mtbcmi Streitfragen tu Seit Hintergrund gedrängt worden I gedrückt durch Tarifreform. Da-? Ausland, dessen Meinungsind. Im Interesse einer gesunden politischen EntWickelungist diese Tatsache nur zn begrüßen.Bis jetzt sind los Unionisten, 131 Liberale, 26 M i tglieder der Arbeiterpartei und 51 Iren gewählt.Die neugewählten Mitglieder der Arbeiterpartei sind G. NBarne-?(Glasgow), A. Henderson(Varnard Castle).C. W. B 0>v e r m a n(Deptford), I. W. Taylor(EhesterLe-Strect, Durham) und W. Johnson(Nuneaton)...BW BMerthyr wurde der Führer der Partei, Genosse Keir Hardie,mit der gewaltigen Majorität von 9000 Stimmen glänzendwiedergewählt.Tagegen ist 5! 0 t t i n g h a nt, das bei den letzten Wahlenden Genossen A. R i ch a r d s 0 n mit 800 Stimmen Majoritätund den Liberalen Sir H. C 0 t t 0 n mit 1730 StimmenMajorität ins Unterhans gesandt hatte, an die UnionistenLord Bentink und Kapitän Morison verloren gegangenStaatssekretär Grey ist in Berwik wiedergewählt.Heute wählen 43 Kreise, die bisher durch 12 Unionisten,27 Liberale, 6 Arbeiterparteiler und 2 Iren vertreten waren.Auch Victor Grayson steht heute zur Wiederwahl.Londoner Wahlvilder.London, 19. Januar.(Gig. Ber.) Keine Parlamentswahlseit 1832 hat wohl das englische Volk so aufgerüttelt wie diejetzige. Alle Geschäfte scheinen zu stocken. Am Abend, wenn dieAlahlresultate einlaufen, strömt alles Volk nach dem ZentrumLondons, wo sich vor den Kinematographcn in den Straßen undauf den Plätzen kaum zu beschreibende Szenen abspielen. Auf demTrafalgar Square, im Strand, in Aldwych, Kingsway und FleetStreet, überall haben die großen Londoner Tagesblätter Apparateaufgestellt, die die Wahlresultate, Karikaturen und Lichtbilder ausgroße leinene Tücher werfen. Vor einer Station der liberalen„Daily Chronicle" ging eS letzten Sonnabend besonders lebhaftzu. Diese Zeitung kündete einen einlaufenden konservativen Siegimmer mit einem roten Lichtschein, einen Sieg der Liberalen oderder Arbeiterpartei hingegen mit einem blauen Lichtschein an. Diehier zahlreich versammelten liberalen Parteigänger empfingennun jeden roten Lichtschein mit einem wahren Jndianergeheul,während der blaue Schein der liberalen Hoffnung von Hurrarufenbegrüßt wurde, die den Erdboden erbeben ließen. Einige hattenSchellen mitgebracht, andere Kindertrompeten, mit welchen Marter-Instrumenten sie den allgemeinen Radau erhöhten. Hinter demScheinwerfer der„Daily Chronicle" saß ein geschickter Karikaturen-Zeichner, der mit seinen witzigen Einfällen die nach Tausendenzählende Menge in den Pausen amüsierte. Nach einigen liberalenSiegen erschien zum Beispiel eine Zeichnung, die den Titel„Zu-sammenbruch" führte. Ein Lord war durchs Eis gebrochen undnur die Herzogskrone schwamm noch auf dem Wasser. Dann er-schien wieder eine Herzogskrone, die jetzt als das Sinnbild derLords gilt, die die Aufschrift trug„Großer Ausverkauf!" Dasauf die Leinwand geworfene Bildnis Lloyd Georges begrüßte dieMenge mit dem bekannten Liebe:„bor he's a jolly good fellow",Ein junger Mann, offenbar ein Waliser, der neben mir stand, riefalle paar Minuten zu einer Gruppe Konservativer hinüber:„Wiesteht's nun mit der deutschen Gefahr?" Dann erschien eine Karika-tur Balfours, der große Tränen weinte und seufzte: Schrecklich!schrecklich! Von London hatten die Konservativen bessere Resultateerhofft. Als nun die ersten Londoner Resultate einliefen, nachdenen die Liberalen in der Metropole gar nicht schlecht abgeschnittenhatten, kannte der Jubel der hier versammelten liberalen Mengekeine Grenzen.