dieses Reckit der Minderheit ist ein integrierender Bestandteil des parlamentarischen Kampfes, und alle Parteien haben eS ja erlebt, wie leicht sie in die Lage der Minderheit kommen können. Sie sollten also mit uns zusammen arbeiten, ein wirksames Jnterpellations- recht auszuarbeiten. Von dem Recht der kurzen Anfragen befürchtet Graf Westarp eine Ueberschwemmung mit solchen Anfragen. Das Beispiel Englands zeigt, dab in kurzer Zeit eine große Zahl solcher Anfragen erledigt wird, wobei sogar noch ergänzende Anfragen aus dem Hanse gestellt werden. Das ist auch notwendig, weil der Wort« laut einer Anfrage manchmal berichtigt oder ergänzt werden mutz. Datz auch andere Bestimmungen der Geschäftsordnung änderungsbedürftig sind, darauf hat Singer schon hingewiesen. Zum Beispiel ist es unerträglich, datz ein Mitglied des Bundesrats autzerhalb der Tagesordnung hier das Wort nehmen darf, ohne datz ihm erwidert werden kann. Unter der Boraussetzung also, datz die in unserem Antrage angeregten Fragen z u e r st erledigt werden, werden wir dem Antrage Gröber zustimmen.(Bravo ! bei den Sozial- demokraten.) Abg. v. Dirksen(Rp.): Gegen die Ausdehnung der Freikarten auf die reichstagslose Zeit haben wir starke Bedenken. Datz trotz der zeitraubenden vorjährigen KoinmissioiiSverhandlungen die Geschäfts- ordnungsanträge wiederkehren würden, konnten wir uns denken, aber daß dazu der' Reichstagsetat benutzt wurde, war uns allerdings überraschend. Da jedoch einmal dieser Weg beschritten worden ist, können wir uns mit der generellen Revision der Geschäftsordnung einverstanden erklären, müssen uns aber dagegen wenden, datz bestimmte Punkte, wie daS Intcrpellationsrecht, vorweg genommen werden. Die Krönung der Jnterpellalionsbcratungcn mit Anträgen ist der erste Schrill ans dem Wege zur Parlamentsherrschast.(Lachen links.) Den Schritt machen wir nicht mit. Das System der kurzen An- fragen ist nicht so bedenklich, aber für ein verhältnismätzig so junges Parlainent wie den deutschen Reichstag ist es nicht angebracht. Jedenfalls mützten starke Garantien gegen Mitzbrrnich geschaffen iverden. Die Frage kann nicht durch das Parlament allein geregelt werden, sondern auf dem Wege der Verständigung mit dem Bundes- rat.(Beifall rechts.) Abg. Dr. Nenmann-Hofer(frs. Vg.): ES kommt vor, datz am Ende der Legislaturperiode noch Wahlproteste unerledigt sind, die zu Beginn der Periode eingelaufen sind. Vielleicht überlegt sich die GcichäftSordnungskommission auch einmal diese Frage. Abg. Graf OpPerSdorff(Z.): Die Meinung des Grafen Westarp. datz die GeschäftSordnungSanträge eine Verfassungsänderung in sich schlietzen, ist ebenso wenig stichhaltig, wie die düstere Schilderung, die Herr v. Dirksen von den Folgen der Eiujührung des Frage- und Antwortspiels, wie er es nannte, entwarf! Abg. Dr. Hciuzr(natl.): Die Wahlprüfungen verzögern sich deshalb so sehr, weil man bei ihnen allzu formalistisch-kleinlich verfährt. Abg. Werner(Ant.): Die kleinliche Verpflichtung der Abgeord- neten, sich bei Strafe des DiätcnverlusteS eintragen zu lasten, mutz beseitigt werden. Abg. Dr. Frank(Soz.): ES ist bedauerlich, datz in einer Debatte die großen Forde« rungen und die kleinen Wünsche des HauseS zum Ausdruck kommen. daß abwechselnd ein Redner über schlechte Luft im Saale klagt und ein anderer Redner über die Erweiterung der »teichStagsrechte gegenüber dem Bundesrate