Nr. 19. 27. Jahrgang.
5. Beilage des„ Vorwärts" Berliner Volksblatt Sontag, 23. Januar 1910.
Wirtschaftlicher Wochenbericht.
Handelspolitische Differenzen. land als Industriestaat.
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Markt.
Während die Verhältnisse am Arbeitsmarkt eine Gestaltung erfahren, die einer optimistischen Auffassung über die weitere wirt schaftliche Entwidelung größere Berechtigung geben, ziehen am handelspolitischen Himmel einige Gewitterwolfen herauf. Von der Neuordnung der Verträge mit Portugal befürchten verschiedene Industrien großen Nachteil, das gleiche gilt von dem neuen fran zösischen Zolltarif; die handelspolitischen Verhältnisse zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten geben gar zu ernsteren Befürchtungen Veranlassung. Die Amerikaner verlangen eine Er leichterung für die Einfuhr ihrer Fleischwaren in Deutschland . Unsere Agrafeßen solchen Wünschen aus den bekannten Gründen natustich heftigen Widerstand entgegen. Ein Zollkrieg mit Amerifa schreckt sie nicht. Im Gegenteil, fie erwarten davon noch Vorteile. Die Industriefeindschaft der Junker kommt in einem Geständnis, das der Bundeshäuptling Dr. Diederich Hahn dieser Tage in einer agrarischen Versammlung in Münchingen ablegte, schön unverfälscht zum Ausdruck. Die Leuchte agrarischer Wissen schaft ließ sich also vernehmen:„ Der Untergang der deutschen Industrie ist kein Schaden, sondern nur ein Nußen für die Landwirtschaft.... Wenn es nur der Landwirtschaft gut geht, können wir fagen:„ Lieb Vaterland, magst ruhig sein!"- Nur frassester Egoismus fann zu solch wahnwißiger Leichtfertigkeit der Gesinnung führen. Wenn weite Kreise des Volkes von Arbeitslosigkeit, Not und Elend heimgesucht werden, wenn in den von Unterernährung geschwächten Kreisen der Tod furchtbare Ernte hält, die Junker fümmert's nicht! Fließt für sie nur die Liebesgabenquelle, sichern ihnen Brot- und Fleischwucherpreise glänzende Einnahmen, dann lieb Vaterland, magst ruhig sein! Und leider muß man mit der Tatsache rechnen, daß die Zollschuhseuche mit ihren verheerenden Wirkungen noch weiter um sich greift.
In allen Ländern, wo man an die Frage der Tarifrevision herangeht, zeigt sich das Bestreben, die eigenen Zollmauern zu erhöhen. Auch in England finden die Schutzöllner für ihre Propaganda einen immer breiteren Resonanzboden. Vielleicht werden die nächsten Wahlen die Entscheidung für ein extremes Schutzzollsystem bringen. Das wäre natürlich für unsere Junker und industriellen Hochschutzöllner das Signal, die deutschen Zölle noch weiter hinaufzutreiben. Die anderen Staaten blieben dann ebenfalls mit Dieser Arbeit nicht zurüd. Jedes Land will durch das höherziehen seiner Zollmauern den früheren Status, der infolge der Bollrevifion eines anderen Landes gestört worden ist, wieder herstellen. So bewegt man sich in einem circulus vitiosus. Der Effekt bleibt immer nur der, daß die Schüßer der nationalen Arbeit" den eigenen Volksgenossen Monopolpreise diftieren können. Und doch liegt in dem widerfinnigen, volfsfeindlichen Bollwettrüsten ein Teil bon jener Kraft, die Gutes schafft. Die Umwälzung der weltwirtschaftlichen Verhältnisse wird dadurch befördert, es werden latente Sträfte ausgelöst, die dem Industriealismus in Europa neue Bahnen öffnen, die Rußland in mancher Beziehung industriell zu einem europäischen Amerika werden lassen können. Die Vorbe dingungen dazu sind in den Boden- und Naturschäzen des Landes gegeben.