„Gutes altes London!" schallte es aus tausendKehlen. Der Schlager des KaritawrenzeichnerS war ein Bild,das einen jungen reichen Gecken darstellte, der heulend ausrief:„Ich werd' eS der Mama sagen!"So ging es den ganzen Abend bis 1 Uhr nachts. Hier dieHurrarufe der konservativen Herren und Ladenburschen, drübendie lauteren Rufe der liberalen Arbeiter Londons, bis das Pro-gramm erschöpft war und jedermann seine müden Beine und eis-kalten Füße nach Hause schleppte.Die Arbeiterpartei.London, 13. Januar.(Eig. Ber.) Die Arbeiterpartei hat anden beiden ersten Wahltagen vier Sitze verloren und einen ge-Wonnen. In Woolwich fiel der Arbeiterkandidat Will. CrookS,obgleich er nur ein paar Stimmen verlor. Der Verlust ist demUmstände zuzuschreiben, daß der Kandidat keine Wahlagitationmachen konnte. Er befand sich in Australien, als dieLords das Budget verwarfen, und traf erst am Abendvor der Wahl in Woolwich ein. Teilweise muß der Mißerfolg aber auch der riesigen Agitation den Konservativenzugeschrieben werden, die durch die Furcht der besitzendenKlassen, die wohl noch nie bei englischen Wahlen so deutlich zumAusdruck gekommen ist, kräftig unterstützt wurde.In Chatham, wo der Arbeiterkandidat JenkinS sich bemühte,sein Mandat zu behalten, ist der Sieg des Konservativen derBlatchford-Hetze, die abdr anscheinend nur in denSeestädten wirkt, zuzuschreiben. GateShead wurde dem Bergarbeiterkandidaten Johnson, der früher als Liberaler gewählt wurde, aber nach Anschluß der Bergarbeiterföderationan die Arbeiterpartei als Kandidat der letzteren auftrat.von den Liberalen abgenommen. Gateshead ist daher kaum alseine Niederlage der Arbeiterpartei anzusehen. Der vierte Verlustder Arbeiterpartei, Preston, wo Macpherson wieder kandidierte, ist das Resultat der religiösen Hetzereien, die hier in derPolitik eine Hauptrolle spielen. Diesen Verlusten steht der SiegvcS jungen Genossen Harry Twist in Wigan gegenüber, derum so wichtiger ist, als er die Eroberung einer alten konservativenHochburg bedeutet.In West Ham, der Londoner Arbeitervorstadt, ist der GenosseWill. T h 0 r n e, der auch ein eifriges Mitglied der S. D. P. ist,wieder gewählt worden. Er erhielt 1ö8v Stimmen mehr als beider vorigen Wahl, obwohl seine große Majorität(4882) nicht ganzan die des Jahres 1906 heranreicht. Blackburn wählte den GenossenS n 0 w d e n wieder, der von den Konservativen als der geistigeUrheber des Budgets angegeben wird; er vermehrte feine Stimmen-zahl um 1614. Bradford West ist dem erprobten Genossen G. I. Jowetttreugeblieben; seine Stimmenzahl wuchs um 3923, eine ganz außer-ordentliche Vermehrung nach englischen Verhältnissen. Leeds schicktetrotz der klerikalen Umtriebe den Genossen O' G r a d ymit einem Stimmenzuwachs von 1974 wieder ins Par»lament. In Leicester behauptete sich der bekannte GenosseMacdonald, dessen Stimmenzahl aber nicht ganz an dasResultat der letzten Wahl herankam. Norwich ist von dem GenossenRoberts behauptet worden. Der junge und eifrige sozialistischeAgitator Genosse P 0 i n t e r, der im vorigen Jahre den WahlkreisSheffield-Attercliffe den Liberalen abgewann, hat diesmal seinenkonservativen Gegner mächtig aufs Haupt geschlagen. ES sind fürihn bei dieser Wahl 4224 Stimmen mehr abgegeben worden alsbei der Nachwahl im vorigen Jahre. In Stockport ist