eine ein- drucksvolle Abrechnung mit der Regierung und den Parteien in Sachen deS WahlredjtS. Als skandalöse VolkSverhöh- nung brandmarkte unser Genosse daS Schweigen der Regierung über ihre Absichten in Sachen der Wahlreform, eine Kennzeichnung, die ihm die Rüge de» präsidierenden Vizepräsidenten von Porsch eintrug. Und dann ließ Genosse Hirsch unter allgemeinster Auf- merksamkeit des Hauses und den wechselnden Kundgebungen der Schadenfreude der einzelnen Parteien(diese Leutchen freuen sich allemal, wenn die an ihnen vorgenommene Exekution vorüber ist und nun der andere übers Knie gezogen wird) die Haltung sämtlicher bürgerlichen Fraktionen Revue passieren. wobei keine einzige sich darüber beklagen konnte, zu kurz gekommen zu sein. Dem Zentrum wurde seine schnöde Verleugnung des gleichen Wahlrechts bei der Abstimmung über die Neueinteilung der Wahlkreise vorgehalten, die Nationalliberalen wurden als unsichere Kantonisten sagar in der Frage der öffentlichen Absttmniuug charakterisiert und die Wahlrechtsfreundlichkeit deS Freisinns wurde durch sein Eintreten für die konservativen Wahlrechts- feinde bei den letzten Landtags- und ReichStagSwahlen WS hellste Licht gesetzt. Mit der Aufforderung an alle ehrlichen Wahlrechtsfreunde, den WahlrcchtSkampf mit aller Entschiedenheit aufzunehmen, und der Versicherung, daß die Sozialdemokratie nitt ihrerVerhetzung" der Mafien solange mit aller Rücksichtslosigkeit fort- fahren werde, bis das in jeder Beziehung allgemeine und gleiche Wahlrecht errungen sei. schloß Genosse Hirsch seine wuchtige Anklagerede. Das HauS wnrde dann auf Dienstag 1 Uhr vertagt. Trotzdem noch eilte kangeReihe weiterer Redner eingezeichnet ist, darunter auch der zweite sozialdemokratische Etatsredner, erklärte bereits ein Konservativer eS für notwendig, schon morgen, Dienstag, die Etatsdebatte zu beenden. DaS bedeutet offenbar schon die Vor- bercitung zur Strangulation des zweiten sozial- demokratischen Etatsredners! Die Vertreter der bürgerlichen Parteien wird man noch einmal, teilweise sogar zum dritten Male, zum Wort kommen lasseil, aber der Entgegnung der Sozialdemokratie, der stärksten preußischen Partei nach ihrer Wählerzahl, will man durch daS Fallbetl des Debatteschlusses vorbeugen! Man darf in der jetzigen Situation aber doch wohl darauf rechnen, daß mindestens die gesamte Linke, von den National- liberalen bis zu den Polen , diesen feige il Akt der reaktiv- nären Mehrheit mit aller Entschiedenheit zurück- weisenwird!_ iPrivatbcamke und Cabaßarbcitcr. AuS dem Reichstag . 17. Januar. Die Interessen zweier proletarischen Wirtschaftsgruppen, der Privatbeamten und der Tabak- arbeiter, kamen heute im Reichstag auf Grund von Interpellationen zur Verhandlung. Zunächst interpellierten Zentrum und National- liberale: wie es denn eigentlich mit dem längst versprochenen Gesetz- entwurf betreffend diePensionSversicherung der Privat- beaniten und ihrer Hinterbliebenen stehe. Der Staats- selretär Delbrück gab, wie üblich, ohne eine Miene zu verziehen, die Erklärung ab, daß die Vorarbeiten noch immer in der Schwebe seien. Wann sie zum Abschluß kommen würden, lasse sich nicht sagen. Damit war mau denn glücklich genau so klug wie vor der Jnter- pcllation. In der Besprechung wurde von allen Parteien die Not- weudigkeit einer Beschleunigung der Maßregel betont. Aus- einander gingen die Meinungen aber bezüglich der Frage, ob die Privatangestellten als besondere Wirtschaftsklasse zu be­handeln seien, wie das die Vertreter bürgerlicher Parteien fordern, oder ob ihre Versicherung dem allgemeinen VerficherungSwesen aller Arbeiter einzugliedern ist, wie daS namens der Sozialdemokratie Genosse Heine forderte. Er wieS darauf hin, daß die Scheu vieler Privatangestellter, sich