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Zum Schluß erhebe ich noch einmal die Frage, was gegen die Plackerei zu tun ist? Der Liberalismus ist ja nun mcht mehr m Jv an®er Kandare gehalten in bczug auf das Maß von Liberalismus, daS er haben darf. fSehr gut! bei den Sozial- demokraten.) Wenn Herr Milller-Meiningen über die Handhabung des VereiuSgesetzeS Klage geführt hat und nachher auch Herr Mugdan  es tun wird, so sage ick Ihnen: der nächste Weg znr Abhilfe ist der, mit Hilfe der Polen  , deS Zentrums und mit uns dafür zu sorgen. daß die Dinge, die Sie heule beklagen, ausgemerzt werden durch klare Bestimniuiigen des GeseyeS. die nicht nur ein Staats- Uhctät nicht zweimal zu lesen braucht, sondern die auch jeder simple Beamte, Arbeiter und Staatsbürger bei einmaligem Lesen der- stehen kann. Durch die Verschiebung der Machtverhältnisse ist Ihnen jetzt dazu Gelegenheit gegeben. Erfassen Sie diese Gelegen- hctt, Herr Müller-Meiningen, dann werden wir im nächsten Jahre jedenfalls nicht mehr solche Erörterungen haben. sBravo I bei den Sozialdemokraten.» Abg. Gröber(Z.Z: Die Klagen kommen ausschließlich aus Nord- deutichland. Bei uns in Süddeutschland   kann man sich ja nicht be- klagen; daß aber der gesetzliche Zustand sich für uns Wnrttemberger gegenüber dem früheren Zustand durch das Reicksvereinsgesetz ve r« l ch l e ch t ert hat, bleibt trotz Herrn Hieber bestehen. Bei uns ist eben die Praxis besser als die Theorie! Man löst keine Verianmi- lungen aus, weil ein paar Jugendliche dabei sind. Man führt die betreffenden Bestimmungen des Gesetzes einfach nicht aus;(Hört! hört! rechts) man braucht sie nicht auszuführen, weil kein Hahn danach kräht und kein Denunziant sich findet.(Lebhafter Beifall im Zentrum und bei den Sozialdemokraten.) Eine Mehrheit, die Sprachen- und Jugendlichenparagraph aus dem Vereins- gesetz ausstreicht, werde ich für eine verständige Mehrheit halte», auch wenn Dr. Hieber nicht zu ihr gehört.(Heiterkeit und Sehr gut! in» Zentrmn und bei den Sozialdemokraten.) Die elsaß  -lothringische Schul- und Kirchenfrage gehört nicht zum Kereinsrecht. Jedenfalls haben die Bischöfe das unbestreitbare Recht, Lehrer zum Austritt aus einem notorisch kirchen- und katholikenfeind- lichen Verein aufzufordern.(Lebhafte Zustimmung im Zentrum.) Dieses Recht(mit erhobener Stimme) wird sich die Kirche von keiner Macht der Erde rauben lassen.(Stürmische Zustimmung im Zentrum. Zurufe bei den Liberalen.) Sie, Herr Müller-Meiningen, wollen nicht die Freiheit der Kirche, Sie wollen nur Freiheit für Ihre Ideen.(Erneute stürmische Zustimmung im Zentrum. Lachen. Zurufe und Widerspruch links.) Daß man au dem BreSlauer Katholikentage  , auf dem loyale Staatsbürger aus Preußen und ganz Deutschland   zusammenkamen, eine Ansprache an polnische Arbeiter in ihrer Muttersprache nicht zulassen wollte, war ebenso kleinlich-gehässig wie unverständig und hat nur dem polnischen Ra- dikalismus genützt.(Lebhafte Zustimmung im Zentrum.) Die un- glückselige Polenpolitik der preußischen Regierung hat nach einander zu Eingriffen in das Vereinsrecht, in das Wahlrecht und zuletzt so- gar in das der preußischen Regierung sonst so heilige Eigen- t u m s r e ch t geführt und wird mit einem vollen Bankrott enden. (Sehr richtig! im Zentrum und bei den Polen  . Zuruf bei den Sozialdemokraten: Der Bankrott ist schon da!) Herr v. Putlitz   beklagte die Inanspruchnahme deS Reichstages durch Interpellationen. Nun, gerade wie durch eine sehr wlln- schensiverte Modernisierung der mecklenburgischen Verfassung die ewigen Mecklenburg  -Jnterpellationen aus dem Reichstag verschwinden würden, so werden die Interpellationen über das Vereinsgesetz im Reichstage aufhören, wenn im Lande die Verstöße gegen das Vereins- gesetz aufhören.