sich verbreitet. (Sehr gut! und Heiterkeit bei den Sozialdemokraten.) In bezug auf die Wahlprüfungen wäre Abhilfe am besten durch eine Prophylaxe zu schaffen. Schärfere Strafbestimmungen gegen Wahlbeeinflusjuiigen würden die Zahl der Wahlansechwngen vermindern. Die Wahlprüfungs- iömmission hat ja einen Kode� aufgestellt, nach welchem sie verfährt. oder diese Regeln weckseln mst der Mehrheit, und bis neue Regeln festgestellt find, ist zuweilen die Mehrheit schon wieder eine andere. (Sehr gut! bei den Sozialdemokraten.) Herr v. Dirksen hat. als er sich zu unseren Geschäfts- ordnltngüanirägen äußerte, den Grundsatz aufgestellt, eö dürfe nicht ein Teil der Geschäftsordnung herausgegriffen werden, es müsse ganze Arbeit geniacht werden. Es ist etwas überraschend, von jener Seite den Grundsatz:.Alles oder nichts I" proklamiert zu sehen.(Heiterkeit und sehr gut links.) Ein Parteigenosse von ihm hat den Verdacht ausgesprochen, datz das Zentrum mit dein Grundsatz „alles oder nichts!' die WahlrechtSvorlage im Abgeordnetenhause zu Fall bringen wolle. Die Vermutung liegt nahe, daß daS auch hier bei dieser verhältnismäßig kleinen Debatte über die Geschäfts« ordnung der Fall ist. Jedenfalls legt Herr v. Dirksen bei seinem Grundsatz« wohl den Nachdruck auf das„nichts', wir dagegen legen ihn auf das„alles(Große Heiterkeit.) Herr v. Dirksen meinte weiter die kleinen Anftazen könnten wir deshalb nicht einführen, weil dazu als zweiter Faktor der Bundesrat gehört, der sie beantwortet. DaS ist doch auch bei den großen Anfragen, den Interpellationen, der Fall. Will Herr v. Dirksen etwa die Konsequenz ziehen, die Interpellation überhaupt abzuschaffen?(Sehr gutl bei den Sozialdemokraten.) Gewiß brauchen wir bei den kleinen Anfragen den Reichskanzler oder seinen Stellvertreter, damit er Antwort gibt. Sollte sich ergeben, datz bei einer Häufung. der Anfragen der Reichskanzler nicht kommen kann, so würden wir Abhilfe schaffen, vielleicht auf ähnlichem Wege, wie es gegen die Abwesenheit der Mitglieder des HauseS geschehe» ist: durch Zahlung von Auwesenheirsgeldern.(Heiterkeit.) Herr v. Dirksen sagte serner, wir sollten doch Rücksicht auf den Bundesrat nehme» und unS zunächst vergewissern, wie der Reichs- kanzler und der Bundesrat sich zu unseren Anträgen stellen. Da der Reichstag daS Recht hat. sich seine Geschäftsordnung selbständig zu geben, so wäre es eine Degradierung sondergleichen, wollte er darauf verzichten.(Lebhafte Zustimmung links.) ES wird wenig Parlamente in der Welt geben, die selbst bestrebt sind, ihre eigenen Macktbefugnisse einzuichränken. Wir brauchen nicht dafür zu sorgen, die Stellung des Bundesrats zu stärken, dafür wird dieser selbst Sorge tragen. Wir aber müssen dafür eintreten, datz der Reichstag die ivsnigsn Rechte, die er hat. im Interesse deS BolkeS wahrt und stärkt.(Bravo ! bei de» Sozialdemokraten.) Abg. Dr. Junck(natl.): Inwiefern eine Erweiterung oder ander- weitige Gestallung deS JnteipellationSrechts einen Eingriff in die Rechte des Bundesrats oder einen Verstoß gegen den Geist der NeichSverfaffung bedeuten soll, daS ist nicht einzusehen.(Sehr richtig I links.) Es ist das gute Recht deS Reichstages, daß er seine Meinung über den Gegenstand ausspricht.