das Militär am 21. Oktober einrückte, befanden sich auf den Straßen nur Neu- gierige, vor allein Kinder und Frauen. Von einer großen Gefahr zu sprechen, ist geradezu lächerlich. Irgend ein Auflauf hat nicht stattgefunden. Nirgends sind Fenster eingeworfen oder hat sich irgend etwas ereignet, das die Anwesenheit von Militär recht- fertigte. ES sind einige Schimpfworts gegen Streikbrecher gefallen, und ein Streikbrecher wollte eine Frau deshalb mit dem Dolch niederstoßen! lHört! hört! bei den Sozialdemokraten.) Da sind ihm Streikende in den Arm gefallen. Deswegen Militär heranzuziehen, das ist einfach lächerlich. Dann müßte man bei jedem Vereiiisfest Militär zuziehen. Freilich, wenn man das alles als festgestellt ansieht, was z. B. in die„Magde- burger Zeitung" lanciert ist, würde es sich ja anders verhalten. Da ist zu lesen, daß die Pulverkammer in die Luft gesprengt werden sollte(Lachen bei den Sozialdemokraten), daß die elektrische Zentrale in die Luft gesprengt werden sollte und ähnliches. Aber solchen Ammenmärchen Glauben zi« schenken, ist geradezu lächerlich. Wir hatten die Leute bereits veranlaßt, nicht auf die Straße zu gehen, damit sie gar nicht provoziert werden könnten. Trotzdem hat man so getan, als ob die höchste Gefahr vorhanden sei. Freilich hat bei dieser Darstellung wohl auch das böse Gewissen der Behörde mitgespielt. (Sehr richtig I bei den Sozialdemokraten.) Ich konstatiere, daß wir selbst vollständig Ordnmig geschaffen hatten. Aber freilich, man wollte ja gehört haben, daß am nächsten Tage 3000 bewaffnete Bergleute aus Bochum kommen würden.(Lachen bei den Sozial- demokraten.) Solche Ammenmärchen, die in die Oeffentlichkeit lanciert wurden, flößten manchem Bürger und auch manchem hohen Beamten große Angst ein.(Heiterkeit bei den Sozialdemokraten.) Als dann das Militär kam, kamen viele Leute, um es anzusehen: ruhige Bürgersleute, Frauen, Kinder, die ja in Hettstedt sonst Militär nicht zu sehen bekommen. Ein jeder wollte die Maschinengewehre sehen. Herangelassen wurde keiner, aber die Elektrische fuhr vorbei. Und die hat an jenem Tage sehr gute Geschäfte gemacht.(Heiterkeil bei den Sozialdemokraten.) Daß über diese Dinge nicht nur Aerger und Aufregung entstanden ist, sondern daß man ans vollem Halse gelacht hat, können Sie sich wohl denken. Es war ja auch ein erhebendes Schauspiel, die Soldaten mit aufgepflanztem Gewehr und ringsherum die Kinder gelagert zu sehen.(Heiterkeit bei den Sozialdemokraten.) Aber auch große Aufregung hat die Aufstellung von Maschinen- gewehren hervorgerufen. Die Aufregung unter diesen reichstreu er- zogenen Bergarbeitern wurde so groß, daß die Leute zu mir sagten, ich dürfe nicht so bremsen, es müsse jetzt losgehen! Wenn sie wirklich schießen, müsse man Dynamit anwenden I Natürlich b e- r u h i g t e ich die Leute, daß sie sich nicht provozieren ließen. Nicht nur wir und nicht nur freisinnige Bürger hielten die Heranziehung von Militär für unnötig. Als daS Militär schon acht Tage da war, am 29. Oktober, schrieb auch die„Magdeburger Zeitung':„Der Unwille über dieses Vorgehen ist in Mansfeld so allgemein, daß es wahrhaftig nottut. daß auch die bürgerliche Presse energisch Verwahrung dagegen einlegt.'(Hört I hört I) Ebenso haben sich Offiziere und Unteroffiziere unwillillig über ihre Heranziehung in dieses so auffallend ruhige Gebiet anögesprochen. Was haben Sie denn nun mit der Heranziehung des Militärs erreicht? Ich habe auf den Tisch des Hauses einige Witzblätter niedergelegt, aus denen Sie ersehen können, daß Sie sich vor der ganzen Welt lächerlich gemacht haben.