der GenosseW a r d l e wiedergewählt worden.Preßstimmen zum vierte« Wahltag.London, 29. Januar. Die„Times" schreiben: Die allgemeineStiinmung der Bevölkerung während des vierten Wahltages ist aus-beeinflußt wird durch die Privatinteressen, die es nach dieser oderjener Richtung hin an England hat, bemerkt einstiinmig mit Mißvergnügen das Wachsen der Tarifreformler. Man würde im Auslandesehr glücklich sein, wenn man daS Gegenteil feststellen könnte, aberdie Situation ist zu klar und eS ist wohl als bestimmt anzunehmen,daß nunmehr nach dem vierten Wahltage sich in dieser Hinsicht inEngland nieniand mehr Illusionen hingiebt. Gut, wenn man nochgute Mienen zum bösen Spiele macht.Die liberalen„Daily News" beurteilen die Lage folgender-maßen: Als am 39. November die Lords ihre Zustimmung zumBudget verweigerten und so die Auflösung herbeiführten, habensie nicht nur den Freihandel und daS Budget bekämpft,sondern auch das Gleichgewicht der Konstitution in Frage gestellt.Das lvar ein Schandfleck für die englische Nation und dieserSchandfleck muß ausgemerzt werden, wenn anders das englischeVolk noch weiterhin Anspruch darauf erheben will, als ein Volk zugelten, das sich selbst zu regieren vermag.„DailyChronicle" schreibt: Mit dein Resultate von Londonkönnen die Liberalen zufrieden sein. Die Konservativenhofften, London gänzlich vom Liberalismus zu reinigen. Sie habenfür dieses Ziel leine Kraft und keine Anstrengungen gespart; abersie sind in einer recht bemerkenswerten Art unterlegen. DerLiberalismus ist nicht ausgemerzt; der Liberalismus ist in Londonjetzt stärker als je zuvor, ja selbst stärker als bei den Wahlenvon 1996.politische CkberHeht.Berlin, den 20. Januar 1910Die Reformbedürftigkeit der Rechtspflege.Aus dem Reichstag, 20. Januar. Mit ungewohnterSchnelligkeit wurde heute der Etat der Neichsjusttzverwaltung,der sonst zu mehrtägigen Debatten Anlaß gibt, in einem Tageerledigt. Zum Teil wurde die Redelust der juristischen Mit-glieder des Hauses wohl dadurch eingedämmt, daß soeben erstbei den ersten Lesungen der drei Justizgesetze eine Anzahlbrennender Fragen eingehend behandelt waren, zum Teilließ man auch dem neuen Staatssekretär Lisco eine gewisseSchonzeit zu gute kommen. Aber die Reformbedürftigkeit derdeutschen Rechtspflege ist so groß und so mannigfaltig, daßauch die regierungsfreundlichsten Parteien sich der Kritik nichtvöllig entschlagen konnten. Diese Kritik steigerte sich je nachder Oppositionsstellung der Parteien.Das Zentrum hatte Herrn B e l z e r aus Hohcnzollernvorgeschickt, dessen wohlgenährter Behäbigkeit jede Schärfefremd ist. Er regte sich selbst eben so wenig auf wie dasHaus. Nur die Bekämpfung der Schmutzliteratur lag ihmsehr am Herzen. Grundsätzlich wird ein solcher Zweck ja allerseits gebilligt werden, doch wird sorgsam darauf zu achtensein, daß nicht irgendwelche umgeprägte gesetzliche Bestimmungenden Behörden neue Handhaben zur schikanösen Behandlungder.Kunst und Literatur nicht nur, sondern auch der politischenPresse bieten. Freudige Zustimmung fand Herr Belzer beidem konvcrsativen Abg. G i e s e aus Sachsen, so daß wir demnächst einen konzentrischen Vorstoß der Konservativen und desZentrums zur Versittlichung der deutschen Kunst und Literaturzu erwarten haben.Die gemäßigte Opposition kam dann mit dem national-liberalen Abg. Junck zum Wort, der sich für die größereUnabhängigkeit der Richter ins Zeug legte und gleichfallsganz