(Lebhafte Zustimmung im Zentrum und links.) Herr Müller-Meiningen scheint zu meiner Freude doch nicht so von demfreiheitlichen" Vcreinsgesetz, für dessen Zustandekommen freilich gerade er in erster Linie mit die Verantwortung trägt, er- baut zu sein wie Herr Hieber. Das berechtigt mich zu der Er- Wartung,' daß die Freisinnigen sich an der Ausmerzung der Aus- nahmebestimmungen aus dem Gesetze beteiligen werden.(Heiterkeit und lebhafter Beifall im Zentrum.) Abg. Stychel(Pole): In den östlichen Provinzen Preußens scheint das Vereinsgesetz nur dazu da zu sein, um von den Behörden ent- weder nicht beachtet oder umgangen zu werden. Gegen die polnischen Arbeiterorganisationen wird in direkt gesetz- widriger Weise vorgegangen. Harmlose Weihnachtsbescherunaen werden zu politischen Versammlungen gestempelt!(Hört! hört!) Die Ignoranz der Polizeibehörden im Osten wird nur von ihrer Bruta- lilät übertroffen. Polizisten drangen widerrechtlich und unter An- Wendung von Gewalt in eine geschloffenc Versammlung ein; sie handelten wie Einbrecher.(Sehr wahr I bei Polen   und Sozial- demokraten.) Als aber der Versammlungsleiter sich der gänzlich rechtswidrigen Auflösung der Versammlung durch die völlig rechts« widrig eingedrungenen Polizcibeamten widersetzte, wurde er vom' Schöffengericht in Strafe genommen I Das Gericht er- klärte: Die Beamten find rechtswidrig eingedrungen.(Hört! hört! bei den Polen   und Sozialdemokraten.) Nachdem sie aber einmal da waren, hatten sich die Versammelten ihnen zu füge». (Lebhaftes Hört I hört I bei den Polen  , Zentrum und Sozialdem.) Wir wissen ja, daß man sich uns Polen   gegenüber nicht an die Gesetze gebunden glaubt. Eben hat erst wieder der Reichskanzler im Landtag erklärt, daß das Bestehen der sogenanntenpolnischen Gefahr" alle Maßregeln gegen uns rechtfertige. Das ist eine Bankrotterklärung der Gesetzlichkeit!(Lebhafter Beifall bei den Polen  .) Abg. Graes(Wirtsch. Vg.): Die Polen   sind durchaus nicht so harmlos, wie der Vorredner uns glauben machen will. Die preußischen Behörden kennen ihre polnischen Pappenheimer und gehen daher mit berechtigter Schärfe gegen sie vor. Der Sprachenparagraph geht un» längst nicht weit genug.(Heiterkeit und Zurufe bd den Sozialdemokraten, Zentrum und Polen  . Rufe: G e m ü tS m en fch I> Die Klagen deS Abg. Müller-Meiningen erstreckten sich durchweg auf Geringfügigkeiten. Gegen die ch r i st l i ch e n Gewerkschaften sollten die Behörden sich wohlwollender verhalten. Abg. Hausen(Däne): Im Kreise Flensburg   wurde ein Standes- beamter gezwungen, sein Amt und andere Ehrenämter niederzulegen, weil er an einer Versammlung teilgenommen hat. Die der Re- gierung nicht genehmen Maßregelungen von Beamten wegen Aus- Übung ihres BersammlungSrechteS find keineswegs vereinzelt._ Em Geistlicher, der im Interesse deS nationalen Friedens in einem Abstinenzverein, dem Deutsche   und Dänen angehörten, tätig war. wurde in einen entlegenen Ort verseht I In zahlreichen Fällen be- nutzt man baupolizeiliche Vorschristeu, um Versammlungen zu ver- hindern, aber nicht etwa. solche der Alldeutschen und Krieger- vereine. Man mißt eben mit zweierlei Maß. Ebenso find Drang- salierungen von Gastwirten an der Tagesordnung. Ein Land- rat läßt Hochzeiten polizeilich überwachen(Heiterkeit) und gehl auch unter dem Reichsvereinsgesetz von dieser Gepflogenheit nicht ab.