(Lebhaftes Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) War es nötig, gerade das 36te Regiment heranzuziehen? Ein Soldat dieses Regiments wollte einen Streikposten forttreiben und erkannte in ihm seinen Bnlder!(Hört l hört! bei den Sozialdemokraten.) Wenn wirklich das Einschreiten von Militär notwendig geworden wäre, mußte man dann die Truppen hinschicken, die gerade dort ihre Väter, Brüder, Mütter und Schwestern hatten: die eigenen Brüder und Söhne der sweikenden Arbeiter? Das mußte ja eine ungeheure Auflegung hervorgerufen.(Lebhafte Zustimmung bei den Sozialdemokraten.) Und wie ist das Militär vorgegangen? Am 3. Oktober wurde die Bahnhofstraße besetzt nnd überhaupt kein Mensch zum Bahnhof gelassen.. (Hört! hört! bei den Sozialdemokraten.) Bauarbeiter, die zu ihrer Arbeitsstelle fahren wollten, wurden daran verhindert und mußten ihre Arbeit versäumen. Als unser Ordnungsmann, ein durchaus ruhiger Mensch, an den Unteroffizier herantrat und ihn in ruhigster Weise darauf aufmerksam machte, daß es sich hier nicht um streitende Bergarbeiter handele, ließ der Unteroffizier scharf laden und sagte: „Wenn Sie noch ein Wort sprechen, lasse ich Sie niederschießen!" (Lebhaftes Hört! hört! bei den Sozialdemokaten. Zuruf: Dafür bezahlen wir die Steuer!) Ich frage den Kriegsminister, ob eine so ungeheuerliche Instruktion gegeben worden ist, ob derartiges bor Gott und Menschen verantwortet werden kann. In Hettstedt »sollte ein alter 63jähnger Invalide, welcher der Gewerkschaft 46 Jahre treu gedient hat(Hört I hört I bei den Sozial- demokraten), die goldene Verdienstmedaille und in Anerkennung seiner Dienste auch eine silberne Uhr von der Gewerkschaft erhalten hatte, sich auch das Militär ansehen. ES bekam ihm schlecht. Weil er nicht schnell genug von der Straße konnte, wurde er mit dem Gewehrkolben verprügelt. (Hört! hört! bei den Sozialdemokraten.) Fünf Soldaten gegen ein Mädchen! Ein Dienstmädchen, das eine Besorgung zu machen hatte, konnte gar nicht verstehen, daß man sie daran hindern könne. Als sie einfach durch die Posten ging, wurde sie verhaftet, und der dienst- tuende Unteroffizier beorderte 5 Mann, die er scharf laden ließ (lautes Lachen vei best Sozialdemokraten) und in Begleitung dieser 5 Soldaten wurde das Mädchen zur Wache geschafft.(Große Heiterkeit.) Was für eine Auffassung mußte das Mädchen von den Soldaten bekommen! Sie sagte zu ihnen: „Ihr seid aber stark!" (Schallende Heiterkeit.) Auck, unsere Ordnungsmnnner find wieder- holt verhaftet worden, ohne daß einer den Grund wußte. Als wir uns bei dein Major über eine grundlose Verhaftung beschwerten, gab er zur Antivort, der Ordnungsmann habe dem Leutnant Rauch ins Gesicht geblasen. Dabei hatte der Verhaftete fünf Meter von dem Offizier abgestanden. Ich wiederhole meine Frage an den Kriegsminister, ob wirklich derartig unsinnige Instruktionen de» Offizieren erteilt sind. In Sierstedt bei Hettstedt wurde eine Verhaftung borgenommen, weil das Pferd eines Altwarenhändlers an die Gewchrpyramide herangegangen war und sie dabei umgeschmissen hatte! Da man das Pserd nicht verhaften konnte, verhaftete man den Besitzer, und schaffte ihn inS Spritzenhaus. Der Mann konnte das gar nicht begreifen und geriet in eine solche Aufregung, daß er alles demolierte, den Ofen und seine Kleider zum Fenster hinaus- warf. Wiederum wurden fünf Mann beordert, die scharf laden mußten und den Mann ins Krankenhaus schafften. Sieht denn die Militärbehörde nicht ein, daß auf solche Weise die Autorität der Behörde nicht gestärkt wird? Ganz besonders scheint man es auf die Althändler abgesehen zu haben.