(Beifall links.) Nach einer unverständlich bleibenden Polemik BassermannS gegen Gröber über die F a s s u n g des Freifahrkarte nantrages schließt die allgemeine Besprechung des ReichStagsetatS. Die Anträge Albrecht(Soz.), Ablaß (fri. Bp.j, Baffer- mann(natl.). Gröber(Z.) werden der auf 28 Mitglieder ver« stärkten GeschäftSordnnngSkommission überwiesen. Die Anträge Bassermann(natl.) und Frhr. V. Hertling(Z) über die Freifabrtkarten werden angenommen. Der Etat des Reichstags wird bewilligt. Es folqt die dritte Lesung des Handelsvertrages mit Portugal . Nachdem die Abgg. Wallenborn (Z.). Vogt-Hall (wirtsch. Vg.) und Köhler(wirtsch. Vg.) sich kurz gegen den Vertrag erklärt haben, schließt die Debatte. Der Vertrag wird gegen einen großen Teil der Nationalllberalen und deS ZeutnimS angenommen. ES folgt die erste Berawng der Uebersicht der Relchsausgaben und-Einnahmen für 1308. Abg. Dr. Görckr(natl.) weist durch längere Zahlenangaben nach, daß die Verwaltung sich bemüht hat, besser als ftüher zu Wirt- schaften. Abg. Erzbcrger(Z.) betont demgegenüber, daß Lv Millionen Mark von der Verwaltung ohne Zustimmung des Bundesrats und RcichStagS auSgegeSrn seien; der Verwaltung müsse zum Bewußtsein ebracht werden, daß sie sich nach Tunlichkeit an den Etat zu alten habe. Der Schatzsekretär müsse gegen alle autzeretatSmäßigen Ausgaben mit größter Schärfe vorgehen. Abg. Dr. Görcke(natl.): In vielen Einzelheiten hat Herr Erz- berger recht, in anderen aber nicht; er scheint die 23,2 Millionen Minderausgaben ganz übersehen zu haben. Abg. Erzbcrger(Z.): Herrn Goercke mache ich darauf aufmerk- sam, daß die Ersparnisse zum größten Teil mir rechnerische sind, zum Beispiel sind 1 137 000 M. an Ruhegehältern für Beamte er- spart, die Postverwaltung hat 3 Millionen erspart, darunter 2,9 Millionen am Posten„Materialien zum Bau und zur Erhaltung von Telegrapbenlinien', jedenfalls weil die Materialpreise niedriger waren als man angenommen hatte. Direktor im Reichspostamt Granzo« versichert, daß die Reichs- postVerwaltung auf möglichste Sparsamkeit Bedacht nehme. Nach wiederholten weiteren Bemerkungen der Abgg. Erzberger und Görcke schließt die Diskussion(allgemeiner Betsall) und die Ucbersichten werden an die R e ch n u n g k o m m i s s i o n ver- wiesen. Hierauf vertagt stch das Haus.(Lebhafter Beifall.) Nächste Sitzung: Sonnabend 12 Uhr. Tagesordnung: Erste Lesung des Handelsvertrages mit Nordamerika . Schluß 7>/z Uhr. _ Hbgeordmtenhaud« 15. Sitzung, Freitag, den 4. F ebruar, vormittags 11 Uhr. Am Mlnistertisch: Beseler. Auf der Tagesordnung steht zunächst die Novelle zum GerichlSkoftengesetz in Verbindung mit der Mände- rung der Gebührenordnungen für Notare» Rechtsanwälte und Gerichtsvollzieher. Justizminister Beseler: Das bestehende Gerichtökostengesetz hat durch eine Reihe von Bestimmungen zur Erschwerung im Ge- schästsgange geführt, und eö enthält auch Härten, deren Beseitigung erwünscht ist. Sehr verbesserungsbedürftig wärm die Erhebung von Auslagen; erleichtert werden sollen weiter die Niederschlag»»- gen. Die Erhöhung der Gebühren beträgt im allgemeinen 10 Proz., was eine Mehreinnahme von 2!6 Millionen bedeutet. Ich hofft, daß in der Kommission ein Gesetz zustandekommt, das in der Aich- tung der Regierungsvorlage liegt. Abg. Bochmcr(kons.): Große Sympathie können wir der Vor» läge nicht entgegenbringen. Auf die Interessen der Grundbesitzer und Handwerker ist bei dieser Erhöhung der Gerichtskosten wenig Rücksicht genommen. Wir wünschen, daß die Justiz gut und billig ist. Ich