(Hör»! hört! linlS.) Beschwerde» wurden vom Regierung«- Präsidenten zurückgewiesen, jedenfalls auf Grund irreleitender und böswilliger Berickie der nachgeordneten Behörden. Abg. Dr. Mugdan  (frs. Vp.>: Die Parteien, die die Ver- antwortung für dus Vereinsgesetz übernommen haben, haben auch die Berpllichtuiig, für seine Durchführung zu sorgen.(Sehr richtig I links.) Wenn auch nur die Hälfte von dem zutrifft, waö Herr Hansen vorgebracht hat, begreise ich. daß die Regierung in Nord- Schleswig nichts ausrichtet. Mit Genugtuung kann es unS erfüllen, daß gegen das Vereinsgesetz selber mich vom Zentrum, den Polen   und den Sozialdemokraten io gut wie nichts vorgebracht werden konnte. (Zuruf bei den Sozialdem.: ß 12!) Am ß 12 das ganze Gesetz scheitern zu lassen, wäre eine große Dummheit gewesen. Sie können nicht leugnen, daß die Arbeitervereine jetzt viel freier stehen, wenn das Gesetz richtig durchgeführt wird.(Zurufe bei den Sozialdcmo- traten: Wenn, ja wenn!) Gerade weil das Gesetz weitgehende Fortschritte bringt, erfüllt es uns mit großem Aerger, daß es gerade ,n Preußen so mangelhaft durchgeführt wird. Preußen hat als Bor  - macht Deutschlands   auch Pflichten, und es schädigt das Ansehen des Deutschen Reiches, wenn eine mangelhafte Durchführung eines Reichsgesetzes in Preußen festgestellt werden muß. Wenn die Be- schwerden über Mißgriffe meist erfolglos bleiben, so liegt das vor allem daran, daß die ausschlaggebende Person, die den RegierungS- Präsidenten unterrichtet, gerade die Person ist, gegen die sich die Beschwerde richtet!(Sehr richtig I links.) Mit all' solchen Maß- nahmen züchtet man nur Sozialdemokraten, man züchtet Polen   und Dänen! Beamte, die ein Gesetz so öffentlich mißachten, verdienen die Strafe, die den Kättowitzer Beamten meines Erachtens zu Un- recht zu teil geworden ist.(Sehr richtig! links.) Zeigt die Regie- rung in diesem Fall den Beamten, daß eS ihr ernst ist mit der Durchführung des Gesetzes, so wird wirklich das Wort wahr werden: Preußen in Deutschland   voran!(Bravo I links.) Hierauf vertagt sich das Haus. Vizepräsident Erbprinz zu Hohenlohe   beraumt die nächste Sitzung an auf Donnerstag 1 Uhr und schlägt als Tagesordnung vor: Dritte Lesung des Vertrages mit Bolivien  , zweite Lesung des Justiz- e t a t S und des Etats des ReichSeisenbahnamts. Abg. Singer(Soz.) beantragt, zunächst die Fortsetzung der eben abgebrochenen Besprechung der Interpellation über die Handhabung des Vereinsgesetzes aus die Tagesordnung zu setzen. Vizepräsident Erbprinz zu Hohenlohe  : Ich werde über diesen Antrag abstimmen lassen. Abg. Gröber(Z.): Ich bezweifle die Beschlußfähigkeit des Hauses. (Unruhe links.) Vizepräsident Erbprinz zu Hohenlohe  : Das Bureau ist sich einig. daß das Haus beschlußunsähig ist; es bleibt also bei meinem Bor  - schlage. Wie Sie wohl schon durch die Presse erfahren haben, ist das türkische Parlament verbrannt worden. Ich bitte um die Er­mächtigung. dem Präsidenten des türkischen   ParlanientS telegraphisch  das Beileid des Deutschen   Reichstags aussprechen zu dürfen.(All- seitige Zustimmung.) Schluß 7«/« Uhr.  _ Abgeordnetenhaus. 