(Zuruf: Kiel !) Der Kieler Prozeß war allerdings schon eingeleitet. Ein solcher Althändler wurde verhastet, iveil er betrunken war und in diesem Zustande nicht einsehen konnte, daß er von der Straße gehen müßte. Eine Frau wurde verhaftet, weil sie nicht schnell genug von einem Schaufenster wegging. Ich wiederhole: bei dein ganzen Mansfelder Streik ist kein Blut geflossen, nnd das haben Sie allein uns zu verdanken.(Lebhafter Widerspruch rechts. Lautes Lachen des Abg. Kreth.) Wenn Herr Kreth darüber lacht, so läßt mich da? kalt.(Aög. Kreth: Ich amüsiere niich nur!) Dieses Amüsement gönne ich Ihnen, und es charakterisiert Sie.(Lebhaftes Sehr gut! bei den Sozialdemokraten.) Es bleibt eine Tatsache, daß wir ohne jede militärische Hilfe Ordnung gehalten haben. Wo es zu einem Zusammenstoß kam, war es die Schuld der Gendarmen, nicht der Ordnungsmänner. Ich wiederhole, es ist kein Tropfen Blut geflossen, nur einen Toten gab es, aber erschrecken Sie nicht: das war ein Militärgaul.(Heirerkeit.) Unsere Gegner werden ja nachher Gerichtsurteile aufmarschieren lassen. Aber gerade diese Urteile zeigen, daß man packendes Material nicht hat, obwohl man ungeheuer harte Strafen ausgesprochen har. Ein Ordnungsmann wurde mit 9 M. Geldstrafe bestraft, weil er durch Anlegen der weißen Binde sich ein öffentliches Amt angemaßt habe! (Große Heiterkeit.) Herangezogen wurde zur Begründung des Urteils eine Polizsiverordnung vom Jahre— 1708.(Erneute Heiterkeit.) Angesichts solcher Tatsachen.braucht man sich über die übrigen Urleile nicht zu wundern. Auch haben schon eine Reihe Freisprechungen stattgefunden. Freilich steht noch ein Prozeß wegen Bruchs des Landfliedens bevor, doch halte ich es für undenkbar, daß eine Verurteilung erfolgen kann. Jedenfalls wird man uns noch einen anderen Vorgang an die Rockschöße hängen wollen: Am 30. Dezember hat eine Dynamitexplosion stattgefunden und man hat bereits Ver- Haftungen von Ausgesperrten vorgenoinmen. Ed ist aber nicht der geringste Anhalt dafür vorbanden, daß Streikende und Ausgesperrte irgendwie beteiligt waren. Man hat sogar vermutet, die Explosion sei veranstaltet, um Material gegen unS vorbringen zu können. Ich will das nicht annehmen, aber jedenfalls haben wir stets darauf hingewirkt, daß die Leute sich nicht provozieren lassen.(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Noch einige himmelschreiende GesetzeSvcrletzungcn von feiten der Offiziere und Unteroffiziere inuß ich anführen; ihre Unkenntnis deS Vereins- und Ver- sammlungsrechts ist noch das geringste. Es wurden Flugblätter beschlagnahmt, auf Beschiverde hin wurden sie freigegeben, nnd dann sind doch wieder von verschiedenen Offizieren Flugblätter konfisziert worden, lieber das Verlangen, eine Bescheinigung darüber zu geben, setzten sie sich einfach hinweg!(Hört! hört! bei den Sozialdemokraten.) Noch bei Abbruch des Streiks wurden Flug- blättcr in Sangerhau'en von einem Hauptmann und einem Amtmann konfisziert. Auf Beschwerde beim Major in Hettstedt sagte dieser, Zeittingen dürften ausgetragen werden, Flugblätter aber nicht! Ich frage den Kriegsminister, ob eine solche ungesetzliche Instruktion gegeben ist. Wir haben Beschwerde beim Kommando in Magdeburg geführt, haben aber tis heute noch keine Antwort! (Hört! hört! b. d. Soz.). Ist das etwa bei der Militärverwaltung Mode? Wiederholt ist unS auf Beschwerden überhaupt keine Antwort zuteil geworden! Verträgt sich das etwa nicht mit der Offiziersehre?