beantrage Ueberweisung der Vorlage an die verstärkte Justizkommission. Abg. Reinhard(Z.): Auch wir haben erhebliche Bedenken gegen die Vorlage. So sind wir nicht damit einverstanden, daß bei den höheren Objekten die Kosten verhältnismäßig immer geringer werden. Wir halten eher eine Verbilligung als eine Ver- teuerung der freiwilligen Gerichtsbarkeit für geboten. Ein NegierungSkommiffar aus dem Finanzministerium: Schon bei der Etatsberatung hat der Herr Finanzminister darauf hinge- wiesen, daß zu einer richtigen Bilanzierung des Etats nicht nur Ersparnisse bei den Ausgaben, sondern auch eine sorgsame Bc- Handlung der Einnahmen nötig sei. DieS Ziel bei der Justizver- waltung zu erreichen, ist der Zweck dieser Vorlage. Ich bitte, zu bedenken, daß das jetzige Gesetz vor 15 Jahren erlassen ist und daß seitdem zwei große VesoldungSordnungen ins Land gegangen sind. Abg. Dr. Keil(natl.): Die Bedcnten der Vorredner teilen wir, werden aber die Vorlage«ine ira et studio(vorurteilslos) prüfen. Wir beantragen ihre Ueberweisung an eine besondere Kommission von 21 Mitgliedern. Wir Hessen , daß aus der Kommissionsbera- tung etwas Brauchbares herauskommt. Abg. Dr. Schreck(frkons.): Wir erkennen an, daß eine mäßige Erhöhung der Gcrichtslosten geboten ist, wollen aber in der Kam- Mission prüfen, ob nicht durch eine Aenberung des Tarifs oder auf andere Weise eine besondere Schonung des GrundstückverkehrL, ins- besondere der kleinen Objekte des Grundstücksverkehrs, nöglich ist. Sehr notwendig ist eine Erhöhung der Gebühren der Notare. Abg. Wolff-Lissa(frs. Vg.): Eine gewisse Berechtigung hat die Vorlage gewiß, aber eine schematische Erhöhung der Gcrichtslosten ist nicht angängig. Eine verhältnismäßige Steigerung der Ge- bühren nach oben wird sich nicht bis in die letzten Konsequenzen durchführen lassen, wenn man nicht Verträge bei hohen Objekte» überhaupt unterbinden will. Die Gebührenerhöhungen für die Eröffnung eines Testaments find nicht gerechtfertigt. Die Arbeit ist so einfach, daß sie jeder Gerichtsdiener leisten kann: er schneidet das Testament auf und liest es vor. Wir sind bereit, die Vorlage in der Kommission eingehend zu prüfen. Abg. Dr. Liebknecht(Soz.): Von der Regierungsseite ist betont worden, daß das Gesetz auS der Finanz not geboren ist. Ich muß das als ein Armuts- zeugniS ansehen, wenn der preußische Staat sich genötigt sieht, aus einem solchen Grunde zu einer Erhöhung der Gerichtskosten über- zugehen. Wenn wir auch mit der heutigen Justiz wenig zufrieden sind(Sehr richtig! bei den Soz.), so handelt eö sich doch hier immer» hin um Interessen der Allgemeinheit. Auch sind die Zuschüsse des Staates zu den Gerichtskosten minimal im Verhältnis zu den Mitteln, die er für militärische und sonstige kulturfeindliche Ausgaben aufwendet.(Sehr richtig! bei den Soz.) Auch macht sich der Staat außerordentlich viel uberflüssige Gerichtskosten, indem er volitische Verfolgungen inszeniert, ohne daß ein verständiger Grund dafür vorhanden ist,(Sehr wahr! bei den Soz.) Wenig nobel ist der Hinweis in den Motiven auf die Besoldungsordnung: daß man den Beamten, die doch in ihrer großen Masse nur zum Teil das erhalten haben, worauf sie seit langer Zeit Anspruch hatten, nun f wissermaßen unter die Nase reibt, daß s i e den Staat in die lnanznot gebracht hätten! ES reichen stch in diesem Gesetz FiS- kalismus und AgrarismuS die Hand zu einem gemeinschädlichen Produkt. Das ist ja kein Wunder bei unserm Finanzministerium, das gegenüber der Rechten gar kein Rückgrat besitzt.