ständlich zu machen. Das war unsere Pflicht. Die für da-ZThema gewählte Neöerschrift.„Erweiterung der Willkür derStaatsanwaltschaft" entspricht durchaus der Sachlage. Daß dieseErweiterung vorliegt, bestreitet ja mich Genosse Heine nicht. WieKinn er da zu der Annahme gelangen, wir hätten eine tendenziöseNeberschrift in der von ihm uns angedichteten Absicht gewählt?Sachlich zutreffender wäre vielleicht eine längere Ueberschrift, etwadie gewesen:„Weniger Strafe durch Erweiterung der Willkür desStaatsanwalts?" Soviel zu dem persönlichen Angriff des GenossenHeine.In der Sache nehmen wir von der jetzigen Betonung inden Ausführungen Heines gern Akt. daß die in dem Entwurfvorgeschlagene Auslieferung der Verfolgung von Uebertretungender Arbeiterschutzgesetze der Willkür' der Staatsanwaltschaftnicht nur, wie er im ersten Artikel verneinte, bedenklich,sondern unannehmbar ist. Seine. Behauptung, das Legalitäts-Prinzip entspreche einem naiven Vergeltungsgedanken, ist irrig. DerVergeltungsgedanke steht freilich nur in losem Zusammenhang mitder Entwickelung des materiellen Rechts, nach keiner Richtunghin mit der de-s formellen Rechts. Das Willkürprinzip istnebenbei bemerkt weit älter als das Legalitätsprinzip.Aber nicht um die gewist in anderem Zusammenhang rechtinteressante Frage der Entwickelung des Strafrechts und desStrafprozestrechts und ihres Zusammenhanges handelt es sichbei der strittigen Frage: ob es geraten sei, der Willkürder Staatsanwaltschaft die Verfolgung einiger Delikte zu über-weise», weil davon auch Arbeiter Borteile hätten. Diese Frageist unseres Erachtens mit einem unbedingten Nein zu be-antworten. Ihre Bejahung pastt auf den Grundsatz„Gleiches Rechtfür jedermann" wie die Faust auf das Auge. Eine Beseitigungüberflüssiger Strafgesetze und eine verständige Anwendungder allgemeinen Strafausschließungsgründe durch unabhängigeOrgane der Strafrechtspflege— zu denen unsere Staats-anwaltschaft wahrlich nicht gehört— würden den Wunschnach weniger Strafen leicht erfüllen können. Die Beschreitungdieses Weges hemmt aber eine Ausdehnung der Will-kür der Staatsanwaltschaft. Wenn das Gesetz„im öffentlichenInteresse" eine Handlung mit Strafe bedroht, die Staatsanwalt-schaff aber ermächtigt wird, zu entscheiden, ob„ein öffentlichesInteresse" zur Anklageerhebung vorliegt, so setzt man denStaatsanwalt, also eine Polizeiinstanz, an Stelle des Gesetzegebers. Einer ungerechten Behandlung gleichartiger Fälle kann durchöffentliche Kritik entgegengearbeitet werden und wird esauch. Dieser Kritik entzieht man den Boden, wenn man die Frageder Verfolgung oder Nichtverfolgung der völlig unverantwortlichengeheimen Entscheidung der Staatsanwaltschaft anvertraut.Die Annahme des Genossen Heine in seinein ersten Artikel,das Legalitätsprinzip sei„konservativ", ist irrig. Das Gegenteil istder Fall. Nicht Zufall ist es, dast im Reichstag allein der Rednerder konservativen Fraktion begeistert der vorgeschlagenen Einführungder Willkür an Stelle des Rechts zustimmte.Hu9 Induftne und Findel.Tantiemen und Reingewinne iu der Eisen- nnd Maschincnba«-industrie.Die Zusammenstellung von 49 Aktiengesellschaften dieserIndustrien ergibt ebenfalls, dast fast durchweg 10—29 Proz. desReingewinns als Tantiemen, Gratifikationen usw. verschwinden. Da-bei kommen nicht bei allen Gesellschaffen die erwähnten Extra-gewinne in die Erscheinung, weil sie teilweise unter Geschäftsunkostenverbucht worden sind. Die Gründer und Hauptaktionäre, die sich diemit dem Bezüge der Extragewinne verbundenen Posten zu sichernwissen, ranischen einen guten Teil der Gewinne vorweg. Es zeigtsich an den gelieferten Beispielen, wie verkehrt es ist, lediglich nachden gezahlten Dividenden die Ausbeutung der Arbeiter und dieRentabilität der Unternehmen berechnen zu wollen. In die in derTabelle aufgeführten Kapitalien sind außer dem eigentlichen Aktien-kapital auch die Hypothekaranleihen usw. mit eingerechnet.KapitalienGesellschaften: inMillionen3,6Tantiemen Reingewinnin MarkAkt.