(Sehr gut I b. d. Soz.).— Ein Leutnant wollte einen 15jährigen Jungen verhaften lassen, weil er Flugblätter austrug. AlS der Junge Reißaus nahm, ließ der Leutnant scharf laden und wollte ihn niederschießen lassen! Wäre der Junge nicht stehen geblieben, so hätte der Herr Leutnant daS wohl auch getan.(Lebhaftes Hört! hört! bei den Sozialdemokraten.) Vielfach haben die Offiziere sich selbst widersprochen. Der eine duldete Ordnungsmänner mit der weißen Binde, der andere ließ sie verhaften. In einem Falle wurde der Verhaftete nach Kloster Mansfeld tranö- portiert, dann wieder zurück nach Hettstedt , dann nach Leinbach und dort zum Ortsschulzen gebracht. � Dieser Orisschulze war aber klüger als der Hauptmann. Er sagte, er könne die Verantwortung nicht auf sich nehmen, den Mann verhaften zu lassen.(HörtI hört! bei den Sozialdemokraten.) Auch hier, wo ein Hauptmann beteiligt war, frage ich den KriegSminister. ob die Leute nicht anders instruiert waren. Den Offizieren müssen die notwendigsten Gesetzes- kenntnisse beigebracht werden. Sie brauchen eS nicht in der Jnstruktionsstunde zu tun. Sie können sie ja den sechswöchigen Kursus besuchen lasten, den wir in der Gewerkschaft eingerichtet haben.(Lebhaftes Sehr gut! bei den Sozialdemokraten.) Wenn die Leute keine Gesetzeskenntnisse haben, so könne» Sie auch nicht verlangen, daß sie irgendwelche Autorität besitzen.(Sehr richtig bei den Sozialdemokraten.) Beim ManSfelder Streik hat auch die schwarze Polizei mitgeholfen, den Arbeitern Unrecht zu ttm. Ein evangelischer Pastor hat vorgeschlagen, eine Streikbrecherliga zu gründen, und ein katho- lischer Geistlicher hat sich alle Mühe gegeben, den Streikenden in den Rücken zu fallen.(Lebhaftes Hört! Hort! bei den Sozialdemokraten. Er hat versucht, die Arbeiter von der Organisation abzuhalten. Bei einigen hat er damit Glück gehabt, bei den meisten aber nicht. Und nach Aufhebung deö Streiks sind nicht nur die Streikenden dem Verbände treu geblieben, sondern auch katholische Arbeiter in großer Zahl zu uns übergetreten.(Abg. Dr. Fleischer: Das ist nicht wahr I) DaS ist wahr! Wenn Sie es nicht wissen, dann sind Sie falsch unterrichtet. Erwähnen muß ich noch das geradezu schamlose Verhalte» einiger Beamter. Vizepräsident Dr. Spahn(unterbrechend): Ich bitte den Herrn Redner, nicht in diesem Tone fortzufahren. Man kann sehr gut das Verhalten irgend eines Menschen charakterisieren, ohne ihn dabei zu verletzen. Abg. Sachse(fortfahrend): Bei dem Streik hat sich der Landrat deS Kreises in ganz parteiischer Weise in die Angelegenheit ein» gemischt Er hat nicht nur den Arbeitern, die sich wieder zur Arbeit meldeten, in Gegenwart der Arbeitgeber eine Standrede gehalten, sondern ihnen auch das Versprechen abverlangt: daß sie sich niemals organisieren werden!