zutreffend das Titelwesen bei den Richtern eingeschränktzu haben wünschte. Leider konnte er sülz aber nicht zu einerVerurteilung der ganzen elenden Titel- und Ordenswirtschaftin Deutschland aufraffen. Das ist ja ganz erklärlich, denndas wird bekanntlich mitgemacht auch von Liberalen allerSchattierungen. Und diesen pfauenfedergeschmückten Krähenhackt auch Herr Junck nicht gern ein Auge aus. Der natio-nalliberale Redner machte auch einen Vorstoß gegen das Aus-wärtige Amt, weil es in dem bekannten Prozeß einigerdeutscher Geschäftsleute mit der russischen Regierung daZgegen die russische Regierung ergangene Gerichtsurteil einesdeutschen Gerichts als„nichtig" bezeichnet hatte; das sei einUebergriff einer Verwaltungsbehörde in die Rechtspflege,der auf das entschiedenste zurückgewiesen werden müsse.Der Staatssekretär Lisco ging auch auf dieses Vor-kommnis ein, nachdem er sich über eine Anzahl anderer Einzel-fragen ausgesprochen hatte. Er entzog sich aber vorsichtigder Notwendigkeit, über das Verfahren seines Kollegen v.Schoenein Urteil abzugeben, indem er daraus verwies, daß die Sachejetzt vor dem preußischen Kompetenzgerichtshos schwebe.Genosse Heine unterzog hauptsächlich die neuen Plänezur Verschlimmerung deS S t r a f r e ch t s einer scharfenKritik. Auch hierbei trete bedrohlich die Tendenz zutage,durch einige zweifellose Verbesserungen auf anderen Gebietenneue Handhaben zur Verwendung der Strafrechtspslege impolitischen Kampf den Behörden zu verschaffen. So sei dieweite Begriffsbestimmung z. B. beim„Verstoß gegen dieguten Sitten" äußerst gefährlich. Erfahrungsgemäß schlagedas diskretionäre Ermessen der Richter vorzugsweise denArbeitern zum Nachteil aus, ihren Gegnern zum Vorteil.Das immer stärkere Anwachsen des Mißtrauens gegen dieRechtspflege rühre daher, daß die Rechtspflege zu einer Ler-folgungsmaschinerie herabgewürdigt werde.Nachdem noch der Pole v. Dziembowski energischverlangt hatte, daß sich die Justiz nicht zur Dienerin derGewalt erniedrige, sondern werde, was sie sein solle: dieHüterin des Rechts, hielt der Freikonservative Vahren-h 0 r st eine regierungstreue Rede, während die FreisinnigenD 0 V e und Ablaß gegen die kleinlichen Strafverfolgungs-Methoden der Staatsanwaltschaft sowie gegen den Zeugnis-zwang der Presse polemisierten. Herr Ablaß verlangteinsbesondere, daß der Zeugniszwang nicht nur in Kriminal-fällen, sondern auch beim Disziplinarverfahren eingeschränktwerde.Dann ging die Debatte zu Ende, und der Etat wurde inzweiter Lesung bewilligt. Morgen kommt der Reichs-eisenbahnetat an die Reihe.Krenzzeitungs-Terrorismus.Mit einem Aufgebot von sittlicher Entrüstung, das andie schönen Tage erinnert, als noch Herr v. Hammerstein inihren Spalten der sündigen Menschheit Buße predigte, hat dieehrliche„Kreuzztg." über den schrecklichen Terrorismus ge-zetert, den angeblich die Berliner Sozialdemokratie bei denletzten preußischen Landtagswahlen auf den armen Mittelstandausgeübt haben soll. Für jeden, der die schönen Grundsätzeder Agrarkonservativen kennt, war von vornherein klar, daßsich das ehrsame Blatt nicht über den Terrorismus au sich sosehr entrüstete, sondern lediglich darüber, daß nach seinerAnsicht auch die Sozialdemokratie ein Mittel anwandte, dasseit jeher zu den gebräuchlichsten Kampfmitteln der preu-ßischen Junker und ihrer Anhängerschaft gehört. Daß eSnicht Bedenken gegen den politischen Terrorismus an sich' sind, die