5. Sitzung, Mittwoch, den IS. Januar, nachmittags IVj Uhr. Arn Ministertisch: v. Bethmann Hollweg  , Freiherr v. Rheinbaben, v. Moltkc. v. Trott zu Solz, v. Ar- nim-Criewen, Sydow, v. Breitenbach, Beseler, Auf der Tagesordnung stehen die Interpellationen über die Bcamtenniasirrgelungen in Kattotvitz. Die Interpellation des Zentrums richtet an die Regierung dte Frage: .Wie rechtfertigt die Königliche Staatsrcgierung diese Be- schränkung in der Ausübung staatsbürgerlicher Rechte?" Die Interpellation der Polen   fragt: Wie ist eine solche Maßregel mit den Grundsätzen der Staats- Verfassung und der den Staatsangehörigen gesetzlich garantierten individuellen Freiheit bei der Ausübung ihrer staatsbürgerlichen Rechte bei den Wahlen in Einklang zu bringen?" Ministerpräsident v. Bethmann Hollweg   erklärt sich bereit, die Interpellationen sofort zu beantworten. Die Interpellation ocs Zentrums begründet: Abg. Dr. Porsch(Z.): Die Erörterung der Beanitenmaßregc- lungen im Reichstage enthebt uns nicht der Pflicht, die Angelegen- heit auch noch hier zu erörtern, einmal weil es sich um eine preu- ßische Angelegenheit handelt, dann weil die Antwort im Reichs- tage von feiten der beiden Herren Staatssekretäre nicht ausreichte. An der Sicherstellung einer freien und gesicherten Wahl haben alle Parteien ein Interesse, denn die Welt ist rund und dreht sich.(Hei- terkeit.) Dazu kommt, daß der Oberpräsident von Oppeln   in diesen Tagen einen vertraulichen Erlaß herausgegeben haben soll, der sich mit der Ausübung des Wahlrechts von feiten der Kom- munalbeamtcn befaßt.(HörtI hört! links.) Während die Bevölke- rung in Kattowitz   zu 75 Proz. katholisch ist, sind von den 42 Stadt­verordneten 19 evangelisch, 15 jüdisch und nur 8 katholisch.(Hört! hört! im Zentrum.) Daher setzte der katholische Männerverein alle Hebel in Bewegung, um wenigstens die dritte Abteilung für die Katholiken zu gewinnen. Der Kampf in Kattowitz   hatte nicht eine Spitze zwischen Deutschen   und Polen  , sondern eine religiöse Spitze zwischen katholischer und liberaler Weltanschauung, insbe- sondere drehte er sich um die in Kattowitz   bestehenden Simultan- schulen. Die Liberalen warben, auch für die Stichwahl, um die Unterstützung der Sozialdemokraten, und die Sozialdemokraten scheinen diesem Werben auch zum Teil nachgekommen zu sein, wenn sie auch offiziell Stimmenthaltung proklamiert hatten. Die Libe- ralen siegten und betonten in ihrer Siegesfeier noch besonders: Gesiegt hat die liberale Weltanschauung gegenüber dem Klerikalis- musl(HörtI hört! im Zentrum.) Auch in Fcrrerbewegung ist in Kattowitz   gemacht worden. Dabei betone ich gegenüber einer neu- lichen Aeuherung des Abg. Hirsch-Berlin, der uns des Haffes gegen Ferrer beschuldigte: Ich wüßte nicht, warum wir diesen toten Rionn hassen sollten, aber mit aller Schärfe wenden wir uns gegen den frivolen Mißbrauch, den man mit dem Namen dieses Mannes in Deutschland   getrieben hat, um das Volk aufzuhetzen gegen Jesuitis- muS, gegen die katholische Kirche  , gegen das Zentrum, gegen die Reaktion und sogar das wird Sie(nach rechts) interessieren auch gegen den sogenannten schwarz-blauen Block.(Hört! hört! im Zentrum.) In der Ferrerangelegenheit sprach der sozialdemo- kratische Gewerkschaftssekrctär, der deutsche Stadtverordneten- kandidat Rabow(Hört! hört! rechts), ein Stadtrat, ein Gymnasial- Professor(HörtI hört! rechts) usw. Nach der liberalen Presse soll die Versammlung glänzend verlaufen sein, alle Klassen und Be- rufe waren vertreten. Juristen. Aerzte, Professoren. Beamte, Kauf- leute und Arbeiter. Bei diesen ganzen Verhältnissen war es doch selbstverständlich, daß ein Katholik, der treu zu seinem Glauben steht, nicht für den Vertreter der liberalen Weltanschauung stim- men konnte.