(Entrüstungsrufe bei den Sozialdemokraten.) Das ist eine so starke Verletzung der Gesetze, daß der vorhin von mir gebrauchte Ausdruck noch viel zu mäßig ist. (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Als der Landrat das Bureau verließ, bekam er von keiner Seite einen Gegengruß. So erbost waren die Arbeiter über sein Eingreifen in den Kampf. Wir verbitten unS auf das energischste ein derartig ungesetzliches Ein- greifen. Der Landrat hat dann noch im Kreisblatt in einem Artikel die unterlegenen Arbeiter verhöhnt. Ist es heroisch, wenn ein Sieger dem Besiegten noch Fußtritte verletzt? Jedenfalls hat er damit dem Streik keinen schönen Denkstein gesetzt, sondern eher einen Denkstein der Schande. Jedenfalls ist es nicht gelungen, trotz aller Machinationen die Arbeiter vom Verbände loszureißen. Angesichts aller dieser Tatsachen und der parteiischen Einmischung der Militärbehörden haben wir an den Reichskanzler die Anfrage gerichtet welche Schritte er zu tun gedenkt, um in Zukunft derartige Vorgänge hintanzuhalten. Jedenfalls sind die Gelder der Steuer- zahler nicht dazu da, um solches Theater aufzuführen und derartige Ungerechtigkeiten, wie es das Eingreifen des Militärs ist, zu be- zahlen. Wir verlangen, daß der Reichskanzler endlich Stellung ninimt und daß die Bestimmungen über das Koalitionsrecht nicht nur gegen die Arbeiter, sondern auch für die Arbeiter angewendet werden. Wenn wir gerechte Richter und unparteiische Staatsanwälte hätten, dann wären Handhaben in den Gesetzen vorhanden, um gegen Arbeitgeber bor- zugehen, die sich solche Ausschreitungen gegen die Arbeiter zu schulden kommen lassen. Da wir daS aber nicht haben, müssen wir die Regierung ersuchen, die Arbeiter vor solchem Zwang zu schützen, wie er hier ausgeübt wurde.(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Wer die Arbeiter abhält, ihr Recht zu finden, der muß auch mit Strafe belegt werden. Wir haben unsere Pflicht getan, tun Sie die Ihre!(Lebhafter Beifall bei den Sozialdemokraten.) Staatssekretär Dr. Delbrück: Auf die Frage, die in der Interpellation gestellt wurde, habe ich folgendes zu erklären: Es ist richtig, daß aus Anlaß des Streiks im ManSfelder Berg- rebier Militär zugezogen worden und dort bis gegen Ende des Streiks verblieben ist. Nach Artikel S6 der ReichSverfaffung sind die Bundesfürsten berechtigt, ihre Truppen zu polizeilichen Zwecken zu verwenden und die Truppen anderer Kontingente, die in der Umgegend stehen, zu requirieren. Ich habe zunächst zu prüfen, ob die Verwendung des Militärs im vorliegenden Falle im Einklang mit den Bestimmungen der Reickisverfassuu'g erfolgt ist. In dieser Beziehung habe ich festzustellen, daß das Militär herbei- gerufen wurde durch die zuständigen Landräte, nicht etwa von der preußischen Bergbehörde, wie behauptet wurde, nachdem au: 21. Oktober in Hettstedt eine nach Tausenden zählende Menge, in der sich allerdings auch Frauen und Kinder befanden, schwere Aus- schreitungen verübt hatten(Lebhafter Widerspruch b. d. Soz.), denen gegenüber die in geringer Zahl verfügbaren Polizeigendarmerie- mannsckaften sich als wehrlos zeigten.(Hört! hört! rcck>rs.> Unter diesen Umständen ist das Heranziehen des Militärs im Einklang mit den Borschriften der Verfassung erfolgt(Zuruf der Sozial- demokraten: Welche Ausschreitungen?) Ausschreitungen, die dem Gericht Veranlassung zu einer Anklage wegen Landfriedensbruchs gegeben haben I Der Tatbestand wird durch die gerichtliche Ver- Handlung festgestellt werden. Es ist einwandsfrei festgestellt, daß eine große Anzahl von Arbeitswilligen aus der Menge heraus bc- leidigt. beschimpft, bespien, daß schließlich die Mannschaften der Gendarmerie und der Polizei von der tobenden Menge an die Mauer gedrückt worden sind.