als das zu bekemie», waS sie wirklich find als Proletarier und mit den Arbeitern gemeinsame Sache zu machen, wesentlich dazu beigetragen hat, die Verschleppung der Privatbcamtenversicherung zu erleichtern. Da auch diesmal von der Regierung nicht irgend ein Zugeständnis von praktischem Werte er- zielt ist, werden die Privatangestellten in ihrer Mehrheit hoffentlich nunmehr einsehen, daß, wenn sie überhaupt etwas erreichen wollen, sie sich organisieren und als Glied des proletarischen Klassen- kämpferheeres den Kampf um ihre Rechte aufnehmen muffen. Die sozialdemokratische Interpellation wegen der durch die Steuergesctze im vorigen Jahre den Tabakarbeitern zugesagten Unterstützung wurde vom Genossen Geyer begründet. Er zeigte an zahlreichen Einzelfällen, wie trotz der Bemühungen des Staatssekretärs Mermuth die brotlos gewordenen Tabakarbeiter auch jetzt noch in ganz ungenügender Weise mit Unterstützungen bedacht werden, daß der Kreis der Unterstützungsberechtigten durch bureau- kratische Borschriften bielfach in ganz ungebürlicher Weise ein- geschränkt worden ist. Hat man doch z. B. arbeitslos gewordenen Arbeiterinnen die Unterstützung verweigert, weil sie im Laufe des abgelaufenen Jahres als Wöchnerinnen eine zeitlaug so wie so arbeitsunfähig geworden seien. Der Staatssekretär Mermuth gab zu, daß anfangs Härten vorgekommen feien, meinte aber, seit seinem Eingreifen habe sich das geändert; jetzt geschehe, was nur getan werden könne. Er bestritt auch, daß eine dauernde Schädigung der Tabakindustrie durch die Steuergesetze zu erwarten sei. Für diese Behauptung erhielt er natürlich lebhafte Zustimmung bei den Vertretern der steuerschuldigen Parteien. Genosse Molken- buhr indes wies auf Grund der Erfahrung, die 1S70 mit den Steuerverschärfungen gemacht wurden, darauf hin, daß man auch jetzt wieder mit einer zehnjährigen Nachwirkung der Konsumein- schränkung auf die Industrie und damit auf die dauernde Ein- schränkung der Arbeitsgelegenheit zu rechnen haben werde. Eine Erhöhung des ViernüllionenfoiidS für UnterstützungSzwecke sei deS- halb dringend geboten. Damit ging die Debatte aus. Morgen kommt die Interpellation wegen ManSfeld an die Reihe. v!e Wahlen in England. London , 17. Januar. (Telegraphischcr Bericht.) Bis heute morgen waren VI Wahlresultate bekannt. Es waren gewählt: 43 Unionisten, 37 Liberale, v Vertreter der Arbeiterpartei und 5 Nationalisten. Gewonnen haben die Unionisten 18, die Liberalen nach den letzten Feststellungen drei Sitze. Die Unionisten haben also einen Zuwachs von 18 Sitzen erhalten. Noch mehr fällt ins Gewicht, daß die Majorität der Liberalen bedeutend zurückgegangen ist. Bei den Wahlen 1906 erhielten die Konservativen zirka 277000 Stimmen, die Liberalen 317 000- diesmal die Konservativen etwa 338000, die Liberalen 323000 Stimmen; die Konservativen haben somit fast 53000 Stimmen, die Liberalen nur 6000 Stimmen gewonnen. Freilich, daß die Konservativen bei dieser Wahl schon die Majorität im Parlament erobern werden, ist ausgeschlossen. Dazu mühten sie etwa 168 Mandate gewinnen. Nichtsdestoweniger müssen die bisherigen Resultate für die Liberalen als wenig günstig bezeichnet werden. Es ist nicht zu verkennen, dah über den Mandatszuwachs hinaus die starke Stimmenzunahme der Konservativen das moralische Gewicht der künftigen liberalen Regierung be° trächtlich vermindern und der verstärkten Opposition neue An- griffslust verleihen wird. Freilich die Hoffnungen der Optimisten unter den Kon- servativcn sind nicht erfüllt worden. Das uniontstische BlattStandard" hatte für die Unionisten einen Gewinn von zehn Sitzen auf Kosten der Liberalen in London erhofft. DerDailh Telegraph" war weniger optimistisch gewesen und hatte nur auf