Je eifriger die modernen Industriestaaten sich der Arbeit hin. geben, fremde Einfuhr zu verhindern, um so mehr findet auch das internationale Rapital Anreiz, in seinem Interesse die Erschließung der Bodenschäße in Rußland , die Entfaltung einer Großindustrie
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in diesem Lande zu fördern. Trotz der Rüdständigkeit der großen etivas flotter getoefen. Der Versandnachweis des Kohlensyndikats Masse seiner Bevölkerung bildet Rußland heute schon einen bedeu- läßt das erkennen. Hier die Zahlen:
Rohlen Monat
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7103
6562 1026 1138 248
245
7075 1008 1223
281
263
271
259
264
254
262
tenden Absaßmarkt für industrielle Erzeugnisse. Es importierte beispielsweise im Jahre 1907 für 235 Millionen Mark TextilIn tausend Tonnen waren und für 107 Millionen Mark Maschinen, lieferte andererseits Kohlen Rots Briketts an den Weltmarkt für 232 Millionen Mark Bau- und Nuhholz. Förderung Gesamtabsatz Gesamtversand Gesamtversand Wie aus der amerikanischen Wildnis industrielles Leben schnell 1908 1909 1908 1909 1908 1909 1908 1909 emporblühte, so kann sich auch Rußland , von den zollpolitischen Maßnahmen anderer Bänder begünstigt, in einem Jahrzehnt zu Januar 6919 6386 6737 6185 1261 1193 253 229 6994 einem achtunggebietenden Industriestaat entwickeln. Jedenfalls Februar 6202 7008 6183 1204 1149 275 221 6894 6907 6761 6712 1130 1226 273 244 dürfte damit eine wesentliche Verschiebung der weltwirtschaftlichen März. Berhältnisse eintreten. Rußland beherbergt in reichen Lagern die April 6490 6478 6351 6499 1050 1158 259 286 Rohmaterialien, Kohle und Erze, so daß es von anderen Ländern Mai 6836 6500 6668 6504 1066 1157 262 234 darin vollständig unabhängig werden kann. Dazu kommt ein an- Juni 6257 6600 6175 derer Umstand! Die Frachtkosten spielen bei der industriellen Pro- Juli 7335 7165 7047 duktion eine immer größere Rolle. Und auf diesem Gebiete liegen Auguſt 7059 6846 6895 6845 1029 1226 6864 6865 6758 1008 1201 die Verhältnisse für Rußland äußerst günstig. Seine natürlichen September 7072 6954 6791 6860 1038 1267 273 Verkehrswege, die Wasserstraßen, die noch ausgebaut werden können, Oktober 6823 6331 6813 937 1283 233 259 und das Zusammenwohnen der Rohmaterialien ermöglichen es, November 6508 1010 1372 234 269 hier die Frachtkosten niedriger zu halten als in den meisten anderen Dezember 6454 7104 6255 7168 Ländern. Natürlich wird man auch nicht mit veralteten EinrichZu den vorstehenden Zahlen des Gesamtversandes an Kohlen tungen beginnen, sondern gleich die letzten technischen Errungen- und Stots ist zu bemerken, daß von einigen Hüttenzechen bis einschaften ausnuten. Die Entwickelung, die sich in den jest domi- schließlich Dezember 1908 die Lieferungen zum Selbstverbrauch nierenden Industrieländern vollzog, war schon sehr verschieden; der eigenen Hüttenwerke für Kohlen und Kots nicht getrennt anAmerika brauchte zu seinem industriellen Hochkommen nur einen gegeben, sondern die für die gelieferten Rotsmengen verwendeten Bruchteil der Zeit, an den die heutige Leistungsfähigkeit in Deutsch - Kohlen unter Kohlenverfand aufgeführt wurden, während in den land und England gebunden war. Rußland wird noch schneller als Angaben für das laufende Jahr die den eigenen Hüttenwerken geAmerika eine Eisenindustrie groß werden lassen können. Infolge lieferten Koksmengen unter Koksversand erscheinen. Nach der der entwickelten Technik spielt die manuelle Arbeitskraft in der früheren Berechnungsweise würde sich im November 1909 der GeRohmaterial- und Halbzeugherstellung lange nicht mehr die Rolle samtversand in Kohlen um 196 504 Tonnen, im Dezember 1909 um wie früher, wo von der Erfahrung und Geschicklichkeit der Arbeiter 187 323 Tonnen und im Jahre 1909 um 2298 485 Tonnen höher, die glückliche Abwickelung des Produktionsprozesses vollständig ab- dagegen in Koks im November 1909 um 162 900 Tonnen, im Dehängig war. Und wenn Rußland planmäßig und in großem Maß- zember 1909 um 156 444 Tonnen und im Jahre 1909 um 1732 964 fiabe damit beginnt, seinen Holzreichtum nicht mehr durch Raubbau Tonnen niedriger stellen als vorstehend angegeben ist, und der are zu verschleudern, sondern ökonomisch auszunüßen, und man in der beitstägliche Gesamtversand betragen in Tonnen: Weiterverarbeitung Fortschritte macht, dann wird es auch auf diesem Gebiete ein gewichtiger Konkurrent auf dem Weltmarkt. Kohlen November 1909 gegen 1908+11 745 Das ist natürlich nicht das Resultat einer Entwickelung von heute Dezember 1909 auf morgen, auch haben wir diese nicht zu fürchten, denn sie wird der entwickelten Verfeinerungsindustrie der alten Industrieländer Arbeit und Aufträge zuweisen, für diese der Anstoß zu höherer Blüte sein. So wirken die hemmenden Zollschranken indirekt als Hebel industriellen Vorwärtsdrängens.