(Hu I hu I bei den Sozialdemokraten.) Mit dieser Feststellung fällt auch die Behauptung, daß das Militär herbeigerufen sei, um die Bergarbeiter in der Ausübung des Koalitionsrechts zu beschränken. Die Frage, ob bei Unruhen, die auS Anlaß eines Streiks drohen oder entstehen, Militär zu Hilfe zu rufen ist oder nicht, ist zu entscheiden unabhängig davon, welches die Ursache des Streiks gewesen ist. Die Polizeibehörden haben die Pflicht, die öffentliche Ruhe und Ordnung aufrecht zu erhallen mit den erreich- baren verfassungsmäßigen Mitteln, ohne erst aus die Ur- fachen, die die öffentliche Ruhe und Ordnung gestört oder bedroht haben, einzugehen. Dabei ist aber der Reichs- kanzler der Ansicht, daß grundsätzlich die Polizeibehörden in die Lage gesetzt werden sollen, ohne militärische Hilfe nach Möglichkeit ihre Pflicht zu erfüllen. Da der Reichskanzler aber in dieser Auf- fasiung mir dem preußischen Minister des Innern ein? ist und dieser wiederholt Anordnungen getroffen hat, fehlt für den Reichskanzler die verfassungsmäßige Boraussetzung, aus diesem Grunde sich mit dem preußischen Minister des Innern ins Einvernehmen zu setzen. Da die Verantwortung für Handlungen der Militärpersonen allein bei den militärischen Instanzen liegt, wird der Herr Kriegsminister nachher auf die diesbezüglichen Ausführungen des Abg. Sachse eingehen. Beschwerden gegen Beamte der preußischen Verwaltung sind bisher weder an die zuständige preußische Zentral- stelle, den Minister des Innern, gelangt, noch an den Reichskanzler. (Hört! hört!) Es fehlt also bis heute dem preußischen Minister die Möglichkeit des Eingreifens und auch dem Reichskanzler die Boraussetzung für eüie Verständigung mit den preußischen Be- Hörden. Ich werde aber das heute vorgebrachte Material dem preußischen Minister mit der Bitte übermitteln, die Vorwürfe zu prüfen und eventuell Remedur eintreten zu lassen. Die Erörterung der Einzelfälle wird dann vor den preußischen Landtag zu verweisen sein.(Lachen bei den Sozialdemokraten.) Unter diesen Umständen darf ich es mir versagen, aus die Einzelheiten der Interpellation ein- zugehen, um so mehr, als ich versichern kann, daß der Reichskanzler mit dem preußischen Minister darin einig ist, daß eine gleichmäßige unparteiische Handhabung und Beobachtung der Gesetze durch die Beamten und Behörden der Bundesstaaten eine der wesentlichsten Voraussetzungen unseres Staatslebens ist.(Lachen bei den Sozial- demokraten. Lebhafter Beifall rechts.) Preußischer KriegSminister General v. Hceringen: Ich sehe'es als glücklichen Zufall an, daß es sich das erste Mal, wo ich die Ehre habe, in meiner jetzigen dienstlichen Stellung vor dem Hause zu sprechen, um die Abwehr eines Angriffs auf die Armee handelt, ivie er selten so unbegründet erfolgt ist.(Lebhafter Beifall rechts. Lautes Lachen bei den Sozialdemokraten.) Der Verfleter des Reichskanzler hat Ihnen bereits auseinander« gesetzt, daß bon den zuständigen Behörden die Aufforderung an das Generalkommando des IV. Armeekorps erging, Truppen in das Streikgebiet zu schicken, weil die Polizeibehörde für die Aieflecht- erhaltung der Ruhe und Ordnung nicht inebr genügte. Die Militär- behörde ist gar nicht dazu da, hat gar nicht das Recht, diese Aus- forderung nachzuprüfen; sie hat einfach die Pflicht, wenn die zu- ständige Behörde ruft, ihr zu folgen, bei Feuer- und Wassernot oder bei einer anderen Ursache, im vorliegenden Falle: aufgehetzte Arbeiter.(Lebhafter Beifall rechts. Große Unruhe bei den Sozial- demokraten und Zuruf: Wer hat aufgehetzt? Weitere Zurufe.) Auf die Dienstmädchen komme ich später.