die Hammer- und sonstigen Steine zu ihrer sittlichenEntrüstung bestimmen, beweist schon die einfache Tatsache, daßsie krampfhaft an der öffentlichen Stimmabgabe bei der Land-tagswahl festhalten— zu keinem anderen Zwecke, als um dieländliche Wählerschaft kontrollieren und terrorisieren zukönnen.Um aber au diesem ihren wirklichen Beweggrund keinenZweifel aufkommen zu lassen, singt jetzt die„Kreuzztg." sogareine amüsante Hymne auf den konservativen Wahlterroris-mus. Sie druckt als Leitartikel ein„Gespräch über die ge-Heime Wahl" zwischen zwei Konservativen, einem„Justizrat"und einem„Doktor" ab. Ter Doktor ist ein Freund deröffentlichen Wahl und kann es nicht begreifen, daß der Justiz-rat, der„doch sonst gut konservativ" sei, für die geheimeWahl eintreten kann. In dem Gespräch fragt der Justizratden Doktor:„Wie wollen Sie den schrecklichen Terrorismusbei der öffentlichen Wahl verteidigen?" Tarauf antworteteder für die öffentliche Wahl begeisterte Doktor:Was heißt Tcrrorismus? Ohne irgendwelchenTerror gibt es keine Politik. Die Massen folgenimmer dem, was am meisten Eindruck auf sie macht, ihnen ammeisten imponiert. Gegen die Ausschreitungen des Terrorshilft auch kein Gesetz, sondern nur die öffentliche Gegen-organisation, das sichtbare Auftreten einer zweiten Macht, dieimponiert. Wenn der ruhige und friedliche Bürger sich vor jedemTerror, handelnd oder leidend, fürchtet, so fällt die politischeMacht den Skrupellosen, Furchtlosen, Streitsüchtigen zu, wie beiuns leider so oft.Ein niedliches Eingeständnis! Also, der Terrorismus istetwas Schönes, Vaterländisches, wenn die Agrarkonservativenihn in ihrem egoistischen Interesse anwendee; er ist aberetwas Unsittliches, wenn die Sozialdemokratie zu ihm greift,um die Widersinnigkeit des blödsinnigsten aller Wahlsystemezu demonstrieren. Es scheint fast, die Macher der„Kreuz-zeitung" fühlen das Bedürfnis, von Zeit zu Zeit immerwieder neue Beweise für die Berechtigung des treffendenAusspruches der Flora Gaß zu liefern.Psychiatrische Gutachten.Die.Norddeutsche Allgemeine Zeitung" hat sich wegen desFalles Haß auf psychiatrische Gutachten berufen, die Herrn Haß alsgemeingefährlichen Querulanten erklärten. Wasmanchmal von solchen Gutachten zu halten ist, beweist eine tragt-komische Geschichte, die in Württemberg passiert und von dernichts abzuleugnen ist, dieweilen sie aktenmäßig feststeht.In dem würUembergii'chen Dorfe Beutelsbach verfiel einmal einBauer, namens Wilbelm Kuhnle, auf die unglückselige Idee,gegen seinen Schultheiß Schlör, der ein Günstling des inzwischenverstorbenen OberamtmannS Baun war, Anzeige zu erstatten. Schlör.der später mit Schande von seinem Posten gejagt wurde und imRegensburger Krankenhause durch Selbstmord endete, erkannte inKuhnle einen ihm sehr gefährlichen Gegner. Daher suchte er ihnzum gemeingefährlichen Querulanten, der in einIrrenhaus gehöre, zu stempeln. Die Sache ging, wie geschmiert.Der erste Arzt, der sie in die Hand bekam, war der OberamtsarztDr. Gaupp. Ihm genügte ei» Besuch von ein paar Minuten beiKuhnle, um diesen gemeingefährlich zu erklären. Dabei stützte ersich hauptsächlich auf das Gutachten des braven SchultheißenSchlör! Nun kam Kuhnle in die württembergische IrrenanstaltWinnenden. Der Direktor dieser Anstalt. Dr. Kreuse, stellte in be-zug auf den Fall Kuhnle den großartigen Satz auf:„GS i stnebensächlich für die Diagnose nachzuweisen, obwirklich dem