Daß die wirtschaftliche Entwickelung ihre eigenen Gefeße hat, das zeigt sich in den augenblicklichen Verhältnissen am Weltmarkt. Bereits vor einem Jahre wurde der Anbruch einer neuen Hochfonjunktur als unmittelbar bevorstehend angekündigt. As sicher ster Beweis dafür sollte die Kursbewegung am amerikanischen Effenktenmarkt gelten. Schließlich brachte es auch die europäische Börse zu teilweise fräftigen Kurssteigerungen, aber in der Waren produktion blieb es still. In den letzten Wochen stand Amerika im Beichen rückläufiger Effektenkurse und bei uns hob sich am Arbeitsmarkt die Nachfrage, wenn auch gerade nicht stürmisch, so doch in nicht unerheblicher Weise. Die Warenproduktion wird lebhafter, wenn auch for batter, die Preise gehen hinauf! Die Grobblechtonvention erhöhte den Breis ab zweites Quartal 1910 um 2½. pro Tonne, der Roheisenpreis wurde von den Vereinigungen um 1 bis 3 M. hinauf gefeßt, die rheinisch- westfälischen Schweißeisenwerte beschlossen eine Erhöhung der Grundpreise um 5 M. auf 130 M. Nicht nur in der Preisbewegung kommt die optimistische Auffassung zur Geltung. Das Kohlensyndikat ermäßigte, wie gemeldet, die Einschränkungsquoten. Allerdings weiß man nicht, in welchem Grade bei diesem Beschluß die Rüdficht auf die Differenzen mit den Arbeitern bestimmend war, jedenfalls jedoch ist in der letzten Zeit der Abruf
B
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6,29 Proz.
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1908 17 960 1908 2144 1,15 19084 432= 13,46 " 19086 639 1908+ 210
9,97
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im Jahre 1909 Kots November 1909 Dezember 1909 im Jahre 1909 In der letzten Zeit hat demnach der Versand im Vergleich mit dem Vorjahre zugenommen. Nach den Berichten aus der Eisengroßindustrie muß man annehmen, daß auch diese jetzt größere Mengen Brennmaterialien abnimmt. Biel günstige als bisher lauten nun auch die Nachrichten aus der Kleineisenindustrie. Die in den letzten Wochen eingetretene größere Flüssigkeit am Geldmarkt dürfte die Unternehmungslust jedenfalls weiter günstig be. einfluffen, so daß man mit etwas größerem Vertrauen der nächsten Butunft entgegensehen kann. Vorausseßung ist natürlich, daß nicht Die Unternehmer im Baugewerbe oder die Grubenmagnaten einen Sonflitt provozieren, der sicherlich auf den ganzen Wirtschafts apparat von großem, störendem Einfluß sein würde.
Amtlicher Marktbericht der städtischen Marktballen Direktion über den Großhandel in den Zentral- Marktballen. Martilage: Fleisch: Wild: Zufuhr Sufuhr schwach, Geschäft ruhig, Preise unverändert. genügend, Beichäft ziemlich still, Preise befriedigend. Geflügel: Zufuhr Geschäft rubig, Preise wenig verändert. reichlich, Geschäft lebhaft, Breise befriedigend. Fische: Zufuhr genügend, Butter und Käse: Geschäft ruhig, Brelie unverändert. Gemüse, Obn und Südfrüchte: Bufuhr genügend, Geschäft ruhig, Breise wenig verändert.
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