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Nr. 30.

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Berliner Volksblaff.

27. Jahrg.

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Telegramm Adresse: Sozialdemokrat Berlin "

Zentralorgan der fozialdemokratifchen Partei Deutschlands .

Redaktion: S. 68, Lindenstrasse 69.

"

Fernsprecher: Amt IV, Nr. 1983.

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Sonnabend, den 5. Februar 1910.

Die Kriegserklärung.

Expedition: S. 68, Lindenstrasse 69. Fernsprecher: Amt IV, Nr. 1984.

Die preußliche Wahlrechtsvorlage.

Der Entwurf eines Gefeßes zur Abänderung der Vorschriften über die Wahlen zum Haufe der Abgeordneten wird alsbald dem preußischen Abgeordnetenhause zugehen.

Die Thronrede vom 20. Ottober 1908 hatte eine organische Fortentwidelung der Wahlrechtsvorschriften verheißen. Damut war die Aufgabe bezeichnet, die mit dem nunmehr fertiggestellten Gesezentwurf zu lösen war. Die organische Fortbildung des llebergang zu einem völlig anderen Wahlsystem aus. Danach kam Wahlrechts auf den verfassungsmäßigen Grundlagen schloß den ein nach Berufsständen gegliedertes System so wenig in Frage als ein Proportional- oder ein Pluralwahlrecht. Alle dieje wahlrecht verschieden. Es handelte sich vielmehr darum, das bis­gleich- Systeme find in ihren Grundlagen von dem geltenden Dreiklassen­herige Wahlrecht auf Grund der gewonnenen Erfahrungen von Mängeln zu befreien und den Verhältnissen der Gegenwart an zupassen. Der Grundgedanke der Dreiteilung der Wählerschaft ist beibehalten worden.

Die Norddeutsche Allgemeine Zeitung" 1, gereifte Berufserfahrung" besikt! Um in Preußen Ab- 1 beröffentlicht soeben den Inhalt der preußischen Wahlrechts- geordneter zu werden, bedarf es weder eines bestimmten borlage. Wir geben weiter unten den amtlichen Artikel im Einkommens, noch höherer staatlich attestierter Bildung, noch vollen Wortlaut wieder. Nach diesen Mitteilungen bedeutet auch der gereiften Berufserfahrung"! Immerhin will die die Wahlrechtsvorlage der Regierung nichts Geringeres als Wahlrechtsvorlage auch der Bildung" ein neues Privileg die brutale und höhnische Kriegserklärung an die Wahl- schaffen, wodurch sie jedoch nur das Privileg des Besites er­eutrechteten, also die große Masse des Volkes! weitert! Denn der Besuch höherer Schulen ist ja schließlich Der furze Sinn der ganzen Vorlage ist der, daß die nichts anderes als ein Vorrecht der Besitzenden! Masse der Wähler auch fernerhin schmachvoll entrechtet Den durch Besitz und Bildung Privilegierten gleichgestellt werden soll! Denn bestehen bleiben soll das infame werden freilich die Militäranwärter! Wer zwölf Jahre System der Dreiklasseneinteilung, das nicht minder infame lang den vornehmsten Rock" getragen und seit fünf Jahren System der agrarischen Wahlkreiseinteilung und-um der den Zivilversorgungsschein in der Tasche hat, der soll gleich Brüsfierung die Krone aufzusehen auch die öffentliche falls in der zweiten Klasse wählen dürfen! Das Drillen der Stimmabgabe! Rekruten gilt also als wertvollere Leistung als die ehr­Gefallen ist lediglich die indirette Wahl. As liche Arbeit des Proletariers, des Handwerkers oder Klein­Zugeständnis an die Forderungen der Entrechteten kann diese bauern! ,, Reform" kaum in Frage kommen. Beseitigt sie doch nur Wer sich aber einbilden wollte, daß durch die Privilegien eine Unbequemlichkeit, unter der alle Parteien in der gleichen an die Besitzer des Einjährigenzeugnisses und des Zivil­Weise litten, auch die Vertreter der befizenden und privile- versorgungsscheines wenigstens den mittleren und ein­gierten Klassen. Irgend ein Vorteil für die Entrechteten zelnen Kategorien der Unterbeamten eine Begünstigung springt durch diese Aenderung nicht heraus! zuteil werde, der irrt sich gründlich. Denn das Damokles Auch die neue Bestimmung der Vorlage, daß fünftig die schwert der Maßregelung sorgt ja bei der öffentlichen Steuerbeträge von 5000 Mart ab nicht mehr für Abstimmung dafür, daß die Beamten von ihrem Wahlrecht die zu drittelnde Steuersumme in Anrechnung feinen ihrer innersten Ueberzeugung entsprechenden gebracht werden sollen, ändert nicht das geringste an der Gebrauch machen können! Die Beamten dürfen zwar unter Tatsache, daß die ungeheure Mehrheit sämtlicher Umständen in der zweiten Klasse wählen, aber nur dann, Wähler nach wie vor der dritten Klasse angehören, also wenn sie so stimmen, wie es ihren Vorgesetzten genehm ist! rechtlos fein soll! Jetzt gehören 82 Proz. der Wähler der Trotz der Zuteilung zur zweiten Stlasse ist also der Beamte dritten Klasse an. Selbst wenn die Nichtanrechnung der doch nur Helot, Stimmvich für die Reaktion! Daß man nur Steuerbeträge über 5000 m. hinaus zur Folge haben sollte, Beamten mit gereifter Berufserfahrung" die Wahl in der daß eine halbe Million Wähler aus der dritten in die zweite zweiten Klasse sichern will, entspringt der perfiden Erwägung, Klasse aufsteigen würden, so verbleiben trotzdem noch 75 Broz. daß ältere Beamte mit Familie nicht mehr den Mut haben der Wähler, drei Viertel der gesamten Wähler, in der dritten werden, sich einer Maßregelung auszusehen! So stellt die Klasse, der Klasse der Heloten, der Rechtlosen! Wahlrechtsvorlage der Regierung in jeder Beziehung eine Infamie dar!