-Gesellsch. f. FeinmechanikFabr. f. Nähmaschinen Stahlapp.vorm Mehlich......Wanderer-Fahrradwerke...Emaillierwerke:Annweiler.......Radebeuler Guß- usw...Sächsische Stanz- usw...Schwarzenberger Stanz- usw.Metallwarenfabriken:vorm. Dannhorn....Württembergische....Vereinigte, vorm. Haller..Vereinigte Thüringer, Mehlis.Bronzewarenfabr. Spinn u. SöhneThüringische Nadel- und Stahl-Warenfabrik. �.....Schraubenspundfabrik Kromer.Schrauben- und MutternfabrikRiehm u. Söhne....Georg Bierling u. Co. A.-G..Ver. Eskhebachsche Werke A.-G..Thome A.-G........Viktoriawerke A.-G......C. Blumwe u. Sohn A.-G...Heddernheimer Klwserfabrik undSüddeutsche Kabelwerke..Schornsteinaufsatzfabrik John.A. Seiffert u. Co. A.-G....Schulz-Knaudt, BlechwalzwerkA.-G.........Stahlwerk Oeling A.-G....Dillmannsche Eisenbau A.-G..Westfälische Drahtindustrie..Westfälische Drahtwerke....Breslauer A.-G. Eisenbahnbau.Düsseldorfer Waggonbau A.-G..Dresdener Gasmotoren, vorm.HilleGasmotorenfabrik Deutz...Flcnsburger Schiffsbau A.-G..Wittener Stahlröhrenwerke..„Archimcdes", Stahl- und Eisen-, industrie....... 3,2Maschinenfabriken:I. Banniarg...... 1,1Baum........Schwartzkopff......Dürkopp.......Breuer........Karlshülte, Eisenwerk....Chemnitzer WerkzeugfabrikZimmermann.....Kottbuser Maschinenbananstalt.Braunschweiger DampfkesselfabrikDüsseldorfer Maschinenbau A.-G.Ellert A.-G.........Eschweiler Eisenwalzwerk...Flöther, Maschinenbau A.-G.1.12.61.71.01.41.01.26.22.21.01.11,81.31.29,86.81.21.71.119.01.31.85.93.41.719,93.219,61.82.424,46.32.84,912,93.92.92.05.41.51,8'1.55.17.23,0Gaggenau, Eisenwerke.... 4,0oder über IvProzent deS ReigewinneS, für alle mög-lichen Arten von Tantiemen ausgegeben. Um wieviel sich die Zifferbei absolut sicherer Zusammcnstelluüg noch steigern würde, läßt sichauch nicht annähernd ermessen.Die schweizerische Uhrenindustrie hatte im verflossenen Jahreeinen erheblich größeren Absatz als im Jahre 1998. So wurdenvon den eidgenössischen Kontrollämtern für Gold- und Silberwarenim Jahre 1999 623 728(1993: 668 6791 goldene und 2 301499(2 123 875) silbenre, total 2 939137(2 689 554) Uhrgehäuse abgestempelt. Ferner wurden 122 962(83 479) goldene und silberneSchmucksachen gestempelt und 19134(16 511) Proben von Gold- undSilberbarren ausgeführt.__Hus der frauenbewcgung*Der Feind, der heimlich sich hereingeschlichen.Unter dem Titel„F r e i s i n n s s i t t e n" berichteten wir amSonnabend über einen Vorgang im Verein„Waldeck", der noch etwasnäher beleuchtet zu werden verdient. Am Freitag zierte die Litfaß-sänken ein rotes Plakat, das eine Versammlung des fort-schrittlichen Vereins„Waldeck" zu Berlin ankündigte,in der Reichstagsabgeordneter Dr. Ablaß über die„Einigungder Linksliberale n" reden sollte.Zu dem bekannten im Entwurf vorliegenden Einigungs-Programm hatten kürzlich der Deutsche Verband für Frauenstimm-recht, sowie der Bayerische Verein für Frauenstimmrecht, sowie dieOrtsgruppe München für Frauenstimmrecht in einer ResolutionStellung genommen. Darin hieß es:„Ein Liberalismus, der