(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Unsere Partei fordert programmatisch, mit Rücksicht auf das Wesen der Justiz kostenlose Rechtsprechung. Auf jeden Fall müssen wir eine Erhöhung der Gerichtskosten grundsätzlich verwerfen. In den Motiven heißt es, die frei. willige Gerichtsbarkeft diene außer bei Vormundschaftssachen privaten Interessen. Das trifft nicht ganz zu. Auch der Austritt aus der Landeskirche lvird leider noch mit Gebühren belegt, wäh- rend es ein nobile okficium(eine Ehrenpflicht) des Staates sein soll, ihn kostenlos vor sich gehen zu lassen.(Sehr richtig! bei den Soz.) Bedauerlich ist es, daß das Erfordernis der Vorschuh- zahlung durch den Entwurf noch erweitert wird. Durch dieses Vor- schußwesen gestaltet man die Gebühren zu einem Prohibitivzoll für die Benutzung der Justiz.(Sehr gut! bei den Soz) 9luS meiner Praxis weih ich, daß die ärmeren Klassen vielfach die An- rufung der freiwilligen Gerichtsbarkeit unterlassen mit Rücksicht auf die Vorschußforderung. Man sollte sie also beseitigen und die Gebühren, besonders für die unteren Klassen, mindestens wesent- lich herabsetzen, um d-ic Tore der freiwilligen Gerichtsbarkeit gerade für die zu öffnen, die ein besonderes Interesse daran haben, vom Staate gestützt zu werden. Schwere Bedenken haben wir gegen die Erhöhung der Be- schwcrdekosten. Die Rechtsmittel sollten im Gegenteil nach Mög- lichkeit erleichtert werden. Bon dem Pauschale für die Schreib- gebühren und Auslagen haben gewiß die Anwälte und Notare Vor- teil, aber wenn ich auch Anwalt bin, so muß ich doch dagegen pro- testieren, daß durch diese Maßnahmen jeder einzelne Rcchtsuchende, auch wenn kein Pfennig Auslagen entsteht, mit 10— 20 Proz. Erhöhung der Gebühren bestraft werden soll. ES ist unberechtigt, höhere Schreibgebühren zu erheben als zur Deckung der Schreibhosten nötig sind. Wen» die Erhöhung dieser Gebühren begründet wird mit der Einführung der Schreibmaschine, des Steindrucks uft?., so bemerke ist, daß gerade durch diese technischen Errungenschaften die Kosten der Schreibarbeit im einzelnen nickt erhöht, sondern sehr vermindert worden sind.(Sehr richtig! bei den Soz.) Im Vormundschaftswesen sollte noch in höherem Umfange, als der Entwurf das erfreulicherweise vorsieht, also auch bei Ob- zelten über!000 M.. Gebührenfreiheit eintreten. Ange- sichts der ohnehin schweren Lage der Mündel sollte man hier fiska- tische Interessen in weitem Umfange zurücktreten lassen. Wenn wirklich ein Finanzgesetz gemacht werden sollte, so war das pro- bakeste Mittel, um die Einnahmen der Staatskasse zu erhöhen, die tragsähigcn Schultern entsprechend höher heranzuziehen, wie wir das bei allen Finanzgesetzen wünschen. Aber der Entwurf tut in entscheidenden Punkten genau das Gegenteil. Das geht aus den Motiven zu§ 47 hervor, wo es sich um freiwillige Versteige- rungen handelt, daß nach dem Entwurf die Gebühr bei einem Erlöse von 50 000 M. 170 M. betragen soll, während sie bisher 290 M. betrug; bei 100 000 M. 2 20 M. gegenüber bisher 540 M.; bei 2 000 000 M. 1170 M. gegenüber bisher 10 040 M. Es ist doch unerhört, daß bei einem Gesetz, das dem Staate höhere Ein- nahmen zuführen soll, sich«ine solche Bestimmung findet, die den ganz reichen Leuten 3000 M. gegenüber früher schenkt. DaS be- weist, wie wenig die Regierung imstande ist, in ihrer Finanzpolitik den Grundsätzen der Gerechtigkeit Geltung zu verschaffen. Der Herr Vertreter des Finanzministeriums meinte, die lOprozentige Erhöhung für die kleinen Gebühren sei ja nicht so schrecklich. Das beweist, daß die Herren absolut nicht imstande sind, sich in die Lage der ärmeren Schichten der Bevölkerung zu versetzen.