einen Gewinn von sechs Sitzen gerechnet, es sind jedoch nur deren drei gewonnen worden. Ein Mihcrfolg ist für die Unionisten in G r i m s b y zu verzeichnen, Ivo der unionistische 5kandidat einer der Haupt- Befürworter der Zolltarifreform gewesen ist. Dagegen haben die Unionisten bedeutende Gewinne an Stimmen in den M i d l a n d s und den westlichen Bezirken zu der- zeichnen, obgleich es ihnen nicht gelungen ist. in der Grafschaft Lancashire Fortschritte zu machen. In Burnley ist Genosse H y n d m a n, der gegen den Unio- nisten und den liberalen Arbciterkandidaten M a d d i s o n gleichzeitig zu känipfen hatte, leider unterlegen. Der Konser- vative ging mit 93 Stimmen Majorität auö der Wahl als Sieger hervor. DaS Mandat hatte stüher Maddison inne. Die Wahlbeteiligung war außerordentlich stark. Man schätzt, daß sie SO Proz. erreicht habe gegen 80 Proz. im Jahre 1906. Wie intensiv die Agitation getrieben wurde. zeigt der Umstand, daß den Konservativen für die Wahl 18000 Automobile, den Liberalen 12 000 zur Verfügung ge- standen haben sollen. Diese mußten übrigens den Kandidaten unentgeltlich zur Verfügung gestellt werden, weil das englische Wahlgesetz verbietet, für solche Zwecke Geld auszugeben. Die Presse beider Parteien nimmt natürlich die Ehren des Wahltages für sich in Anspruch. Dies geschieht schon deshalb, um die Anhänger nicht für die künftige Wahlschlacisi zu entmutigen. So schreibt der konservativeStandard": Die Unionisten haben Grund, sich über den ausgezeich- ncten Anfang, des Wahlkampfes, den sie am Sonn- abend gemacht haben, zu freuen. Für die Regierung heißt es, bei einer langen Serie von Siegen der Opposition ihre sofortige Demission zu geben. Wir hoffen, daß dieses Beispiel, welches das Land am Sonnabend gegeben hat, die ganze Wahlkampagne hin- durch beibehalten werde. England scheint endlich eingesehen zu haben, was für das Land nützlich ist." . Dagegen sagt das liberaleDaily Chronicle":Kein zweifelnder Wähler soll sich durch den Sieg, welchen die Unionisten am Sonnabend scheinbar errungen haben, betören lassen. Der Sieg der Unionisten ist nicht so groß, als es scheint. Wenn die Unionisten nur eine kleine Chance für den endlichen Ausgang haben wollten. so hätten sie am Sonnabend mindestens 30 Sitze erringen müssen. Es ist nicht vorauszusehen, daß der Sieg der Unionisten in den nächsten Tagen derselbe oder ein größerer sein wird, ate am Sonnabend. Das wirkliche Resultat ist schließlich ein ganz anderes und wenn die Unionisten behaupten, Hoffnung vor Beginn der Wahlen gehabt zu haben, so wird ihnen diese Hoffnung durch den Sonnabend wohl bereits zum größten Teile vergangen sein. Und dieDaily News" meinen: Es ist ganz klar, daß die Unionisten trotz des scheinbaren Er- folgcs vom Sonnabend keine Majorität bekommen können. DaS wird ihnen wohl der Sonnabend bewiesen haben. Aber wir müssen mehr tun als eine Majorität zu gewinnen; wir müssen eine große Majorität erreichen und wir werden sie erreichen; wir haben alle Hoffnung, in den noch ausstehenden industriellen und landwirtschaftlichen Wahlbezirken, namentlich in S ch o t t» l a n d, den Sieg zu erringen. Die Vorzeichen am Sonnabend deuten auf eine enorme Majorität der Liberalen." Von entscheidender Wichtigkeit wird der heutige Wahltag sein, an dem in 93 Wahlbezirken 194 Abgeordnete zu wählen sind. Nach dem bisherigen Parteiverhältnis teilen sich diese 104 Abgeordnete in 68 Liberale und 36 Unionisten. Zwei Minister stehen heute vor der Wiederwahl: in Bristol Minister Btrell und in Battersea. einem Londoner Wahlbezitk. Minister B u r n s. Bis 4 Uhr nachmittags waren heute sechs irische und ein unionisttscher Abgeordneter als gewählt erklärt worden, da keine Gegenkandidaten aus- gestellt