programmatisch nur Wohlwollenfür die Frauen in Aussicht stellt, ohne sich in klarer entschiedenerWeise für die gerechten Forderungen der Frauen auszusprechen,wird sich noch viel weniger um Taten für die uneingeschränktestaatsbürgerliche und politische Gleichberechtigung der deutschenFrauen einsetzen und hat seinen Namen nicht verdient.Die Versammlung hegt die bestimmte Erwartung, daß dieParteitage der Freisinnigen Bereinigung, der Freisinnigen Volks-Partei und der Süddeutschen Volkspartei den Entwurf des Eini-gungsprogramms so ändern, daß in bestimmter unzweideutigerWeise die vollkommene Gleichberechtigung der Frauenin Staat und Kommune gefordert wird."Zu dieser Resolution der Frauen hatte sich Herr Dr. Ablaßin dem„Boten aus dem Riesengebirge" folgendermaßen geäußert:„Da haben wir's also! Die mit Sehnsucht angestrebte großePartei des entschiedenen Liberalismus mit ihrem starken Zugenach links erhält alsbald, noch ehe sie konstituiert ist, von denFrauen, die der bürgerlichen Linken so manches zu verdankenhaben, attestiert, daß sie den Namen des Liberalismus gar nichtverdiene.(Sehr richtig I D. Red.) Das ist nicht gerade höflich,aber verständlich, wenn man erwägt, daß die Zeiten längst vor-über sind, in denen man mit Frauen über die Fragen der gutenSitte nicht stritt, sondern sich darin von ihnen nur belehrenließ. Seitdem ein Teil der politischen Frauen mit den Be-strebungen der englischen Mannweiber, der Suffragettes, sym-vathifiert, muß ständig in Entrüstung gearbeitet werden. Inder Sache selbst bin ich der Ansicht, daß es auch meiner Ueber-zeugung besser entsprochen hätte, wenn das Einigungsprogrammentschiedenere Forderungen für die staatsbürgerliche und poli-tische Gleichberechtigung der Frauen hätte aufstellen können. Obes möglich sein wird, nach dieser Richtung hin mehr, als§ 8des Entwurfs verspricht, zu erringen, bleibt abzuwarten, sollaber jedenfalls angestrebt werden. Nur das eine übersieht die Re-solution, daß das'Programm ein sogenanntes Mindestprogrammist. Eine kleine Gruppe von Politikern kann sich den Luxus einesmöglichst radikalen Programms eher gestatten, als eine großePartei(Hört! hörtl Die Red.), die nach Zusammenfassung allerKräfte auf liberaler Basis hinarbeitet. Gerade hierin liegt dergroße schöpferische Gedanke der neuen Parteibildung. Auf denBoden des Einigungsprogramms kann sich auch derjenige stellen,der weitergehendem demokratischen Forderungen durch zähe Ar-beit allmählich die Wege ebnen will. Auch die deutsche Frauen-bewegung würde vielleicht gut daran tun, im Rahmen der neuenParteibildung für ihre Ansicht zu werben, statt sich ihr sofortfeindselig gegenüberzustellen."So wand sich Dr. Ablaß im„Boten für das Riesengebirge",so schulmeisterte er die deutsche Frauenstimmrechtsbewegung. Nunhatte der Zufall am Tage der„Waldeck"versammlung FräuleinMartha Zietz aus Hamburg, Vorstandsmitglied des Deutschen Ver-bandes für Frauenstimmrecht und zugleich Vor stau dsmit-glied der Freisinnigen Vereinigung nach Berlingeführt. Sie las an den Säulen den Vortrag des Dr. Ablaß undbegab sich mit einer Bekannt»» in die„Waldeck"Versammlung, umden Herrn Dr. Ablaß in ihrer doppelten Vorstandseigenschaft dieAntwort ans seine Aeußcrungen zum§ 8 des Entwurfs zu geben.Schon vor Eröffnung der Versammlung sandte sie dem Vor-sitzenden ihre Karte und meldete sich damit zur Diskussion. Aber.Prosit Mahlzeit! Der Vorsitzende der von drei Damen und 39— 49Herren besuchten Versammlung erhob sich und verkündete: WerteAnwesende! Wie Sie