(Sehr richtig! im Zentrum.) Ich würde nicht anders gehandelt haben, und wenn jemand gewagt hätte, deshalb meine deutsche Gesinnung anzuzweifeln, würde ich ihm eine Antwortung gegeben haben, die er sich nicht hinter den Spiegel gesteckt hätte. (Lebhaftes Bravo! im Zentrum.) Nach der Hauptwahl wurden dann die Lehrer darauf hingewiesen, daß sie für den polnischen Kandidaten nicht stimmen dürften; sie haben sich gefügt und bei der Stichwahl lediglich für den deutschen katholischen Kandidaten ge- stimmt.(Hört! hörtl im Zentrum.) Ueberhaupt haben nur R e i ch s b e a m t e in der Stichwahl für den polnischen Kandi- baten gestimmt; von den preußischen Staatsfunktionären hat nur ein einziger die Verwegenheit gehabt, für den polnischen Kan- didaten zu stimmen und dadurch die in ihm verkörperte Staats- autorität zu kompromittieren, und dieser Beamte war ein Schul- diener.(Große Heiterkeit im Zentrum.) Die Versetzung ist den Lehrern nicht etwa einfach mitgeteilt, sondern eS ist eine förmliche eierliche Hinrichtung an ihnen vollzogen worden in Gegen- wart deS ersten Bürgermeisters und sogar der Schüler der Prä- parandie!(Hört! hört! im Zentrum.) Der Schulrat verlas die Maßregelung, sprach vonpolitischer Unreife bei alten Herren, die dann eben nicht hicrherpaßten".(Hört! hört! im Zentrum.) Die Lehrer hofften auf das väterliche Herz des Oberpräsidenten. (Lachen im Zentrum) kamen um eine Audienz ein und erklärten dort, sie hätten einen Fehler begangen, aber nicht mit Bewußtsein, bedauerten ihn und bäten, die Versetzung zurückzuziehen. Der Regierungspräsident erwiderte, es müsse ein Cxcmpcl statuiert werden im Interesse des Landes und der Lehrerschaft! (Hört! hört! im Zentrum.) Es habe bei ihnen ein Mangel an Nationalgefühl und Beamtenpflicht vorgelegen, der bestraft werden müsse! Unter anderem ist auch ein alter Rektor versetzt worden, obwohl er die eidesstattliche Versicherung abgegeben hat, er hätte nicht gewußt, daß der Kandidat Bragulla von irgend- jemand als Grotzpole angesehen würde.(Hört! Hort! im Zentrum.) Er hatte bisher 23 Klassen unter sich und ist als Hauptlehrer nach einer Dorfschule versetzt, wo er 8 10 Klassen unter sich hat.(Hört! hört! im Zentrum.) Wir müssen ganz abgesehen von den einzelnen Fällen vom allgemeinen gesetzlichen und rechtlichen Standpunkt gus die Möglichkeit einer Maßregelung hon Beamleit wegen Ausübung ihres Wahlrechts ablehnen. In dem allerhöchsten Erlaß vom 4. Januar 1882 über die Pflichten der Beamten heißt eS aus­drücklich: Mir liegt es fern, die Freiheit der Wahl zu beeinträchtigen." (HörtI hört! im Zentrum und links.) Und weiter: Für diejenigen Beamten, welche mit der Ausführung meiner Regierungsakte betraut sind(das sind Lehrer, Eisenbahnsckretäre» Schuldieuer nicht), erstreckt sich die durch den Diensteid beschworene Pflicht auf die Vertretung der Politik der Regierung auch bei den Wahlen." In Erläuterung dieses Erlasses sagte Fürst Bismarck   aber damals, daß sowohl politischen wie unpolitischen Beamten die Freiheit, zu wählen wie sie wollten, nicht beschränkt werden solle. Die Ausübung des eigenen Wahlrechts dürfe niemals ein Grund sein, gegen einen Beamten einzuschreiten.(Hört! hört! im Zen- trum und links.) Auch Fürst Bülow   hat am 19. Januar 1993 ausdrücklich betont, daß dieser Erlaß noch in Kraft sei. Selbst in dem Erlaß vom 31. August 1899 aus dem bekannten Kanal- jähre ist ein Unterschied gemacht zwischen politischen und nicht- politischen Beamten. Nun kommt hier besonders in Betracht ein Erlaß an die Oberpräsidenten in den Provinzen mit gemischt- sprachiger Bevölkerung. U)arin wird den Beamten eingeschärft, das dcutsch-nationale und preußische Staatsbewußtsein der Bc° völkerung zu stärken und lebendig zu erhalten auch durch ihr ge- samtes außerdienstliches und gesellschaftliches Verhalten. Aber auch in diesem Erlaß ist von den Wahlen nicht die Rede!