teilungen

Vielfach ist gegen die Dreiflaffenwahl geltend gemacht worden, daß fie die breiten Woltsschichten vom Einfluß auf die Wahlen ausschließe und regelmäßig zur leberstimmung der dritten Abteilung durch die beiden oberen Abteilungen führe. Statistik schon die Tatsache, daß sogar noch von den Drei- Mark­Diese Behauptung hält vor der Statistik nicht stand. Ergibt die Wählern" 128 709 aur zweiten und 8993 aur ersten Abteilung ge hörten, so widerlegt sie vor allem durchaus die Annahme, daß die Mehrzahl der Abgeordneten aus Minoritätswahlen hervor gehen. Nur in 17,13 Broz. der Urwahlbezirke ist die dritte Ab­teilung von den anderen überstimmt worden. Für die Berliner Urwahlbezirke allein gerechnet, ist der Prozentjak höher, aber doch nur 40,31. Die Wahlftatistit erweist ferner, daß die mehr­in allen drei Ab­aahl der Abgeordneten 443 Mitgliedern des Hauses haben 435 im Jahre 1903 die Mehr­die Mehrheit verfügten. Von den heit der Wahlmännerstimmen der zweiten Abteilung, 356 die der britten erhalten. 271 Abgeordnete vereinigten, neben mehr als der Wahlmännerstimmen der beiden oberen Abteilungen, die auch die Mehrheit der Wahlmännerftimmen der dritten Ab­ihnen allein schon den Sieg gesichert haben würden, größtenteils teilung auf sich. Unter ihnen befinden sich überhaupt nur 24, bei denen dies nicht der Fall war, und unter diesen nur 8, die weniger als der Wahlmännerstimmen der dritten Abteilung erhalten haben. Diese Fälle sind nicht zahlreicher als die einer umgekehrten Stellungnahme der Wählerabteilungen gegeneinander, bei der es auf die Stimmen der ersten oder der zweiten Ab anderen Abteilungen allein schon den Ausschlag hätte geben Die Mängel des System& liegen auf anderem Ge­biete, zunächst in der indirekten Wahl und bei der mit dem Wahl­männersystem zusammenhängenden Vernachlässigung der Minori täten; sodann in den Anomalien, die sich in der ersten Abteilung aus dem übermäßigen Stimmgewicht der großen Steuerzahler ergeben und sich in den Giner- und Zweier- Abteilungen" zeigen; weiter in der ausschließlichen Anwendung des Steuermaßstabes

fönnen.