Kranken Unrecht geschehen ist."Nachdem Kuhnle von Winnenden in die Irrenanstalt Schüssen-ried verbracht war und hier einige Zeit verweilt hatte, stellte derDirektor Dr. Ast von Schussenried über Kuhnle folgendes ZeugnisauS:„Kuhnle hat sich direkt gemeingefährlich, aktiv gewalttätig undnamentlich aggressiv in hiesiger Anstalt nicht gezeigt; wohl aberbezeigte er sich beständig unzufrieden."Zufrieden soll also der deutsche Staatsbürger auch dann sein,wenn er unschuldig als Querulant ins Irrenhaus gesperrt wird.Die Geschwister KuhnleS machten mehrere Eingaben an denKönig von Württemberg, in welchem sie um Befreiung ihresBruderS baten. Sie wurden aber vom Ministerium des Innern stetsbenachrichtigt, daß Se. Majestät das Gesuch nicht genehmigt habe.Einmal erhielten sie obendrein die Warnung, den König nicht weiterzu belästigen.Dr. v. Rüdinger, damals Direktor des württembergischeuMedizinalkollegiumS, sprach sich entschieden gegen die EntlassungKuhnleS auS dem Jrrenhause anS. Er meinte, eS könnten Jahrevergehen, bis ein solcher Versuch gewagt werden könne. Wahr»scheinlich verfalle Kuhnle in unferner Zeit inTobsucht und völligen Wahnsinn.Aber siehe 19 Monate später befürwortete der nämlicheDr. v. Rüdinger die probeweise Entlassung KuhnleS!Woher kam dieser Umschwung? Die Erklärung ist so ulkig,daß man sie in einer Posse verwenden könnte, wenn die ganze Sachenicht so traurig wäre. Sie beweist, wie eS mit der persönlichenSicherheit des Deutschen gegen Uebergriffe von Behörden be-stellt ist.Kuhnle hatte nämlich eine Schwester, die bei sehr hohen Herr-schasten Köchin gewesen war, und ihr gelang eS. dem König selbstdurch eine Hofdame eine Bittschrift überreichen zu lassen. Der König,der nach der Behauptung des Ministers des Innern mit der Kuhnle-Angelegenheit nicht mehr belästigt fein wollte, griff nun ein, undsofort erkannten die weisen Mediziner und Behörden, daß Kuhnlenicht ins Irrenhaus gehöre.Er wurde entlassen und lebt heule noch in der Freiheit, ist auchnicht in Tobsucht und Wahnsinn verfallen, obwohl seit seiner Eni-lassung auS dem Jrrenhause 19 Jahre verflossen sind. Derjenigeaber, der ihn dank deS Entgegenkommens der Herren Psychiater insIrrenhaus gebracht hat, ist als mit Schimpf zum Teufel gejagterBeamter elend gestorben.Wir wollen nicht behaupten, daß im Falle Haß die Dingeähnlich liegen, denn wir kennen die Sachlage nicht so genau; aberder Fall Kuhnle ist ein Musterbeispiel dafür, was unter der EtiketteOuerulantenwahnsinn im Deutschen Reiche möglich ist.Zur Reichstagsnachwahl in Mülheim-Wipperfurth.In Engelskirchen, Kreis Wipperfürth, redeten am Sonntagder Zenttumskandidat, Oberlandesgerichtsrat Marx, und der EssenerZentrnmSagitator Klo st. In der Diskussion trat als Vertreter derchristlich-nationakenArbeiterder Steinarbeiter D ö p p e rauf. mn sechs Fragen an den Kandidaten zu richten. Die ersten vierbezogen sich auf das Koalitionsrecht, den Arbeitsnachweis, denSrbeitSkammergesetzentwitrf und die Ausstellung von Zeugnissen. Siewurden von Herrn Marx in zusageitdem Sinne beantwortet.Die fünfte Frage zielte auf die Beseitigung deS§ 153 derGewerbeordnung; die sechste lief darauf HmouS, daß beinötig werdenden Mehrausgaben im Reich diese durch direkte Steuerngedeckt werden sollen. Indirekte Steuern dürften nur auf die Be-darfSarttkel der Besitzenden gelegt werden.--- Auf die erste derbeiden letzten Fragen antwortete Herr Marx mit Ausflüchten; er