(Hört! hört! im Zentrum.) Ich halte es für dringend notwendig, daß endlich eine gewisse Klarheit über die Betäligung der Beamten bei den Wahlen geschaffen wird. Ich erinnere daran, daß in Dort- mund und Essen staatliche Beamte sogar für den sozialdemokra- tischen Kandidaten gestimmt haben, ohne gemaßregelt zu werden. (Zuruf bei den Sozialdemokraten.) Das soll keine Denunziation sein, ich verlange auch eine solche Maßregelung nicht, aber ich ver- lange, daß in allen solchen Fällen gleichmäßig vorgegangen wird, weil es nur dann möglich ist, das Interesse der ganzen Be- völkerung für diese Zustände zu wecken.(Lebhaftes Bravo! im Zentrum und bei den Polen  .) Abg. v. Jazdzewski(Pole) verzichtet zunächst auf eine besondere Begründung der polnischen Interpellation. Ministerpräsident v. Bethmann Hollweg  : Die Interpellation beschwert sich darüber, daß eine Anzahl Lehrer und Beamte versetzt worden sind und wünscht Auskunft über die Gründe dieses Vorgehens. Ich bin bereit, diese Auskunft zu geben. Herr Porsch ist bei der Schilderung des Sachverhalts auf die einzelnen Gegensätze parteipolitischer und konfessioneller Natur in Kattowitz   eingegangen. Ich will ihm im gegenwärtigen Moment in diese Details nicht folgen.(Aha! im Zentrum.) Lassen Sie mich doch meinen Stanopunkt ruhig entwickeln, Sie werden sehen, daß er auch von Ihrem Standpunkt aus ein begründeter sein kann. Vor allem will ich feststellen, daß für die Entscheidung der Regierung parteipolitische oder konfessionelle Gegensätze ohne zeden Einfluß geblieben sind. Das Entscheidende ist lediglich der Ge- sichtspunkt gewesen, daß Beamte Kandidaten großpolnischer Richtung ihre Stimme gegeben haben.(Zuruf bei den Polen  : Daß sind keine Großpolen  !) Es wird Ihnen nachher eingehendes Material mitgeteilt werden, aus dem hervorgeht, daß aus dem ganzen Verhalten der beiden Kandidaten der Schluß gezogen werden muß, daß sie der großpolnischen Richtung angehören.(Hört! hört! rechts.) Gleich allen meinen Vorgängern stelle ich auf das Bündigste in Abrede, daß bei der Polenpolitik der preußischen Regierung kon- fessionelle Gegensätze irgend eine Rolle spielen.(Oho! im Zen- trum.) Die Regierung lehnt eS ab, solche Gegensätze mit den Nationalitätenkämpfen zu verquicken. Den Gegensatz katholisch- polnisch und evangelisch-deutsch   haben lediglich die Polen   kon- struiert.(Widerspruch bei den Polen  .) Es ist den Beamten, die in der Hauptwahl für den polnischen Kandidaten gestimmt haben, vor der Stichwahl von ihrer vorgesetzten Behörde ausdrücklich er- klärt worden, daß eine solche Stimmabgabe mit ihren Pflichten nicht vereinbar sei. Ein Teil der Beamten ist dieser Mahnung zu- gänglich gewesen, ein anderer Teil nicht. Die Regierung sah sich dann vor die Entscheidung gestellt, ob und wie sie gegen diese Beamten vorgehen solle; sie hat sich entschieden, von allen Diszi- plinarstrafen abzusehen,(Gelächter im Zentrum und links) sondern hat die Beamten im Interesse des Dienstes von Kattowitz   versetzt rti Acmter von gleichem Range und Gehalt. Was Herr Porsch bezüglich des einen Lehrers Gegenteiliges mitgeteilt hat. ist mir bisher unbekannt gewesen. Die Regierung hat das