Von der indirekten Wahl soll zur diretten Wahl über­gegangen werden. Daß die indirekte Wahl sich überlebt hat und in die heutigen Verhältnisse nicht mehr hineinpaßt, fann nicht bestritten werden. Mit dem Uebergang zur direkten Wahl wird das politische Interesse der Wähler gesteigert, und mit der größeren Teilnahme an den Wahlen werden die Wünsche der Be­bölterung besser zum Ausdrud gelangen.

Die große Masse des Volkes bleibt nach wie vor schamlos entrechtet. An dieser Entrechtung wird durch die armseligen Damit ist der Charakter der beabsichtigten Wahlreform Flickereien nicht das geringste geändert; ja diese Entrechtung im großen und ganzen gekennzeichnet. Die neuen Be­wird dadurch noch schmachvoller und kräufender gemacht, daß stimmungen über die Feststellung des Wahl- teilung an sich nicht mehr angekommen wäre, weil die der beiden die Vorlage konsequent darauf abzielt, das Volk der Arbeit, ergebnisses laffen sich im Augenblick nicht derart über die Arbeiter, Handwerker, kleinen Geschäftslente und Klein- sehen, um ihre Tragweite und etwaige weitere Perfidien fest­banern in der dritten Klasse säuberlich zu isolieren, dagegen zustellen. Dabei sezen wir voraus, daß die Drittelung der den bessersituierten Mittelstand und die schon bei der Wähler auch fernerhin nach Urwahlbezirten erfolgt, Besoldungsreform ganz besonders begünstigten Militär- nicht über den ganzen Wahlkreis! Denn sollte das anwärter aus der dritten Klasse heraus zu heben! lektere beabsichtigt sein, so wäre das eine skandalöse Ver­Die Nichtanrechnung der Steuern über 5000 M. Hinaus schärfung der Rechtlosigkeit der großen der großen Masse der wird ja nicht der nicht besigenden Klasse, sondern in Wähler! Bezeichnet doch selbst die neueste amt bei der Bildung der Abteilungen. Diesen Mängeln will die Vor­erster Linie den Besigenden zugute kommen. Nicht liche Wahlrechtsstatistik die Bildung der Abteilungs. lage durch folgende Maßnahmen abhelfen: wenige dieser Besitzenden wählten ja bisher ebenfalls in der listen für jeden Urwahlbezirk" als Gegenwirtung britten Abteilung! In mehr als 9000 der insgesamt rund gegen die Plutokratisierung des preußischen Wahlrechts." 29 000 Urwahlbezirke der dritten Klasse betrug ja nach der Auch wird ja diese Gegenwirkung ohnehin zum guten Teil neuesten amtlichen Wahlstatistik die Obergrenze des Ein- paralysiert durch die Nichtanrechnung der Steuern über tommens mehr als 3000 M., in mehr als 2300 sogar mehr 5000 m. hinaus! Denn in den feudalen Urwahlbezirken, to als 6000 M. In diesen Wahlbezirken gehörten also auch solche Steuerzahler wohnen, werden jetzt die Besitzenden aus Besser, sogar Gutfituierte zur dritten Klasse. Daß auch der dritten Klasse in die zweite Klasse aufrücken und fünftig Bourgeois in die Klasse der Heloten hinabgestoßen die Portiers, Kutscher, Lakaten und anderes Proletengesindel" werden, diesem in Bourgeoiskreisen schmerzlich empfundenen in der dritten Klasse unter sich lassen! Die Klaffen Mißstand will jetzt die Wahlrechtsvorlage abhelfen! Und zwar einteilung der proletarischen Urwahlbezirke aber wird durch dadurch, daß sie die über 5000 M. hinausgehenden Steuer die neue Bestimmung völlig unbeeinflußt stleiben! beträge nicht mehr in Anrechnung bringt. Infolge dieser Be- Fassen wir unser Urteil zusammen, so ergibt sich das stimmung wird eine Anzahl reicher Wähler zweiter Klasse in Folgende: die erste Klasse aufrücken und vor allen Dingen ver hütet werden, daß eine Anzahl von Begüterten fünftighin noch in der dritten Klasse wählen muß! Der Besitz soll also unter Die Chancen für die arbeitenden Klassen, mehr Vertreter allen Umständen zu seinem Vorrechte fommen, er soll ferner in das Dreiflaffenparlament zu entsenden, sind um kein Atom hin nicht mehr dazu verurteilt sein, in einer Klasse mit Hunger- verbessert worden!