wissen, befinden Sie sich in einer Mit-g l i e d e r Versammlung. Wir haben in Erfahrung gebracht, daßsich nicht nur NichtMitglieder, sondern sogar Gegner hier befinden.Daß sich hier ein Feind heimlich hereingeschlichen, und ich ersuchediese, sofort den Saal zu verlassen! Fräulein Zietz,Vorstandsmitglied der Freisinnigen Vereinigung, mitsamtihrer Begleiterin während der Einigungsperiodevom Verein„Waldeck" vor die Tür gesetzt!I Brauchtes noch mehr der Worte? Die dritte anwesende Frau,eine Naumannianerin, sprang empört auf und rief:„Ich bin aller-dings keine Gegnerin Ihrer Bestrebunigen, sondern stehe ihnenfreundschaftlich gegenüber; aber nach diesem Benehmen danke ichdoch auch und gehe!"Ja, man braucht die bürgerlichen Frauenrechtlerinnen nichtum ihre Erfahrungen zu beneiden. Wie lange sie sich wohl nochvom Freisinn herauswerfen lassen? Haben sie noch immer nichtFußtritte genug bekommen? Sozialdemokratische Frauen ließensich so etwas nicht gefallen, das wissen wir!Frauen in Gefängnissen.Die Hausmutter des Frauengefängnisses in Geneva(Illinois),Mrs. Amigh, veröffentlicht in„Hamptons' Magazine" einige inter-essante Einzelheiten über ihre Pflegebefohlenen. Frauen bildennur ösh Proz. von der Gesamtzahl der in amerikanischen Gefäng-nissen internierten Sträflinge, aber jene sind schwieriger zu be-handeln, als die männlichen Gefangenen.Nach jahrelangen Studien und Beobachtungen ist Mrs. Amighdazu gelangt, die straffälligen Frauen in drei Klgssen zu teilen:in Verwahrloste, erblich Belastete und eigentliche Verbrecherinnen.Verwahrloste sind nach ihr die, die ohne Elternhaus aufwuchsen,deren Erziehung dem Zufall oder einer Wohltätigkeitsanstalt über-lassen war.Die erblich Belasteten kommen körperlich und geistig anormalzur Welt. Die Zahl derselben unter den Frauen ist viel größer.als man glauben sollte. Mrs. Amighs Beobachtungen haben sieüberzeugt, daß das Kind eines trunksüchtigen Vaters oder einertrunksüchtigen Mutter fast immer geistig oder moralisch oder körper-lich entartet ist oder alles zugleich.Die dritte Klasse, die Verbrecherinnen, umfaßt diejenigen, welchedurch Verführung, Not, besondere Verhältnisse oder durch Unwisseu-heit den Weg verlieren. Von den 899 Frauen in Geneva kamenso 99 Proz. aus zerrütteten häuslichen VerhältnisscnMder sie hattenniemals ein Zuhause gekannt.Mehr als 199 Gefängnisse und Besserungsanstalten in den Ver-einigten Staaten sind ausschließlich für Frauen bestimmt. Wenn19 999 Frauen jährlich dem Strafgesetz verfielen, und— wie inGeneva— 99 Proz. derselben aus zerrütteten häuslichen Verhält-nissen kamen, so ist der mathematische und unwiderlegliche Beweisfür den Wert der häuslichen Erziehung erbracht.182,4Also in 49 Gesellschaften mit 132,4 Millionen Mark Kapitalwurden von dem 19 239 482 M. betragenden Reingewinn 2 979 396 M.,____Verantwortlicher Redakteur Richard Barth. Berlin. Für den Inseratenteil verantw.: ZH.Sl»Sr,Berlin. Druck u.verlag:BorwSrt»Lüchdruckerei u. verlagsanstalt Paul Singer h» Co.. Berltu SViüUnter den in Geneba inhaftierten Frauen waren mehrere Ein-brecherinnen und zwei Pferdebiebinnen. Eine der Einbrecherinncnwar ein früheres Hausmädchen. Sie hatte ihre Stellung verloren,ohne daß man ihr' ihren Lohn voll ausbezahlte. Sie brach einesNachts in das Haus ihrer Herrschaft ein und nahm soviel Wert-gegenstände, als zur Deckung ihrer Forderung nötig waren.Zwei andere boten mehr typische Fälle. Sie hatten sich von zweiverkommenen jungen Männern betören lassen, die sie zum Stehlenanhielten und dann