waren. Konservative gegen Lloyd George . London , 16. Januar. Nach einer Wahlrede in GrimSby wurde Schatzkanzler L l o y d G e o r g e. als er den Saal verließ, von dcr draußen versammelten Menge feindlich empfangen, so das; er durch eine Hintertür über die Eisenbahngleise hinweg in das Gr- bäude einer Feuerwache flüchten mußte. Lloyd George ist übrigens unverzagt. In einer Kundgebung versichert er: Wir siegen. England ist gegen die Herrschaft der Peers und des Bieres. Nordengland und Schottland sind auf unserer Seite. Jedenfalls find die Aussichten auf eine mäßige Mehrheit von 160, wie ich glaube, günstig. politilcbc CUbcrHcbt Berlin, den 17. Januar 1910. Tie Nationalliberalen und die preußische Wahlreform. Die nationalliberale Partei, die sich in komischer Selbst- täuschung noch vor wenigen Monaten als energische Oppositionspartei geberdetc, konzentriert sich behende rück- wärts. In Schleswig-Holstein haben die Nationallibcralen entdeckt, daß sie eigentlich den Landbündlern näherstehen als den Freisinnigen und deshalb im Interesse eines langsame» ruhigen Fortschrittes mit dem Bund der Landwirte paktiere» müssen; in Gotha hat der Zentralvorstand beschlossen, daß künftighin in keinen: Fall ein Wahlbündnis mit dcr Sozial- dcniokratie abgeschlossen werden dürfe; in Bayern haben die Nationalliberalen ihr Blockabkommen mit den Linksliberale» gekündigt usw. usw. Ueberall zielbewußte Rückwärts- konzcntration... Am besten aber kennzeichnet vielleicht den Herzensdrang der Nationalliberalen nach rechts ihr Verhalten zu der prcn- ßischen Wahlreform. Noch vor wenigen Wockjen schien es, als würde wenigstens die nationalliberale Fraktion des Preu- ßischen Abgeordnetenhauses für die geheime Wahl stimmen: aber selbst dieses bescheidene Vertrauen auf die national- liberale Prinzipienfestigkeit erweist sich als unberechtigt. Immer mehr Stimmen tauchen in der nationalliberalcn Presse auf. die sich für die Beibehaltung der öffentlichen Stimmabgabe aussprechen, und zwar sind das meist Stimmen aus dem Kreise der Großindustriellen und des Großhandels, also aus den zahlungsfähigen Kreisen, deren Wahlfonde- beiträge die nationalliberale Partei nicht entbehren kann. Selbst dieNationalzeitung", die bisher für die geheime Wahl eintrat, öffnet jetzt einer Zuschrift vonbesonderer" Seite ihre Spalten, in dcr es heißt: Bringen wir die Möglichkeit freier politischer Betätigung durch daS geheime Stimmrecht? Wo wird am meisten der Heuchelei Tür und Tor geöffnet? Im Wirtehaus, bei Einkäufen, auf der Straße wird bald die berüchtigte GesinnungSriechem die bürgerlich Gesinnten festgestellt haben, wie das bei den ReichStagSwahlen jetzt schon vorkommt. Und können wir den loben, der sich laut als Sozialdemokrat preist und nachher heim- lich einen bürgerlichen Stimmzettel abgibt? Die Proskriptions- listen bei den sozialdemokratischen Arbeitern werden ja dock? nicht aufhören; im Gegenteil, sie werden noch ruchloser sein, da sie manchen Unschuldigen treffen. Die offene Stimmabgabe muß aber denen, die an der Erhaltung des Staates und seiner Ord- dung interessiert sind, eine Kontrolle sichern, und die offene Vernichtung bürgerlicher wirtschaftlicher Elemente und der gegen sie ausgeübte Terrorismus wird hoffentlich rascher die Gefaln.- kennzeichnen, als wenn sie unter dem Schutze der Heimlichkeit alles unterwühlt." Noch stärker ist natürlich die rechtsuationalliberale Presse für die öffentliche Stimmabgabo begeistert allen voran dieHamburger Nachrichten", das Organ der hansea­tischen Scharfmacher. Das Blatt schreibt in dem ihm eigenen albernen Größenwahn: Die geheime Abstimmung ist das Wahlverfahren der Ab- hängigen und Unfreien, der Unselbständigen und Unverantwort­lichen, denen am besten das. WahlreKt verjagt