Die Wahlrechtsvorlage bringt der Masse der Entrechteten nicht den mindesten Vorteil!

leidern und Habenichtsen zusammen zu wählen! Der brutale Mindestens drei Viertel der Wähler werden auch Charakter des preußischen Klaffenstaates soll künftig noch mehr fünftig der dritten Klasse, der Klaffe der Rechtlosen als bisher in dem preußischen Wahlrecht seinen unverfälschten angehören!

Ausdruck finden!

Dagegen ist die Dreiklaffenschmach noch verschärft Aber nicht nur das Privileg des Besitzes soll gründlicher worden durch die Heraushebung aller Besitzenden aus und umfassender noch als bisher festgelegt werden, sondern auch das der Bildung". Wer ein Einfommen von mehr der Klasse der Wahlrechtsheloten!

als 1800 M. besitzt und sich dazu noch seit 15 Jahren im Die Wahlrechtsvorlage der Regierung bedeutet Besiz des Einjährigenzeugnisses befindet, soll in nichts Geringeres, als die dauernde Knebelung und Ent der zweiten Wählerklasse wählen dürfen! Man sieht, die rechtung der großen Volksmehrheit! höhere Bildung" allein tut's noch nicht! Selbst ein Stu- Die Wahlrechtsvorlage ist die Kriegserklärung an dierter, der nicht das entsprechende Einkommen verdient, das preußische Volk! bleibt in der dritten Klasse. Die Bildung spielt hier keine

Rolle, der schnöde Mammon ist alles! Und auch ein Ein- Wohlan! Das Volk nimmt den Kampf jähriger", der 1800 m. verdient, tommt noch nicht ohne weiteres in die zweite Klasse, sondern erst dann, wenn er eine

auf!

Die zweite wichtige Neuerung schlägt die Vorlage mit der sogenannten" Magimierung" bor : es soll eine Grenze fest gelegt werden, über die hinaus die Steuerleistung nicht mehr angerechnet wird. Diese Grenze ist bei 5000 m. Gesamtsteuer gewählt. Von diesem Marimierungssaß werden etwa 13 000 Wähler getroffen. Er entspricht einem einkommensteuerpflichtigen Einkommen von 40 000 bis 42 000 m., da durchschnittlich in 5000 M. Gesamtsteuern 1315 M. Staatseinkommensteuer enthalten sind. Die Marimierung wird demnach den übermäßigen Ein­fluß der Millionäre" ausschalten und die Bildung der erwähnten Einer- und Zweier- Abteilungen verhindern.

Die dritte Neuerung will neben dem Steuermaß­stabe weitere Merkmale für die Bildung der Abteilungen aufstellen. Als solche bieten sich höhere Bildung, gereifte Berufserfahrung, verdienst­bolle Tätigkeit im öffentlichen Leben. Damit wird der Ausbreitung der Bildung, des politischen Verständnisses und der Staatsgesinnung Rechnung getragen und den Klagen über unbillige Gruppierung der Wähler allein nach ihrem Besit

begegnet werden.

Eine weitere Verbesserung ergibt sich aus der Art der Stimmenzählung. Es soll abteilungsweise in Stimm bezirken abgestimmt werden. Die Zusammenrechnung der Stimmen soll aber in jeder Abteilung für den ganzen Wahl­bezirk erfolgen, so daß die Minoritäten der einzelnen Stimmbezirke bei dem Gesamtresultat zur Geltung fommen. fammenfassen, daß sie unter Aufrechterhaltung der bisherigen

Die Tendenz der Borlage läßt sich also dahin zus Grundlagen des Wahlrechts und des Einflusses der mittleren Stände plutokratische Ausartungen beseitigt und für die Zukunft verhindert, und daß sie die Teilnahme ber Wählerschaft an den Wahlen belebt

Die Einführung der geheimen Abstimmung hat die Regierung bereits in der Erklärung vom 10. Januar 1908 abgelehnt. Es wird mithin die Stimmabgabe au Protokoll