im Stiche ließen, als Gefahr im Verzuge war.Bei den meisten ihrer Pflegebefohlenen fand Mrs. Amigh einesittliche Erneuerung(Regeneration) vollkommenmöglich. Sie hat ein eigenes System, das Interesse für Musik,für alles, was schön und gut ist, in ihnen zu erwecken und führthiermit im Bunde den Kampf gegen ihre bösen Neigungen. Vonihren besten Zöglingen sind viele später in der Welt draußen zuErfolg und Ehre gelangt.Eine ist jetzt die bestbezahlte Stenographin von Chicago. Siewar wegen Diebstahls verurteilt worden. Bevor sie nach Genevakam, hatte sie niemals irgend welchen guten Einfluß kennen gelernt.In Geneba erhalten die Mädchen eine allgemeine Erziehung,sowie Unterricht in Schneiderei und Hausarbeit; sie werden aberauch für Musik oder irgend eine andere Kunst, für die sie Befähi-gung zeigen, ausgebildet. Vor allem aber genießen sie in Genevadie Wohltat, daß sie auf ihr Ehrenwort entlassen werden können.Auch das ist ein Lichtstrahl, der eine neue, hellere Zeit in den Gc-fängnissen ankündigt.Wo gibt es wohl bei uns in Deutschland ein Gefängnis,das den Strafvollzug auch nur annähernd so human handhabte, wiedieses amerikanische? Wo werden bei uns solche Erfolge erzielt?Nirgends.In unseren Gefängnissen herrscht derselbe mittelalterlich-finstereGeist der Rache wie in den sattsam bekannten Fürsorge-anstalten. Von den im Vorkampf stehenden Genossinnen habenmehrere Gelegenheit gehabt, die Zustände in deutschen Frauen-gefängnissen kennen zu lernen. Daß sie eine Schmach unseres Jahr-Hunderts sind, wird jede bestätigen.Unsere verstorbene Genossin Wabnitz hatte wiederholt so schreck-liche Eindrücke im Gefängnis erfahren, wenn sie im Kampfe fürihre politische Ueberzeugung mit den Paragraphen des Strafgesetz-buches kollidierte, daß sie schließlich einer erneuten Inhaftierung denFreitod vorzog.—_Leseabende.Charlotteuburg: Mittivoch. den 19. Januar, 8� Uhr, Vortrag. Gen.Dr. Sußmann:„Das menschliche Auge".Gerichts-Zeitung.Ein mitleidiger Geschworener.Einen überraschenden Abschluß fand am vergangenen Sonn-abend die Schwurgerichtsverhandlung vor dem Landgericht l. Vorden Geschworenen hatte sich eine Frau L. wegen Fälschung eineröffentlichen Urkunde zu verantworten. Die Straftat bestand darin,daß die Angeklagte ein Sparkassenbuch auf einen höheren Einlage-betrag gefälscht hatte, um das Buch dann zu verpfänden. Eshandelte sich insgesamt um ein Objekt von 59 M. Die Verhandlungendete mit einer Verurteilung der Angeklagten nur wegen Betrugeszu 3 Wochen Gefängnis. Vor Verkünduug des Urteils erhob sichein nicht ausgeloster Geschworener, der Buchdruckereibesitzer S., zogseine Brieftasche und deponierte 59 M. auf dem Tisch des Hauses,um damit den von der Angeklagten angerichteten Schaden zu decken.Als die Geschworenen dann nach der Sitzung das Kriminalgerichts-gebäude verließen, wurden ihnen von den Zeugen jener Szene,die sich auf der Straße aufgestellt hatten, lebhafte Ovationendargebracht.Schutz vor Schutzleute».Binnen wenigen Wochen wurde am Sonnabend zum viertenMale gegen Polizeibeamte aus Wittenberge vor der Rcu-RuppincrStrafkammer wegen Mißhandlung und Körpcrvcrlevung. imAmte verhandelt. Vor zirka zwei Monaten wurde der SchutzmannDirhen wegen Körperverletzung im Amte— er hatte mit demSäbel geschlagen— zu 9 Monaten Gefängnis verurteilt. Am19. v. M. mutzte der Chef der Wittcnberger Sicherheitsbeamtcn.der Polizeikommissar Wilke, auf der Anklagebank Platz nehmen.um sich wegen Körperverletzung und Mißhandlung in vier Fällenzu verantworten. Der Staatsanwalt