(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Natürlich, für die gutsituierten Kreise rechnen 10, 20 Pfennige kaum mit. aber bei armen Leuten spielt ein Groschen oder 20 Pf. doch eine recht erhebliche Rolle, und ihr Ausfall bedeutet unter Umständen die Herabdrückung der Le- benshaltung für einen, zwei Tage.(Zuruf rechts: P a r t e i b e i- träge!) Die dienen dem Kampfe gegen Sie(nach rechts), der notwendig ist, damit man überhaupt mal vorwärts kommt. (Sehr gut! bei den Sozialdemokraten.) Der Herr Vertreter de? Finanzministeriums hat auch übersehen, daß eS sich für die un- terste Klasse nicht um eine lOprozentige Erhöhung der Gebühren handelt, sondern vielfach um 100 und noch mehr Proz. Er- höhung. Diese wenigen Bestimmungen beweisen, wie wenig die Regierung eS verstanden hat, die Forderung der sozialen Gercch- tigkeit auch nur im geringsten zu erfüllen.(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Schon die heutigen Gebühren sind ja außerordentlich ungerecht. So heißt eS im§ 33, daß bei einem Objekt von 21 M. eine Gebühr von 70 Pf. zu zahlen ist. Bei richtiger proportionaler Steigerung der Gebühren müßten sie dann bei einem Objekt von 210 M. 7 M., bei 2100 M. 70 M. und bei 21 000 M. 700 M. betragen. In Wirklichkeit bstragen sie nur 2,40 M.. 7 M. und 20 M. Hätte man oben kräftiger augepackt, so hätte man nach unten freilassen können und würde noch ein gün- stigereS Ergebnis erzielen.(Sehr richtig! bei den Sozialdemo- kraten.) Der Entwurf ist aus agrarische Interesse» zugeschnitten. Das beweist z. B. die Bestimmung, daß für die Beaufsichti- gung von Fideikommissen nur drei Zehntel der Gebühren erhoben werden. Ebenso liegt eine agrarische Liebesgabe darin, daß die Beglaubigungsgebührcn bei Grundstücken für hohe Werte ermäßigt. für geringere erhöht werden. Nach§ 16 soll die Versteigerung unbeweglicher Vermögensteile gegen Gerichtskostenforderungen un- zulässig sein. Soweit dadurch der kleine Grundbesitz, die Bauern. vor dem Verlust ihres Eigentums geschützt werden sollen, findet die Bestimmung durchaus unsere Sympathie. Aber für eine solche Vergünstigung auch für verschuldete Großgrundbesitzer liegt gar kein Grund vor. Von einer gewissen Vermöaensgrcnze ab sollte diese Bestimmung beseitigt werden, zumal da der Entwurf an an- derer Stelle gar keine Bedenken trägt, den unteren und mittleren Grundbesitz schärfer heranzuzieh»». Die Möglichkeit der Niederschlagung gewisser Gebühren be- grüßen wir. Wir halten eS aber ftir unfair, wenn man überhaupt Gebühren, die nur durch daS Verschulden von Beamten entstanden sind, den Rechtssuchenden aufbürdet. DaS ist eine höchst bedauer- liche Blüte deS Fiskalismus, die sich leider auch in der Reichsgesetz- acbung findet. Einer Reform bedarf es weiter auf dem Gebiete des Armenrechts. Wir haben leider ein wirklich geregeltes Armenrecht für das Gebiet der freiwilligen Gerichtsbarkeit noch nicht. Diese Regelung sollte nach an nähern o denselben ziemlich humanen Grund- sätzen erfolgen, wie sie»m Zivil- und Strafprozeß gegenwärtig bestehen. DaS ist ein Erfordernis der sozialen Gerechtigkeit.