unbestreitbare Recht, einen Beamten von dem speziellen Posten, für den er sich nach Ueberzeugung der Regierung nicht eignet, zu versetzen. Herr Porsch hat angedeutet, man müsse aus Acußerungen deS Fürsten Bismarck die Folgerung ziehen, daß die Freiheit der Wahl nicht beschränkt werden soll. Es handelt sich hier nicht um DiSzi- plinierung. Ich lehne es deshalb ab, theoretisch die Frage zu er- örtern, inwieweit die Stimmabgabe eines Beamten bei einer öffent­lichen Wahl zum Ausgangspunkt von disziplinarischen Maßregeln gemacht werden kann oder nicht, weil diese Frage mit dem vor. liegenden Fall gar nichts zu tun hat.(Bravo  ! rechts.) Eins gebe ich Ihnen zu: Der Beamte soll in Ausübung seiner staatSbürger- lichen Rechte und insonderheit in der Freiheit seines Wahlrechts nur dann beschränkt werden, wenn es das Interesse des Staates unbedingt erfordert. Engherzigkeit in dieser Beziehung würde gerade einer Beamtenschaft wie der preußischen gegenüber am allerwenigsten am Platze sein; ihre Treue und Vaterlandsliebe beruht auf einem festeren Fundament, als es äußerer Zwa'w zu Schaffen vermag.(Bravo  ! rechts.) Aber sie hat dem preußischen Staat gerade um deswillen großes geleistet, weil sie sich bewußt gewesen ist. daß sie über das unmittelbare amtliche Verhalten hinaus auch in ihrem gesamten a u ß e r am t l i che n Verhalten dem Staate durch den Treueid verbunden ist.(Bravo  ! rechts.) Ich hoffe, daß die Beamtenschaft an diesem Grundsatz des preußi- idien Beamtenrechts festhalten wird, auch gegenüber Bewegungen. )ie ihr einzureden versuchen, daß individuelle Interessen des Beamten dem Interesse des Staates vorzugehen haben. Wenn derartige Ansichten zum Durchbruch kämen, würde eine der sichersten Grundlagen des preußischen Staate» erschüttert werden. Darum wird die Regierung an diesem Grundsatz unerschütterlich festhalten.(Bravo I rechts!) Wenn ein Beamter wie in Kattowitz   zeigt, daß er die Polenpolitik der Regierung nicht zu unterstützen vermag, dann beweist er damit, daß er in einem national umstrittenen und gefährlichen Ort wie Kattowitz   nicht an seinem Platze ist(Sehr richtig! rechts), möge er sonst ein noch so brauchbarer, tüchtiger Beamter sein. Man wirft uns vor, daß wir die polnische Gefahr überschätzen; eine ruhige Politik der Versöhnung würde die Frage von selbst lösen; erst die Maßregeln der preußischen Regierung hätten das Groß- polentum großgezogen.(Sehr richtig! bei den Polen  .) Ich sehe den Zusammenhang anders. Mag auch die Politk der bewaffneten Erhebung längst als aussichtslos aufgegeben sein, mögen sich auch die Besonnenen unter den polnischen Führern hüten, ihre letzten Ideale zu enthüllen, so ist doch die Hoffnung auf die Wieder- erstehung des polnischen Reiches daS geistige Element, das alle Solen zusammenhält und das allein der polnischen Bewegung die Stoßkraft verleiht, deren Erfolge jeder sehen muh, der sehen will. Wenn man behauptet, e» sei die preußische Polenpolitik gewesen. welche den loyalen Wunsch nach Erhaltung der Muttersprache und de? nationalen Wesens zu der Leidenschaft entflammt habe, die die polnischen Herzen erfüllt, so schätzt man die geistigen Kräfte nicht richtig ein, von denen nationale Bewegungen getrieben werden.(Sehr richtig! rechts) Die Geschichte lehrt, daß das Polentum immer erstarkt ist in Perioden, wo das Deutschtum nicht vlanmäßig gefordert und geschützt wurde.(Sehr wahr! rechts.) Gewiß werden wir die Kraft der polnischen Bewegung nicht plätzliK brechen können, dafür geht sie in ihren Wurzel»