wollte die Vergehen mit4 Monaten geahndet wissen. Das Gericht erkannte aber nur auf299 M. Geldstrafe oder 49 Tage Gefängnis. Am letzten Mittwochhatte sich der frühere Wittenberger Polizeiwachtmeister Seiffert(jetzt in Steglitz bei Berlin) vor derselben Strafkammer zu ver-antworten. Ihm wurde Mißhandlung in drei Fällen und Cr-Pressung eines Geständnisses vorgelvorfen. Der Angeklagte wurdezu 59 M. Geldstrafe oder 19 Tage Gefängnis verurteilt, währendder Staatsanwalt 1 Jahr Zuchthaus und 99 M. Geldstrafe bei so-fortiger Verhaftung beantragt hatte. Am Sonnabend stand derWittenberger Schutzmann Adolf Korth vor den Schranken des Ge-richts. Auch er hat sich schwer vergangen, indem er in der Nachtvom 12. bis 13. Dezember v. I. einen Reisenden und einen Bahn-meister körperlich schwer mißhandelte. Der Staatsanwalt hattewegen fünf Fälle der Körperverletzung nur eine Gesamtstrafe' von6 Monaten beantragt. Das Gericht ging jedoch hierüber hinausund erkannte auf 9 Monate Gefängnis und Aberkennung derFähigkeik, ein öffentliches Amt zu bekleiden auf die Dauer von2 Jahren.— Hiermit ist der Reigen aber noch nicht beendet, dennes schweben noch Verfahren gegen den bereits einmal abgeurteiltenKommissar Wilke und den jetzigen Wachtmeister Jänicke. Die Ver-Handlung gegen diese dürfte schon demnächst stattfinden.Bolenschikanierung.Eine Polizeiverordnung für den Regierungsbezirk Posen vom17. April 1891 verbietet das Ausstellen von Zeichen in anderenals den Landesfarben. Dagegen sollte Herr v. Chrzanowski ver-stoßen haben, indem er am Fronleichnamstag auf seinem Balkonin Posen eine Draperie in weißer und roter Farbe(die polnischenFarben) anbrachte. Das Landgericht erachtete diese Draperie fürein Zeichen im Sinne der Verordnung und verurteilte ihn zueiner Geldstrafe. Das Kammergericht als Revisionsinstanz hießdas Urteil gut und führte aus: Diese für den RegierungsbezirkPosen, also für einen Bezirk mit großen nationalen Gegensätzen.erlassene Polizeiverordnung sei gültig. Denn es könne in solchenBezirken zu Störungen der öffentlichen Ordnung kommen, wenndie nationalen Gegensätze besonders betont würden. Auch sei dieDraperie mit Recht als ein Zeichen im Sinne der Verordnunggewürdigt worden.Das Urteil reiht sich dem jüngst angezogenen würdig an.das einen Müller bestrafte, weil seine Mühle weißrote Farbenaufwies. Nächstens wird noch ein Mägdelein zur Bestrafung gc-zogen werden, weil sie milchweiße Haut und rote Backen undLippen unverhüllt gezeigt hat. Die Germanisierungspolitik treibtrecht nette Blüten.__Goldene Jugend. Vor der Strafkammer in Köln stand derKaufmann Josef Biergans, ein Sohn einer der angesehensten undreichsten katholischen Familien der Stadt. Er hatte einen Chauffeurum 3599 M., einen anderen Kaufmann um 14 909 M. betrogen undeinen aus 14 599 M. lautenden Wechsel auf den Namen seinesVaters gefälscht. Mit einem erschwindelten Automobil flüchtete ernach Italien. Als ihn jemand fragte, ob jenes Wechselakzept auchrichtig sei, erwiderte B.:„Als Reserveoffizier weiß ich doch, waseine falsche Wechselunterschrift bedeutet." Tatsächlich war er nurGefreiter bei den Ulanen gewesen, wo er einjährig diente. Er hatteauch Visitenkarten auf den Namen eines Freiherr» v. Rottenfels.Er verbrauchte jährlich 49 999 M. Die Schulden bezahlte, bis eszum Bruch kam, der Vater B.. ein Kölner Grotzlaufmann. Sach-verständige erklärten, daß der junge Verschwender zwar minder-wertig. aber strafrechtlich verantwortlich sei. Er wurde zu vierMonaten Gefängnis verurteilt.