(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Alles in allem wird also die Vorlage einer gründlichen Umgestaltung bedürfen. Leider hat die« Bestreben wenig Aussicht auf Erfolg. Hat man doch schon von der Notwendigkeit der Erhöhung der Gebühren in der Verwal- tungsgerichtsbarkeft gesprochen. Heute gibt es ja kaum noch etwas, wofür nicht eine Gebühr erhoben wiro. Nur für die Androhung einer Strafe braucht heute noch keine Gebühr bezahlt zu werden. (Heiterkeit.) Wir sehen in der Vorlage so viele Spuren von Fis- kalismuS und AgrariSmuS, daß sie allenthalben schrecken. Sorgen Sie dafür, daß in der Kommission wenigstens ein einigermaßen annehmbares Gesetz daraus wird.(Bravo ! bei den Sozialdemo- kraten.) Justizminister Beseler: Soweit der Herr Vorredner sachliche Kritik geübt hat. werden seine Gesichtspunkte jedenfalls bei den Beratungen in der Kom- Mission Berücksichtigung finden. Die Bestimmungen des 8 47 sind höchstens für Notare von Bedeutung. Die Herabsetzung der hohen Gebühren bei großen Objekten war geboten, weil zetzt freiwillige Versteigerungen der hohen Gebühren wegen bei den Notaren fast gar nicht mehr vorkommen. Wenn der Herr Vorredner erklärte, daß er mit der preußischen Justizpflege keineswegs einverstanden sei, so haben mit dieser Un- Zufriedenheit seiner Partei ja alle Ressorts unserer Regierung zu rechnen.(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten) Das wird uns aber nicht bestimmen, von den Wegen abzuweichen, die wir für die richtigen halten.(Bravo ! rechts.) Wenn weiter der Herr Vor» redner aus der Bemerkung der Motive über die Gehaltserhöhungen einen gewissen Vorwurf gegen die Beamten herausgelesen hat, so muß ich dieser Auffassung mit größter Bestimmtheit entgegentreten. Die Bemerkung in den Motiven ist rein h i st o r i s ch. Ich weise diese kränkende Bemerkung entschieden zurück.(Bravo ! rechts.) Abg. Peltasohn(ftf. Vg.): In der Kommission wird vor allem der fiskalische Pferdefuß des Gesetzes beseitigt werden müssen. Die gesamte Mehrbelastung durch das Gesetz wird übrigens nicht Millionen, sondern 7 Millionen betragen. Abg. BoiSln(natl.) berechnet die Mehrbelastung deS Publt- kums durch die Vorlage auf 10 bis 15 Millionen. Die Einnahmen auS der freiwilligen Gerichtsbarkeit betragen 70 Proz. der Gesamteinnahmen der Justizverwaltung, die Ausgaben für sie nur 42 Proz. der Gesamtausgaben. Daher ist eine Erhöhung der Ge» bühren der freiwilligen Gerichtsbarkeit nicht berechtigt. Ein Schluhantrag wird abgelehnt. Abg. Bartscher(Z.): Der Abg. Liebknecht hat das Gesetz in Grund und Boden kritisiert und ihm alle sozialen Gesichtspunkte abgesprochen. In der Tat sind solche Gesichtspunkte� doch in der Vorlage enthalten, z. B. in bezug auf die Gebühren in Vormund- schastSsachen, in der Niederschlagung von Gerichtskosten usw. In der Verdoppelung der Kosten für die TeftamentKeröfftrung liegt eine Art Erbschastsstcuer.(Heiterkeit.) Damit schließt die Debatte. Die Vorlage wird an eine Kom« Mission von 21 Mitgliedern verwiesen. Es folgt die zweit« Lesung deS Justizetats.' Die Einnahmen werden nach uncrheblichex Debatte be« willigt. Die Weiterberatung vertagt das Haus auf Sonnabend 11 Uhr, Schluß 4 Uhr,
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