(Heiterkeit, großer Lärm; Vizepräsident Prinz zu Hohenlohe schwingt die Glocke.) Wir müssen einfach an Ort und Stelle gehen nnd unsere Pflicht und Schuldigkeit tun. Der kommandierende General hat alsbald die- jenige Truppenmacht ausrücken lassen, die er bei der ungeklärten Lage für unbedingt erforderlich hielt. Man hat sich nun darüber aus- geregt, daß der Truppe Maschinengewehre mitgegeben waren. Ja, kein Mensch hat befohlen, daß die Maschinengewehre extra mitgenommen werden sollten, das ist ein integrierender Bestandteil der Truppe. Ebensogut wie die Infanterie ihre Gewehre mitnimmt, nimmt sie auch ihre Maschinengewehre mit; sonst könnte man auch der Kavallerie sagen: Laßt die Lanzen zu Hause.(Heiterkeit rechts.) Es war aber um so notwendiger, als die Truppenzahl verhältnismäßig gering war. Die Lage, die die Truppe im Streikgebiet vorfand, war allerdings erheblich weniger Harm- los, als der Vorredner hier geschildert hat.(Sehr richtig! rechts.) Zunächst hatte am Tage vorher eine nach Tausenden zählende Volks- menge versucht, die Gendarmen nicht nur an die Wand zu drücken, sondern ihnen auch die Waffen zu entreißen(Hört! hört!), so daß tatsächlich die Gendarmen ihres Lebens nicht sicher waren und ihre Aufgabe nicht erfüllen konnten. Die Truppe ivar bis in die Nacvt tätig, nicht nur Frauen und Kinder, sondern einen 499 Köpfe zählenden Streikhaufen(Unruhe bei den Sozialdemokraten) vor der Fabrik zu vertreiben. Am folgenden Tage leiteten zwei Kompagnien die Arbeitswilligen durch Hettstedt und durch eine nach Tausenden zählende Menge, allerdings auch Frauen und Kinder, aber in allererster Linie Streikende. (Widerspruch bei den Sozialdemokraten. Abg. Sachse ruft: Nicht wahr!) Vizepräsident Prinz Hohenlohe: Herr Abgeordneter Sachse, unter- lassen Sie die fortwährenden Zwischenrufe, da ich Sie sonst zur Ordnung rufen muß.(Bravo ! rechts.) Erst nach zweimaligem Trommelwirbel ging die Menge zurück. aber Gott sei Dank! sie ging zurück, so daß die Truppe nicht nötig hatte, von der Waffe Gebrauch zu machen.(Hört! hört! rechts. Stürm. Unruhe d. Soz.) Die Koalitionsfreiheit ist von der Truppe von keiner Seite angegriffen worden; damit haben wir überhaupt nichts zu tun.(Große Unruhe und erregte Zwischenrufe bei den Sozialdemoflaten.) Wir schützen Leben und Ordnung und damit fertig I Für die Truppe begann ein anstrengender Drenst. lieber drei Wochen lang war sie nicht aus den Kleidern gekommen. Wenn Sie die Leute an Ort und Stelle gesehen hätten, so würden Sie gesehen haben, welchen ermüdeten, angestrengten Einvruck die Leute machten.(Erregte Zurufe bei den Sozialdemokraten.) Ob eS sich um rcichstrene Arveiter handelt oder nicht, ist für die Armee einerlei. Für uns kommt rS nur darauf an, ob der Arbeiter Ruhe und Ordnung hält oder nicht.(Tosender Beifall rechts.) Daß die Truppe sich jeder Provokation ferngehalten hat, das geht daraus hervor, daß erstens überhaupt kein Zusammenstoß mit der Bevölkerung stattgefnuden hat, zweitens aus der geringen Zahl der Verhaftungen. Ich erkenne ohne weirereS au, daß auch die Streik- leitung sich bemüht hat. Zusammenstöße zu vermeiden. Es ist wieder- holt in Rundschreiben und auch sonst aufgefordert worden, keine Ver- anlasiung zu Zusammenstößen zu geben.(LauteS Hört I hört I bei den Sozialdemvkr.) Aber diese Anerkennung hat einen Beigeschmack. DaS heißt nämlich immer dabei: Solange das Militär da bleibt.(Stllr- misches HörtI hört! rechts.) Und alle Berichte stimmen darin über- ein, friß, sobald unsere Truppe den Streikenden den Rücken wandte,
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